Akademiker mit Niedriglohnjobs

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meilenfreund

Erfahrenes Mitglied
10.03.2009
6.764
5.482
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In der WamS wurde etwas über Akademiker als Niedriglöhner geschrieben:

Kunsthistorikerin: 7,50 Euro Stundenlohn brutto : Unterbezahlte Hölle - Nachrichten - DIE WELT

Der Artikel hat inhaltliche Schwächen:

Die Kunsthistorikerin dürfte/sollte doch bitte hoffentlich gewusst haben, was sie tut. Es wird auch nicht deutlich, was sie seit Oktober macht (und das erlaubt Spekulationen von Hartz IV bis hin zu einer besser bezahlten Stelle). Im übrigen hat sie die € 7,50 / Stunde auch nicht für eine Tätigkeit als Kunsthistorikerin erhalten und bei € 1.000,00 brutto / Monat auch nicht für eine Vollzeittätigkeit (= Monatsarbeitszeit ca. 133 Stunden, also ca. 30-31 Stunden Woche).

Bei der Psychologin wird zumindest irreführend, wenn nicht gar unzutreffend, gerechnet:

Sie gehen davon aus, dass eine Vollzeitbeschäftigung mit ca. 48,5 h / Wochenarbeitszeit vorliegt: € 956,00 / € 4,55 = 210 h Monatsarbeitszeit 210 h / 4,3333 Wochen = ca. 48,5 h. Da es sich nach den Angaben im Artikel um eine Viertelstelle handelt, muss man das bei 40 h Wochenarbeitszeit wohl eher so rechnen: 10 h Wochenarbeitszeit * 4,3333 Wochen = 43,3333 Monatsarbeitszeit. € 956,00 / 43,3333 = ca. € 22,00. Demnach wird also suggeriert, dass die Arbeitskraft im Umfang einer vollen Stelle geschuldet ist, aber vom Land NRW nur zu 25 % vergütet wird.

Die Architektin bekommt wahrscheinlich deshalb nur € 7,00 netto, weil sie Steuerklasse V haben dürfte.

Abgesehen davon:

Was meint die Runde zu diesem Thema? Ist der Niedriglohnjob im Zweifel die einzige Chance, oder kann jeder Akademiker eine ausbildungsadäquate (und angemessen vergütete) Tätigkeit finden, wenn er/sie nur will? Würden die hier mitlesenden Firmeninhaber/Personalverantwortlichen ggf. auch jemand als Quereinsteiger einstellen, wenn er/sie durch und nach Einarbeitung in der Lage erscheint, sich ggf. noch fehlende Kenntnisse anzueignen?
 

FlyByWire

Erfahrenes Mitglied
16.11.2011
1.281
0
Der Artikel hat inhaltliche Schwächen:

Ich habe den Artikel gelesen und fand die Zahlenbeispiele irreführend, fand es jedoch müßig darüber nachzudenken, was der Schreiber da gemacht hat.

kann jeder Akademiker eine ausbildungsadäquate (und angemessen vergütete) Tätigkeit finden, wenn er/sie nur will?

Sicherlich nein!...... [nach meiner Interpretation deiner Intepretation von "angemessen"]
Es gibt Angebot und Nachfrage auf Märkten, in manchem Sinn durchaus auch auf dem Markt für Arbeitnehmer.

Grundsätzliches Überangebot an Kunsthistorikern: -> Niedrige Löhne
Örtliche/zeitliche geringe Flexibilität des Arbeitnehmers: -> Niedrige Löhne
...

Andererseits gibt es auch "Mangelberufe".
Da hier jedoch von Arbeitgebern (Personalabteilung) und auch Gewerkschaften & Betriebsrat eine hohe Lohnspreizung ungern gesehen wird, sehe ich hier bisweilen ein Abwandern der Arbeitnehmer in die Selbständigkeit (o.ä.).
 

f0zzyNUE

Erfahrenes Mitglied
08.03.2009
8.415
730
BTW, habe bei meinem Weihnachts-DO in NUE eine Britin kennengelernt, die gerade ihren Doktor in "Naval History" gemacht hat. Sie steht nun beim lokalen Tesco und klebt Preisschilder auf Waren :eek: Sie nahm es aber mit Humor.

Ich glaube in Deutschland hätte sie den Job gar nicht bekommen, da überqualifiziert :D
 

GoldenEye

Erfahrenes Mitglied
30.06.2012
13.152
467
Ist der Niedriglohnjob im Zweifel die einzige Chance, oder kann jeder Akademiker eine ausbildungsadäquate (und angemessen vergütete) Tätigkeit finden, wenn er/sie nur will?

Deine Frage impliziert ja zwei verschiedene Dinge:
1. "wenn er/sie nur will": Oftmals scheitert es ja am Wollen. Kunsthistoriker ist ja das klassische Beispiel des "brotlosen" Studiums. Wer das studiert, dem sollte das klar sein, und dann gibt es für ihn eben zwei Möglichkeiten:
a) er überlegt sich etwas, wie er mit diesem Studium trotzdem Geld verdienen kann. Man erwirbt parallel kaufmännische Kenntnisse und geht in den Kunsthandel, oder man bleibt an der Uni und schlägt eine akademische Karriere ein, oder man hat ein zweites berufliches Standbein, das mit dem Studium nichts zu tun hat, oder oder oder.
b) es ist ihm egal, und ein Berufsleben als Taxifahrer ist auch ok, dafür hat man ein als interessant empfundenes Studium, von dem man auch im späteren Leben zehren kann - oder man hat das Glück, vom Familienvermögen leben zu können.

2. Unterstellt, man will, stellt sich die Frage, was ist ausbildungsadäquat und angemessen vergütet? Ein guter Kunsthistoriker ist deswegen noch lange kein guter Chirurg. Will sagen: Es gibt schon lange kein "studium generale" mehr, und nur weil man auf einem Gebiet hochqualifiziert ist, ist man es noch lange nicht auf einem anderen. Also "berechtigt" eine akademische Ausbildung auch nicht automatisch zu einem Berufseinstieg "auf höherem Level", gleich in welchem Beruf. Andererseits sollte ein Studium neben Fachkompetenz idealerweise natürlich auch soetwas wie Methodenkompetenz vermitteln, sodaß der Akademiker in die Lage versetzt werden sollte, sich auch in neue Themenbereiche einzuarbeiten. Ein Jurist mit Studienschwerpunkt Strafrecht sollte sich auch in Vertragsrecht einarbeiten können, und ein BWLer mit Schwerpunkt Kostenrechnung in's Marketing. Ob allerdings ein Kunsthistoriker in die Flugzeugkonstruktion einsteigen kann ist eher fraglich - allein schon deshalb, weil ihm da wohl jegliches Interesse fehlen dürfte, denn sonst hätte er etwas anderes studiert.

Das bringt mich...
Zum Thema "Quereinsteiger": Leider tut man sich in Deutschland sehr schwer damit, und zwar von beiden Seiten, AG und AN. Die Angelsachsen sind da deutlich flexibler und sagen sich, wenn es ein guter Mann/eine gute Frau ist, dann lernt er das fachliche schon.
In D. glauben die AN, sie hätten einen gottgegebenen Anspruch auf genau das, was sie sich vorstellen und sind wenig flexibel, links und rechts zu schauen. Ebenso denken aber auch die AG, die jemanden möchten, der nicht nur zu 90% oder zu 95% auf die Stelle passt, sondern - bitteschön - zu 100%, und am Besten beim jetzigen AG schon genau das Gleiche gemacht hat. M.E. hat das mit Risikoscheu zu tun. Man vertraut nicht dem eigenen Urteil, sondern der Papierform. "Steht ja da, im CV, daß er das kann. Macht er ja jetzt schon. Brauche ich mir also kein eigenes Urteil mehr bilden".
 

GoldenEye

Erfahrenes Mitglied
30.06.2012
13.152
467
BTW, habe bei meinem Weihnachts-DO in NUE eine Britin kennengelernt, die gerade ihren Doktor in "Naval History" gemacht hat. Sie steht nun beim lokalen Tesco und klebt Preisschilder auf Waren :eek: Sie nahm es aber mit Humor.

Ich dachte, im Zeitalter der Barcodes gibt es das gar nicht mehr...
 

meilenfreund

Erfahrenes Mitglied
10.03.2009
6.764
5.482
Ich habe den Artikel gelesen und fand die Zahlenbeispiele irreführend, fand es jedoch müßig darüber nachzudenken, was der Schreiber da gemacht hat.

Ich eigentlich auch, aber bei den € 4,55 für die Psychologin bin ich dann doch ins Nachrechnen verfallen.

Grundsätzliches Überangebot an Kunsthistorikern: -> Niedrige Löhne
Örtliche/zeitliche geringe Flexibilität des Arbeitnehmers: -> Niedrige Löhne

Ich denke, je spezieller das Fach ist - das man auf der Grundlage einer bewussten Entscheidung studiert -, desto höher sollte auch die Bereitschaft zur Flexibilität sein. Auf der "unserer" Stellenausschreibungsseite im Internet (öffentlicher Dienst in BRE, ferner werden auch Anzeigen von Gemeinden/Städten/Kreisen aus dem Umland veröffentlicht) waren z.B. in den letzten Monaten auch 2-3 Stellen an Museen o.ä. publiziert. Gut, die Stelle kann nur eine/r bekommt, und es wird wahrscheinlich -zig Bewerbungen gegeben haben. Ich denke, da muss man sich dann auch von dem Gedanken freimachen "ich will unbedingt in Berlin/Frankfurt/Hamburg/Köln/München etc. arbeiten/leben/wohnen", wenn es in einer vielleicht als nicht so toll empfundenen Stadt eine - und sei es auch (zunächst) - nur befristete Perspektive mit besseren Möglichkeiten gibt.

2. Unterstellt, man will, stellt sich die Frage, was ist ausbildungsadäquat und angemessen vergütet? Ein guter Kunsthistoriker ist deswegen noch lange kein guter Chirurg. [...]

Der Kunsthistoriker hat - nach meiner Vorstellung von diesem Beruf - die Fähigkeit, Dinge zu bewerten und einzuordnen. Ein Einsatz als Chirurg oder Flugzeugkonstrukteur scheidet in der Tat aus ;), aber das kann man sicherlich auch branchenfremd in Bereichen wie Verwaltung und Organisation einsetzen.

Zum Thema "Quereinsteiger": Leider tut man sich in Deutschland sehr schwer damit, und zwar von beiden Seiten, AG und AN. Die Angelsachsen sind da deutlich flexibler und sagen sich, wenn es ein guter Mann/eine gute Frau ist, dann lernt er das fachliche schon.

Letzteres kann ich aus eigener Erfahrung zumindest ansatzweise bestätigen. Vor einigen Jahren hatte ich mich in einer Phase, in der ich suchte, bei einem Unternehmen in England beworben, mit dem ich in der vorherigen Tätigkeit zu tun hatte, und bei dem zu diesem Zeitpunkt eine Stelle zu besetzen war. Mir wurde dann abgesagt, ich glaube, mit der Begründung, dass die Stelle an sich schon vergeben war und man nicht in letzter Sekunde die Entscheidung noch ändern wollte und/oder dass ich als überqualifiziert angesehen würde. Ich fand das aber insofern sehr interessant, dass das der einzige Fall aus meiner Bewerbungshistorie war, in dem mit den Gründen für eine Absage sehr offen umgegangen (und auch eine Bewerbung nicht schon im Vorfeld abgebügelt) wurde.

Quereinstieg in Deutschland habe ich selbst - erstaunlicherweise, muss man eigentlich sagen - im öffentlichen Dienst mitgemacht: Ich habe formal die Qualifikation für den höheren Dienst, bin aber auf einer Stelle im gehobenen Dienst tätig.
 

ichundou

Erfahrenes Mitglied
05.11.2013
2.801
2
FRA
...
Ist der Niedriglohnjob im Zweifel die einzige Chance, oder kann jeder Akademiker eine ausbildungsadäquate (und angemessen vergütete) Tätigkeit finden, wenn er/sie nur will?
...

Ich sehe das eher anders herum: Wenn er oder sie eine besser bezahlte Tätigkeit wöllten, dann hätten sie doch etwas Anderes studieren können.

Der Kellner meckert doch auch nicht, wenn ein Schlosser mehr verdient als er selbst.
 

Hopper

Erfahrenes Mitglied
29.04.2010
3.614
1.779
grounded
Ohne den Thread gelesen zu haben und ohne eine Universität jemals von innen gesehen zu haben:

Man wird nicht für das bezahlt was man studiert hat, sondern für das was man leistet oder zumindest ausgehandelt hat. Und jede Person in Deutschland kann frei entscheiden, was sie mit den 24 Stunden am Tag macht.
 
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Reaktionen: TheDude666

paulraum

Erfahrenes Mitglied
08.04.2009
2.477
13
ARN / ZRH
Ist das ein Wunschgedanke?
Dir ist schon klar, dass man sich für einen nicht ganz so kleinen Teil von Stellen und Positionen zwar entscheiden kann, aber niemals ohne entsprechende Hochschulausbildung angenommen wird? Da kann man handeln wie man will...

Ohne den Thread gelesen zu haben und ohne eine Universität jemals von innen gesehen zu haben:

Man wird nicht für das bezahlt was man studiert hat, sondern für das was man leistet oder zumindest ausgehandelt hat. Und jede Person in Deutschland kann frei entscheiden, was sie mit den 24 Stunden am Tag macht.

Zum Artikel: Bei den Architekten ist es leider immer noch so, dass viele Berufseinsteiger mit wahnwitzig niedrigen Gehältern für extreme Arbeitszeiten beginnen. 60h für 800-1000EUR sind keine Seltenheit, aber auch nicht die Regel. Das dann so Stundenlöhne rauskommen kann ich mir durchaus vorstellen. Es wird oft gedroht, dass man eben hochsemestrige Studenten als Alternative hätte - die würden den Job fix nehmen. Alternativ dann an der Kasse beim Aldi.
 

Siwusa

Erfahrenes Mitglied
24.11.2010
4.884
-22
Vielleicht sind sie einfach schlecht in dem Fach, welches sie studiert haben. Mit 4,0 irgendwie durchs Studium zu kommen schaffen viele - und wundern sich warum sie nicht 5-Stellig verdienen..."Hauptsache BÄTCHELÖR"
 

Sunchaser

Erfahrenes Mitglied
12.09.2011
746
0
ZRH
Ohne den Thread gelesen zu haben und ohne eine Universität jemals von innen gesehen zu haben:

Man wird nicht für das bezahlt was man studiert hat, sondern für das was man leistet oder zumindest ausgehandelt hat. Und jede Person in Deutschland kann frei entscheiden, was sie mit den 24 Stunden am Tag macht.

Im Prinzip ist das falsch. Ein Salär wird nicht durch Leistung bestimmt, zumindest nicht direkt, sondern durch das, was jemand anderes zu bezahlen bereit ist. Und genau das ist die Kraft von Angebot und Nachfrage, welche die Marktpreise (auch für Arbeitnehmer) bestimmt.
 

peter42

Moderator
Teammitglied
09.03.2009
13.204
1.024
@1/4 Stelle aber Vollzeiarbeit - das ist an Unis leider nicht ünüblich!