Bloß raus ('Der Spiegel' Artikel zum Thema Luftfahrtsicherheit bei Evakuierungen)

ANZEIGE

Biohazard

Erfahrenes Mitglied
29.10.2016
6.371
5.334
LEJ
ANZEIGE
+1 war so nett und hat mir den Artikel auf meinen Schreibtisch gelegt.

Flugzeuge werden enger bestuhlt denn je, Passagiere drängen sich in den Kabinen. Können sie im Notfall noch schnell genug evakuiert werden?

Grundsätzlich betrifft es die 90-Sekunden-Evakuierungsregel, welche alle zugelassenden Flugzeuge (auch ein A380 mit 900 Sitzplätzen) erfüllen. Allerdings gelingt das wohl nur auf dem Papier, Zulassungsbehörden begnügen sich mit Analysen oder Computersimulationen. Nicht betrachtet werden dabei Rollstuhlfahrer, Betrunkene, Kinder, Fettleibige, you name it. In den USA hat das DOT eine Untersuchung begonnen, ob die 90-Sekunden-Regel in der Praxis erfüllt werden kann; zudem soll beurteilt werden, ob das Evakuierungsregelwerk der FAA noch der Zeit entspricht (die Regeln datieren wohl größtenteils von 1990).
Dann werden noch ein paar Beispiele aufgeführt (AA383, EK521), in denen Passagiere das "Leave everything" schlicht ignoriert haben und sich mit anderen Passagieren um das Gepäck gekloppt haben (Zitat: Sehr viele Passagiere suchen nicht den schnellstmöglichen Weg nach draußen, vielmehr zanken sie mit anderen um Zugang zu den Gepäckfächern. Sie wuchten Rollkoffer über die Köpfe der zu den Notrutschen eilenden Mitreisenden und versperren ihnen den Weg. Sie ignorieren Anweisungen des Kabinenpersonals und springen viel später als nötig und voll beladen in die Rutschen, ohne jede Sorge, dass ihre Lasten dort Löcher reißen könnten.).

Die britische Royal Aeronautical Society empfiehlt laut Artikel, die Gepäckablagefächer mit einer Zentralverriegelung zu sichern, sodass Reisende nur noch in Reiseflughöhe an die Bins kommen. Den Airlines allerdings gefällt der Vorschlag nicht: Ihn umzusetzen kostet Geld. Schlusssatz.
 

abvvgold

Erfahrenes Mitglied
28.06.2016
982
145
DUS
In ähnlichem Thema ein Hinweis für alle Interessierten:

in Hamburg werden regelmäßig Freiwillige für Evakuierungstests auf dem Airbus-Gelände gesucht.
Da kriegt man die Möglichkeit als Interessierter mal eine Evakuierung "vollständig" und unter realen Bedingungen zu erleben.
Mehr dazu: Evactra GmbH.

Habe das ein Mal gemacht.
Adrenalin pur. Eine gute Erfahrung, die mir im Notfall hoffentlich ein wenig Sicherheit gibt.
Eine Aufwandsentschädigung gab es auch noch, ich glaube um die 100 EUR.
 

c0t0d0s0

Reguläres Mitglied
06.09.2014
96
1
1. Die zentrale Verriegelung halte ich aus einem anderen Grund für eine nicht so gute Idee : Wieviele Leute werden trotzdem erstmal versuchen die Bins aufzumachen und sich nicht nach vorne bewegen, bis sie merken (oder das es ihnen bewusst wird), das diese verschlossen sind. Aus einem anderen Grund wäre es eine gute Idee: Vielleicht würden die Leute dann aufhören, verfrüht aufzustehen nach der Landung.

2. Ansonsten muss man das glaube ich eher als einen Benchmark sehen: Ein Flugzeug muss man unter den Bedingungen der Regel in 90 Sekunden leer bekommen. Damit hat man eine überprüfbare und vor allen Dingen reproduzierbar überprüfbare Grösse. So nach der Art: Wenn das unter optimalen Umständen 90 Sekunden dauert, dann wird das in der Praxis zwar länger dauern, aber immer noch hinreichend schnell. Und wenn es unter optimalen Umständen schon nicht in 90 Sekunden klappt, dann wirds auch nicht in der Praxis hinreichend schnell funktionieren.
 

rorschi

Erfahrenes Mitglied
09.03.2009
9.835
2.786
ZRH / MUC / VIE
Meine Evakuierungsübung liegt viele Jahre zurück - wird das heute immer noch gleich gemacht wie damals?

Die letzten Fälle haben gezeigt, dass Leute eben ihr Handgepäck mitnehmen. Und das kann man im Notfall nicht unterbinden. Das prominenteste Beispiel war Franz Müntefering bei der Contactair Notlandung in Stuttgart...
Werden diese reellen Begebenheiten heutzutage bei Evakuierungsübungen mitberücksichtigt? Falls nein, kann man solche Übungen wirklich am Computer simulieren - billiger und weniger riskant für Verletzungen.
 

abvvgold

Erfahrenes Mitglied
28.06.2016
982
145
DUS
Meine Evakuierungsübung liegt viele Jahre zurück - wird das heute immer noch gleich gemacht wie damals?
[...]
Werden diese reellen Begebenheiten heutzutage bei Evakuierungsübungen mitberücksichtigt? Falls nein, kann man solche Übungen wirklich am Computer simulieren - billiger und weniger riskant für Verletzungen.

Mir fehlt der Vergleich - zu früher.
In meiner Simulation war es stockfinster im und rund um das Mock-Up. Handgepäck hatten wir keins.
Hektisch, laut und eng war es so schon genug.

Ich hatte mich an anderer Stelle vor einigen Monaten auch für eine Zentralverriegelung der Overheads ausgesprochen.
Sollte zumindest für neue Produktionen im unkomplizierten Rahmen möglich sein. Ein paar Tausend Euro mehr oder weniger fallen nicht auf. Und wenn es FAA-Vorschrift wird, dann können die Airlines eh nur noch spulen. Manual override mit Schlüssel am jew. vordersten Bin des Segments für den Fall, dass bei Ankunft die Technik streikt. Funktioniert an jedem Schreibtisch-Beisteller und Aktenschrank.

Es verbleibt das Problem Legroom-Luggage. Glücklicherweise kriegen dort auch Maximierer keine übermäßig sperrigen Gegenstände verstaut.
 

br403

Erfahrenes Mitglied
28.11.2016
1.701
633
MUC
Ich weiß nicht ob ich mich da freiwillig für bewerben würde. War es nicht so das sich beim (oder einem) A380 Test jemand ein Bein gebrochen hat? Da geht es ja schon rabiat zu...
 

MANAL

Erfahrenes Mitglied
29.05.2010
14.044
8.091
Dahoam
Es verbleibt das Problem Legroom-Luggage. Glücklicherweise kriegen dort auch Maximierer keine übermäßig sperrigen Gegenstände verstaut.

Wer dieses Handgepäck mitnimmt stört die Evakuierung deutlich weniger, weil er ja nicht irgendwo an den Bin rumsucht oder sogar in der Gegenrichtung im Gang unterwegs ist um an seinen Bin zu kommen. Und wie du sagst, das Gepäck dort ist deutlich kleiner.
 

rorschi

Erfahrenes Mitglied
09.03.2009
9.835
2.786
ZRH / MUC / VIE
Mir fehlt der Vergleich - zu früher.
In meiner Simulation war es stockfinster im und rund um das Mock-Up. Handgepäck hatten wir keins.
Hektisch, laut und eng war es so schon genug.

Das war vor 20 Jahren genau gleich, IIRC waren damals auch 90 Sekunden die Vorgabe.

Aber: Damals waren die Probleme mit dem Handgepäck kein Thema, sie wurden nicht einmal erwähnt. Und der A320, mit dem ich damals die Übung absolvierte, hatte 1998 eine maximale Kapazität von genau 150 Sitzen. Heute haben diese Flugzeuge, immer noch im Einsatz bei der Nachfolgegesellschaft, 180 Sitze bei gleicher Anzahl Notausgänge...
 

flyglobal

Erfahrenes Mitglied
25.12.2009
5.600
503
Wenn auf diese Weise ein Mindest Sitzabstand eingeführt würde - sagen wir 33 inch, dann würde ich das begrüßen.

Flyglobal
 
  • Like
Reaktionen: bursche99

Volume

Erfahrenes Mitglied
01.06.2018
9.768
7.142
Grundsätzlich betrifft es die 90-Sekunden-Evakuierungsregel, welche alle zugelassenden Flugzeuge (auch ein A380 mit 900 Sitzplätzen) erfüllen. Allerdings gelingt das wohl nur auf dem Papier, Zulassungsbehörden begnügen sich mit Analysen oder Computersimulationen.
Zumindest bei neuen Mustern wie dem A380 ist ein realer Evakuierungstest durchgeführt worden. "real" wohl eher in Anführungszeichen, es ist ja eher eine Kirmesstimmung als eine Panik und ein Überlebenskampf. Man kann so ein Szenario nicht real testen, ohne Menschenleben oder zumindest schwere Verletzungen zu riskieren, von daher wäre es unethisch, es wirklich realistisch zu testen.
In den letzten Jahren hatten wir immer wieder Evakuierungen, die wirklich mies gelaufen sind (z.B. Emirates 777 in Dubai), trotzdem ist nichts passiert. Einfach nur Glück. Nochmal so ein Fall wie British Airtours 28M mit über 50 Toten, und es wird wieder aktuell, realistisch zu testen. Computersimulationen kann man in dieser Hinsicht völlig vergessen, da kann man auch gleich mit Papier und Dreisatz arbeiten. Sieht zwar nicht so überzeigend aus, ist aber praktisch das selbe.

Human Factors wird mehr und mehr zu einem Thema und zu einer Wissenschaft, im Cockpit und in der Wartung ist das längst ein wichtiger Aspekt. Bei der Evakuierung stehen wir da noch völlig am Anfang, das Verhalten des Menschen in Extremsituationen vorherzusagen ist hochkomplex. Der Sitzabstand allein ist jedenfalls vergleichsweise unwichtig, Gangbreite und Größe/Lage/Verfügbarkeit der Notausgänge ist viel wichtiger. In den letzten Jahren hat es mehrere Fälle gegeben, in denen die Annahme, 50% der Ausgänge seien verfügbar, noch zu optimistisch war.
 

odie

Erfahrenes Mitglied
30.05.2015
7.034
2.850
Z´Sdugärd
Bei Flugzeugen interesant.

Aber sehr viel mehr finde ich die Frage nach der Evakuierung bei irgendwelchen Alltagsgeschichten. Mehrstöckiges Büro/Wohnhaus. Oder ganz krass: Die U Bahnen in Russland. Als der Anschlag in St. Petersburg passiert ist war ich auch vor Ort ca 3 Stationen weiter weg. Allein als sich der Anschlag rumgesprochen hat ist da ziemliche Panik ausgebrochen. Wie man hier die Leute über einen zig hundert Meter lange Rolltreppe evakuieren will....DAS will ich mir garnet vorstellen. Vorallem wen es solche Scenarien in London auch schon gab. Diese Geschichten finde ich mal viel interesanter.
 

Biohazard

Erfahrenes Mitglied
29.10.2016
6.371
5.334
LEJ
Man kann so ein Szenario nicht real testen, ohne Menschenleben oder zumindest schwere Verletzungen zu riskieren, von daher wäre es unethisch, es wirklich realistisch zu testen.

Dann testet man es unter Testbedingungen und addiert einen festgelegten Prozentwert oben drauf.

Also:
Evakuierung eines 900 Sitzer A380 in 87 Sekunden, plus 20% "Komplikationsaufschlag", gleich 104,4 Sekunden, abgerundet 104 Sekunden und damit über der oben genannten 90-Sekunden-Evakuierungsregel.

Entweder muss das Flugzeug mit weniger Personen besetzt werden, oder es braucht weitere Notrutschen oder oder oder.
 

Volume

Erfahrenes Mitglied
01.06.2018
9.768
7.142
plus 20% "Komplikationsaufschlag"
oder 25%, oder 80% oder 17%... Wer bietet einen Wert?

Es ist schlichtes Raten, wie viel Differenz zwischen Test und Realsituation existiert. Füll die Kabine mit dichtem Rauch und die Zahl ist eine komplett andere.
Sperr die rechten 50% der Türen, und sperr die hinteren 50% der Türen. Differenz?

Exakt das. Es ist einfach Guesswork.

Die aktuellen Regeln scheinen gut zu funktionieren, wir hatten seit sehr vielen Jahren keine Katastrophen mehr nach überlebbaren Unfällen. Aber seither hat sich viel verändert, wir haben noch wenig Erfahrung mit den "nachverdichteten" Kabinen. Wir sehen aber auch, dass in der Praxis 90 Sekunden oft völlig unrealistisch sind. In Dubai haben sie 400 (!!!) Sekunden gebraucht um eine brennende 777 zu evakuieren (344% "Komplikationsaufschlag" in einer 3-4-3 bestuhlten 777 im Vergleich zur real getesteten 3-3-3 Konfiguration)
 

TachoKilo

Erfahrenes Mitglied
21.02.2013
2.142
51
Berlin (West) - TXL
  • Like
Reaktionen: Ed Size

Volume

Erfahrenes Mitglied
01.06.2018
9.768
7.142
Wenn es um Sicherheit geht, muss man Unternehmen die Daumenschrauben anlegen, sonst passiert wenig bis gar nichts.
Gut gebrüllt, Löwe.

Du must zunächst nachweisen, dass die aktuelle Situation in der Tat eine unsichere ist. Du must den Unternehmen nachweisen, gegen Vorschriften verstoßen zu haben. Gesunder Menschenverstand hilft da nichts, Beweise müssen her.

Die Situation erinnert mich fatal an den Abgasskandal. Jeder wusste seit Jahren, dass die Autos signifikant (z.T. mehr als doppelt so viel) mehr verbrauchen, als angegeben und im Test ermittelt. Niemand konnte sich vorstellen, dass wenn spritseitig mehr in den Motor rein geht, auch auspuffseitig mehr rauskommt... Das waren alles nur Vermutungen, da war nichts bewiesen... Und wenn das Kind dann in den Brunnen gefallen ist, bezahlen unschuldige dafür, und die ehemals Verantwortlichen suchen jemand völlig unschuldigen, der jetzt die Verantwortung übernehmen muß (die deutsche Sprache ist in dieser Hinsicht allerliebst).

Wenn wir wieder wie damals in Teneriffa 500 Särge im Hangar liegen haben, werden alle Krokodilstränen vergiessen, und jeder Politiker und Manager wird hinpilgern und sich zutiefst betroffen zeigen.
Nur vorher die Zeichen erkennen und so einen Fall verhindern, das wäre nun wirklich zu viel gewesen. Lieber erstmal noch ein paar Jahre gutes Geld machen.
 
  • Like
Reaktionen: MANAL

Hape1962

Erfahrenes Mitglied
24.01.2011
3.259
1.263
CGN
Solange es den Airlines wichtiger escheint wie man eine Maschine in 90 Sekunden BOARDEN kann werden die wohl nix ändern.
Ich glaube das wird öfter getestet als andersherum.
 
M

Mcflyham

Guest
Für die Zulassung des Flugzeugmusters wird das geprüft, warum soll man das dauernd wiederholen? Und kennst du einen konkreten(!) Fall, wo die Evakuierung zu lange gedauert hat?
 

Ed Size

Erfahrenes Mitglied
16.03.2009
9.425
2
Danke

Aktuell ist 37/2018 im Handel. Somit ist der Artikel leider für die meisten von uns unerreichbar.

Das aber nur am Rande...

Alte Spiegel Ausgaben sind komplett online abrufbar, meistens sogar kostenlos.

Gerade mal nachgeschaut, kostenlos ist alles was älter als 12 Monate ist.