Es gibt Vorgaben (eben aus diesen Sicherheitsgründen), an die hat FR sich gehalten. Und diese Vorgaben sind so gewählt, dass ein Flugzeug im Notfall einen anderen Flughafen ansteuern kann. Das hat - huch, wie überraschend - geklappt. Damit war GENUG Sprit an Bord. Klar schadet es nicht, mehr dabei zu haben. Aber das ist - genau wie "mehrmals jährlich zum TÜV", "stundenlanges Warten im Stau mit laufender Heizung oder Klimaanlage" - Geschmackssache, und wer das nicht macht, handelt deswegen nicht unsicher.
Wenn das Leben doch so einfach wäre...
Machen wir doch mal einen kleinen Case auf, um zu illustrieren, ob gesetzliche Vorgaben genug sind oder nicht... und um vor allem klarzumachen, daß Treibstoffberechnungen in der Praxis keine deterministische Wissenschaft sind sondern Schätzaufgaben. Zwar Schätzaufgaben, wo unsereins dank modernen Technologien gewaltige Unterstützung bekommt, dennoch aber es Schätzungen bleiben... und die Frage, wie ich als Verantwortlicher schätze, hängt im Wesentlichen von der Kultur und der Einstellung bzgl. Sicherheit zusammen, die bei meinem AG herrscht.
Nehmen wir einen meiner letzten Ferry Flights: JFK -> BSL und fangen hinten an: Primary Alternate war ZRH, secondary STR. Natürlich hält man sich an die gesetzlichen Vorgaben und hat genügend JET an Bord, um die Alternates zu erreichen plus ausreichend Hold. Um den Ansprüchen der Presse und der Werbung mit hoher Sicherheit zu genügen, nimmt man gerne mit Lob seines Backoffices noch Fuel für 15 Minuten Exra-Hold mit.
Super. Gesetzliche Vorgabe brilliant erfüllt und so sauber dokumentiert, daß jeder
Held mit einem Mikro oder FAA / JAA Badge in der Hand einsehen muß, daß man alle Vorgaben erfüllt hat. Kein Vorwurf ansetzbar. Und FR wird auch nicht so blöd sein, diesen Punkt der Treibstoffplanung
kreativ zu interpretieren... das wäre so hohl, wie wenn man wissentlich vor einer Radarfalle zu schnell fährt, denn auf diesen Punkt schaut jeder Offizielle als erstes.
Blöd nur, daß so ein Flug aus mehr besteht als aus der Alternate Planung. Sprung an den Anfang: Wir standen vor dem Central Terminal in JFK, erwartete Startrwy war 13R, Anlassfreigabe erwartet gegen 18.10 Uhr an einem Donnerstag. Was ist denn ein sinnvolle Menge hinsichtlich Taxifuel? Setze ich den Wert an, der der gesetzlichen Vorgabe gaaaaanz locker genügt (also 100% mehr als die Zeit, die man zum durchgehenden Rollen benötigt) - das wäre hier so Treibstoff für neun Minuten Taxi - oder doch lieber mal pauschal 45 Minuten, weil es
gerüchteweise um die Zeit bei JFK auf den Taxiways doch eher voller ist? Macht einen Unterschied bei der 5K von ~ 500 kg. Man bedenke, die gesetzliche Vorgabe hätte ich in beiden Fällen erfüllt... wie wohl fühlst Du persönlich Dich denn mit neun Minuten Taxifuel, um in der rush hour quasi einmal um JFK herumzurollen? Nicht gut?
Wieso, gesetzliche Vorgabe ist doch voll erfüllt! Man kann mir aufsichtsrechtlich nichts vorwerfen, wenn ich so plane (auch wenn jeder Kollege sagen würde "Vollidiot"). Wenn mein AG mir nun sagen wir "nahelegt", möglichst wenig Treibstoff mitzunehmen, plane ich halt entsprechend des Gesetzes mit neun Minuten ("wird schon gut gehen") ... und nehme 500 kg weniger mit als ich es getan habe, da ich das Glück habe, daß mein AG mir hier nichts "nahelegt".
Nur bis zum FLEXen habe ich also schon mal unter Einhaltung aller Vorgaben 500 kg Spielraum.
Ignorieren wir so einen Kleinkram für die Planung à la Abflugrouten, Climb Patterns, etc. Gucken wir den Trip an, Stichwort Route über den Nordatlantik. Dankenswerterweise hat uns unser Backoffice für den geplanten Flug unter Berücksichtigung von Wind etc. die optimale Route hingelegt. Ich brauche die Route eigentlich nur zu übernehmen, ein paar Parameter einhacken und bekomme den erwarteten Verbrauch ausgeworfen - das passt sogar sehr gut, so daß für hier keine Abweichungen von Realtiät vs. Plan angenommen werden. Super. Laden wir also mal 11.200 kg Trip Fuel. Wieder alle gesetzlichen Vorgaben erfüllt, spitze.
Natürlich erwarte ich dann auch, daß Gander mir im Rahmen der oceanic clearance auch meine gewünschte Route gibt.
Was? Die Säcke schicken mich wegen Kapazitätsbeschränkungen zwei Routen weiter südlich und 3000 ft höher über den Atlantik? Fu
. Das würde ja glatte 1.800 kg JET mehr erfordern. Aber wenn ich mich nur an die gesetzlichen Vorgaben halte... brauche ich so einen Schrott wie volle Routen nicht berücksichtigen, also vergessen wir die 1.800 kg lieber wieder, um die Erbsenzähler im Backoffice glücklich zu machen. Wird sicher auch passen... und für Dich persönlich ist es eh perfekt, da ich ja die gesetzlichen Vorgaben einhalte. Dankenswerterweise herrscht bei uns konservative Planung, IIRC sind wir mit 12.300 kg Trip 'raus.
Bis zum Approach BSL habe ich also schonmal 2.300 kg bzw. ~ 20% der Gesamttreibstoffmenge Spielraum. Cool, egal wie, alle gesetzlichen Vorgaben sind erfüllt.
Ignorieren wir den Rest mal, BSL hat eh eher wenig Holds.
Ich wiederhole mal meine Fragen: Wie wohl fühlst Du Dich mit neun Minuten in der Treibstoffplanung für einen Roundtrip JFK? Wie wohl fühlst Du Dich mit der Annahme bei einem TATL, daß man die optimale Route bekommt? Du dürftest es perfekt finden, da ich ja entsprechend Deiner Argumentation GENUG Sprit an Bord habe, wenn ich so plane, denn ich halte mich an offizielle Vorgaben. Yeah.
Der Punkt ist: Selbst wenn man so "agressiv" plant, wird es - da es Myriaden von Redundanzen, Puffern, etc. gibt in der Fliegerei - vermutlich eine Million Mal gut gehen, denn wenn ich anstatt neun Minuten eben 40 Minuten rolle... merkt das kein Mensch, solange ich nicht nach STR diverten muß, denn dann zehre ich eben von meinem alternate fuel. Völlig wurscht, solange ich beim Docken in BSL noch Treibstoff in den Tanks habe (und das heißt im Zweifel: 1 kg über der nicht ausfliegbaren Menge)... und klar, statistisch ist es extremst unwahrscheinlich, daß auf einem Flug alle unglücklichen Umstände zusammenkommen. Somit geht das unzählige Male gut (und die Controller bei FR klopfen sich auf die Schultern, wie cool sie sind, weil sie sooooo viel Treibstoff eingespart haben
)... nur irgendwann kommt eben mal, daß es nicht mehr passt... und wenn dann jemand zu Dir kommt "Sorry, ihr Kind ist tot, aber sehen sie es so: Die Entschädigung, die wir ihnen zahlen müssen, wird locker dadurch kompensiert, daß wir die letzten eine Million Flüge über 2.000 kg Treibstoff weniger mitgenommen haben. Daher zahlen wir ihnen als Geste des guten Willens glatt 10% mehr, als wir gesetzlich müssten. Super, oder?" fändest Du das nicht prickelnd.
Sicherheitsmanagement in der Fliegerei geht nicht um die 99,9999% der Flüge, sondern um die verbleibenden 0,0001%. Solange meine Karriere nicht auf dem Spiel steht, werde ich garantiert
immer konservativ an die Planung herangehen - wenn meine persönliche Existenz aber davon abhängt, daß ich möglichst wenig Treibstoff mitnehme, dann werden sich viele sagen "Ach, ein Flug in einer Million wird schief gehen, aber das trifft jetzt nicht mich. Passt schon." Das ist im täglichen Leben sicher eine brauchbare Abwägung - in der Fliegerei nicht.
Anderes einfaches Beispiel: Warum denkst Du, daß bsp.weise LH Triebwerke mit Schubumkehr einsetzt? Mit Deinem gesetzliche-Vorgaben-Zeugs kann man die weglassen, da diese weder vorgeschrieben noch im Sinne der Zertifizierung erforderlich sind (von der 737-700 mal abgesehen, die LH aber nicht fliegt), i.e. LH könnte bei der Anschaffung einige hunderttausend EUR sparen und würde bsp.weise bei einer
Triple3 bei jedem Flug 230 kg weniger Gewicht durch die Gegend fliegen. Also - warum investiert LH mehr als notwendig?