Anspruch auf Entschädigung bei Verspätung-Urteil des EuGH 23.10.2012

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Valim

Erfahrenes Mitglied
05.06.2012
436
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Reisende können bei mindestens drei Stunden Verspätung pauschale Ausgleichszahlung verlangen

Fluggäste können bei erheblich verspäteten Flügen eine Ausgleichsleistung beanspruchen. Erreichen die Fluggäste ihr Endziel drei Stunden oder mehr nach der geplanten Ankunft, können sie vom Luftfahrtunternehmen eine pauschale Ausgleichszahlung verlangen, es sei denn, die Verspätung ist auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union und bestätigte damit seine bisherige Rechtsprechung.




Das Unionsrecht* sieht vor, dass Fluggäste im Fall einer Annullierung ihres Fluges eine pauschale Ausgleichszahlung erhalten können, die zwischen 250 Euro und 600 Euro beträgt. Im Urteil Sturgeon vom 19. November 2009 hat der Gerichtshof entschieden, dass die Fluggäste verspäteter Flüge den Fluggästen annullierter Flüge in Bezug auf ihren Anspruch auf Ausgleichsleistung gleichgestellt werden können. Erreichen sie ihr Endziel drei Stunden oder mehr nach der ursprünglich geplanten Ankunftszeit, können sie vom Luftfahrtunternehmen eine pauschale Ausgleichszahlung verlangen, es sei denn, die Verspätung ist auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen.
Sachverhalte

Das Amtsgericht Köln (Deutschland) und der High Court of Justice (Vereinigtes Königreich) ersuchen um nähere Angaben zur Tragweite des Urteils Sturgeon. In der einen Rechtssache (C-581/10) ist das deutsche Gericht mit einem Rechtsstreit befasst, in dem Fluggäste gegen das Luftfahrtunternehmen Lufthansa klagen, weil ihr Flug gegenüber der ursprünglich geplanten Ankunftszeit um über 24 Stunden verspätet war. In der anderen Rechtssache (C-629/10) haben sich TUI Travel, British Airways, easyJet Airline und die International Air Transport Association (IATA) an die Gerichte des Vereinigten Königreichs gewandt, weil die Civil Aviation Authority (Behörde für die Zivilluftfahrt) sich weigert, ihrem Ersuchen stattzugeben, sie nicht zu Ausgleichszahlungen an Fluggäste verspäteter Flüge zu verpflichten. Zur Begründung hat diese unabhängige Behörde, die über die Einhaltung der Flugverkehrsregelung im Vereinigten Königreich wacht, ausgeführt, sie sei an das Urteil Sturgeon gebunden.
Verspätete Flüge vergleichbar mit "in letzter Minute" annullierten Flügen

In seinem Urteil bestätigt der Gerichtshof die von ihm im Urteil Sturgeon vorgenommene Auslegung des Unionsrechts. Er weist darauf hin, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung verlangt, die Situation der Fluggäste verspäteter Flüge in Bezug auf die Anwendung ihres Anspruchs auf Ausgleichsleistung als vergleichbar mit der Situation der Fluggäste anzusehen, deren Flug „in letzter Minute“ annulliert wurde, da sie ähnliche Unannehmlichkeiten hinnehmen müssen, nämlich einen Zeitverlust.
Bei drei und mehr Stunden Verspätung besteht Anspruch auf Ausgleichzahlung

Da die Fluggäste annullierter Flüge Anspruch auf eine Ausgleichsleistung haben, wenn ihr Zeitverlust drei Stunden oder mehr beträgt, entscheidet der Gerichtshof, dass den Fluggästen verspäteter Flüge ebenfalls ein Ausgleichsanspruch zusteht, wenn sie aufgrund einer Verspätung ihres Fluges einen solchen Zeitverlust erleiden, d. h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der vom Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen.
Kein Ausgleichsanspruch bei Verspätungen aufgrund außergewöhnlicher Umstände

Mit dem Erlass dieser Rechtsvorschriften wollte der Unionsgesetzgeber die jeweiligen Interessen der Fluggäste und der Luftfahrtunternehmen zum Ausgleich bringen. Daher begründet eine solche Verspätung keinen Ausgleichsanspruch der Fluggäste, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind.
Zeitverlust aufgrund der Verspätung stellt Unannehmlichkeit und keinen Schaden im Sinne des Übereinkommens von Montreal dar

Der Gerichtshof führt weiter aus, dass das Erfordernis, die Fluggäste verspäteter Flüge zu entschädigen, mit dem Übereinkommen von Montreal** vereinbar ist. Hierzu stellt der Gerichtshof fest, dass der Zeitverlust, der aufgrund der Verspätung eines Fluges entsteht, eine Unannehmlichkeit darstellt und kein Schaden im Sinne des Übereinkommens von Montreal ist. Die Pflicht zur Zahlung einer Ausgleichsleistung an die Fluggäste verspäteter Flüge wird infolgedessen nicht vom Geltungsbereich dieses Übereinkommens erfasst und ergänzt die darin vorgesehene Entschädigungsregelung.
Ausgleichspflicht mit Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und Grundsatz der Rechtssicherheit vereinbar

Diese Pflicht ist auch mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit vereinbar, der verlangt, dass den Fluggästen und den Luftfahrtunternehmen der jeweilige Umfang ihrer Rechte und Pflichten genau bekannt ist. Die Ausgleichspflicht steht ferner mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang, der besagt, dass die Handlungen der Unionsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten dürfen, was zur Erreichung der mit der betreffenden Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist, und dass die verursachten Nachteile nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen dürfen. Hierzu stellt der Gerichtshof fest, dass die Ausgleichspflicht nicht alle, sondern nur große Verspätungen betrifft. Zudem sind die Luftfahrtunternehmen nicht zu einer Ausgleichszahlung verpflichtet, wenn sie nachweisen können, dass die Annullierung oder die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht.
Wirkungen des vorliegenden Urteils sind nicht zeitlich zu begrenzen
Schließlich prüft der Gerichtshof die Anträge der betreffenden Luftfahrtunternehmen auf zeitliche Begrenzung der Wirkungen seines Urteils. Diese sind der Ansicht, dass eine Berufung auf das Unionsrecht als Rechtsgrundlage für Klagen von Fluggästen auf Ausgleichszahlung für Flüge, die vor dem Tag der Verkündung des vorliegenden Urteils verspätet gewesen seien, nur Fluggästen möglich sein sollte, die bereits vor diesem Tag eine Klage auf Ausgleichszahlung erhoben hätten. Darauf antwortet der Gerichtshof, dass die Wirkungen des vorliegenden Urteils nicht zeitlich zu begrenzen sind.


aus:Urteil > C-581/10 und C-629/10 | EuGH | Fluggäste haben bei erheblichen Flugverspätungen Anspruch auf Ausgleichsleistung < kostenlose-urteile.de
 
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Reaktionen: haraldw und Seemann

rotanes

Erfahrenes Mitglied
01.06.2010
7.016
5
HAM
vielleicht könnte mal bitte jemand im Titel den "vom BGH" durch "des EuGH" ersetzen

MOD: erledigt (maxbluebrosche)
 
Moderiert:

EinerWieKeiner

Erfahrenes Mitglied
11.10.2009
5.806
369
Zitat Urteil " Daher begründet eine solche Verspätung keinen Ausgleichsanspruch der Fluggäste, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind."

Dies wird leider - soweit ich gesehen habe - nicht weiter erläutert und öffnet nachfolgenden Diskussionen Tür und Tor , was unter "zumutbaren Massnahmen" zu verstehen ist.
Im Ergebnis wird dann wieder jeder Fall einzeln entschieden werden müssen. Und das dann leider wieder vor Gericht. Schade: AN dieser Stelle hätte mehr Präszion geholfen im Urteil.
 

tian

Erfahrenes Mitglied
26.12.2009
10.709
140
Wenn ich es richtig lese gilt also Ausgleichszahlung + Schadensersatz aus dem Montrealer Abkommen ohne das das eine bei dem anderen angerechnet werden darf?

Oder vielleicht doch entweder oder:

59. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof bei der Auslegung von Art. 12 („Weiter gehender Schadensersatz“) der Verordnung Nr. 261/2004 festgestellt, dass dieser Artikel die Durchführung der in der Verordnung vorgesehenen Maßnahmen ergänzen soll, so dass den Fluggästen der gesamte Schaden ersetzt wird, der ihnen dadurch entstanden ist, dass das Luftfahrtunternehmen seine vertraglichen Pflichten verletzt hat. Diese Bestimmung ermöglicht es somit dem nationalen Gericht, das Luftfahrtunternehmen zum Ersatz des den Fluggästen wegen der Nichterfüllung des Luftbeförderungsvertrags entstandenen Schadens auf einer anderen Rechtsgrundlage als der Verordnung Nr. 261/2004 zu verurteilen, d. h. insbesondere unter den Voraussetzungen des Übereinkommens von Montreal oder des nationalen Rechts (Urteil vom 13. Oktober 2011, Sousa Rodríguez u. a., C‑83/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 38).

Kann man also wohl weiterhin auslegen wie man will.
 
Zuletzt bearbeitet:

TXLover

Erfahrenes Mitglied
13.08.2010
1.488
1
EuGH meinte:
55. Somit kann der mit der Verspätung eines Fluges verbundene Zeitverlust, der eine Unannehmlichkeit im Sinne der Verordnung Nr. 261/2004 darstellt und nicht als „Schaden …, der durch Verspätung … entsteht“ im Sinne von Art. 19 des Übereinkommens von Montreal qualifiziert werden kann, nicht in den Anwendungsbereich des Art. 29 dieses Übereinkommens fallen.

Ausgleichszahlung und Schadenersatz nach MÜ sind zwei Paar Stiefel, weil sie unterschiedliche Voraussetzungen haben. Dennoch:

VO 261/2004 meinte:
Artikel 12
Weiter gehender Schadensersatz
(1) Diese Verordnung gilt unbeschadet eines weiter gehenden Schadensersatzanspruchs des Fluggastes.
Die nach dieser Verordnung gewährte Ausgleichsleistung kann auf einen solchen Schadensersatzanspruch angerechnet werden.

Ich meine mich zu erinnern, dass die Ausgleichszahlung angerechnet wird, wenn das nationale Recht im Rahmen des Schadenersatzes dem strengen Ausgleichungsgrundsatz folgt. Bei uns wäre das § 249 Abs. 1 BGB.

Ich lasse bei dieser Frage aber unseren ausgewiesenen Lufttransportrechtlern den Vortritt.
 
Zuletzt bearbeitet:

tian

Erfahrenes Mitglied
26.12.2009
10.709
140
Dann hätte aber jemand dem ein tatsächlicher finanzieller Schaden durch die Verspätung entsteht keinerlei Ausgleich mehr für "Unannehmlichkeiten", korrekt?
 

TXLover

Erfahrenes Mitglied
13.08.2010
1.488
1
Yepp. Das andere Argumentationsmuster wäre dann: Ausgleichszahlung ist auch in der Rechtsfolge etwas anderes als Schadenersatz, weil damit Ausgleich für Unannehmlichkeiten geschaffen werden soll.
 

Julian007

Erfahrenes Mitglied
31.03.2012
850
3
Bring leider nichts, in einem Fall von einer 5h innereuropäischen Verspätung bei LH bei mir stellen die sich trotz mehrfacher Mail beschwerden tot :(
 

tian

Erfahrenes Mitglied
26.12.2009
10.709
140
Bei meiner Klage gegen Easyjet hatten die das Gericht ja überredet auf genau dieses Urteil zu warten. Bin gespannt wie es weiter geht, jetzt wo sie verloren haben. Wäre nur noch nice to know ob die beiden Dinge immernoch aufeinander angerechnet werden können oder nicht.
 

sonny112de

Erfahrenes Mitglied
04.02.2012
367
11
Was ich nicht verstehe ist, dass bei einer Pauschalreise mir von einer Fachanwältin geraten wurde einen Brief an den Reiseveranstalter zu schreiben (ich hatte durch die Verspätung einen Tag Verlust bei meiner Rundreise) und nebenbei auch noch den Ausgleichsanspruch gegenüber der Airline geltend zu machen ... soweit ich das verstanden habe geht das ja gar nicht, war also eine Falschberatung ...