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In diesen Wochen rückt eine Zahl näher, die ich weder erträumt, erhofft noch forciert habe. Dennoch werde ich sie überschreiten - Anlass genug um auf die erste Million Kilometer in der Luft zurück zu blicken.
Einige dieser Zeilen schreibe ich an Bord von SK531, meinem 833. Flug, mit dem diese Grenze überschritten wird. Vor mir ein kleiner Pappkarton mit ungefähr haargenau 497 Kcal, verteilt auf eine Mixtur aus Pastete, Kartoffeln und Gemüse. Hübsch angerichtet wäre es vermutlich ein Genuss, hier aber zeigt die Art der Darreichung, wie weit es die Menschheit gebracht hat: Wir angeblich Zivilisierten nehmen unser Essen kaum anders ein, als Mülltaucher.
Weitere Zeilen entstehen einige Tage vor dem Überschreiten der ersten Million. Es ist Flug Nummer LX2551 von Sion nach London-Heathrow, und Sitten ist der 177. Airport, den ich aufsammele. Später am Tag wird es noch nach Belfast gehen, um auch die beiden Flughäfen dieser Stadt in die Sammlung einzugliedern. Gleichzeitig sammle ich dann mit AirLingus die 68. Airline.
Aber wie kam es dazu, war es echtes Interesse, Sammelleidenschaft oder Fernweh?
Um diese Frage zu beantworten schaue ich zurück auf einige meiner Flüge. Die ersten, nach Jersey und Mallorca, liegen soweit zurück, dass ich mich weder daran erinnern kann, noch könnte ich mit Sicherheit sagen welche Airline es war. Kennzeichen des Fluggerätes, Sitz und Reiseklasse werden heute wie selbstverständlich notiert, waren damals aber völlig unbedeutend, und sind es für die meisten wohl auch heute noch.
Aber an die ersten Urlaubsflüge kann ich mich erinnern: Ibiza, Antalya, Heraklion. Immer im hinteren Teil der Maschine, die Zigarette mit dem Erlöschen des entsprechenden Zeichens entzündet, voll Vorfreude auf sonnige Tage, aber auch mit Respekt vor der Fremde. Gebucht pauschal, war die Gesellschaft auf dem Rückweg meist die gleiche wie auf dem Hinweg, so dass es mir albern vorkam, dass auf dem Rückweg aus Antalya Sicherheitshinweise vor dem Start stattfanden. Konnte doch schließlich niemand ohne Sicherheitshinweise hergeflogen sein.
Das Faszinierendste, damals wie heute, das Fliegen selbst. Fliegen, ein wahr gewordener Menschheitstraum, die Schwerkraft überwinden und es den Vögeln gleichtun. Gleichzeitig der Duft der großen weiten Welt, zwar für mich nur pauschal, aber immerhin möglich, Linienflüge waren noch nahezu den Eliten vorbehalten.
Die Welt wandelte sich, mein Leben wandelte sich ebenfalls. Aus der westfälischen Provinz zog ich nach Hamburg, und fühlte mich der großen weiten Welt gleich ein Stück näher. Ich nahm für eine Weile den Beruf des Spediteurs an, und speditierte Container durch das Land, Überseecontainer, für die die große weite Welt, die Daseinsberechtigung bedeutet. Ich traf Menschen, die mit Partnern aus fernen Ländern handelten und für die Fliegen normal war. Ich lernte sogar Luftfrachtagenten kennen, besonders privilegiert schienen sie mir, waren sie doch dem Himmel so nah.
Aber das Leben meinte es gut mit mir, und so wurde die weite Welt auch für mich erreichbar. Es war das Jahr 2005, und es ging von Hamburg via London-Heathrow nach HongKong. Der Flug nach London war zugleich mein erster Linienflug und mein 16. Flug überhaupt. 399 Euro hat das Ticket von Hamburg nach Hongkong bei expedia damals gekostet, hin und zurück versteht sich. Das Reisebüro meines damaligen Vertrauens war sich sicher, dass die Buchung im Internet für den Preis nicht funktionieren würde. Ich hatte unglaublichen Respekt vor der Fremde, und konnte mir nicht mal richtig vorstellen, wie das Leben in Asien überhaupt funktionieren würde - Sprachbarriere, Schriftzeichen, Essen mit Stäbchen... Stehen die Menschen auf der anderen Seite der Weltkugel überhaupt auch mit den Füßen unten und dem Kopf oben? Als ich Schriftzeichen zur Airshow im Bildschirm an Bord der 747-400 sah, war es schier unglaublich. Das Erlebnis damals ebenso ernüchternd wie faszinierend: Die Menschen gehen mit den Füßen auf dem Boden und auch sonst ist vieles ähnlich: Bahnen fahren von A nach B, Menschen steigen ein und aus, im Hotel wird eingecheckt und geschlafen wird in Betten.
Ein paar weitere Flüge, auch auf der Langstrecke folgten. An viele kann ich mich erinnern, einige blieben besonders im Gedächtnis. So zum Beispiel im Jahr 2008, meine erste Reise in die Staaten. United flog mich mit einer 747-400 in Y über den Teich. Links am Fenster sitzend, tauchte kurz vor der Landung die Golden Gate Bridge unter uns auf. Jahrelang hatte sie, als Bild bei mir an der Wand, meine Träume genährt, und als Desktophintergrund hatte sie mir täglich dann und wann einige Sekunden Kurzurlaub ermöglicht. Die Brücke nun real dort unter mir zu sehen, war ein Anblick den ich in dem Moment kaum begreifen konnte, so surreal wirkte das Bild.
Nach der Landung, ließ ich die, die immer als erste aus dem Flieger kommen wollen, gelassen ziehen. Ich ging fest davon aus, dass sie eh mit mir am Gepäckband warten würden. Stattdessen blickte ich mich in Business und First um - überzeugt davon niemals selbst in diesen Klassen zu reisen. Beides Irrtümer.
Irgendwann kam ich dann auf die Idee Meilen zu sammeln, denn ich wollte doch auch einmal in der gehobenen Klasse fliegen. Es dauerte einige Zeit, ich hatte inzwischen eine Kreditkarte und Sonntags eine Zeitung, dann war es soweit. Mein 56. Flug - ich fühlte mich bereits als Profi - sollte mich von Singapur nach Frankfurt führen. Die Buchungsklasse upgradefähig und genügend Meilen vorhanden, so träumte ich davon, von der Warteliste akzeptiert zu werden. Sogar meinen Wunschsitzplatz auf der LH-Rutsche hatte ich bereits ausgesucht. Entsprechend gut gelaunt bestieg ich in Sydney den Airbus 380 der Singapore-Airlines, den ersten der in den Liniendienst gestellt wurde. Acht Stunden in eco bis Singapur, versüßt mit Eiscreme und Keinohrhasen. 90 Minuten nach der Landung saß ich an Bord der 747-400 der Lufthansa, die damals noch aus Jakarta kam, wenn ich es recht erinnere. Rutschen durfte ich allerdings nicht, stattdessen schaute ich von meiner Dreier-Bank auf die Leinwand einige Reihen vor mir, an die der Film für die eco gestrahlt wurde.
Die Preise sanken und das Angebot stieg. Ich begann öfter am Wochenende von Hamburg nach Köln zu fliegen, das Rauchen hatte ich drangegeben. Fliegen blieb in meiner Welt immer noch etwas außergewöhnliches, und der FTL-Status gab dem ganzen etwas elitäres. Noch gut erinnere ich mich, an einen Flug an einem Freitagabend, die Kabine in warmes Licht des Abendrots getaucht, als mir die Stewardess in einer der letzten Reihen an Bord einer 737 ein zweites Glas Rotwein reichte, mit dem Hinweis, dies sei ein besonders guter, der sonst nur in der Business Class ausgeschenkt würde. Ja, man fühlte sich als Gast im klassischen Sinne, wertgeschätzt und willkommen.
Insgesamt waren es fast 40 Flüge mit den Bobbys der Lufthansa, allein 10 mit der „Ulm“, bis heute habe ich kein anderes Flugzeug so oft geflogen.
Ich erinnere mich an einen Heiligabend im Terminal des Hamburger Flughafens. Es hatte stark geschneit und schneite unentwegt weiter, und viele Flüge waren verspätet. Mit einigen anderen saß ich am Gate und wir warteten auf unseren Flug nach Köln. Nebenan wartete man auf einen Flug mit Air Lingus nach Dublin. Irgendwann ging jemand an das Mikrofon des Gates für Dublin, und begann irische Volksweisen zu singen. Begleitet von einem wunderbaren Chor aus Wartenden, die - wie ich - einfach nur zu ihren Familien nach Hause wollten.
Fortsetzung folgt
Einige dieser Zeilen schreibe ich an Bord von SK531, meinem 833. Flug, mit dem diese Grenze überschritten wird. Vor mir ein kleiner Pappkarton mit ungefähr haargenau 497 Kcal, verteilt auf eine Mixtur aus Pastete, Kartoffeln und Gemüse. Hübsch angerichtet wäre es vermutlich ein Genuss, hier aber zeigt die Art der Darreichung, wie weit es die Menschheit gebracht hat: Wir angeblich Zivilisierten nehmen unser Essen kaum anders ein, als Mülltaucher.
Weitere Zeilen entstehen einige Tage vor dem Überschreiten der ersten Million. Es ist Flug Nummer LX2551 von Sion nach London-Heathrow, und Sitten ist der 177. Airport, den ich aufsammele. Später am Tag wird es noch nach Belfast gehen, um auch die beiden Flughäfen dieser Stadt in die Sammlung einzugliedern. Gleichzeitig sammle ich dann mit AirLingus die 68. Airline.
Aber wie kam es dazu, war es echtes Interesse, Sammelleidenschaft oder Fernweh?
Um diese Frage zu beantworten schaue ich zurück auf einige meiner Flüge. Die ersten, nach Jersey und Mallorca, liegen soweit zurück, dass ich mich weder daran erinnern kann, noch könnte ich mit Sicherheit sagen welche Airline es war. Kennzeichen des Fluggerätes, Sitz und Reiseklasse werden heute wie selbstverständlich notiert, waren damals aber völlig unbedeutend, und sind es für die meisten wohl auch heute noch.
Aber an die ersten Urlaubsflüge kann ich mich erinnern: Ibiza, Antalya, Heraklion. Immer im hinteren Teil der Maschine, die Zigarette mit dem Erlöschen des entsprechenden Zeichens entzündet, voll Vorfreude auf sonnige Tage, aber auch mit Respekt vor der Fremde. Gebucht pauschal, war die Gesellschaft auf dem Rückweg meist die gleiche wie auf dem Hinweg, so dass es mir albern vorkam, dass auf dem Rückweg aus Antalya Sicherheitshinweise vor dem Start stattfanden. Konnte doch schließlich niemand ohne Sicherheitshinweise hergeflogen sein.
Das Faszinierendste, damals wie heute, das Fliegen selbst. Fliegen, ein wahr gewordener Menschheitstraum, die Schwerkraft überwinden und es den Vögeln gleichtun. Gleichzeitig der Duft der großen weiten Welt, zwar für mich nur pauschal, aber immerhin möglich, Linienflüge waren noch nahezu den Eliten vorbehalten.
Die Welt wandelte sich, mein Leben wandelte sich ebenfalls. Aus der westfälischen Provinz zog ich nach Hamburg, und fühlte mich der großen weiten Welt gleich ein Stück näher. Ich nahm für eine Weile den Beruf des Spediteurs an, und speditierte Container durch das Land, Überseecontainer, für die die große weite Welt, die Daseinsberechtigung bedeutet. Ich traf Menschen, die mit Partnern aus fernen Ländern handelten und für die Fliegen normal war. Ich lernte sogar Luftfrachtagenten kennen, besonders privilegiert schienen sie mir, waren sie doch dem Himmel so nah.
Aber das Leben meinte es gut mit mir, und so wurde die weite Welt auch für mich erreichbar. Es war das Jahr 2005, und es ging von Hamburg via London-Heathrow nach HongKong. Der Flug nach London war zugleich mein erster Linienflug und mein 16. Flug überhaupt. 399 Euro hat das Ticket von Hamburg nach Hongkong bei expedia damals gekostet, hin und zurück versteht sich. Das Reisebüro meines damaligen Vertrauens war sich sicher, dass die Buchung im Internet für den Preis nicht funktionieren würde. Ich hatte unglaublichen Respekt vor der Fremde, und konnte mir nicht mal richtig vorstellen, wie das Leben in Asien überhaupt funktionieren würde - Sprachbarriere, Schriftzeichen, Essen mit Stäbchen... Stehen die Menschen auf der anderen Seite der Weltkugel überhaupt auch mit den Füßen unten und dem Kopf oben? Als ich Schriftzeichen zur Airshow im Bildschirm an Bord der 747-400 sah, war es schier unglaublich. Das Erlebnis damals ebenso ernüchternd wie faszinierend: Die Menschen gehen mit den Füßen auf dem Boden und auch sonst ist vieles ähnlich: Bahnen fahren von A nach B, Menschen steigen ein und aus, im Hotel wird eingecheckt und geschlafen wird in Betten.
Ein paar weitere Flüge, auch auf der Langstrecke folgten. An viele kann ich mich erinnern, einige blieben besonders im Gedächtnis. So zum Beispiel im Jahr 2008, meine erste Reise in die Staaten. United flog mich mit einer 747-400 in Y über den Teich. Links am Fenster sitzend, tauchte kurz vor der Landung die Golden Gate Bridge unter uns auf. Jahrelang hatte sie, als Bild bei mir an der Wand, meine Träume genährt, und als Desktophintergrund hatte sie mir täglich dann und wann einige Sekunden Kurzurlaub ermöglicht. Die Brücke nun real dort unter mir zu sehen, war ein Anblick den ich in dem Moment kaum begreifen konnte, so surreal wirkte das Bild.
Nach der Landung, ließ ich die, die immer als erste aus dem Flieger kommen wollen, gelassen ziehen. Ich ging fest davon aus, dass sie eh mit mir am Gepäckband warten würden. Stattdessen blickte ich mich in Business und First um - überzeugt davon niemals selbst in diesen Klassen zu reisen. Beides Irrtümer.
Irgendwann kam ich dann auf die Idee Meilen zu sammeln, denn ich wollte doch auch einmal in der gehobenen Klasse fliegen. Es dauerte einige Zeit, ich hatte inzwischen eine Kreditkarte und Sonntags eine Zeitung, dann war es soweit. Mein 56. Flug - ich fühlte mich bereits als Profi - sollte mich von Singapur nach Frankfurt führen. Die Buchungsklasse upgradefähig und genügend Meilen vorhanden, so träumte ich davon, von der Warteliste akzeptiert zu werden. Sogar meinen Wunschsitzplatz auf der LH-Rutsche hatte ich bereits ausgesucht. Entsprechend gut gelaunt bestieg ich in Sydney den Airbus 380 der Singapore-Airlines, den ersten der in den Liniendienst gestellt wurde. Acht Stunden in eco bis Singapur, versüßt mit Eiscreme und Keinohrhasen. 90 Minuten nach der Landung saß ich an Bord der 747-400 der Lufthansa, die damals noch aus Jakarta kam, wenn ich es recht erinnere. Rutschen durfte ich allerdings nicht, stattdessen schaute ich von meiner Dreier-Bank auf die Leinwand einige Reihen vor mir, an die der Film für die eco gestrahlt wurde.
Die Preise sanken und das Angebot stieg. Ich begann öfter am Wochenende von Hamburg nach Köln zu fliegen, das Rauchen hatte ich drangegeben. Fliegen blieb in meiner Welt immer noch etwas außergewöhnliches, und der FTL-Status gab dem ganzen etwas elitäres. Noch gut erinnere ich mich, an einen Flug an einem Freitagabend, die Kabine in warmes Licht des Abendrots getaucht, als mir die Stewardess in einer der letzten Reihen an Bord einer 737 ein zweites Glas Rotwein reichte, mit dem Hinweis, dies sei ein besonders guter, der sonst nur in der Business Class ausgeschenkt würde. Ja, man fühlte sich als Gast im klassischen Sinne, wertgeschätzt und willkommen.
Insgesamt waren es fast 40 Flüge mit den Bobbys der Lufthansa, allein 10 mit der „Ulm“, bis heute habe ich kein anderes Flugzeug so oft geflogen.
Ich erinnere mich an einen Heiligabend im Terminal des Hamburger Flughafens. Es hatte stark geschneit und schneite unentwegt weiter, und viele Flüge waren verspätet. Mit einigen anderen saß ich am Gate und wir warteten auf unseren Flug nach Köln. Nebenan wartete man auf einen Flug mit Air Lingus nach Dublin. Irgendwann ging jemand an das Mikrofon des Gates für Dublin, und begann irische Volksweisen zu singen. Begleitet von einem wunderbaren Chor aus Wartenden, die - wie ich - einfach nur zu ihren Familien nach Hause wollten.
Fortsetzung folgt