Teil 2 (1): In und um Hamilton herum – von der Hauptstadt zum Royal Naval Dockyard
Ich schwelge im Land der Träume und Dreiecke, wo die Geschwister Sinus und Kosinus regieren. Wäre da nicht die infernalische Maschine, die uns zu unchristlicher Zeit aus dem Schlaf reißt. Kinder, aufstehen. Bett, Bad, Balkon – zwanzig Grad Sonnenschein; ein laues Lüftchen; die Frisur sitzt. Im Hamilton Harbour ziehen ein paar Segelboote an unserer Marina vorbei. So stelle ich mir den perfekten Morgen vor. Es geht zum Frühstück in die Lounge, Emily grüßt uns bereits mit Namen. Und weil heute Sonntag ist, gibt es eine landestypische Spezialität, die mir Emily mit Nachdruck ans Herz legt:
Bermuda Breakfast. Da sage ich nicht Nein und packe mir alle sechs Komponenten auf den Teller: Kabeljau, Kartoffeln, Eier, Avocado, Banane und viel Tomatensauce. Das Ganze wird dann mit der Gabel zerdrückt und vermischt. Schmeckt ungewohnt, aber nicht verkehrt. Im Fernseher läuft CNN, wieder geht es um Trump. Bestens gestärkt machen wir noch einen kurzen Boxenstopp auf dem Zimmer, bevor es uns in die Innenstadt verschlägt. Auch wenn es nicht danach aussieht, aber Sonnencreme ist dringend zu empfehlen. Abends werde ich schmerzlich wissen, welche Körperpartien ich vergessen habe. Was man dagegen nicht benötigt, ist Mückenspray. Bermuda gilt als Stechmücken- und Zika-freie Zone, da es keine (natürlichen) Frischwasservorkommen gibt und die kleinen Biester somit keine Möglichkeit zur Eiablage finden. Sehr angenehm.
Wir beginnen unseren Rundkurs auf der Hauptstraße. An der Pitts Bay Road fällt zunächst das Gebäude mit dem Fledermauslogo auf. Seit 1992 hat Bacardi in Hamilton seinen Hauptsitz und steht damit in direkter Konkurrenz zu den Gebrüdern Gosling, die im Jahr 1806 hier mit der Rumproduktion begonnen haben. Wir laufen weiter und entdecken zwei Dinge, für die Bermuda berühmt ist – farbenfrohe Häuser und Moongates, die überall auf der Insel verstreut sind. Angeblich gibt es vierzig dieser gemauerten Torbögen, durch die frisch Vermählte Hand in Hand schreiten sollen, um – so will es die Legende wissen – fortwährendes Glück zu erfahren. Am Barr's Bay Park werden wir auf die geschichtliche Verbindung der Bucht zum
African Diaspora Trail aufmerksam gemacht, jenem Ort, an dem die
Enterprise mit 78 Sklaven an Bord, ein Jahr nachdem Sklaverei und Sklavenhandel auf Bermuda abgeschafft wurden, vor Anker gehen musste und die Sklaven schließlich von den Zollbehörden befreit wurden. Heute erinnert die Skulptur 'We Arrive' an diesen Moment und überblickt den Hamilton Harbour mit all seinen Segelschiffen und Jachten.
Unweit des Parks befinden sich der königliche Jachthafen und das Fährterminal. Von letzterem kann man bequem den großen Sund überqueren, der sich schließlich im Hamilton Harbour verjüngt, oder zum Royal Naval Dockyard sowie nach St. George an den jeweiligen, diametralen Endpunkten Bermudas fahren. Wie schon oben erwähnt, stellen farbenfrohe Häuser und Moongates das Wahrzeichen der Insel dar – und so manche Tür stellt eine Verbindung, neudeutsch Cross-over, aus beiden her. An interessanter Architektur scheitert es hier jedenfalls nicht. Ein kurzer Blick auf den Stadtplan zeigt uns den weiteren Weg auf: über Front, Church und Court Street vorbei am Sessions House und der anglikanischen Kathedrale hin zum Rathaus samt Victoria Park und Busbahnhof. Die Front Street ist heute allerdings für Kraftfahrzeuge gesperrt, da Radprofis für den in zwei Wochen stattfindenden Bermuda Triathlon trainieren. Wir beobachten den aktuellen Viererpulk eine Weile, der auf seiner Runde um die Blocks alle paar Minuten ans uns vorbeirauscht. Noch flugs ein Wandbild eingesammelt, dann geht's weiter. Ob es sich bei diesem Torbogen um eines der vierzig aufgeführten Moongates handelt? Nun, weder ist dies Gleis neundreiviertel, noch mein Name Harry Potter, insofern verzichte ich auf den Versuch, diesen Torbogen zu durchschreiten und begnüge mich mit einem Foto.
Wir kommen am Cabinet Building, dem Amtssitz des Gouverneurs von Bermuda vorbei, das im Jahr 1884 eröffnet wurde. Hier tagt von November bis Juli jeden Mittwoch Punkt 10:00 Uhr der Senat. Die Sitzungen sind öffentlich, sodass Interessierte den Gouverneur dabei beobachten können, wir er in einem Stuhl aus dem 17ten Jahrhundert seine 'Thronrede' hält. Vor dem Gebäude steht ein Kenotaph, der an Bermudas gefallene Soldaten aus den beiden Weltkriegen erinnert. Direkt gegenüber befindet sich das Custom House, das neben diversen Aufgaben auch den
Receiver of Wreck, eine Art Verwalter für Schiffwracks, bestellt, der sich vor allem um die Klärung von Eigentumsverhältnissen gefundener Wracks kümmert und dafür Sorge trägt, dass die gesetzestreuen Finder auch entsprechend entlohnt werden.
In der Court Street folgt das Bermuda House of Assembly oder kurz Sessions House. Hier sitzt und arbeitet das Parlament im oberen Stockwerk, während unten der oberste Gerichtshof (sollte der nicht eher oben sein) angesiedelt ist. Das Gebäude wurde 1817 fertig gestellt, nachdem man die Hauptstadt im Jahr 1815 von St. George nach Hamilton verlegt hatte. Wer nun beim Anblick des Fotos glaubt, hier hätte Maurits Cornelis Escher persönlich seine Finger im Spiel gehabt, der sei beruhigt, dies liegt nur an meiner höchst professionellen, koreanischen Ausrüstung. Hinter dem Sessions House bietet sich dann ein mir ungewohnter Anblick einer rosafarbenen Kirche. Für den Bruchteil einer Sekunde kommt mir 'Unternehmen Petticoat' in den Sinn, aber schließlich ist es nur die Saint Andrew's Presbyterian Church. Auf der anderen Seite – also links – thront dagegen äußerst erhaben die Cathedral of the Most Holy Trinity. Nachdem die Kirche im Jahr 1884 durch einen Brandstifter zerstört wurde, begannen die Bauarbeiten von vorne und wurden 1905 beendet. Drinnen finden sich die üblichen Bögen und Mosaikfenster; wer Zeit mitbringt, sollte die 155 Stufen auf den Turm hinauf steigen, von dort bekommt man einen herrlichen Ausblick auf Hamilton und Umgebung.
Kurz darauf stehen wir vor dem Rathaus, jenem prominenten, weißen Gebäude auf dessen Turmspitze eine bronzene Wetterfahne prangt, die der
Sea Venture nachempfunden ist. Mit ebendiesem Schiff wollte George Somers anno 1609 von Plymouth nach Jamestown (Virgina) segeln, als er in der Nähe von St. George auf ein Riff lief und damit die erste Siedlung auf Bermuda begründete. Nördlich vom Rathaus liegt der Victoria Park mit seinen Akazien- und Pinienbäumen sowie dem reich verzierten Musikpavillon, der bereits im Jahr 1899 errichtet wurde. Spielten hier früher noch Militärkapellen, so sind es heutzutage vornehmlich Open Air Konzerte, die im Sommer und in den Wintermonaten am Pavillon stattfinden. Unser eigentliches Ziel aber ist der Busbahnhof, der sich in der Washington Street direkt an den Park und das Rathaus anschließt. Die beiden Wandbilder nehmen wir gerne noch mit, bevor wir uns mit dem hiesigen Tarifsystem der öffentlichen Verkehrsmittel auseinandersetzen. Die gesamte Insel ist in Zonen aufgeteilt, die anhand einer Übersichtskarte ermittelt werden können. Je nach Anzahl wird dann eine der beiden Wertmarken für 3 oder 14 Zonen fällig. Das ist leicht. Vielleicht sollten wir dieses Tarifmodell einmal der Münchner Verkehrgesellschaft MVG vorschlagen, die mit ihren Streifenkarten, Zonen und Ringen bei Besuchern der bajuwarischen Hauptstadt immer wieder für Verwirrung sorgt.
Rund eine Stunde dauert die Fahrt entlang Route 8 bis zur Endstation. Wir schlendern am Royal Naval Dockyard entlang, als uns ein Moongate den Weg versperrt. Gut, frisch vermählt sind wir schon lange nicht mehr, trotzdem marschieren wir Händchen haltend durch den Bogen. Nichts passiert. So viel sei verraten, das fortwährende Glück soll uns erst in ein paar Tagen erreichen, wenn wir unerwarteten Nachwuchs bekommen. Vor uns rückt nunmehr die alte Festung an der Spitze der Insel ins Blickfeld, auf deren Gelände sowohl das Nationalmuseum als auch das Haus des ehemaligen Werftbeauftragten untergebracht sind. Selbiges wurde im Jahr 1802 errichtet und gilt als das erste gusseiserne Gebäude der Welt. Umrahmt wird das Ganze von einem türkisfarbenen Meer, das aufgrund seiner Intensität schon fast in den Augen schmerzt. Postkartenidylle pur. Unerbittlich brennt die Sonne herunter. Ich lausche angestrengt, aber es ist kein Lockruf zu vernehmen – die grüne Nixe bleibt stumm. Bermuda ist nicht nur Zika-, sondern auch SBux-freie Zone; schlechte Aussichten für Tassensammler. Stattdessen holen wir uns bei Alex + Pete's Artisan Ice Cream eine kleine Abkühlung und genießen Sorten wie Mango Sherbet und Rum Swizzle.
Der Hafen bietet mit der ursprünglichen Kings Wharf und der im Jahr 2009 hinzugekommenen Heritage Wharf ausreichend Platz für zwei große Kreuzfahrtschiffe. Heute ist es die Norwegian Gem, die gerade an der Kings Wharf angelegt hat und nun Horden von Passagieren ausspuckt, die sogleich wie Heuschrecken über das Dockyard mit seinen Souvenirläden und Restaurants herfallen. Da verhalten wir uns lieber antizyklisch und spazieren noch ein wenig im Hafen herum. Neben Lotsen- und Rettungsbooten, teuren Segelschiffen und Jachten sind dort auch ein paar Seelenverkäufer zu finden, die aber zurzeit auf dem Trockendock generalüberholt werden. Am Ende des Hafens schließt sich das große Gebäude mit den beiden gut 30 Meter hohen Uhrentürmen an. Errichtet im Jahr 1850, diente es ursprünglich als Magazin für die Britische Marine; heute beherbergt es neben zahlreichen Einkaufsläden im Erdgeschoss auch die Gefängnisbehörde, die im oberen Stockwerk einquartiert wurde. Interessantes Detail und unnützes Wissen: die beiden Uhren auf den Türmen zeigen unterschiedliche Zeiten an – die eine die aktuelle Uhrzeit, die andere den Zeitpunkt der Flut.
Inzwischen haben sich die Kreuzfahrer auf dem gesamten Dockyard disloziert, sodass wir nun unseren Weg ungeniert fortsetzen können. Erneut kommen wir an einer Schaluppe vorbei, die ich bisher gekonnt ignoriert habe. Ja, ich spüre schon den gestrengen Blick von Mr. Groover im Nacken. Die
Spirit of Bermuda ist Replika eines dreimastigen Kanonenboots, wie es zwischen dem 17ten und 19ten Jahrhundert auf Bermuda für die Britische Marine gefertigt wurde. Allerdings ist die
Spirit of Bermuda 'made in USA' und wurde von der Bermuda Sloop Foundation als Schulschiff im wahrsten Sinne des Wortes in Auftrag gegeben. Sie ist eine Art schwimmendes Klassenzimmer für Bermudas Schüler; wer möchte da nicht gerne am Unterricht teilnehmen. Letzte Station unseres Ausflugs ist der Victualling Yard, ehemaliger Proviantlagerplatz der Marine, der von hohen Mauern umgeben ist, die seinerzeit Diebstahl verhindern sollten. Heute laden hier Restaurants und Kunsthandwerk zum Verweilen ein, die hohen Mauern dienen nur noch dem Zweck des Schattenspendens. Es geht zurück nach Hamilton. Dieses Mal fahren wir auf der Route 7, die am malerischen Südufer vorbeiführt und hin und wieder den Blick auf die Küstenlinie mit ihren rosafarbenen Sandstränden freigibt.
Die Hauptstadt hat uns wieder. Wir laufen zum Hotel, schließlich beginnt alsbald die Happy Hour. Die Kinder haben Hunger und Durst, wobei Knutschi und Queeny speziell den alkoholischen Getränken großes Interesse beimessen. Auf dem Weg fällt mir ein Gebäude ins Auge, das bei so manchem Verschwörungstheoretiker pures Entzücken verursachen würde. Bermudas Freimaurer haben sich in der Reid Street niedergelassen, ihre Geschichte geht auf das späte 18te Jahrhundert zurück und verweist auf Gründungsurkunden, die seinerzeit von schottischen und britischen Logen ausgestellt wurden. Vermutlich könnte man die Hallen besuchen, mich aber lockt die Aussicht auf warme und kalte Speisen in der Gold Lounge. Pünktlich um 18:00 Uhr sind wir da. Emily erkundigt sich nach unserem Tag, im Fernseher läuft eine weitere Reportage über Trump. Alles wie immer. Trotzdem ist die Welt da draußen von unserer kleinen Insel ganz, ganz weit entfernt. Abends sitzen wir auf dem Balkon und genießen die Kühle, während knutschi meinen Sonnenbrand verarztet. Dann fällt mir zum ersten Mal das hell erleuchtete Moongate im Garten der Hotelanlage auf. Wenn das kein Zeichen ist.
Müde gehen wir zu Bett. Ich erkundige mich bei knutschi, welche Ausflugsziele morgen auf dem Programm stehen.
"Morgen, da besuchen wir eine Tropfsteinhöhle und Flatts Village." Klingt gut. Meine Äuglein fallen zu und wieder bin ich bei den Geschwistern Sinus und Kosinus, die sich gerade eifrig mit Pythagoras über Dreiecke unterhalten...