Das pharaonische Memphis
Am Rand der größten Metropole Afrikas stehen die ewigen Weltwunder der Menschheit, die Pyramiden von Giza und Saqqara. Mit dem Linienbus fahre ich dorthin und schaue schon während der Fahrt, ob sich nicht ein Blick auf die künstlichen Berge erhaschen ließe. Schließlich werde ich an der Schulter angetippt und mir wird bedeutet, an der Kreuzung links abzubiegen und dort einen Anschlußbus zu nehmen oder zu Fuß zum Eingang zu gehen. Wahrlich: da ist die größte Pyramide, gewidmet dem Pharao Cheops. Sie erscheint eher schemenhaft im ständigen Dunst Cairos, wirkt dafür aber gewaltig. Umtost vom hupenden Straßenlärm liegt die Pyramide fast wie zum Greifen nah und doch sind es noch zwanzig Minuten Fußweg. So einen Koloß hatte ich nicht erwartet. Man stelle sich das einmal vor: Memphis, die Hauptstadt des Alten Reiches liegt über 10 km entfernt, eine Stadt, die vermutlich nur wenige Tausend Einwohner, dafür aber den pharaonischen Palast mit dem Regierungsviertel besaß. Eben jener Pharao hat entschieden, daß, na ja, in ferner Sichtweite des Nils, am Wüstenrand, wo allenfalls ein paar Nomaden ihre Zelte aufgeschlagen haben, ein künstlicher Berg geschaffen werden soll, zu dem eine ganz neue Stadt für deutlich mehr Menschen als Memphis selbst errichtet werden muß, mit sämtlichen Zugangswegen einschließlich eines Kanals mit Binnenhafen. Das Baumaterial wurde aus dem Tausend Kilometer entfernten Assuan herbeigeschafft, die Arbeitskräfte wurden wohl aus der ganzen Region rekrutiert und die besten Architekten und Logistiker mußten die Baustelle mit Baumaterial und allen Versorgungsgütern beliefern, daß das Bauwerk innerhalb von 20 Jahren fertig werden konnte. Als Beispiel diente lediglich die kleinere Stufenpyramide von Saqqara. Fast schlottern die Knie und mir stockt der Atem beim Anblick des Pyramidenfeldes von Giza.
Rund um den Eingangsbereich gestaltet sich der Zugang wie ein Spießrutenlaufen: Ständig versuchen irgendwelche Leute mit falschen Versprechungen Ritte auf Kamelen oder Pferden, dazu geführte Touren oder billige Souvenirs an die Touristen zu verhökern. Da ist der Kameltreiber, der seine freundliche Hilfe anbietet, den Besucher zum Haupteingang zu geleiten; tatsächlich führt 'sein' Weg zu den Ställen. Und da ist der angebliche Ticketabreißer, der behauptet, im Ticket sei eine geführte Tour enthalten. Als Besucher mit Bedürfnis nach Reflexion und genauer Beobachtung muß man sich schon weit abseits der Touristenströme niederlassen, um wenigstens für einige Minuten ungestört den Anblick verarbeiten zu können.
Jetzt stehe ich am Fuße der Cheops-Pyramide und versuche staunend, die Story hinter dem Bau zu verstehen. Technisch betrachtet ist diese Leistung eigentlich unvorstellbar. Nach den gültigen Rechenmodellen mußte alle 2 bis 3 Minuten ein Stein an den rechten Platz eingepaßt werden, und die größte Leistung sind die rechten Winkel an den Ecken – genauer kann man heute mit lasergestützten Instrumenten auch nicht bauen – sowie der Scheitelpunkt mit dem Pyramidion exakt in der Mitte. Fast verblassen weitere Leistungen wie die Einebnung des Geländes oder die labyrinthischen Wege im Pyramideninneren.
Insgeheim habe ich mir die Gesteinsquader sogar größer vorgestellt. Tatsächlich haben die Quader eine Größe von etwa einem Meter Kantenlänge, vielleicht auch etwas mehr. Mit ausreichend starken Arbeitskräften kann man solche Blöcke wohl schon bergauf bewegen.
Noch gewaltiger wirkt die Chephren-Pyramide gleich nebenan, obwohl sie einige Meter kleiner ist.
Sie steht auf einem höheren Plateau und überragt dadurch die Cheops-Pyramide. Sie ist leicht an der noch erhaltenen Putzschicht am Pyramidion erkennbar. An der Ostseite deuten einige Ruinen auf den Repräsentationscharakter hin. Eine gepflasterte Straße führte vom Nil zur Pyramide hinauf. Rechts und links flankiert von Mauern aus Steinquadern und gekrönt von heute nicht mehr erkennbaren Gebäuden. Das letzte Stück zum Pyramideneingang war wohl wie eine Brücke konstruiert, zumindest deuten die Hohlräume unterhalb darauf hin. Dort zog nach dem Ableben des Pharaos der Trauerzug entlang, um dem Herrscher das ehrenvolle Geleit in die Schattenwelt zu gewähren. Die Träger bugsierten den Leichnam durch den engen, steilen Gang bis in die Grabkammer, wo vermutlich schon alle größeren Gegenstände beim Pyramidenbau eingeschlossen wurden. Schließlich wurden die Keile gelöst, die runden Verschlußsteine rollten aus ihren Halterungen und das Grab sollte für immer verschlossen sein. Fast staunt man sogar über die Geschicklichkeit der Grabräuber, die nicht nur einen Weg durch das Labyrinth in der Pyramide gefunden haben, sondern auch noch die Kraft und das Werkzeug zum Öffnen der Grabkammer besaßen.
Die kleinste der drei Pyramiden, die des Pharao Mykerinos, wurde außen mit schweren Granitsteinen geschmückt. Im unteren Abschnitt sind noch einige polierte Lagen dieser Verkleidung an Ort und Stelle und geben einen vagen Eindruck des Glanzes, der von den Pyramiden unter dem immerblauen Himmel und vor dem Hintergrund der honigfarbenen Sandwüste entstand. Vielleicht kann man sogar eine Relation aufstellen: entweder groß und aus leichtem Sandstein oder klein und aus ewigem Granit errichtet.
Die Archäologen fanden nahe des Binnenhafens eine offenbar schon in der Antike zerlegte Nilbarke, haben sie untersucht und mit viel Experimentierarbeit wieder zusammengefügt. Von ihnen kann der interessierte Laie auch heute einen Eindruck über die Schiffahrt erhalten. Vermutlich konnte diese Barke nur auf dem Unterlauf genutzt werden; es fehlt jeder Kielansatz, und voll beladen lag sie wohl so tief im Wasser, daß sie bei hoher Fließgeschwindigkeit unmanövrierbar gewesen sein dürfte. Am meisten beeindrucken mich die Knoten: viele Lagen dünner Stränge wurden zu einem etwa armdicken Seil gedreht, umwickelt und kunstvoll mit Ösen versehen. Diese Knoten mußten sämtliche Kräfte der Elemente, der Ladung und der Besatzung aushalten. Tatsächlich sehen sie sehr solide aus, und ich würde ihnen vertrauensvoll auch schwere Lasten aufbürden. Anders gesagt: solche Seile können wohl problemlos tonnenschwere Steinquader aushalten.
Ein großes Gedränge herrscht rund um die Sphinx.
Wer ein attraktives Bild der Figur bei bestem Sonnenschein machen möchte, muß durch einen Tempelkomplex gehen und schließlich einen schmalen Gang entlang zu einer Art Aussichtsterrasse. Hunderte von Touristen möchten am liebsten gleichzeitig durch das einzige Tor dorthin gelangen, gehindert von zurückkommenden Touristen, Souvenirhändlern, die sich mitten in den Weg stellen, und von Touristen, die plötzlich zum Photographieren einfach stehen bleiben. Ein Reiseleiter hält seine Gruppe lautstark zum Weitergehen an, es wäre ausreichend Platz auf der Aussichtsterrasse und dort könnten alle Teilnehmer beliebig photographieren.
Die Legende besagt, daß die Sphinx aus einem überzähligen Sandsteinblock an Ort und Stelle herausgemeißelt wurde. Heißt das, daß aus den Steinbrüchen bei Assuan riesige Blöcke zur Baustelle bei Giza verschifft wurden und erst dort in handhabbare Steinquader zerlegt wurden? Das Pyramidenfeld bei Giza gibt auch noch nach über 4500 Jahren seine Geheimnisse nur bruchstückhaft preis. Dennoch wird vielleicht nie zu klären sein, wie die alten Ägypter die großartigen Pharaonengräber haben errichten können. So lange bleibt es beim ehrfurchtsvollen Satz Napoleons: 4500 Jahre Geschichte blicken auf Euch herab!
Der Ausflug nach Saqqara und Dahschur gestaltet sich recht abenteuerlich. Mit Bussen und Minibussen versuche ich von Giza aus über die richtige Straße zumindest in die Nähe der Pyramiden von Saqqara zu kommen. An der Bushaltestelle frage ich die Umstehenden nach dem richtigen Bus; dabei widersprechen sich die Personen, und am Ende weiß ich immer noch nicht, ob ich an der richtigen Haltestelle stehe und wie ich nach Saqqara komme. Zwischendurch muß ich immer wieder aufdringliche Taxifahrer abwimmeln, die ein schnelles Geschäft wittern und sich mit maßlos überteuerten Preisen für eine Fahrt anbieten. Schließlich steige ich in irgendeinen Bus in die richtige Richtung ein. Wie üblich ist der Minibus nicht nur bis auf den letzten Platz belegt, auf den Bänken sitzen und hocken die Fahrgäste geradezu gestapelt bis unter die Decke. Für mich bleibt der Platz an der Tür, die sich überhaupt nicht schließen läßt. Krampfhaft halte ich mich an der Rückenlehne fest und versuche das Körpergewicht in Kurven und bei den Humps immer in Balance zum Bus zu halten. Die Fahrt führt an einem kleinen Kanal entlang bis nach Ahrad. Dort muß ich in den nächsten Bus umsteigen, der mich nach Saqqara bringt. Zu Fuß biege ich dann in eine Seitenstraße, die an Feldern und einer Vielzahl von Carpet Schools vorbeiführt. Schließlich erreiche ich das Pyramidenfeld an einer Stelle, wo es eigentlich gar keinen Eingang gibt. Die Tourism Police will mich zunächst nicht passieren lassen; na ja, mit freundlichen Worten und einem kleinen Bakshish läßt sich dieses Problem leicht aus der Welt schaffen. Durch den losen Wüstensand stapfe ich zum Komplex mit der Stufenpyramide im Zentrum. Dort muß ich noch einmal die Posten mit einem Bakshish überreden, mich auch ohne Ticket passieren zu lassen. Endlich steht er vor mir: der vermutlich erste monumentale Bau der Menschheit.
Pharao Djoser bat seinen Haus- und Hofarchitekten Imhotep um ein angemessenes Grabgebäude in Pyramidenform. Der erste Entwurf sah eine etwa 4 Meter hohe Grablege vor, der zweite dann immerhin knapp 9 Meter. Erst der dritte Entwurf wurde realisiert: ein Koloß von über 60 Meter Höhe und durch 6 signifikante Stufen gegliedert. Bedenkt man, daß es bis dahin allenfalls zweigeschossige Häuschen gegeben hat, so fehlt einfach jede Vorstufe von Gebäuden dieser Dimension. Zur Zeit Djosers (oder kurz zuvor) muß also etwas auf der Erde passiert sein, was den Menschen ein Instrumentarium zum Bauen in neuen Maßstäben ermöglicht hat, vielleicht eine mathematisch-technische Revolution oder ein neues Paradigma der Weltanschauung. Im Hotel in Cairo treffe ich dazu Shri; er spekuliert, daß die Sintflut, die außer in der Bibel in den Schriften mindestens 5 weiterer euroasiatischer Kulturen vorkommt, eine blühende Hochkultur, zumindest Teile davon, vernichtet hat, die zum Bau großer Städte fähig gewesen war. Was auch immer Imhotep zum Bau der Stufenpyramide angeregt haben mag, mit der Erweiterung der Nekropole bei Memphis ist ein neues Zeitalter angebrochen. Einige der übrigen Gräber sind für Besucher geöffnet. Sie haben eher den Charakter von Mausoleen, sind jedoch innen durch mehrere Räume gegliedert und mit ausdrucksvollen, bemalten Flachreliefs geschmückt. An mehreren Stellen leuchten die Farben noch strahlend als wären sie erst vor wenigen Tagen vollendet worden. Dort sind typische Alltagsszenen der Landwirtschaft und des häuslichen Lebens ebenso zu sehen wie die typischen Tiere und Pflanzen rund um den Nil (Gänse, Flußpferde, Krokodile, Schilf usw.). Die etwas entfernten Ruinen befinden sich in einem wenig aussagekräftigen Zustand: kleinere Pyramiden sind eingestürzt, Grabmäler weitgehend vom Wüstensand zugeweht. Dennoch gewähren die zugänglichen Orte einen guten Einblick in den Totenkult des Alten Reiches.
Von Saqqara sind die Pyramiden Pharao Snofrus schon zu sehen. Fast scheint es, als wären sie in einem sportlichen Spaziergang leicht zu erreichen. Also mache ich mich auf den Marsch zunächst durch das langgestreckte Dorf Saqqara. Einfache Wohnhäuser mit Läden und Werkstätten im Erdgeschoß säumen den Weg ebenso wie bewässerte Felder, Palmenhaine und wilde Müllkippen. Plötzlich hält ein Eselskarren neben mir, und der Fahrer bedeutet mir doch bitte aufzusteigen. Gerne nehme ich an. Er weist immer wieder stolz auf Einzelheiten am Wegesrand; leider verstehe ich kaum, was er eigentlich meint. Trotzdem nicke ich immer wieder und zeige mein Wohlwollen. Am Fahrtende möchte ich ihm ein Trinkgeld zustecken, was er zunächst bescheiden ablehnt, es aber, Inshallah!, dann doch annimmt. Zum Abschied weist er mir den Restweg: an der nächsten Kreuzung rechts und dann sind die Pyramiden schon zu sehen. Es ist eine Eisenbahnlinie, auf der ich also nach rechts marschiere und dann auch bald die Knickpyramide sehen kann. Jetzt geht es also querfeldein am Wüstenrand auf einer Sandpiste dorthin.
Als erstes erreiche ich die Rote Pyramide. Natürlich habe ich wieder das Tickethäuschen verpaßt und gebe dem Custoden das übliche Bakshish zum Eintritt in die Pyramide. Über einen steilen Weg im Entengang abwärts gelange ich ins Innere. Nach gefühlten 500 Metern, wahrscheinlich waren es höchstens 50, in der unbequemsten Ganghaltung in diesem Tunnel erreiche ich eine Vorkammer mit dreieckigem Spitzdach und gleich dahinter die eigentliche Grabkammer. Sie besaß einen (heute eingestürzten) doppelten Boden; oben ein großer Raum ebenfalls mit dreieckigem Spitzdach, unten so etwas wie ein niedriger Keller mit einem Schacht als Zugang. Über allem wabert ein stechender Ammoniak-Gestank; kein Wunder, eine Air-Conditioning existiert nicht, und die Besucher vieler Jahrhunderte haben ihre Körperausscheidungen dort gelassen. Jetzt verstehe ich auch die Bedeutung der Warnschilder am Eingang, die Personen mit Klaustrophobie oder Herzbeschwerden den Eintritt verbieten.
Von hier aus ist die Knickpyramide Pharaos Snofru gut zu sehen. Offenbar war der Architekt zu kühn und plante einen steilen Bau mit 55 Grad Winkel. Auf halber Höhe drohten die Außensteine abzurutschen, also mußte der Winkel vermindert werden.
Inzwischen ist es später Nachmittag geworden. Soeben ist die Tourism Police vorgefahren und möchte die Pyramide verschließen. Der Custode bittet mich noch, falls die Polizisten fragen sollten, zu antworten, daß ich ohne Ticket selbstverständlich keinen Zugang in die Pyramide gehabt hätte. Zu Fuß mache ich mich dann wieder auf den Weg ins Dorf, um den Bus zurück nach Giza zu erwischen. Nach kurzer Strecke hält die Polizei neben mir an und bittet mich aufzusteigen. Die Herren wollen endlich Feierabend machen und nehmen mich zum Checkpoint mit, wo ich in eine Motoriksha zur Hauptstraße umsteige und dort tatsächlich den Bus nach Giza erreiche.