Fußball-Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine

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mm_aa_ii_kk

Erfahrenes Mitglied
22.07.2009
321
4
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Alle zwei Jahre wartet im Sommer ein großes Fußballturnier, wo der geneigte Fußballfan voll auf seine Kosten kommt. In diesem Sommer sollte die EM in Polen und in der Ukraine steigen. Fußballherz, was willst Du mehr? Für mich sollte es das erste Turnier sein, dass ich mit einer großen Tour bereiste. Ein Freund von mir hatte einen Plan ausgearbeitet, bei dem man alle deutschen Spiele und zudem mindestens ein Spiel in jedem der acht Stadien besuchen konnte. Da konnte ich mich einfach anschließen und nachdem nach einigem Suchen und Tauschen auch für alle Spiele die Karten besorgt waren, konnte die Reise beginnen.
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Am morgen des ersten turniertages fand sich dann eine illustre 9-köpfige reisetruppe ein, die mit verschiedenen zielen und reisedauern den kleinbus gen östliches nachbarland betrat.
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Erste pläne erst mit einem polnischen bier hinter der grenze erstmals anstoßen zu wollen, erledigten sich just mit der frage „jemand nen bier?“ beim befahren der a2, na das konnte ja heiter werden. Wurde es auch, zum ersten male insbesondere an der grenze. Kontrollen ja nur sporadisch, alle autos inkl. neunsitzern vor uns auch problemlos durch. Nur unsere besatzung erwischte es natürlich, war irgendwie auch genau so zu erwarten. Immerhin befand man sich schon auf polnischem staatsgebiet, die deutschen beamten halfen den polnischen lediglich, ausreise war also schon durch und das risiko nun doch nicht weitergelassen zu werden, hat man ja immerhin alles schon erlebt, damit eher gering. Dafür wurde man gebeten mit einer älteren, für polizisten durchaus netten, allerdings scheinbar geistig auch nicht ganz fitten beamtin der vermutlich eher niederen dienstgrade einen wissenschaftlich nicht ganz einwandfreien fragebogen auszufüllen. Gedacht für mindestens kleinbusse, schien den planern bei der frage des ziels nicht in den sinn gekommen zu sein, dass neun leute auch neun verschiedene ziele haben können. Erste, leichte überforderung bei der dame in uniform. Lautes gelächter dann auf die frage, ob man gewaltbereit sei oder nicht – die dürfte bei ner grenzkontrolle natürlich jeder betroffene völlig wahrheitsgetreu beantworten.

EM-Vorrunde, Gruppe A am 08.06.2012
Russland - Tschechien 4-1
miejski stadion wroclaw, 40803 zuschauer


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Tickets für das Spiel wurden einem auf dem Weg zu den Eingängen quasi hinterher geworfen, maximal originalpreis zu zahlen. Wer zockte, konnte auch den ein oder anderen euro sparen. Na das überraschte doch irgendwie. Mit spielbeginn das stadion trotz der kartensituation vorm stadion dann fast voll, die paar hundert leere sitzschalen hatte die uefa im vorfeld sicherlich dennoch nicht auf dem plan. Optische verteilung der zuschauer ca. 8000 tschechen im einheitsrot in einer ecke,
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viele russen auf der anderen seite, wie viele ließ sich ob der weißen trikots zwischen den vielen ja ebenfalls anwesenden polen aber nicht ganz ausmachen. So musste schon ein tor der russen herhalten, um die zahl derer anhänger schätzen zu können. 10000 waren es mit sicherheit, nicht schlecht. Allerdings, und das ließ ja die beobachtung mit den v8-karossen vor dem stadion vermuten, zu grossen teilen touristen inklusive familien, die über weite strecken des spiels ihre klappe hielten. Lediglich ein kern von vllt. 300 leuten feuerten stehend einigermassen durchgehend, aber eher monoton die sbornaja an. Sportlich wars ne eindeutige sache für die russen, die einen hochverdienten sieg herausspielten und dabei ein schönes tor nach dem anderen zauberten.
Mit spielende sollte es dann schnellstmöglich zurück gen hostel gehen, immerhin hieß es am nächsten morgen früh aufzustehen und wenigstens ein bierchen sollte es ja doch noch werden. Die lokale organisation des em-spiels machte diesem plan jedoch einen gehörigen strich durch die rechnung bzw. explizit die gepäckausgabe, an welcher noch ein rucksack abgeholt werden musste. Ohne plan drängelten sich dort hunderte menschen, es gab kein system, kein vor, kein zurück und die armen volunteers, ja die mädels in den containern taten mir in dem moment tatsächlich leid, wussten bei der ausgabe gar nicht, wo ihnen der kopf steht. Irgendwann wurde es einigen russen zu bunt und kurzerhand enterte ein trupp die gepäckcontainer und übernahm die rucksackausgabe. Ohne entsprechende pfandmarken natürlich. Nach rund 30 minuten konnte man sich am ende der schlange dann aus einem ganzen haufen rucksäcke bedienen, die dort nun abgelagert worden, wir warteten noch weitere 60 minuten, ehe wir das passende gepäckstück endlich hatten. Nun war es für nen gute-nacht-bierchen natürlich bereits zu spät, zumal wir für die fahrt gen hostel nochmals gut 45 minuten benötigten. Und so gings mit nem schluck wasser gegen halb drei ins bett.

Und keine vier stunden später klingelte bereits der wecker. Dann rein in den neuner, noch zwei stündchen die augen geschlossen um dann pünktlich mit ende der autobahn kurz hinter krakow sowohl die äuglein, als auch das erste bier wieder zu öffnen. Die fahrt über polnische landstrassen erwies sich nun als sehr zäh. Nun, zumindest bis przemysl lag man im zeitplan. Geparkt wurde kostengünstig am dortigen bahnhof, dann rüber zu den kleinbussen und die paar kilometer weiter bis zur grenze in medyka. Dieses system hat sich bewährt, spart man sich doch so die nervenden beglaubigungen, die man für das befahren der ukraine mit eigenem kfz benötigen würde und sind die busverbindungen von eben przemysl via medika/shehyni nach lviv ja doch recht zuverlässig, wenn auch nicht besonders schnell. Bevor man in shehyni allerdings in den bus zum zielort steigen konnte, stand noch der grenzübertritt an. Ausreise polen mit einem netten „fusbball?“ – „ja“ – „viel spass“ – dialog überraschend schnell hinter sich gebracht. Nun standen wir also in der ukraine. Erstes ziel geld wechseln, dann die getränkereserven auffüllen und weiter nach lviv. Die letzten 80km bis lviv ging es dann im bus für vllt 15 leute, gefüllt mit rund 30 personen.
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Luft stickig, bier schmackhaft und die ganzen kleinen dealereien, die die mitfahrer mit den einheimsichen bei den zwischenstopps abhielten, waren schon sehr sympathisch. Rund 3 stunden vor anpfiff des abendlichen spiels entliess uns das gefährt am bahnhof in lviv. Wenn der neubau in wroclaw schon am arsch der welt steht, dann steht der neubau hier in lviv noch ne ecke weiter, unfassbar, wo uns der linienbus so hinfuhr. Auffällig hingegen: zum einen waren viel weniger ersichtliche fans unterwegs, wie am vortag in wroclaw. Zum anderen waren die einheimischen trotz aller sprachbarrieren unglaublich nett und hilfsbereit. Als man dann ein strassenschild entdeckte, auf dem man den strassennamen unseres hotels, was sich unweit des stadions befinden sollte, ablesen konnte, ging es raus aus dem gefährt, nicht ahnend, dass die strasse scheinbar eine der längeren der stadt ist und wir noch paar km fußmarsch vor uns hatten. Gepäck in einem direkt in stadionnähe gelegenen Hotel, wo die anderen nächtigen wollten, abgelegt und im riesigen biergarten zusammen mit deutschen, portugiesen und … holländern, die hatten doch selbst spiel, verstehe die einer… noch nen bier genehmigt und auf zum spiel

EM-Vorrunde, Gruppe B am 09.06.2012
Deutschland - Portugal 1-0
arena lviv, 32990 zuschauer


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Auch hier im umfeld ein enormes kartenangebot, für nen zwanni war man locker dabei. Bullen locker, deutsche fans nervig, portugiesen kaum zu sehen, so kann man das stadionumfeld wohl passend umschreiben. Einmal rum um den neubau am stadtrand, der trotz vergleichsweise geringem fassungsvermögen (33000, damit nur ungleich mehr, als unser heimisches hks und damit stadion mit dem geringsten fassungsvermögen bei diesem turnier) unglaubliche 270 mio euro gekostet haben soll, von aussen aber durchaus gigantisch wirkte. Dennoch unken nicht wenige menschen, dass hier der ein oder andere euro auch in so manch dunklem kanal versickert ist. An unserem einlass direkt hinter der schland-kurve dann chaos. Dies war erste das vierte oder fünfte spiel in dem stadion überhaupt, der eigentliche nutzer karpaty lviv war nach keinem sieg im neuen stadion ins alte ukrainija-stadion zurückgekehrt und sicherte sich dort dann den klassenerhalt, funktionierte das ticketsystem nicht. Der scanner wollte schlichtweg keinen strichcode erfassen, die erneut armen beiden freiwilligenmädels standen hilflos da. Schnell öffneten ein paar ordner ein tor die ecke rum, die anfänglichen versuche die drückende menge noch zu kontrollieren mussten natürlich schief gehen, zudem kletterten nun auch etliche leute einfach über die zäune in den block. Hier wäre also auch eintritt für lau drinne gewesen, ich wurde jedenfalls zu keinem zeitpunkt kontrolliert. Nächstes highlight: die imbissstände. Bereits eine dreiviertel stunde vor Spielbeginn hiess es bei essensbestellungen: sorry, sold out! Für bier galt ab der halbzeit das gleiche. Für dieses kleine chaos abseits der durchgeplanten westlichen welt liebe ich solche länder. Ca. 15000 schland-anhängern standen maximal 2000 portugiesen gegenüber, die sich zu keinem zeitpunkt gehör verschaffen konnten. der deutsche anhang hingegen erreichte oftmals, wenn auch mit einfachstem liedgut, beachtliche lautstärken, die länderspielerfahrenen mitfahrer bezeichneten das ganze für länderspielverhältnisse als überdurchschnittlich gut. Optisch präsentierte man zum einlaufen zudem ne simple pappen-choreo und nutzte die pappen im anschluss auch als wurfgeschosse. Die empörung des stadionsprechers, schiris, der presse, ja der ganzen westlichen welt ob dieser umstände… lächerlich. Die dinger wogen keine 3 gramm, aber es passte halt nicht ins friedliche bild. Schön, dass sich viele fans nen jux daraus machten, gerade nach den ansagen der stadionsprecher ne papierkugel gen spielfeld düsen zu lassen.

Direkt nach dem ersten Deutschland-Spiel begann das eigentliche Abenteuer Europameisterschaft. Eigentlich wollten wir in der Nacht einen Nachtzug in Richtung Kiew nehmen. Aus welchen Gründen auch immer wurden aber einige Nachtzüge zwei Monate vor dem EM aus dem Fahrplan genommen. Nicht nur wir waren davon betroffen, mussten wir nun die Nacht durchmachen, der erste Zug nach Kiew fuhr erst halb sieben, vor allem die ukrainische Bevölkerung regte sich maßlos drüber auf, da die Nachtzüge das beliebteste Fortbewegungsmittel im Land darstellt. Wir verabschiedeten uns von der Truppe, die am nächsten Morgen zurück fuhr und machten uns mit sieben Leuten auf den Weg in die Innenstadt. Darunter waren zwei Magdeburger, die ebenfalls das Deutschland-Spiel gesehen hatten und unsere Plätze im Neuner einnahmen. Auf deren Empfehlung suchten wir ein Restaurant auf. Wir wurden im Untergeschoss platziert und die Kellnerin brachte uns die sehr dicken Speisekarten. Als wir zehn Minuten später bestellen wollten, sagte die Kellnerin, wir können nichts mehr bestellen. Das Essen sei alle. Kurioserweise wurde genau in dem Moment, wo sie uns das sagte, am Nachbartisch ein großes Menü serviert und auch oben waren alle Gäste kräftig am essen. Einer der beiden aufgegabelten FCM-Fans untermalte mit sagenhaften Handbewegungen seinen Hunger. Er sprach auf Deutsch, was die Kellnerin natürlich nicht verstand, sie soll uns doch mal einen Berg Pommes und ein bisschen Brot bringen. Dazu formte er mit seinen Händen einen Berg Pommes und führte sich imaginär das Brot zum Mund. Gigantisch! Als es oben leerer wurde, zogen wir um und siehe da, nun konnten wir auch bestellen. Es gab zwar nur noch Hähnchenspieße ohne jegliche Beilagen, aber immerhin. Um drei machte das Restaurant und wir zogen weiter zum Marktplatz, wo wir bis um fünf bei einem zwischenzeitlichen kleinen Regenguss weitere Biere auf den deutschen Sieg vernichteten.
Um kurz vor halb sieben bestiegen wir zu zweit den Schlafwagen für die bevorstehende achtstündige Zugfahrt nach Kiew. Beim Einstieg mussten wir unsere Fahrkarten abgeben, die wir kurz vor der Ankunft in Kiew wiederbekamen. Wir holten unsere Bettwäsche ab, bezogen die Betten und dank zwei schlafarmer Nächte entschlummerten wir trotz Innentemperaturen von 28 Grad, die sich zur Mittagszeit auf 31 Grad erhöhten (Fenster gingen selbstverständlich nicht zu öffnen), ziemlich schnell ins Land der Träume. Das 52er-Abteil, in dem wir untergebracht waren, war ausgebucht. Dementsprechend war das WC des Waggons, drücken wir es freundlich aus, nicht der hygienischste Ort. Beim Besuch des WCs kam mir die Geschichte in Erinnerung, dass ein weiterer Magdeburger vor einigen Jahren auf dieser Strecke drei Stunden auf dem Klo geschlafen hat. Und dass bei einem Ort, wo man sich als Mann schon ekelt, wenn man sein kleines Geschäft im Stehen erledigt. Für diese ganzen Abenteuer zahlten wir aber auch nur 8 Euro pro Person. Wenn das nichts ist. Pünktlich rollten wir in Kiew ein und nach einer halbstündigen Hot Dog-Pause fuhr unser nächster Zug nach Dnipropetrowsk, der glücklicherweise klimatisiert war und in dem ein Fernseher abtruse Filme zeigte.
Nach weiteren sechs Stunden erreichten wir Dnipropetrowsk, wo wir für die nächsten drei Nächte eine Privatunterkunft bei Yuri „gebucht“ hatten. Die Verbindung zu Yuri hat ein Magdeburger für uns hergestellt, der ihn auch nur übers Internet kannte. Insofern war es eine Reise ins Unbekannte, wir hatten keinen blassen Schimmer, welche Leute uns erwarten und was es für eine Unterkunft ist. Auf dem Bahnsteig konnten wir ihn, obwohl wir nicht wussten, wie er aussieht, sofort erkennen. Yuri begrüßte uns mit einem „Dynamo-Fans gegen den 1.FCM“-T-Shirt. Vielleicht nicht die feine englische Art, aber so fanden wir direkt zueinander. Mit dem Auto fuhren wir zur Wohnung von Yuri und seiner Frau Katya. Als wir den Wohnblock von außen sahen, wurden unsere Befürchtungen, die man bei einer solchen Reise irgendwie nicht abschütteln kann, wahr. Renovierungsbedürftig ist noch milde ausgedrückt. Ganz anders sah das Bild aber aus, als wir die Wohnung betraten. Die Wohnung war topmodern eingerichtet, alle Möbel neu, eine neue Einbauküche, gefliestes Bad usw. Wir waren äußerst positiv überrascht. Die beiden erzählten uns, dass sie erst drei Monate zuvor eingezogen waren. Der Grundriss hatte ihnen nicht ganz zugesagt, so dass sie noch ein paar Wände versetzt hatten, um die Wohnung nach ihren Wünschen einrichten zu können. Zur Begrüßung bekamen wir eine Menükarte für das Drei-Gänge-Abendessen mit persönlicher Widmung und FCM-Emblem.
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Und dann kam, was kommen musste. Wir hatten im Vorfeld schon ob der allgemein bekannten Gastfreundschaft der Ukrainer gemunkelt, dass Wodka auf dem Tisch landen dürfte. Womöglich auch noch selbstgebrannter, was für uns nicht geübte Wodkatrinker böse enden könnte. Yuri sagte, als er den Markenwodka auf den Tisch stellte, dass er nicht gern Wodka trinkt. So blieb es an diesem Abend bei einer Flasche, die wir uns zu dritt teilten. Katya vergnügte sich derweil mit einer Flasche Wein. Wir tauschten uns über den Fußball in Deutschland und beim FCM sowie in der Ukraine und Russland aus. Yuri stammt ursprünglich aus der Gegend von Moskau und ist Fan von ZSKA. Er hat Russland vor einigen Jahren aus Gründen, die er nicht nennen wollte, verlassen und lebt seitdem in der Ukraine, wo er einen Online-Shop für Ultras betreibt. Mit der leeren Wodka-Flasche und ein paar Bier im Magen, hatten wir die nötige Bettschwere erreicht, um den Schlaf der letzten Nächte nachholen zu können.

Mit Dima stand am nächsten morgen um neun ein Freund von Yuri vor der Tür, der uns mit dem Auto nach Donezk chauffieren sollte. Leider hatte der Wagen keine Klimaanlage, so dass wir zu fünft in den Genuss offener Fenster bei Tempo 80 über eine mit einigen Schlaglöchern versehene ukrainische Landstraße kamen. Etwas mehr als drei Stunden Fahrzeit später parkten wir den Wagen in unmittelbarer Stadionnähe. Auf dem Weg in das, was sich so Innenstadt nennt, trafen wir einen Magdeburger aus unserer 9er-Besatzung wieder, der mit tausend besoffenen Engländern im Nachtzug aus Kiew angereist war und für zwei Nächte eine Herberge in der Bahnhofsmission fand. Zum Essen suchten wir die Bar „Schwein“ auf. Und warum heißt die Bar „Schwein“?
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Ganz einfach. Im Keller der Bar, direkt neben dem Eingang zum WC, wohnt ein Schwein. Beim ersten Besuch dort unten ist mir das gar nicht aufgefallen, auf den Hinweis der anderen sah ich mir das Schwein beim zweiten Mal an. Und es stimmte tatsächlich. Das Wildschwein lag da faul in der Ecke. Nach dem Essen folgte der spannendste Teil des Tages: wie werde ich möglichst ohne Eintrittskarten für ein Spiel los, das nicht ausverkauft ist und es somit noch ausreichend Karten an den Tageskassen gibt? Die Frage wird sich die UEFA auch gestellt haben. Vor allem wird die UEFA beim Spiel England-Frankreich im Vorfeld nicht im Traum daran gedacht haben, dass Plätze frei bleiben könnten. Wir mussten auf jeden Fall neun Tickets loswerden. Bei einem normalen England-Spiel bei einem großen Turnier hätten wir überhaupt keine Probleme gehabt. Nur aufgrund der im Vorfeld teilweise völlig überzogenen Preise hatten viele Engländer die Reise in die Ukraine nicht gebucht. Wobei das sonst bei denen auch nie ein Problem war. Vielleicht hatten sie ja doch nur Angst? Sei’s drum. Wir boten die Tickets etwas unter Normalpreis von 35 Euro (Einkaufspreis bei ebay waren um die 10 Euro) an, was viele Einheimische misstrauisch werden ließ. Doch dank der Übersetzungs- und Überredungskünste von Katya gelang es uns tatsächlich alle Karten loszuwerden. Das konnten wir von einem Kategorie 2-Ticket für das Halbfinale in Donezk leider nicht behaupten. Das wollte einfach keiner haben. Und dann war die Zeit auch schon gekommen, um den Prunkbau des reichsten Mannes der Ukraine zu betreten:

EM-Vorrunde, Gruppe D am 11.06.2012
Frankreich - England 1:1
Donbass Arena Donezk, Z: 47.400


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Mit Spielbeginn war auch die Zeit des Rätselratens vorbei. Rätselraten bezüglich der anwesenden Fans aus England und Frankreich sowie der Zuschauerzahl insgesamt. Wir hatten im Vorfeld das Gerücht gehört, dass in Frankreich im offiziellen Kartenverkauf vor der EM gerade einmal 51 Karten verkauft wurden. Der kümmerliche Haufen, der da in einer Ecke versuchte, etwas vor sich zu singen, bestätigte das. Wir schätzten sie auf 200 Leute und als offizielle Zahl wurde nach dem Spiel irgendwas um die 230 bestätigt. Und so ein Land richtet die nächste EM aus, unglaublich. Etwas anders sah es auf der anderen Seite aus, wenngleich es keinen Vergleich zu den vorangegangenen Turnieren darstellt, als die Engländer in Herrscharen in die Gastgeberländer einfielen. Es mögen um die 4.000 gewesen sein. Doch gerade diese geringe Anzahl mag ganz gut gewesen sein. Es waren keine 0815-Fans da, sondern fast der gesamte Block beteiligte sich an den Gesängen. Als die offizielle Zuschauerzahl bekannt gegeben wurde, konnten wir uns ein Schmunzeln nicht verkneifen. Das Stadion fasst 51.500 Zuschauer und es waren deutlich mehr als 4.000 Plätze frei. Solch eine Blamage kann sich die UEFA dann wohl doch nicht leisten. Für die größte Überraschung im Stadion sorgten hingegen die anwesenden Russen. Bis zur russischen Grenze sind es keine 200 km, aber dass die Russen in solchen Massen einfallen würden, war verblüffend. Aufgrund der sehr häufigen und dann auch sehr lauten Rufe Rußland-Rufe im Stadion schätzten wir deren Anzahl auf gut und gern 30.000. Das Geschehen auf dem Rasen war leider nicht das Gelbe von Ei. Da stand eine ganze Reihe von Weltstars auf dem Rasen, heraus kam meistens nur Grütze. Wir waren froh, dass wir zumindestens zwei Tore bei den tropischen Temperaturen gesehen haben und hofften nur, dass wir hier nicht noch einmal her müssen, was im Halbfinale der Fall gewesen wäre, wenn Deutschland Gruppenzweiter geworden wäre. Trotz des stadionnahen Parkplatzes konnten wir fast ohne Abfahrtsstau wieder abreisen und kurz nach Mitternacht landeten wir nach drei Stunden Fahrt und einer erfrischenden Dusche wieder im Bett in Dnipropetrowsk.

Ein Tag ohne EM-Fußball in der Ukraine, was macht man da? Fußball schauen! Yuri hatte für den Abend Stadtligaspiele in Dnipropetrowsk ausfindig gemacht, von denen wir uns das im größten Stadion aussuchten. Bevor es so weit war, bekamen wir eine Stadtbesichtigung. Zunächst ging es zum aktuellen Stadion von Dnipr Dnipropetrowsk, welches wir leider nur von außen besichtigen konnten. Dnipropetrowsk hatte sich mit dem Stadionneubau auch für die EM beworben, hat aber als einzige der fünf großen Städte der Ukraine keinen Zuschlag bekommen. Im Stadionumfeld waren etliche Graffitties der einheimischen Ultragruppe zu sehen. Weiter ging es zum alten Stadion von Dnipr, ein typisches altes Ostblockstadion mit großen Flutlichtmasten, bei dem Stadionromantikern wie uns das Herz aufgeht.
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Nach dem typisch ukrainischen Mittagessen, das sich für mich aufgrund eines dienstlichen Telefonats um eine halbe Stunde verzögerte (können die nicht mal zehn Tage ohne mich auskommen? Aber wenn der Chef die Handyrechnung bezahlt…), noch eine paar kleinere Gebäude abgelaufen und ein paar Minuten an der Dnipr geschlendert. Bis zum Spiel war noch immer etwas Zeit und so suchten wir eine Kneipe der Einheimischen auf. Hier wird das Bier in Ein-Liter-Plaste-Flaschen ausgeschenkt, was ulkig aussieht. Mehr als 20 Zapfhähne hängen hinter der Bar, wo die Flaschen mit einer Art Schraubstock hineingehangen werden und befüllt werden.
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Auf dem Weg zum Stadion holte Yuri fünf weitere der Ein-Liter-Flaschen. Wir mussten ja zwei Stunden überstehen, hehe.

Championship of Dnipropetrovsk city. First league
RimStroy (Dnipropetrovsk) - Skif (Mirniy) 1:3
Stadium VRZ im. Kirova, Dnipropetovsk, Z: 42


Als wir das Stadion von weitem das erste Mal sahen, wirkte es sehr gut. Immerhin acht Reihen, die fast um das ganze Stadion gingen und dazu ein schöner Sprecherturm. Unter dem Sprecherturm waren einige Leute in einheitlicher Kleidung, so dass wir kurzzeitig auf einen Fanblock hoffen konnten. Dem war leider nicht so. Yuri erzählte, dass das die Gastmannschaft ist, die sich auf den Rängen umzieht. Das Umziehen in der Kabine hätte zusätzliches Geld gekostet.
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Von nahem wurde uns gewahr, dass das Stadion eine einzige Bruchbude ist. Mehr als zwei Drittel der Holzbänke waren kaputt, rausgerissen oder hingen kreuz und quer auf den Rängen. Zwischen den Bänken lag allerlei Abfall, in erster Linie leere Bierflaschen.
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Der Gang durch die Reihen wurde so mehr oder weniger zu einem einzigen Hindernislauf. Auf Höhe einer Torlinie fanden wir ein paar unversehrte Bänke, wo wir niederließen, um den Rasen zu begutachten. Aber welchen Rasen? Das Spielfeld schloss sich in seiner Qualität direkt den Rängen an. Im Mittelkreis und einem Umkreis von 30 Metern sowie dem direkten Mittelweg in Richtung der Tore war gar kein grün zu sehen sondern schlichter Staub.
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Etwas weiter außen waren erste Rasenansätze zu erkennen und im Bereich der Eckfahnen stand das Gras dafür 15 cm hoch.
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Kurz nach Spielbeginn gesellte sich ein Freund von Yuri zu uns, der die Nummer eins unter den ukrainischen Groundhoppern ist. Selbstverständlich mit drei Ein-Liter-Flaschen Bier um Rucksack. Vom Spiel sah er nichts, da er die ganze Zeit mit dem Rücken zum Spielfeld stand und sein Bier trank. Immerhin 42 Zuschauer, wenn die meisten auch nicht über die ganzen 90 Minuten anwesend waren, trollten sich auf den Bänken oder dem, was davon noch übrig war. Zum sportlichen gibt es nichts zu sagen. Stadtliga Dnipropetrowsk sagt in Bezug Qualität alles aus. Nach dem Spiel fuhren wir mit dem Bus zurück in die Innenstadt und schauten uns das Abendspiel der Gruppe A in einer Sportsbar an.
 
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mm_aa_ii_kk

Erfahrenes Mitglied
22.07.2009
321
4
Dann hieß es bereits wieder Abschied nehmen. Am Abend wartete das nächste Deutschland-Spiel in Charkow auf uns. Wir bedankten uns viele Male bei Katya und Yuri für die herzliche Gastfreundschaft, die noch nicht vorbei war. Sie hatten uns im Vorfeld Tickets für die Busfahrt nach Charkow organisiert. Doch obwohl wir die Tickets hatten, bestanden sie darauf, uns erst zu verlassen, wenn wir wirklich bei der Abfahrt des Busses in diesem sitzen.
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Und das war auch gut so. Wir hatten die beiden Tickets mit den Nummern 26 und 27. Die Sitze im Bus waren nummeriert und gingen aber nur bis 25, weswegen uns der Busfahrer die Mitnahme verweigerte. Es folgten einige Diskussionen, in denen wir nicht weiter kamen. Katya suchte daraufhin das Büro der Busgesellschaft auf und kam im Schlepptau des Büroleiters wieder. Der erklärte uns, dass es 27 Plätze im Bus gibt und wir mitfahren können. Er gab diesen Befehl auch an den Busfahrer weiter, der ziemlich grimmig dreinschaute und uns auch auf der Fahrt nicht sehr wohlgesonnen war. Grund dafür war, dass im Normalfall nur 25 Plätze verkauft werden und „unsere beiden“ frei bleiben, damit unterwegs Fahrgäste zusteigen können. Wohin das Geld der „Unterwegsfahrgäste“ wandert, war uns allen klar und somit auch, warum der Busfahrer nicht gut auf uns zu sprechen war, hehe. Uns war es egal, wir nahmen den dreistündigen Weg nach Charkow über ukrainische Holperstraßen in Angriff.
In Charkow kamen wir am Busbahnhof an, der einige Kilometer vom Hauptbahnhof entfernt lag, wo wir unser Gepäck verstauen und die anderen Magdeburger treffen wollten. Eine U-Bahn-Verbindung dorthin gab es nicht und das Busnetz war nicht zu durchschauen. Also hieß es, sich mit der Taximafia auseinanderzusetzen, die völlig überteuerte Preise aufrief. Nach etlichen Diskussionen gaben wir unser letztes Angebot („Hälfte der ursprünglichen Forderung oder wir laufen“) ab, was angenommen wurde. Zehn Minuten später trafen wir am Bahnhof ein, wo ich erstmal eine Dusche in der öffentlichen Bahnhofsdusche nahm. Diese war erstaunlich sauber, da habe ich in manchen Hostels schon schlimmeres erlebt. Kurze Zeit später trafen wir in einer benachbarten Pizzeria die ersten drei Magdeburger und stärkten uns. Anschließend fuhren wir mit der U-Bahn in die Innenstadt zur von Holländern überlaufenen Fanzone, die wir links liegen ließen und uns auf direktem Weg zum Zelt des Fanclub Nationalmannschaft begaben, wo wir auf die restlichen fünf Magdeburger trafen, die auf verschiedenen Wegen nach Charkow gelangt waren. Alle waren beim ersten Spiel in Lemberg gewesen. Unser Pärchen fuhr danach mit dem 9er-Bus zurück nach Deutschland, um über Riga nach Kiew zu fliegen und von dort mit dem Nachtzug nach Charkow zu fahren. Die anderen hatten die Tage in Kiew verbracht und waren ebenfalls per Zug hier. Im Zelt konnten wir uns einem ausführlichen Bierkonsum widmen, dem Biersponsor der Nationalmannschaft sei Dank. Es standen etliche Paletten rum. Die waren zwar warm, was bei Außentemperaturen von über 35 Grad und gefühlten Temperaturen von über 40 Grad im Zelt nicht so prickelnd war, aber einem geschenkten Gaul usw. Wir beschlossen alsbald mit der U-Bahn zum Stadion zu fahren, um dort in einer Kneipe das erste Spiel des Tages zu sehen und dann nur noch kurz zum Stadion rübergehen zu müssen. Das erwies sich als äußerst schwierig, es gab im Stadionumfeld keinerlei Kneipen und unsere Suche blieb erfolglos. Zum Glück konnten einige wenige Leute unserer zehnköpfigen Magdeburger Truppe Schulrussisch und fragten einen Einheimischen, der das bestätigte. Er verwies uns aber auf eine kleine Kaschemme, die drei Straßen weiterlag und brachte uns persönlich dorthin. Bei unserem Betreten der Kneipe hätten die Augen der anderen Gäste, eine achtköpfige Familie war noch anwesend, nicht verblüffter sein können. Aber es genau das, was wir gesucht hatten. Eine Kneipe der Einheimischen mit Fußball und günstigem Bier. Wir bestellten frischgezapftes, wunderten uns dann, dass das Bier aber aus der Küche gebracht wurde, obwohl die Zapfanlage keine zwei Meter von uns entfernt im Gastraum stand. Egal, bei Bierpreisen von 80 Cent für den halben Liter! Wir ließen es uns schmecken, verspeisten vorzügliche und üppige Gerichte für maximal fünf Euro
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und kamen mit den anderen Gästen ins Gespräch, da eine Frau am Tisch aufgrund eines längeren Aufenthaltes in Deutschland sehr gut deutsch konnte. Mit ein paar Bier im Magen trennten sich unsere Wege in die verschiedenen Blöcke, die wir hatten. Wir beschlossen aber vorher, dass wir uns nach dem Spiel in der Kneipe wieder zusammenfinden.

EM-Vorrunde, Gruppe B am 13.06.2012
Deutschland - Niederlande 2-1
Metalist-Stadium Charkow, 37.750 Zuschauer


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Die meisten von uns hatten Karten für den deutschen Block. Aber auch wenn man Karten für einen anderen Block hatte, konnte man im Stadion einmal quer durch alle Blöcke problemlos in den deutschen Block gelangen wie bewiesen wurde. Vor dem Spiel fragten wir uns, ob es nach den Vorfällen in Lemberg mit den auf den Platz geworfenen Zetteln eine deutsche Choreographie geben würde oder ob die UEFA das verbieten würde. Denen ist ja alles zuzutrauen. Der Stadionsprecher wies die deutschen Fans vor dem Spiel auch noch einige Male daraufhin, das Werfen zu unterlassen, was angesichts des relativ weiten Innenraums im dem Kuip in Rotterdam von der Dachkonstruktion sehr ähnlichen Stadion eh keinen Sinn gemacht hätte. Die Choreo selber missglückte ziemlich, da, aus welchen Gründen auch immer, der deutsche Block mit einer relativ hohen Anzahl an Einheimischen durchsetzt war und die mit den Papptafeln nicht viel anfangen konnten. Obwohl wir innerhalb des deutschen Blocks alle Karten für unterschiedliche Blöcke hatten, fanden wir uns zusammen. Der deutschen Stehplatzkultur sei Dank. Von Anfang an herrschte unter den schätzungsweise 7.000 Deutschen sehr gute Stimmung. Verständlich, da Jogi’s Buben auf dem Platz tun konnten, was sie wollten und Holländer in der ersten Halbzeit keinen Stich sahen. Vor allem, dass Arjen Robben gegen Philipp Lahm überhaupt nicht zum Zuge kam und Mitte der zweiten Halbzeit entnervt ausgewechselt wurde, war eine große Genugtuung für alle. Mario Gomez netzte zweimal ein und wir waren happy. Warum die deutsche Elf dann aber das Spielen einstellte, anstatt gegen die bis dato chancenlosen Käsefresser so weiter zu spielen und mit einem dritten Tor alles klar zu machen, blieb uns ein Rätsel. Durch den von 15.000 Holländern, die ansonsten fast komplett ruhig blieben, bejubelten Anschlusstreffer wurde es noch einmal spannend. Dass der Ausgleich noch fallen könnte, der Eindruck hatte man aber nie. So wurde der deutsche Block zum Ende wieder lauter. Vor allem der Gassenhauer „So gehen die Deutschen, so gehen die Holländer“ mit den dazugehörigen Körperbewegungen wurde in einer guten Lautstärke intoniert.
Nach dem Spiel verblieben wir noch einen kleinen Moment im Stadion, bis zur Abfahrt unseres Zuges nach Kiew am nächsten Morgen waren es noch über sieben Stunden, ehe wir in unsere Kaschemme von vor dem Spiel einkehrten. Die Bedienung und auch die anderen Gäste, die bereits vor dem Spiel da waren, freuten sich über unsere Rückkehr und beglückwünschten uns ausführlich zum verdienten Sieg. Die ersten Pils wurden geordert
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und zur Feier des Tages bestellten wir auch noch eine Flasche Wodka dazu, die innerhalb kürzester Zeit aufgebraucht war. Die folgenden Stunden gestalteten sich sehr amüsant. Höhepunkt war eine etwas beleibtere Prostituierte, die gegen zwei Uhr ihre Dienste anbot. Einer unserer Reisegruppe, der schon mit dem Kopf auf dem Tisch geschlafen hatte, war auf einmal wieder hellwach und lächelte sie fröhlich an, um kurze Zeit später wieder einzuschlafen. Die Dame zog wieder los und als der Schlafende fünf Minuten später wieder aufwachte, war er ganz enttäuscht, dass er „nur“ weiter trinken und schlafen musste. Gegen drei Uhr machte die Kaschemme dicht, waren also nur noch vier Stunden zu überbrücken. Vom Vorabend erzählten uns die anderen von einer 24-Stunden-Bar in der Nähe der Fanzone, die wir folglich mit Taxi ansteuerten. Viel war nicht mehr los. Ein paar siegestrunkene Deutsche, ein paar bedröppelt dreinblickende Holländer und ein paar verstörte Einheimische, mit denen es fast zu einem Judo-Länderkampf gekommen wäre. Wir bestellten eine eigene Zapfanlage, um für die nächsten Stunden gerüstet zu sein. So nach und nach machte sich die Müdigkeit bemerkbar und wer von nicht gerade die Holländer mit dem ein oder anderen Spruch bedachte („Kopf hoch Jungs, in 40 Jahren übersteht Ihr vielleicht auch mal wieder die Vorrunde“), versank auf den sehr gemütlichen Sitzgelegenheiten in den Schlaf. Dem Personal gefiel das gar nicht und wollte uns im 10-Minuten-Takt rausschmeißen. Aber nix da, Kunde ist König! Beim Verlassen des Lokals war es bereits wieder hell, es wurde noch ein Oberkörperfrei-Foto mit einigen Einheimischen hinter der „Unterschicht Magdeburg“-Fahne gemacht, ehe wir zum Bahnhof aufbrachen. Pünktlich um 7 setzte sich der neue Intercity, der statt der üblichen acht Stunden bis Kiew nur noch 4 ½ benötigt, in Bewegung und fielen alle in einen angenehmen Schlaf.

Mit der Ankunft in Kiew
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trennten sich zunächst unsere Wege. Ich quartierte mich bei dem berühmten Magdeburger Brüderpaar mit ein, die eine Unterkunft in einem Sportinternat hatten, das für die EM den Fans als Unterkunft zur Verfügung gestellt wurde. Die beiden hatten ein Doppelzimmer gebucht, aber es stand ein drittes Bett drin, so dass ich zu einer kostenlosen Übernachtung kam. Ich freute mich schon, die beiden berichteten mir im Vorfeld, dass es je Etage (ca. 40 Zimmer) nur einen Duschraum mit zwei Duschen gab. Die wurden von Männlein und Weiblein und hatten keine Duschvorhänge oder ähnliches. Während ihres ersten Aufenthaltes waren die beiden auf einem „schwedischen“ Flur gelandet, die ja alle Vorrundenspiele in Kiew absolvierten und dort in Massen aufschlugen. Und wie jeder weiß, gibt es gerade in der weiblichen Bevölkerung Schwedens sehr viele Hingucker und sie meinte, es seien ein paar hübsche Schwedinnen nur im Handtuch bekleidet über den Flur gehuscht. Doch so viel Glück war uns dieses Mal nicht hold. Wir landeten auf einem „englischen“ Flur. Und wie jeder weiß stellen die Engländer in Sachen Schönheit das exakte Gegengewicht zu den Schweden dar. Nun ja. Wir hauten uns noch ein paar Stunden aufs Ohr, um den Schlaf der letzten Nacht nachzuholen. Pünktlich zum ersten Abendspiel im Fernsehen standen wir auf und suchten eine Lokalität in der Nähe, wo wir bei günstigen Preisen und Abendmahl zu uns nahmen und die anderen Magdeburger wiedertrafen. Und die hatten mit ihrer Unterkunft wahrhaftig ins Klo gegriffen. Das „Hostel“ war ein 16-geschossiger Plattenbau, wobei sie ihr Zimmer im 10. Stock hatten. Duschen und Klos gab es ausschließlich im Erdgeschoss. Wobei die eklig waren, dass keiner der vier dort geduscht hat und auch keiner dort auch nur auf Klo gegangen ist. Ein Kamerad ordnete das Hostel in die Top 3 der asseligsten Absteigen ein, in denen er jemals geschlafen hat. Und dieser Kamerad hatte seine Freundin dabei… Für das zweite Spiel mussten wir auf eine andere Lokalität ausweichen. Das erste Lokal warb noch fröhlich damit „Sehen Sie bei uns alle EM-Spiele live“, schloss aber um 10, also eine viertel Stunde nach Spielbeginn des Abendspiels. Das war unser Glück, wir zogen weiter in eine schöne Kaschemme, einem besseren klimatisierten Baucontainer, wo es den halben Liter Bier zum unschlagbar günstigen Preis von 70 Cent gab. So konnte uns der zwischenzeitliche Regenguss nichts anhaben, der pünktlich zum Spielende abebbte.

Bis am nächsten Abend das nächste Spiel auf dem Programm stand, genossen wir die Vorzüge eines Bettes und schliefen aus. Der Rest des Tages wurde mit Sightseeing der wichtigsten Sehenswürdigkeiten in Kiew verbracht
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und pünktlich zum ersten Spiel des Abends suchten wir eine Bar in der Nähe des Stadions auf, um das erste Spiel des Abends, Frankreich-Ukraine, im Fernsehen zu sehen. Als ich die ersten Bilder aus Donezk sah, dachte ich mir, da kann doch was nicht stimmen. Bei unserem Spiel zur gleichen Zeit vier Tage zuvor herrschte strahlender Sonnenschein und alles war hell. Als hier das Stadionumfeld eingeblendet wurde, war es stockfinstere Nacht. Und die ersten Blitze zuckten am Himmel. Das Spiel begann und nach vier Minuten war auch dem letzten klar, was los war. Das Spiel wurde aufgrund des heftigen Unwetters unterbrochen und um eine Stunde nach hinten geschoben. Per SMS erhielten wir aus Deutschland die Nachricht, dass demzufolge auch unser Abendspiel sich etwas verschieben würde. Hatten wir also etwas mehr Zeit, uns dem günstigen Pivo zu widmen. Zur Halbzeit des ersten Spiels verließen wir die Bar und betraten das Stadion, das sich zunächst zaghaft füllte am Ende aber fast ausverkauft war.

EM-Vorrunde, Gruppe D am 15.06.2012
Schweden - England 2:3
NSK Olimpijskyj Kiew, Z: 64.640


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Das Olympiastadion wirkte sehr imposant. Die zwei Ränge bieten normalerweise 70.000 Zuschauern Platz und trotz der Laufbahn hat das Stadion irgendwas. Fragt sich nur, warum die Modernisierung zur EM 600 Millionen Euro gekostet hat und in wie viele schwarze Kanäle das Geld geflossen ist. Bis zum Spielbeginn sammelten sich in der uns gegenüber liegenden Kurve um die 20.000 Schweden.
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Wie sagte einer unserer Reisegruppe daraufhin: Die Schweden sind die Holländer Skandinaviens. Soll heißen, sie treten in einer Vielzahl auf, stimmungsmäßig kommt aber gar nix, immerhin zeigten sie eine Choreographie in Form einer Schwedenfahne beim Einlaufen. Ganz im Gegensatz dazu die zahlenmäßig deutlich unterlegenen Engländer. Wie schon in Donezk waren es maximal 5.000 vor Ort. Aber die, die da waren, legten einen erstklassigen Auftritt hin. Kontinuierlich wurde gesungen und nahezu alle zogen auch mit. Auch hier zitiere ich wieder die gleiche Person wie oben: Die Engländer sind deutlich in der Unterzahl, rocken aber das ganze Stadion. Besonders deutlich wurde das nach dem 1:0 Mitte der ersten Halbzeit. Die Engländer im Unterrang sprangen wie wild umher und um die 100 Personen sprangen dabei auch in den Innenraum und ließen ihrer Freude freien Lauf.
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Wir waren gespannt auf die Reaktion der Ordnerkette vor dem Block uns sahen mit dem Sicherheitswahn der UEFA im Hintergrund schon diverse Knüppel durch die Luft fliegen. Aber nix da. Die Ordner waren völlig relaxt. Erst ließen sie die Engländer umher hüpfen. Und nach einiger Zeit nahmen sie die Engländer einfach auf den Arm und trugen sie freundlich in den Block zurück. Was überhaupt nur bei einer geringen Anzahl notwendig war, da der Großteil bereits selber wieder zurück geklettert war. So muss das sein. Direkt nach dem Seitenwechsel folgte der Ausgleich und zehn Minuten später der Führungstreffer für die Schweden, deren Fans nun kurzzeitig verbal zu vernehmen waren. Die Engländer schlugen direkt zurück und zehn Minuten fiel der am Ende verdiente Siegtreffer für die Inselaffen, wo sich die gleichen Hüpfszenen im Innenraum abspielten wie bereits nach dem 1:0. Auch wenn ich die Engländern sonst überhaupt nicht leider kann (kann das überhaupt jemand), haben sie aufgrund der heutigen Stimmung ein paar wenige Pluspunkte gesammelt.
 
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Erfahrenes Mitglied
22.07.2009
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Nach dem Abpfiff verweilten wir noch einen Moment im Stadion. Unser Nachtzug nach Lemberg fuhr erst vier Stunden später. Auf dem eigentlich halbstündigen Fußweg zum Hauptbahnhof legten wir zur Nahrungsaufnahme noch einen Zwischenstopp in einer Pizzeria ein. Irgendein Gefühl sagte uns, wir sollten uns beeilen. Und das war auch gut so. Die letzten Meter begleitete uns ein toller Regenguss, der bis zu unserer Abfahrt noch stärker wurde. Doch da hatten wir das schützende Bahnhofsgebäude schon erreicht. Wir holten unsere Sachen aus dem Schließfach und wollten uns ein wenig auf den zahlreichen Sitzmöglichkeiten zur Ruhe begeben. Leider waren sämtliche Sitzplätze bereits durch andere Reisende belegt, so dass wir die zwei Stunden Wartezeit so rumkriegen mussten. Nach der Hälfte der Wartezeit trafen wir auf die drei anderen Magdeburger, die ebenfalls den Nachtzug nehmen wollten. Pünktlich rollte der Zug ein, doch auf einem unserer Schlafplätze im 52er-Abteil schlief jemand. Ihn kurz geweckt („Kiew? Fuck!“), das Bett bezogen und ab ging es ins Reich der Träume. Nacht acht Stunden Schlaf wurde es allmählich wieder warm. Dieses Mal blieb es bei „nur“ 28 Grad Innentemperatur. Planmäßig sollte unser Zug gegen 12:50 Uhr in Lemberg einrollen, was uns in etwa ein Zeitpolster von zwei Stunden bis zum Abflug nach Warschau gelassen hätte. Doch um diese Uhrzeit war von einer Zivilisation geschweige denn Stadt weit und breit nichts zu sehen. Wir fuhren durch tiefste Wälder. Eine Nachfrage beim waggoneigenen Schaffner ergab, dass die Ankunft nun erst für 13:29 Uhr geplant sei, was unser Zeitfenster bis zum Abflug um 14:40 Uhr arg zusammen schmelzen ließ. Pünktlich zur neuen Ankunftszeit erreichten wir Lemberg und sofort ging es mit dem Taxi zum Flughafen. Dort checkten wir um 13:48 Uhr ein (der Check-In schloss um 14 Uhr) und zusammen mit einigen russischen Fans an Bord flogen wir mit LOT nach Warschau.
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Bei unserer Ankunft staunten wir nicht schlecht. Massen an russischen Fans warteten vor den Schaltern der Grenzbeamten. Zu unserem Glück sind wir als Deutsche EU-Bürger. Wir durften daher drumherum und waren in fünf Minuten durch die Grenzkontrollen durch. Wir begaben uns mit der S-Bahn in die Innenstadt
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und machten uns auf die Suche nach unserer Mitfahrgelegenheit für die folgenden drei Tage. Ursprünglich wollten wir nur die Fahrt nach dem letzten Deutschland-Spiel von Lemberg nach Posen mitfahren, doch dann stellte sich heraus, dass der Fahrer auch bereits ab Warschau fährt, so dass wir uns für drei Tage ins Auto einbuchten. Wir trafen den Kölner Fahrer und den Begleiter aus Bochum, die sich auch erst an dem Tag für die Fahrt kennengelernt hatten, in einem bayrischen Restaurant. Warum muss man der polnischen Hauptstadt, die eine Vielzahl an kulinarischen Möglichkeiten bietet, ausgerechnet in ein bayrisches Restaurant gehen? Hier fiel unser Fahrer das erste Mal negativ auf, indem er ständig in großkotziger Manier die nette Kellnerin mit dem Namen quer durch das Restaurant rief und sie dann ständig auf Deutsch anquatschte. So macht man sich im Ausland Freunde… Irgendwann war das überstanden und wir deponierten unser Gepäck in seinem Auto, wo wir unseren Blicken nicht ganz trauten. Es stand ein kleiner Viersitzer vor uns und der Kofferraum war eigentlich bereits durch das Gepäck der anderen Beiden voll. Als er dann noch sagte, nach dem Spiel kommt noch ein Fünfter mit, wussten wir nicht mehr, was wir sagen sollten. Das Auto hatte keine Rücksitzbank, sondern nur zwei einzelne Sitze und war somit auch offiziell nur für vier Personen zugelassen. Er meinte, das geht schon. Klar, er musste ja auch nicht hinten sitzen. Aufregen konnten wir uns später immer noch, also erstmal ab ins Stadion.

EM-Vorrunde, Gruppe A am 16.06.2012
Griechenland - Russland 1:0
Nationalstadion Warschau, 55.614 Zuschauer


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Bei diesem Spiel zeigte sich zum wiederholten Mal die kuriose Planung der UEFA. Warum lässt man den Gastgeber Polen das entscheidende Gruppenspiel im deutlich kleineren Stadion in Breslau spielen anstatt im Nationalstadion Warschau. Die gleiche Frage hatten wir uns schon in der Ukraine gestellt, wo die Schweden ihre drei Vorrundenspiele in Kiew austrugen, während der Gastgeber zweimal nach Donezk ausweichen musste. Die Folge waren eine bereits eine Stunde vor Spielbeginn völlig überfüllte Fanzone in der Innenstadt und ein Schwarzmarkt, der seines gleichen sucht. Hunderte Leute standen vor dem Stadion und boten ihre Karten an. Für 10-15 Euro hätte man dabei sein können. Aufgrund der Vorkommnisse beim Spiel Polen-Russland, als der russische Fanmarsch von polnischen Hooligans angegriffen wurde, waren wir auf die allgemeine Lage rund um das Stadion gespannt. Um es vorweg zu nehmen, es blieb alles ruhig. Kein Wunder, wenn alle 10 Meter ein Polizist in Kampfmontur steht. Das Stadion gehört zu den schickeren Neubauten und erinnert recht stark an das Frankfurter Waldstadion und das neue Nationalstadion in Bukarest. Könnte in der Form, genau wie das Olympiastadion in Kiew, durchaus mal Kandidat für ein Europapokalfinale sein. Sportlich war vor dem Spiel alles in dieser Gruppe möglich. Jede Mannschaft hatte noch die Möglichkeit, das Viertelfinale zu erreichen, wodurch eine ziemliche Spannung herrschte. Wobei auch klar war, dass aus jedem der beiden Spiele nur einer weiterkommen kann. Bei unserem Spiel war die Situation klar. Griechenland musste gewinnen, Russland reichte ein Remis. Die Fanlager im Stadion waren klar verteilt. 3.000 Griechen standen 20.000 Russen und 30.000 Polen gegenüber. Die Stimmung war auf allen drei Seiten ganz brauchbar, die Griechen gaben mit ihrem kleinen Block alles und die Russen und Polen überzeugten aufgrund ihrer Masse durch eine immense Lautstärke. Im Spiel selber waren es die Russen, die den Ton angaben. Griechenland stand in der Abwehr und hoffte auf Konter. Und einer dieser Konter führte in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit zur Überraschung aller zum Führungstreffer der Hellenen. In der zweiten Halbzeit rollte Angriff auf Angriff, aber das griechische Bollwerk hielt. Beide Teams hatten nun vier Punkte. Aufgrund des Erfolgs im direkten Vergleich zogen die Griechen trotz des schlechteren Torverhältnisses in die nächste Runde ein. Blieb die Frage nach dem anderen Ergebnis im anderen Spiel. Das endete 1:0 für Tschechien, womit diese Gruppensieger wurden. Wenn mir jemand eine Woche zuvor, als die Russen die Tschechen mit 4:1 souverän aus dem Stadion fegten, erzählt hätte, das Tschechien noch Gruppenerster wird und Russland nach der Vorrunde nach Hause fährt, dem hätte ich einen Vogel gezeigt. Aber wie sagte bereits ein ehemaliger holländischer Fußballtrainer, der mal in Diensten des FCM stand: „Das ist Fußball!“

Im Anschluss an das Spiel begann das Schauspiel Autofahrt. Wir trafen uns am Auto, aber zunächst nur zu viert in der Besatzung von vor dem Spiel. Der fünfte Mitfahrer kam einfach nicht. Wir fragten unseren Fahrer, was sie ausgemacht hätten. Er meinte, der letzte Mann ist mit dem Zug nach Warschau gekommen und er hätte ihm den Treffpunkt per SMS geschrieben. Wir warteten bereits über ein Stunde nach Spielende aber nichts tat sich. Unser Fahrer wollte ihn aber auch nicht anrufen, weil das in Polen ja so teuer sei. Unser Vorschlag, einfach loszufahren, wenn er nicht kommt und sich auch nicht meldet, lehnte der Fahrer ab. Nach einer gewissen Zeit kommunizierten die beiden doch noch per Anruf und siehe da, er war auf der ganz anderen Stadionseite. Weitere 20 Minuten später trudelte er endlich ein und wir machten es uns mehr schlecht als recht in dem Gefährt bequem. An einer Ampel klopfte es auf einmal an unserer Scheibe. Da die Ampel auf grün umsprang, fuhren wir aber weiter. Ein paar Meter weiter standen wir wieder und es klopfte wieder an die Scheibe. Wir öffneten und ein Deutscher fragte uns, ob wir am nächsten Tag nach Lemberg fahren würden. Auf unser Ja! schenkte er uns zwei Karten für das Spiel und wünschte uns viel Spaß. Sehr freundlich. Wir fuhren drei Stunden durch die polnische Nacht bis wir auf halbem Weg unser Hostel in Lublin erreichten.

Der nächste Morgen hielt eine Überraschung für uns bereit. In Form unseres Fahrers. Dieser hatte seine Zahnbürste zu Hause vergessen und putzte sich die Zähne, indem er sich die Zahnpasta kurz auf die Zähne schmierte und sofort ausspülte. Zahnbürsten gibt’s ja auch nicht zu kaufen. Gerade nicht, wenn man sich mehr als einen halben Tag in Warschau aufhält. Den Vogel schoss er ab, als er im Flur vor den Waschbecken seine Morgengymnastik in Form von Liegestützen absolvierte. Man gut, dass ein paar Mädels gerade an den Waschbecken waren und ihm somit zusehen mussten. Toller Held.
Die Fahrt nach Lemberg ging unspektakulär vonstatten. Am Grenzübergang durften wir die extra eingerichtete „EM-Spur“ nutzen und waren so nach nicht mal einer halben Stunde in der Ukraine. Den groben Weg zum Stadion kannten wir bereits aus der Vorwoche, aber anstatt die Ringstraße rund um die Stadt zu nehmen, lotste uns das Navi einmal quer durch die Stadt. Irgendwann hatten wir die Schnauze voll, stellten das Navi ab und fragten uns durch. Die große Hauptstraße, die zum Stadion führt, war aber leider bereits mehr als sechs Stunden vor Spielbeginn gesperrt. Sinn des Ganzen unbekannt! Dank eines halbwegs offiziell aussehenden Ausweises ließ uns ein Wachposten trotzdem passieren und so konnten wir das Gefährt in unmittelbarer Stadionnähe platzieren und mit den Shuttle-Bussen in die Innenstadt fahren. Unser Fahrer traf sich mit ein paar Kameraden, so dass wir zum Glück ein paar Stunden Ruhe vor ihm hatten. Ich versuchte in der Zwischenzeit, meine Kartenproblematik zu klären. Ich hatte im Vorfeld zwei Karten für das Spiel, allerdings für die dänische Seite. Aufgrund der Schwarzmarkterfahrungen aller vorangegangenen Spiele hatte ich die zwei Tickets in Charkow vor dem Holland-Spiel verkauft und wollte mir einfach vor dem Stadion hier dann eine Karte für den deutschen Sektor kaufen. Dann hatten wir ja am Vorabend noch zwei Karten geschenkt bekommen. Die waren allerdings auch für die dänische Seite. Also habe ich die auf dem von deutschen Fans überfüllten Rynak (Marktplatz) in Lemberg auch verkauft. Wenig später begingen wir einen kleinen Fehler. Wir sahen die weiteren Magdeburger in der Gaststätte, in der wir in der Vorwoche kein Essen (bzw. nur noch die restlichen Spieße) mehr bekommen hatten und weil sie gerade bestellt hatten, setzten wir uns zu ihnen und bestellten. Wir hätten ja eigentlich gewarnt sein müssen. Und es kam, was kommen musste. Nach mehr als einer Stunde Wartezeit kam die Kellnerin entschuldigend zu uns und meinte, das Essen sei alle. Erstaunlich. 1. war es dieses Mal noch weit vor dem Spiel und 2. hätten auch die Wirte aus der Vorwoche lernen können. Sie haben wahrscheinlich eh schon das Geschäft ihres Lebens gemacht, aber hätten bei vorausschauender Planung noch weitaus mehr verdienen können. Kurzerhand suchten wir das nächste Lokal auf, wo wir uns für fünf Euro satt essen konnten.
Mit einem guten zeitlichen Puffer fuhren wir zum Stadion, ich brauchte ja noch eine Karte. Doch was war mit dem Schwarzmarkt los? Im Vorfeld der EM wurden die Karten für dieses Spiel im Internet teilweise für 5 Euro angeboten, doch nun gab es nur noch ein überschaubares Angebot. Kategorie 3-Tickets nur äußerst selten vorhanden und wenn dann zu Preisen, die ich nicht zahlen wollte und meistens auch für die dänische Seite. Kategorie 1 und 2 gab es jede Menge, doch deren Preise wollte ich erst recht nicht zahlen. Die Zeit verstrich, ohne dass sich für mich auch nur eine brauchbare Möglichkeit auftat. Eine halbe Stunde vor Spielbeginn landete ich bei einem Händler, der zunächst 80 Euro für die 30 Euro-Kategorie 3-Karte aufrief. Wir verhandelten eine Weile und am Ende zahlte ich zähneknirschend 60 Euro. Das war mir eine Lehre. Ich habe vier Tickets, wenn auch für die falsche Seite im Stadion, aus der Hand gegeben, ohne dass ich ein neues Ticket hatte. Also der Tipp an alle Leser: gebt in einem solchen Fall Euer letztes Ticket erst aus der Hand, wenn Ihr bereits ein neues habt.

EM-Vorrunde, Gruppe B am 17.06.2012
Deutschland - Dänemark 2:1
Arena Lviv, 32.990 Zuschauer


Im Stadion bestätigte sich, was sich auf dem Schwarzmarkt angedeutet hatte. Zum Einen ausverkauft und zum anderen waren noch mehr Deutsche als eine Woche zuvor da. Wir würden auf schätzungsweise 18.000 gehen, denen etwa 5.000 Dänen gegenüberstanden.
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Die sportliche Konstellation sah eigentlich einfach aus. Eigentlich! Deutschland mit 6 Punkten vorn. Portugal und Dänemark jeweils 3 und Holland Tabellenletzter mit 0 Punkten. Hieß aber, jede Mannschaft konnte noch das Viertelfinale erreichen und jede Mannschaft konnte auch noch in der Vorrunde ausscheiden. Der Kicker veröffentlichte eine Tabelle mit allen möglichen Spielergebnissen und deren Folgen. Wir hofften darauf, dass die deutsche Mannschaft nicht nur das Viertelfinale erreichen sollte, sondern auch Gruppenerster wird. In diesem Fall würden das Viertelfinale in Danzig und das Halbfinale in Warschau stattfinden. Als Gruppenzweiter das Viertelfinale in Warschau und vor allem das Halbfinale in Donezk erneut auf dem Landweg zu bewältigen, wäre ein kleiner Horror. Und so durchlebten wir mehrfach ein kleines Wechselbad der Gefühle. Deutschland führte zunächst 1:0 und alles war schön. Doch dann schossen die Dänen den Ausgleich und da zeitgleich Portugal gegen Holland führte, hätten ein weiteres Tor von Dänemark und Portugal gereicht, dass Deutschland ausscheidet. Und die Dänen waren zum Teil sehr knapp dran. Kam zum Glück nicht so, ein Konter wurde mustergültig zum 2:1 abgeschlossen und Deutschland zog als Gruppenerster in die KO-Runde ein. Die deutschen Fans feierten den Erfolg, wenngleich die Stimmung eine Woche zuvor noch einen Tick besser war.
Frohgelaunt starteten wir mit ein paar Bier im Gepäck den Rückweg zu unserer Unterkunft nach Lublin, nicht ahnend, dass eine kleine Odyssee auf uns wartete. Um nicht wieder durch die Stadt irren zu müssen, wollten wir die beschriebene Ringstraße nutzen und ein paar Kilometer mehr in Kauf nehmen. Das funktionierte prima, bis das Navi unseres Fahrers plötzlich meinte, wir sollen rechts abbiegen. Er folgte der Anweisung obwohl dies nicht unserem Plan entsprach und fuhr drauf los. Bereits nach ein paar hundert Metern war die asphaltierte Straße nicht mehr vorhanden und wir fuhren über eine bessere Schotterpiste, die mit Schlaglöchern und Bodenwellen übersät war, so dass schon mit einem normalen Auto keine normale Fahrt möglich gewesen. Nur hatten wir dieses kleine 4-Mann-Gefährt, das tiefer gelegt und mit fünf Personen beladen war. Wir bewegten uns fortan mit einer Maximalgeschwindigkeit von 15-20 km/h. Aber das Navi zeigte zum Glück „in 5 km rechts abbiegen“ an, so dass wir das in der Hoffnung auf eine anschließend asphaltierte Straße in Kauf nahmen. Doch nix da. Nach dem Abbiegen das gleiche Schauspiel, in 7 km. Das ganze wiederholte sich noch einige Male und jedes Mal hatten wir die Hoffnung, dass es nach der nächsten Abbiegung besser wird. Zwischendurch kamen wir, es war mittlerweile zwei Uhr morgens in der Nacht von Sonntag auf Montag, durch kleine Dörfer, die wir auch nur mir teilweise Schrittgeschwindigkeit durchfahren konnten. In einem der Dörfer war auf dem örtlichen Marktplatz eine Jugendgang versammelt. Die werden sich bei dem Anblick eines voll beladenen deutschen KfZ auch gedacht, was wir hier machen. Kurz nach dem nächsten Ort, etwa 200 Meter nach dem Ortsausgangsschild, mussten wir aufgrund einer größeren Bodenwelle mal wieder aussteigen, als aus einem der letzten Häuser eine andere Jugendgang kam und ziemlich komisch in unsere Richtung schaute. Wir sahen zu, dass wir vom Acker kamen und fuhren „schnell“ weiter. Kurze Zeit später schauten uns in einem Waldstück vom Wegesrand vier Augen an. Bei genauerem Hinsehen entpuppten sich diese als die Augenpaare von zwei Wölfen. Nun gut, wir waren halt im Niemandsland irgendwo in der Ukraine. Um die Geschichte kurz zu machen: In immerhin zwei Stunden hatten wir 30 km Landstraße geschafft und fuhren endlich wieder auf der großen Hauptstraße, die wir eh angepeilt hatten. Und das nur, weil wir dem Navi gefolgt sind. Dabei kann man dem Navi nicht mal einen Vorwurf machen. Es hatte die Straße als normale Landstraße mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h drin. Und weil wir so 20 km sparten, führte uns das Navi über diese Route. Und was lernen wir daraus? In Osteuropa wird zukünftig nur noch über die großen Hauptstraßen gefahren. Mit zweieinhalbstündiger Verspätung erreichten wir gegen halb sechs morgens das Hostel, um extrem müde ins Bett zu fallen.
Zeit zum Ausschlafen blieb uns leider nicht. Um das Abendspiel in Posen zu erreichen, lagen knapp 500 km oder 7 Stunden Fahrt vor uns. Wir wählten die Route über Warschau, da die Autobahn mittlerweile fertig ist und die anderen von der Hinfahrt diese Strecke bereits kannten. Doch es kam, was kommen musste. Unser Fahrer vertraute lieber seinem Navi als der Ausschilderung zu folgen. Warum auch? Das Kartenmaterial des Navi war über ein Jahr alt und die Autobahn erst einen Monat vorher fertiggestellt worden. Und so fanden wir die Autobahn nicht und fuhren durch die Dörfer rund um Warschau. Plötzlich überquerten wir die Autobahn, doch leider war da keine Auffahrt, also weiter Landstraße. Etwa 50 km hinter Warschau, wir hatten mittlerweile wieder fast zwei Stunden verloren, entdeckten wir ein verstecktes Hinweisschild zur Autobahn und wir konnten die restlichen Stunden problemlos vor uns hinrollen. Das Auto wurde in fast direkter Stadionnähe geparkt, die anderen konnten sich trotz des Ansturms der Iren preisgünstige Tickets sichern und nach einer leckeren Kielbasa erklomm ich den sechsten Stock der Haupttribüne, was dem dritten Rang entspricht.

EM-Vorrunde, Gruppe C am 18.06.2012
Italien – Irland 2:0
Stadion Miejski, 38.794 Zuschauer


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Für das Spiel war ich froh, im Vorfeld überhaupt eine Karte zu bekommen. Es war eine Karte der Kategorie 1 zum Originalpreis inkl. UEFA-Resale-Gebühr von 120 Euro. Kategorie 1 bedeutete bei dem diesem Turnier alles auf einer der beiden Geraden (Kategorie 2 im Übrigen Hintertor Oberrang und Kategorie 3 Hintertor Unterrang). Ich erwischte natürlich den letzten Block auf Höhe des Fünf-Meter-Raums und dachte mir, eigentlich hätten sie die Tickets als sichtbehindert verkaufen müssen, versperrten doch zwei Fernsehkameras meinen Blick auf ein Viertel des Spielfelds. Und dann waren da noch die Iren. Insgesamt etwa 25.000 an der Zahl und egal, wo sie im Stadion ihren Platz hatten, sie standen das ganze Spiel. Und egal, wo sie im Stadion waren, es sang fast jeder mit. Ein ziemlich geiler Haufen. Schmunzeln musste ich, als die Iren begannen, eingehakt mit dem Rücken zum Spielfeld zu hüpfen, wo nahezu alle der 25.000 mitmachten. „Do the Poznan“ kehrte an seinen Ursprung zurück.
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Ein weiterer Schmunzler lief mir über die Lippen, als sie den Trainer des Magdeburger Europapokalfinalisten und somit ihren derzeitigen Nationaltrainer besangen „Oh, Trappatoni! He used to be Italian but he’s Irish now!“ Ganz im Gegensatz dazu die etwa 2.000 Italiener, die ich akustisch überhaupt nicht vernahm. Das Sportliche ist schnell erzählt. Italien der hohe Favorit, Irland nach zwei Niederlagen bereits ausgeschieden. Das äußerte sich auch auf dem Rasen, die Italiener gewannen relativ locker mit 2:0, was der Stimmung der Iren aber zum Glück keinen Abbruch tat.
Mit dem Schlusspfiff marschierten wir zügig zum Auto, kündigte sich in der Ferne doch ein Gewitter an. Und wir saßen keine fünf Minuten im Auto, da begann der Regenguss. Drei Stunden später waren wir in Berlin, wo uns unser Fahrer am Ostbahnhof absetzte und wir uns auf Nimmerwiedersehen von ihm verabschiedeten. Unser Plan, mit der S-Bahn zum Hauptbahnhof zu fahren und dort auf den ersten Zug in Richtung Heimat zu warten, ging nicht auf, da nachts keine S-Bahnen in Berlin fahren. Zum Glück gibt es im Ostbahnhof einen Dönerladen, der rund um die Uhr offen hat. Mit einem Döner und zwei Bier wurde die Wartezeit bis kurz vor um fünf gut überbrückt, ehe wir auf den letzten Kilometern friedlich schlafen konnten und eine erlebnisreiche Vorrunde der EM zu Ende ging.
 
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Erfahrenes Mitglied
22.07.2009
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Nach zwei Tagen auf einem Seminar in Potsdam ging das Unternehmen Europameisterschaft weiter. Mit einer 7er-Besatzung im Auto wurde der Weg zum Viertelfinale nach Danzig in Angriff genommen. Selbstverständlich wurden wir an der Grenze wieder raus gewunken und einer Personenkontrolle unterzogen. Ohne Probleme konnten wir weiterfahren und erreichten gegen 12 Uhr Danzig, wo wir als erstes zur Ausgabe-Stelle der deutschen Tickets fuhren. Fünf Minuten Wartezeit und schon hatten die anderen sechs ihre Tickets in der Hand. Das hatten wir schlimmer befürchtet. Das Auto parkten wir am Stadion, wo ich am Ticket-Point mein sichtbehindertes Ticket der Kategorie 2 abholte, welches wenigstens für die deutsche Seite war. Den restlichen Tag verbrachten wir in der mit deutschen Fans überfüllten aber sehr schön anzusehenden Innenstadt, wo sich die Schwarzmarktpreise für Kategorie 3-Tickets (Originalpreis 35 Euro) bei 80 Euro aufwärts bewegten.
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EM-Viertelfinale am 22.06.2012
Deutschland – Griechenland 4:2
Arena Gdansk, 38.751 Zuschauer


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Mit meinem sichtbehinderten Ticket der Kategorie 2 (sichtbehindert bedeutete in diesem Fall Reihe 1 im Oberrang und somit bei angelehntem Sitzen die Geländerstange in Augenhöhe) machte ich mir keine Sorgen, mich zu den anderen mit ihren Kategorie 3-Tickets zu gesellen. Bislang war es in allen Stadien ohne Probleme möglich zwischen den einzelnen Bereichen sowie Ober- und Unterrang nahezu beliebig hin und her zu wechseln. Doch in Danzig sah das anders aus. Nicht nur, dass zwischen den Hintertortribünen und den Geraden aufgrund von Trennwänden kein Durchgang möglich war, gab es aus dem Oberrang keine Möglichkeit, den Unterrang zu erreichen. Kurz überlegt und schon war das Problem gelöst. Am oberen Ende des Unterrangs, wo ich mich aufhielt war zwar eine Trennwand, allerdings konnte man da problemlos verschiedene Dinge hin- und herreichen. Auf einmal hatte ich ein Unterrang-Ticket in der Hand, stellte mich beim Ordner auf doof und schon war ich bei den anderen. Im Vorfeld hatten wir noch überlegt, wie viele Deutsche wohl in Danzig sein würden. Nach den Spielen in der Ukraine mit bis zu 18.000 Fans spekulierte der DFB mit mindestens 25.000. Das sah im Stadion aber ganz anders. Auf dem Schwarzmarkt wurden genügend Tickets angeboten, aber wenn die Polen keinen Käufer fanden, gingen sie halt selbst ins Stadion und schauten sich das Spiel an. So waren es vielleicht um die 8.000 deutschen Fans, eben nur das offizielle Kontingent des DFB. Dazu kamen vereinzelte Fans auf den anderen Tribünen. Griechen waren etwa 3.000 vor Ort, wobei der Großteil sicherlich in Deutschland wohnende gewesen sein dürfte. Der Rest im Stadion bestand aus Polen, die auch desöfteren in beeindruckender Lautstärke ihr Nationalteam hochleben ließen und ansonsten fast ausnahmslos auf der Seite der Griechen stand. Im deutschen Block wurde derweil fleißig mit Euroscheinen gewedelt und ein Ordner versuchte sich daran, die Treppe frei zu räumen. Ihm gelang es in einer halben Stunde immerhin zwei Leute auf ihre normalen Plätze zu bewegen, dann gab er entnervt auf. Die Stimmung auf der deutschen Seite war ziemlich mau. Kein Vergleich zu den Spielen in der Ukraine. Man merkte schon, dass nur Leute mit einem echten Interesse die Reisestrapazen in die Ukraine auf sich genommen hatten und nun viel mehr vor Ort waren, weil es scheinbar einigermaßen in der Nähe lag. Da konnten auch die vier deutschen Tore nicht viel ändern, die die Stimmung nur kurzzeitig ansteigen ließ. Mit dem sicheren Halbfinaleinzug machten wir uns aufgrund unseres guten Parkplatzes nach kurzer Zeit wieder auf den Heimweg. Unser Fahrer absolvierte die siebenstündige Fahrt wie schon auf der Anreise ganz allein, dass er mittlerweile über 24 Stunden wach war, schien ihm scheinbar nichts auszumachen, und so hatten wir morgens um sieben wieder Magdeburger Boden unter den Füßen.

Die Anreise zum EM-Finale nach Kiew stellte uns vor ein kleines logistisches Problem. Aber wir waren acht Magdeburger, die für den Fall eines deutschen Finaleinzugs Tickets hatten.
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Dementsprechend war unser ursprünglicher Plan, dass wir uns einen Kleinbus mieten und mit diesem nach Kiew und zurück fahren. Leider gibt es keine Mietwagenfirma, bei der es möglich ist, mit einem in Deutschland gemieteten Fahrzeug in die Ukraine einzureisen. Bis ich zwei Monate vor der EM einen Hinweis im Internet fand, dass es einen Anbieter gibt, der einen speziellen Osteuropatarif anbietet. Dieser kostet zwar mehr, aber unser Problem war gelöst. Nicht ganz, denn bereits eine geraume Zeit vor der EM waren alle Kleinbusse für den Finalwochenende in Deutschland bereits ausgebucht. Kein Problem, mieten wir halt zwei normale PKW über den Osteuropa-Tarif und starten mit diesen. Doch dann spielte uns der Anbieter einen Streich, in dem der Osteuropa-Tarif fünf Wochen vor dem Beginn der EM aus dem Programm genommen wurde. Jeder kann sich denken, warum. Die Idee, die Strecke Lemberg-Kiew-Lemberg wie bereits bekannt mit dem Zug zurücklegen zu wollen, musste ebenfalls verworfen werden. Warum? Ganz einfach: für die Nacht nach dem Finale gab es keine Zugverbindungen von Kiew nach Lemberg. Der nächste Zug wäre erst am nächsten Tag gegen 18 Uhr gefahren.
Nun war guter Rat teuer. Vor allem vor dem Hintergrund, dass von den acht Finalfahrern nur zwei zum Halbfinale wollten, was wie bereits beschrieben in Warschau oder Donezk steigen konnte. Nachdem endlich feststand, dass das deutsche Halbfinale in Warschau stattfinden würde, einigten wir uns auf folgenden Plan. Wir zwei Halbfinalfahrer fahren mit meinem Chef und seinem Sohn zum Spiel nach Warschau. Da eine Rückreise nach Deutschland und anschließende Neuanreise nicht wirklich sinnvoll wäre, wollten wir mit dem Zug nach Lemberg fahren. Die anderen sechs mieteten sich derweil zwei Mietwagen in Deutschland, mit denen am Vortag des Finals die Fahrt bis Przemysl angetreten werden sollte. Anschließend wie bereits in der Vorrunde Grenzübertritt, wo wir beiden Halbfinalfahrer die Meute mit zwei in der Ukraine gemieteten Mietwagen abholen wollten. Übernachtung in der Nähe von Lemberg und Fahrt nach Kiew. Nach dem Finale Rückfahrt mit den Wagen bis Lemberg die Nacht durch, mit dem Minibus bis zur Grenze und von dort zurück nach Deutschland. Aufgrund der geringen Wahrscheinlichkeit, dass Deutschland das Finale doch nicht erreichen könnte, mussten natürlich alle Tarife stornierbar sein.
Und so starteten wir am Halbfinaltag morgens um vier mit der bereits geschilderten Autobesatzung. Mein Chef, der mir pünktlich zur Reise noch das Du angeboten hatte, hatte einen Mietwagen organisiert und nach einem Fahrerwechsel und acht Stunden Fahrt erreichten wir gegen Mittag Warschau. Wir parkten verkehrsgünstig zwischen Stadion und Innenstadt und begaben uns als Erstes zur deutschen Ticketausgabestelle. Das war ein besserer Baucontainer, wo die Mitarbeiter zwar ihr bestes gaben, wir aber trotzdem über eine Stunde bei bester Mittagshitze in der Sonne warten mussten. Mit den Tickets in den Händen, ich hatte mir über ein Tauschplattform im Internet ein Ticket gesichert, die Abholung per Vollmacht stellte gar kein Problem dar, schlenderten wir in Richtung Innenstadt, die wie schon in Danzig von deutschen Fans sehr gut bevölkert war.
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Wir genehmigten uns auf dem Marktplatz eine leckere Kielbasa und anschließend mehrere Eis, ehe wir zum Stadion zogen. Vor dem Stadion erlebten wir das gewohnte Schauspiel. Jede Menge Schwarzmarkthändler und direkt neben ihnen ihre Kollegen mit den „Suche Tickets“-Schildern. Dazu gesellten sich sehr viele private Verkäufer aus Polen, die zum Teil Mondpreise forderten. Und wenn sie ihre Tickets nicht los geworden sind, gingen sie eben wieder selber ins Stadion.

EM-Halbfinale am 28.06.2012
Deutschland – Italien 0:2
Nationalstadion Warschau, 55.540 Zuschauer


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Und so kam es wie in Danzig, dass keineswegs die prognostizierten 25.000 bis 30.000 Deutschen im Stadion waren, sondern um die 10.000, das deutsche Kontingent. Die Polen schlugen sich wiederum auf die Seite des Gegners, der von 4.000 Italienern unterstützt wurde. Als wir die Aufstellung das erste Mal sahen, wurde uns schon etwas mulmig. Jogi ist ja bekannt für Rotationen, aber was er an diesem Tag aufbot, hinterließ sofort einen schlechten Eindruck. Die in den letzten Spielen guten Leute wie Müller, Klose und allen voran Marco Reus mussten zunächst draußen bleiben und stattdessen spielten Kroos, Podolski und Gomez. Und dann kam auch noch Pech dazu. Nach zehn Minuten kann es 2:0 für Deutschland stehen, aber irgendwie kam es jedes Mal ein italienisches Bein dazwischen. Und dann schlug Balotelli zu und nutzte zwei grobe deutsche Abwehrschnitzer gnadenlos aus und schoss die Italiener mit 2:0 in Führung. Die gegenüber Danzig verbesserte aber trotzdem noch nicht tolle deutsche Stimmung sank minütlich ab. In der Halbzeit folgten die überfälligen Wechsel. Vor allem die Einwechslung von Reus machte sich bezahlt, Deutschland baute mehr und mehr Druck auf. Die großen zwingenden Torchancen blieben jedoch aus. Das deutsche Publikum merkte das und kam stimmungsmäßig annähernd auf „Ukraine-Niveau“. Leider reichte es nicht mehr für die Wende. Der verwandelte Handelfmeter von Özil in der Nachspielzeit war zu wenig. Statt nach dem Spiel direkt weiter den beschriebenen Weg nach Kiew zu nehmen, stiegen wir wieder ins Auto in Richtung Deutschland ein. Im Gegensatz zur Fahrt durch Warschau 10 Tage zuvor fanden wir auch direkt den Weg auf die Autobahn nach Deutschland und 27 Stunden nach der Abfahrt waren wir morgens um 7 Uhr wieder zu Hause, wo die restlichen Mietwagen und Unterkünfte storniert wurden und der Schlaf der letzten beiden Nächte nachgeholt wurde. Das Abenteuer Europameisterschaft endete für uns somit leider viel zu früh.
 

crane04

Erfahrenes Mitglied
25.12.2011
1.322
312
FRA
Vielen Dank für den ausführlichen Bericht, jedoch werde ich nie verstehen wieso man sich freiwillig Spiele der Nationamanschaft anguckt.
 

AroundTheWorld

Erfahrene Nachgeburt
08.09.2009
3.958
110
Beim Spiel gegen Italien war ich auch (wurde von einigen Freunden und Bekannten auf den Großbildschirmen und im Fernsehen gesichtet, aus irgendeinem Grund war die Kamera lange auf mir drauf...). Was für ein Mist...
 

xfaktor

Erfahrenes Mitglied
18.05.2009
1.079
25
Danke für den tollen Reisebericht der Europameisterschaft. :)

Du beschreibst für weniger Fußballinteressierte sehr treffend das Abenteuer und die Faszination von Auswärtstouren! (y)
 

markusr

Erfahrenes Mitglied
28.09.2011
939
38
Ein herrlicher Bericht und ein wunderschönes Weihnachtsgeschenk fürs Forum! Danke vielmals!(y)
 
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Reaktionen: mueller

Suarez

Gesperrt
09.11.2012
205
0
YVR|HAM
Auch von mir ein herzliches Dankeschön, ein wirklich toller Bericht. :)
Schade, daß ich nicht dabei sein konnte, aber 2014 gehört mir !
 

mm_aa_ii_kk

Erfahrenes Mitglied
22.07.2009
321
4
Danke für Eure unterstützenden Beiträge. Auch wenn nur ein Flug dabei war, der so gut wie gar nicht beschrieben wird, dachte ich mir, dass die erlebten Dinge für einige interessant sein dürften. ;)

Die nächsten größeren Fußball-Touren, die geplant sind, sind das Auswärtsspiel mit Deutschland auf den Färöern im September in Kombination mit Island und natürlich die WM 2014.
 

Sawyer

Erfahrenes Mitglied
16.02.2010
1.293
62
Staker Bericht! Auch von mir ein großes Dankeschön!
Geht es nächstes Jahr nach Brasilien?
 

MacGyver

Kartoffelsalat-Connaisseur
12.02.2010
975
159
BER
www.the-mileonaire.com
Sehr geiler Bericht - ich war auch in Lviv damals beim Spiel gegen Portugal. Wir sind allerdings nach Krakau geflogen (1 Übernachung) und dann mit einer Mitfahrgelegenheit nach Lviv geheizt - inklusive Auspuff, der vom uralten Renault Twingo irgendwo in Ostpolen einfach abgefallen ist :D
 

grayh

Reguläres Mitglied
12.08.2011
90
25
Ich bin jeweils mit dem Auto die Strecke Köln - Danzig (VF gegen Griechenland) und Köln - Warschau (HF gegen Italien) gefahren. Die polnischen Autobahnen, die extra neu gebaut worden sind, sind wirklich fantastisch (wenn man mal davon absieht, dass weit und breit keine Tankstellen sind, da bin ich aus Deutschland anderes gewöhnt). Die Karten habe ich dann jeweils auf dem Schwarzmarkt vorm Stadion gekauft. Leider bleibt Warschau auf Grund der taktischen Fehlleistung unseres Trainers dann insgesamt doch eher negativ in Erinnerung. Danzig hingegen war klasse, die Stadt ist sowieso wunderschön.