polemischer Tripreport - shit happens

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concordeuser

Erfahrenes Mitglied
01.11.2011
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Hamburg
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Sitze gerade für die nächsten Stunden in der schwedischen Eisenbahn auf der langen Rückfahrt nach Hamburg. Auch unabhängig vom Streik meide ich 4u - wo ich nur kann -- not4me

Da meine Reise sehr verunglückt verlief, folgen hier einige polemische Reiseeindrücke. Shit happens:mad: gilt nicht für für Flüge sondern auch für die von mir manchmal hochgelobte Bahn

An sich hatte ich in Norrkoping in der schwedischen Provinz ein kurzes Meeting.

Da ich viel gearbeitet hatte war es mal wieder Zeit für Tapetenwechsel und ich habe einige Tage rumbummeln im schwedischen Norden drangehängt, zumindest hatte ich das vor, gebucht und bezahlt.

Nun der Leser ahnt - es kam anders, ganz anders .....


Wer Lust hat, mag ein paar Textbrocken mitlesen

WARNUNG Da die Realität nicht politisch korrekt ist bin ich es auch nicht (Zitat Robert de Niro)

Ich finde es wichtiger, sich für bessere Lebensbedingungen von Farbigen einzusetzen als über das Wort "Neger" zu streiten
 
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gabenga

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16.11.2010
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Na dann werf uns doch bitte mal ein paar Brocken vor die Füße. Die Einleitung hat doch ein gewisses Interesse geweckt.
 
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concordeuser

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01.11.2011
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Hamburg
so jetzt sitze ich im X2000 der SJ southbound und werde, so Mehdorns Erben es zulassen, heute Abend um 21:00 zu Hause in Hamburg sein

Wie angekündigt wollte ich vor meinem Meeting einige Tage in den schwedischen Norden verbringen: Blaue Seen, grüne Wälder und blonde Frauen - vor allem mag ich von Zeit zu Zeit das Gefühl unterwegs zu sein und mir Land und Leute anzusehen. Besonders gern in Skandinavien. Ein Land, in dem Frauen Mette oder Pernille heißen und es Worte wie Humlegatan gibt kann nicht wirklich schlecht sein.


Anfang 20 im Sommer 1970 war ich mit Interrail im Norden unterwegs und hatte immer vor, dies noch einmal zu machen

Aus meinen Erinnerungen

Noch im ersten Semester zog ich von zu Hause aus und lebte in wechselnden Wohngemeinschaften. Längst galten WGs nicht mehr als Brutstätten der Revolution, sondern waren eine alltägliche Lebensform, die Jugendlichen ein Leben ohne elterliche Kontrolle ermöglichten. Die sexuelle Erfahrung steigt im Quadrat zur Entfernung vom Elternhaus. Anfangs unterstützten meine Eltern mich großzügig mit Geld. Nach einigen Semestern konnte ich dann mehrere gut bezahlte Jobs erbeuten und verfügte über ein höheres Einkommen als der Großteil der arbeitenden Bevölkerung.

Von dem Geld der Post gönnte ich mir Ende des ers- ten Semesters zwei Monate Urlaub und fuhr mit einem In- terrailticket durch Europa. Für wenig Geld bot die Bahn unbegrenzte Fahrten vom Nordkap bis Griechenland. Hun- derttausend Jugendliche sollen in diesem Sommer in Zügen unterwegs gewesen sein. Interrail hat mehr zum Zusammenwachsen Europas beigetragen als die Bürokratie der EU. Im ersten Monat reiste ich mit zwei Schulfreunden, anschließend allein. Zuerst fuhren wir auf dem Landweg nach Helsinki, dann langsam zurück, wobei wir jeweils einige Tage in kleineren Orten verbrachten. Auch sahen wir uns Stockholm und Kopenhagen an. Später ging es nach Holland, Belgien und Frankreich. In der letzten Woche zog es mich gen Süden zu meinem Schulfreund Mirko, in seine Heimatstadt Belgrad. Jedes Land führte Grenzkontrollen durch und benutzte eigene Währungen. Das Gefühl unterwegs zu sein war großartig. Tagsüber habe ich mir Menschen und Städte angeguckt, nachts meist in Zügen geschlafen.

In Amsterdam verbrachte ich meine erste Nacht im Vondelpark. Dann zog ich ins „Sleep In“ in der Rozengracht, einem riesigen Haus für Jugendliche. Dort lernte ich ein Mädchen aus Belgien kennen. Einige Jahre später sollte ich ihr Trauzeuge werden. Dann beeindruckte mich Paris. In Saint-Germain-des-Prés blieb ich länger. Die Vergangenheit meines Vaters als Besatzungssoldat war verdrängt. Anfang September kam ich nach Hamburg zurück und stürzte mich erneut ins Studium.

Wir waren die Kinder unserer Zeit. Mädchen gab es nun überall, dazu tagelange Diskussionen und viele Nächte ohne Schlaf. Oft fuhr ich mit Freunden an Wochenenden zu Konzerten und Folklore-Festivals, um Musik zu hören und mich zu betrinken. In den ersten zwei Semestern lebte ich mit Klaus und Jens in einer wilden Wohngemeinschaft am Stadtrand. Unser Lebensstil galt als Avantgarde. Trotz des süßen Lebens ging ich täglich zu meinen Lehrveranstaltungen und verspürte große Neugierde auf Lernen und Wissen.
 
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concordeuser

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01.11.2011
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Da ich keinen wirklich passenden Flug von HAM nach ARN gefunden hatte (also bezahlbar und ohne umsteigen in CPH, RIX oder OSL und nicht die streikbedrohte German Wings) buchte ich die Bahn am Freitag dem 4.9.2015 von Hamburg nach Kopenhagen mit dem ICE um 9:28, dort umsteigen in den X2000 und abends um 2030 dann in Uppsala sein, wo ich abends um 20:30 ankommen sollte.
Mag sich nach einer langen Fahrt anhören, aber von Tür zu Tür hätte es auch nur 3-4 Stunden weniger gedauert.

Ausserdem hatte ich viel zu arbeiten und ein Tag in der 1. Klasse mit breiten Sitzen, Internet, Tisch und Strom empfinde ich als angenehme, fast wie im Office. UND bezahlt hatte ich mit meiner Bahncard 89 Euro.

Von Upsala wolle ich dann am nächsten Morgen mit dem Artic Circle Train nach Norden, dort rumfahren und am Montag von Umea nach ARN zurückfliegen. Dann hätte ich Dienstag mein Meeting und wäre Mittwoch wieder in Hamburg
 
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concordeuser

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01.11.2011
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Ich freute mich auf die Tour. Doch am Freitag morgen - noch unter der Dusche - kam die sogenannte Verspätungsbenachrichtigung der Bahn. Mein ICE fällt aus.
Im Unterbewusstsein wohl schon ahnend, dass Mehdorns Erben nun ganz großen Kino entfalten würden zoomte ich aus der Dusche mit einem Taxi um Hbf zu einem Ort der sich Service Point nennt, in der Hoffnung meine eng getaktete Reise retten zu können. Hätte ich gefragt, hätte ich wohl festgestellt, dass dieses Schalter-Genie das Wort noch nie gehörte hatte. Vor dem Bahnhof würden Busse kommen, die uns nach Dänemark bringen würden. Wie und wann wisse er auch nicht. Nein die Sitzservierungen für die Anschlusszüge könne er auch nicht ändern. Anstatt auf meine innere Stimme zu hören, einen Flug zu buchen und das Ganze dann einem Anwalt zu geben, ging ich zum DB Ticketschalter Fööörst. Das Mädel war freundlich aber inkompetent. Erst einmal schrie sie zu den Nachbarschalter: Fällt Kopenhagen wirklich aus? Sitze buchen konnte sie nicht und mit Kostenerstattung war sie auch nicht vertraut. Dann schickte sie mich zum Info Schalter (ich verwende nur die Original Bahn Terminologie).

Dort gab es zwar keine wirklichen Antworten, aber die Busse würden jetzt ab Lübeck fahren. Ich solle schnell !!!! zum Regionalzug laufen. Nun sah es nach einem der großen Tag in meinem Leben aus. Ich schaffte den Kartoffel-Zutzel Express nach Lübeck und sass leider bei einer Gruppe Jung-Jurastudentin auf Tagesausflug deren dummes Gescwhätz eine Beleidigung für intelligentes Leben war. Schleimig: wenn die Mädels gekonnte hätten, hätten sie dem Dozent sicherlich einen BJ für die Karriere gegeben.

Dann kam die BA - die Bahn-Attendend - oder wie immer die politisch korrekte Form einer weiblichen Schaffnerin lauten mag (Schaffnerette?)
 
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concordeuser

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01.11.2011
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Sie wusste nixx von Bussen, fragte aber ihre Einsatzzentrale. Die wussten auch nixxx

In Lübeck hieß es um 10: 50 sollten drei Busse kommen, die uns nach Nyköbing auf Falster bringen würden, von dort gäbe es Bahnverbindungen
Nixx mit Fööörst Komfort und arbeiten. Dann stieß mich ein Tölpel so unglücklich an, dass er mir seine Latte to go in den Ärmel meiner teuren Jacke goss. Spätestens jetzt hätte ich meiner inneren Stimme folgenden sollen und die Reise abbrechen, aber ich verpasste den point of o return

Es versammeln sich ein Haufen Leute und 10:50 kam und verging. Nixx Bus. Dafür erschien eine Bahnhosteß im Hosenanzug mit einem roten Kappi, offensichtlich um das ganze zu organisieren. Da erst einmal keine Busse kamen und sie auch nixxx zielführendes wusste, verschwand sie entnervt wieder (Vielflieger kennen so etwas von Flugausfällen bei German Wing, siehe den aktuellen thread über Ausfälle in DUS.)

Dann kamen doch noch drei Busse, die vollgestopft wurden. Die Fahrer waren offenbar Komiker, die dreimal erklärten sie würden an der Fahrt nixxx verdienen. Mittlerweile ging es auf 12 Uhr zu, aber es ging nun los

Jetzt wird es Zeit einen Blick auf die Reisenden zu werfen.
 
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concordeuser

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01.11.2011
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Hamburg
Der vielreisende Norddeutsche weiss, dass die Bahnverbindungen nach Dänemark (Flensburg- Aarhus und Fehman-Rodby) hauptsächlich dem Drogenschmuggel, dem Menschenhandel und der illegalen Einwanderung nach Skandinavien dienen. Dazu der Touristenverkehr. Fast jede Mal entfernt der deutsche und auch dänische Grenzschutz einige Reise aus dem Zug und häufiger finden auch die Drogenhunde etwas..

Auch diesmal waren einige unterwegs, denen ich nicht im Dunkeln begegnen möchte, offenbar auch Albaner. Darauf reagiere ich immer ganz sensibel, seitdem ich aus meinem Amt als ehrenamtlicher Richter weiß, dass die Hamburger Polizei vor albanischen Klans schon lange kapituliert hat.

Glücklicherweise kommt Claudia Roth nicht vorbei, um mir das Leben zu erklären und mich für politische Unkorrektheit mit ihrer Gegenwart zu bestrafen

Als wir die Grenze auf Fehmarn erreichen, gibt es eine neue Verzögerung, unserer Busfahrer muss sich anstellen und ein Ticket fürt die Fähere kaufen. Dafür bleiben uns Grenzkontrollen erspart. Da werden sich einige aber gefreut haben!!!

Wahrscheinlich wäre der Bus dann gestoppt worden
 
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concordeuser

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01.11.2011
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Hamburg
Kurz nach vierzehn Uhr erreichen wir den Bahnhof von Nyköbing auf der Insel Falster. Einzeln Reisende sind offenbar verloren gegangen, auf der Fähre oder schon vorher beim Toilettengang. Service und Organisation ist nicht das Tagesmotto

Der nächste Zug nach Kopenhagen geht kurz vor drei. Nun ahne ich endgültig, dass es spannend wird, ob ich Uppsala heute Abend noch erreichen werde.

In einem völlig überfüllten Regionalzug der Dänen erreichen wir kurz nach 16 Uhr Kopenhagen Central. Der nächste Express nach Stockholm geht um 16:36, den könnte ich lässig erreichen. Allerdings ohne die notwendige Reservierung traue ich mich an einem Freitag nachmittag nicht in den Zug. Also zum Schalter . Dort muss ich eine Nummer ziehen und solange warten, bis mein Zug abgefahren ist. Der nächste geht 2 Stunden später. Also werde ich auf den Express um 18:36 gebucht, der kurz vor Mitternacht Stockholm erreichen wird. Happy days are here again.
 
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Mr. Hard

Spaßbremse
23.02.2010
10.803
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Lieber Mitforist concorduser

Immer wieder begeistert mich Deine Art zu schreiben. Solltest Du deine Erlebnisse, wie an anderer Stelle angedeutet, bereits in Bücher gefasst haben oder fassen, ich wäre dir dankbar wenn du mir die Bezugsquelle nennen würdest.
Bis dahin freue ich mich auf eine Fortsetzung dieser Geschichte.
 

concordeuser

Erfahrenes Mitglied
01.11.2011
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Hamburg
Danke Mr Hard näheres per PM demnächst

düse jetzt mit 200 KMH Richtung Hässleholm und schreibe weiter - ist gut für den Frust dieser Reise
 
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concordeuser

Erfahrenes Mitglied
01.11.2011
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Hamburg
Nach fast 8 Stunden unterwegs habe ich nun Hunger. Mir fällt der Inder im Bahnhof auf und dort hole ich mir etwas vegetarisches. Anders als bei dem guten Inder im Hbf von Helsinki schmeckt das Essen so, dass ich es stehenlasse. Habe nicht einmal Lust darüber zu diskutieren. Bäh - nicht mein Tag.
Dann gehe ich im Bahnhof in das Cafe der Kooperative, die so freundlich aussieht. Von einer netten Dänen lasse ich mir ein Sandwich ohne tote Tiere geben und einen Kaffe geben. Leider waren ihre Englischkenntnisse sehr begrenzt, denn - der Leser ahnt es - nicht mein Tag - irgendetwas totes ist im Sandwich

Ich lasse es liegen und habe immer noch Hunger. Dafür sehe ich eine (was auch immer) wo man Mobiltelefone aufladen kann. Leider geht es nur für Prekariatshandys und ich kann mein iphone nicht aufladen. Also bleibt es leergeorgelt.


Dafür entdecke ich einen Laden wo es frischgemachte Pasta gibt - auch ohne Fleisch. Und siehe, es funktioniert und schmeckt. Nun geht mein Zug nach Stockholm

Ich bin mittlerweile totmüde und habe die Nase voll

es ist nicht die Reise, auf die ich mich so gefreut habe
 
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concordeuser

Erfahrenes Mitglied
01.11.2011
5.755
1.806
Hamburg
die Fahrt nach Stockholm dämmert so an mir vorbei. Ich kann nicht mehr sitzen und und lenke mich mit Filmen auf meinem Macbook ab.
Jedenfalls ist der Rest der Reise nun pünktlich. Mit fast 5 Stunden Verspätung erreiche ich kurz nach 1 Uhr Morgens mein Hotel. Es ist Sonnabend
 
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gabenga

Erfahrenes Mitglied
16.11.2010
2.332
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STR
Der Bericht liest sich ja ganz nett, aber ich muss gestehen, dass die bei mir geweckten Erwartungen bisher nicht erfüllt wurden. ;)

und blonde Frauen [snip]
Ein Land, in dem Frauen Mette oder Pernille heißen [snip]
Die sexuelle Erfahrung steigt im Quadrat zur Entfernung vom Elternhaus.
 

chrini1

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26.03.2013
6.190
4.713
HAM
Also: Ein Absatz fehlt: Hast Du Dich im Grenzshop bzw. auf der Fähre nicht mit billigem Fusel eingedeckt und dann betrunkener Weise den Anschluss verpasst?
 
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Worldwide

Erfahrenes Mitglied
08.07.2013
801
0
Aus meinen Erinnerungen

Noch im ersten Semester zog ich von zu Hause aus und lebte in wechselnden Wohngemeinschaften. Längst galten WGs nicht mehr als Brutstätten der Revolution, son- dern waren eine alltägliche Lebensform, die Jugendlichen ein Leben ohne elterliche Kontrolle ermöglichten. Die sexuelle Erfahrung steigt im Quadrat zur Entfernung vom Elternhaus. Anfangs unterstützten meine Eltern mich groß- zügig mit Geld. Nach einigen Semestern konnte ich dann mehrere gut bezahlte Jobs erbeuten und verfügte über ein höheres Einkommen als der Großteil der arbeitenden Bevölkerung.

Von dem Geld der Post gönnte ich mir Ende des ers- ten Semesters zwei Monate Urlaub und fuhr mit einem In- terrailticket durch Europa. Für wenig Geld bot die Bahn unbegrenzte Fahrten vom Nordkap bis Griechenland. Hun- derttausend Jugendliche sollen in diesem Sommer in Zügen unterwegs gewesen sein. Interrail hat mehr zum Zusam- menwachsen Europas beigetragen als die Bürokratie der EU. Im ersten Monat reiste ich mit zwei Schulfreunden, anschließend allein. Zuerst fuhren wir auf dem Landweg nach Helsinki, dann langsam zurück, wobei wir jeweils einige Tage in kleineren Orten verbrachten. Auch sahen wir uns Stockholm und Kopenhagen an. Später ging es nach Hol- land, Belgien und Frankreich. In der letzten Woche zog es mich gen Süden zu meinem Schulfreund Mirko, in seine Heimatstadt Belgrad. Jedes Land führte Grenzkontrollen durch und benutzte eigene Währungen. Das Gefühl unterwegs zu sein war großartig. Tagsüber habe ich mir Menschen und Städte angeguckt, nachts meist in Zügen geschlafen.

In Amsterdam verbrachte ich meine erste Nacht im Vondelpark. Dann zog ich ins „Sleep In“ in der Rozen- gracht, einem riesigen Haus für Jugendliche. Dort lernte ich ein Mädchen aus Belgien kennen. Einige Jahre später sollte ich ihr Trauzeuge werden. Dann beeindruckte mich Paris. In Saint-Germain-des-Prés blieb ich länger. Die Vergangen- heit meines Vaters als Besatzungssoldat war verdrängt. Anfang September kam ich nach Hamburg zurück und stürzte mich erneut ins Studium.

Wir waren die Kinder unserer Zeit. Mädchen gab es nun überall, dazu tagelange Diskussionen und viele Nächte ohne Schlaf. Oft fuhr ich mit Freunden an Wochenenden zu Konzerten und Folklore-Festivals, um Musik zu hören und mich zu betrinken. In den ersten zwei Semestern lebte ich mit Klaus und Jens in einer wilden Wohngemeinschaft am Stadtrand. Unser Lebensstil galt als Avantgarde. Trotz des süßen Lebens ging ich täglich zu meinen Lehrveranstaltungen und verspürte große Neugierde auf Lernen und Wissen.

Ich frage mich wie im Vergleich dazu die heutigen Jugendlichen in 20-30 Jahren ihr Leben rekapitulieren...

"Ich sah mich als Luxusreiseblogger, den die Welt gebraucht hat. Nachdem mein Dad mir endlich wieder das Geld überwiesen hat konnte ich die nächste C-Reise nach BKK mit QR buchen. In Anbetracht dessen, dass ich noch etwas Arbeit zu erledigen hatte, schrieb ich einen Blogbeitrag. Als nächstes claimte ich das IC Bad Mergentheim. Auf meine dritte Mail vorab an den GM wurde mir noch nicht geantwortet. Zur Not die Minibar leersaufen. Nette Lounge. Wie kann man sich eigentlich kostenlos Zugang zur ET F-Lounge in ADD verschaffen und wie es der Champagner dort? Dann bewarb ich mich beim HSV als Assistent von Dietmar Beiersdorfer."
 

Mr. Hard

Spaßbremse
23.02.2010
10.803
3.335
Ich frage mich wie im Vergleich dazu die heutigen Jugendlichen in 20-30 Jahren ihr Leben rekapitulieren...

"Ich sah mich als Luxusreiseblogger, den die Welt gebraucht hat. Nachdem mein Dad mir endlich wieder das Geld überwiesen hat konnte ich die nächste C-Reise nach BKK mit QR buchen. In Anbetracht dessen, dass ich noch etwas Arbeit zu erledigen hatte, schrieb ich einen Blogbeitrag. Als nächstes claimte ich das IC Bad Mergentheim. Auf meine dritte Mail vorab an den GM wurde mir noch nicht geantwortet. Zur Not die Minibar leersaufen. Nette Lounge. Wie kann man sich eigentlich kostenlos Zugang zur ET F-Lounge in ADD verschaffen und wie es der Champagner dort? Dann bewarb ich mich beim HSV als Assistent von Dietmar Beiersdorfer."

Schön gesehen!


Unabhängig von der heutigen Generation, ich finde es interessant wie unterschiedlich die Zeit zwischen 20-30 gelebt und empfunden wird und wurde.

Gerne hätte ich aus der Rückschau meine Zeit ähnlich verbracht wir concorduser sie beschreibt. Aber weder meine Interessenlage noch meine Lebensumstände, waren in diesem Abschnitt meines Lebens, mit denen des OP vergleichbar. Erst später kam die Lust am Reisen, und zum Glück habe ich in den Jahren zwischen 20-30, durch Ausbildung und Beruf, die Grundsteine gelegt heute ein paar Reiseträume verwirklichen zu können. Ein völlig anderer Weg, den ich nicht missen möchte, aber für einen Moment fragte ich mich dennoch warum ich nicht per Interrail durch Europa getourt bin.

Anyway, schön zu lesen.
 
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concordeuser

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01.11.2011
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@bluesman herzlichen Dank - gerne nächstes Mal. Für dich folgt gleich noch ein retro text aus Älmhult

Danke für das viele Interesse - Als danke schön gibt es noch etwas Text als "Zugabe" auch wenn (fast!) nichts mehr dramatisches passiert. Immerhin habe ich gestern abend Hamburg ohne Verspätung wieder erreicht (Da ab Kopenhagen das Internet im deutschen ICE ausgefallen war, gibt es die Schlussbemerkungen erst heute.)

Ja ich hatte mir auf der Fähre eine Flasche Wein und eine Mega Tüte M&M s gekauft - gegen Frust und Verspätung. Der Wein hilft mir die nun endlos wirkende Fahrt nach Upsala zu überstehen. Die M&Ms habe ich kurz probiert und noch vor der Weiterfahrt in den Müll geworfen so wie (das Wortspiel ist zu schön um es nicht zu nutzen!!!) das LH M&M im Müll meines Lebens gelandet ist. Insgesamt habe ich nun 16 Stunden von Tür zu Tür gebraucht, da ist auch für einen ganz gerne Bahn-User nicht mehr lustig.

Aber noch ein wenig von der Reise: Am Sonnabend Morgen in Uppsala bin ich so zerknittert und auch etwas verschnupft, dass ich verschlafe und meinen Zug nach Norden verpasse. Ticket nicht erstattungsfähig und umbuchbar. Der nächste Artic Circle Train (wird wirklich so genannt) geht erst Abends und würde statt sight seeing durch schwedische Wälder wieder eine Nachfahrt bringen. Ausserdem würde das Ticket jetzt fast das Zehnfache kosten - keine specials nur Mondpreise so als ob LH für MUC HAM 680 Euro plus taxes plus plus plus aufruft. Da ich mir die Reise nach Norden ja aus meinen großzügigen Reisespesen erschleichen wollte, habe ich die Lust verloren und cancle den Trip nach Norden. BÄH BÄH ich hatte mich so darauf gefreut

Hier im Forum gibt es einen ganz tollen Tripreport von Yankee Foxy Papa Delta oder so, der im Winter nach Nordschweden geflogen und gefahren ist. Habe in mindestens 3 Mal gelesen. Auch dieser Bericht hatte dazu beigetragen, dass ich noch einmal nach Norden wollte.
Ich schaffe es, meinen offiziellen Termin auf Montag vorzuverlegen. Es ist ohnehin nur eine "cover your ass mission". Sie wollen einen deutschen Experten befragen, wenn das Investment schiefgeht, können sie sagen, sie haben aLLES geprüft.

So verbringe ich je eine Nacht noch im Radissonblu Uppsala und dann im SAS Radisson Waterfront in Stockholm, das mir immer gut gefällt wegen der Aussicht und der kurzen Wege und der freundlichen. War oft dar: wahrscheinlich steht in der edv, dass man zu dem alten Spinner (ich) nur freundlich sein muss, dann meckert er nicht. Vor zwei Wochen sollte das Zimmer dort über 350 Euro kosten (was ich als erfahrener Forums-Schnorrer nicht gemacht habe), nun zahl ich 126. Die Preisentwicklung in Hotels erstaunt mich immer wieder.
 
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concordeuser

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01.11.2011
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Für bluesman - eine Anekdote aus deiner Nähe (so ähnlich schon mal verwendet)

In den Sommerferien fuhren mein Schulfreund Finn und ich mit der Eisenbahn nach Schweden. Ich war 16 und durfte das erste Mal alleine verreisen. Unser Ziel war die Kleinstadt Älmhult, in der Mitte des Landes, zwischen Wäldern und Wasser. Ein größeres Dorf, das wir zufällig auf der Landkarte gefunden hatten, weil es dort einen Bahnhof, eine Jugendherberge und einen großen See gab. Doch die Landschaft interessierte uns weniger. Diffus hofften wir auf Freiheit, Abenteuer und schwedische Mädchen. Wir wollten möglichst weit weg sein. In der ersten Nacht am See hörte ein älterer Schwede unsere deutsche Sprache. Sofort redete er los. Hitler hätte mit der Judenvernichtung doch völlig recht gehabt. Auch wenn der Alte nur betrunken war, fragten wir uns, warum wir auf diesen Scheiß angesprochen wurden? Wir hatten doch niemanden umgebracht. Ich war wie gelähmt vor Unbehagen und Hilflosigkeit. Wir wollten kein Gerede vom Führer hören, sondern träumten von Spaß und Mädchen. Doch die gab es in Älmhult nicht, nicht für uns. Erst später begriff ich aus den genialen Kriminalromanen von Sjöwall & Wahlöö, dass Skandinavien kein Paradies ist. Nicht alle Schwedinnen waren blond und schön. Schon gar nicht hatten sie darauf gewartet, pubertierenden Jungen aus Deutschland ihre Wünsche zu erfüllen. Meine Träume von Skandinavien als Land von freier Luft und freier Liebe hatten wenig mit der Realität zu tun.

Für fünfzig Kronen kauften wir ein altes Moped und fuhren in den schwedischen Wäldern umher. Als der Tank leer war, ließen wir es liegen. Dann bestiegen wir den Zug zurück Richtung Heimat. Unterwegs blieben wir noch zwei Tage in Malmö. Als Finn und ich durch die Gassen streiften, wunderten wir uns, dass Kopenhagener beim Bäcker „Wienerbrod“ genannt wurden. Aufgeregt staunend standen wir vor den Pornoheften am Bahnhofs-Kiosk. In der letzten Nacht verjagte die schwedische Polizei uns von einer Parkbank, auf der wir schlafen wollten, und nötigte uns, in ein kleines Hotel in der Mäster Johansgatan umzuziehen. Außer tagelang einem blonden Mädchen hinterher zu träumen, das wir für einige Minuten auf dem Bahnhof in Hässleholm gesehen hatten, als sie in den Zug nach Kristianstad stieg, haben wir wenig erlebt. Make love not war, wir waren noch zu jung. Aber zumindest hatten wir uns aus Deutschland hinausgetraut.

Jahrzehnte später, im Sommer 1992, verstrickt in Geld und Karriere, verbissen in die Sanierung eines maroden Unternehmens, bin ich mit meinem Schulfreund Bernd für drei Tage in Richtung Polarkreis geflogen, in die nordschwedische Stadt Luleå. Dort spielte Bob Dylan zur Mittsommernacht auf dem Volksfest Sjöslaget. Es blieb hell, die meisten Menschen waren mehr oder weniger betrunken. Eine schöne Sommernacht, es war warm, die Stimmung freundlich und entspannt. Nach dem achten Song, passenderweise Love minus zero/No limit, stand ein Mädchen vor mir. Blond und lächelnd. Sie sagte, meine Brille sei witzig, und küsste mich lange. Ich war der Reiz des Fremden. Sie lebte in Umeå und stammte aus Gällivare, vielleicht war es auch umgekehrt. Ihren Namen habe ich vergessen, mit Schweden war ich versöhnt.

So wie bei der jungen Schwedin auf dem Bahnhof in Hässleholm begleiten mich in meinen Gedanken bis heute zwei andere Mädchen, bei denen ich lebenslang bedauert habe, sie nicht kennengelernt zu haben. Die erste arbeitete in einem Asien-Laden, mit dem ich in einem Schülerjob zu tun hatte. Obwohl wir zehn Minuten miteinander geredet hatten, habe ich mich nicht getraut, nach einer Verabredung zu fragen. Sie machte einen Ferienjob und ging noch zur Schule, so wie ich. War es im Sommer 1968? Mochte sie die Beatles oder die Stones? Wie wird es ihr ergangen sein?

Das zweite Mädchen war eine Studentin, die ich zu Anfang des Studiums für höchstens eine Stunde in einem Hörsaal gesehen hatte. Halblange dunkle Haare und ein unglaubliches Lächeln. Oft habe ich an sie gedacht. Es muss toll gewesen sein, morgens neben ihr aufwachen zu können. Endete ihr Leben als Lehrerin? Verlief es glücklich? „When the rivers freeze and summer ends, please see if she’s wearing a coat so warm to keep her from the howlin’ winds.“ Was, außer der Sehnsucht nach Liebe, bringt uns dazu, Menschen zu sehen, und sie spontan innig und tief zu mögen? Und was veranlasst unser Gehirn, solche Erinnerungen für ewig einzubrennen?

Mit der ersten Fahrt nach Schweden erlebte ich, dass Auslandsreisen für uns Nachkriegskinder auch zu unangenehmen Momenten der Befangenheit führen. Im Ausland war es mir immer peinlich, zu sagen, woher ich komme. Deutschland eben. Was für ein beschissenes Vaterland, ich gehörte zu den Verbrechern. Tief sitzt diese Konditionierung in mir. Es dauerte Jahrzehnte, bis ich im Ausland fast ebenso selbstverständlich aussprechen konnte: „Ich bin Deutscher“, wie andere sagen: „Ich bin Franzose.“


Danke an feb für die freundlichen Worte zu dem Buch, aus dem der Text stammt !!!
 
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01.11.2011
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"Ich sah mich als Luxusreiseblogger, den die Welt gebraucht hat. Nachdem mein Dad mir endlich wieder das Geld überwiesen hat konnte ich die nächste C-Reise nach BKK mit QR buchen. In Anbetracht dessen, dass ich noch etwas Arbeit zu erledigen hatte, schrieb ich einen Blogbeitrag. Als nächstes claimte ich das IC Bad Mergentheim. Auf meine dritte Mail vorab an den GM wurde mir noch nicht geantwortet. Zur Not die Minibar leersaufen. Nette Lounge. Wie kann man sich eigentlich kostenlos Zugang zur ET F-Lounge in ADD verschaffen und wie es der Champagner dort? Dann bewarb ich mich beim HSV als Assistent von Dietmar Beiersdorfer."


@ worldwide:: grossartig getroffen
 

concordeuser

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01.11.2011
5.755
1.806
Hamburg
In Stockholm habe ich mir übrigens das mir einem Mit-Foristen empfohlene Problem-Viertel Kvista angesehen. Dort wo die Unruhen waren. Der Glanz Schwedens als fortschrittliche Demokratie verflüchtigt sich dort schnell. Es ist so wie bestimmte Straßenzüge von Hamburg Billstedt. Ohne Passierscheine der örtlichen Mullahs und Warlords kann es arg unangenehm werden, dort zur falschen Zeit spazieren zu gehen.

Ich darf das sagen, bin selbst in Billstedt aufgewachsen
 

Trinick

Erfahrenes Mitglied
07.07.2010
637
56
DUS, neuerdings: ARN
In Stockholm habe ich mir übrigens das mir einem Mit-Foristen empfohlene Problem-Viertel Kvista angesehen. Dort wo die Unruhen waren. Der Glanz Schwedens als fortschrittliche Demokratie verflüchtigt sich dort schnell. Es ist so wie bestimmte Straßenzüge von Hamburg Billstedt. Ohne Passierscheine der örtlichen Mullahs und Warlords kann es arg unangenehm werden, dort zur falschen Zeit spazieren zu gehen.

Ich darf das sagen, bin selbst in Billstedt aufgewachsen

Ui, das war vielleicht ich? Viele Gruesse aus Kista, denn neben dem "Problemviertel" gibt es ja auf der anderen Seite der Tunnelbanastation noch den Bueropark.
 
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concordeuser

Erfahrenes Mitglied
01.11.2011
5.755
1.806
Hamburg
ja ich erinnere dass der Tipp von jemandem kam im Forum kam, der dort arbeitete - als Reaktion als ich Schweden wohl zu "romantisch" betrachtet hatte


An sich wollte ich mit dem Tripreport nur Zeit totschlagen und meinen Frust loswerden - nun ist es etwas anderes geworden

Nicht zu wissen ob und wo man ankommt führt einen manchmal dahin wo man sein sollte