Sonntag, 25. Juli 2010
In Narita geht es eine Weile lang durch Teppichkorridore, bis wir zur Immigration gelangen. Ohne Wartezeit gebe ich zwei Fingerabdrücke und ein Foto ab, bekomme keine Fragen gestellt, und ziehe weiter. Unsere Koffer liegen schon auf dem Band, als wir zur Gepäckausgabe kommen. Wieder keine Fragen an der Zollkontrolle, also machen wir uns auf die Suche nach einem Geldautomaten. Bingham erspäht eine Citibank-Werbung, neben der zufällig zwei Geldautomaten stehen, von denen einer auch bereit ist, Kohle rauszurücken.
Wir bewaffnen uns jeweils mit einer Flasche Wasser und gehen Zugtickets kaufen. Als Ausländer bekommt man ein NEX-Ticket mit einer Suica-Karte zum günstigen Paketpreis. Der Zug wartet bereits auf dem Gleis; ich staune über die Wagenstandsanzeiger und die Gepäckschlösser, wir helfen Mitreisenden bei der Bedienung letzter, und ich setze mich, um den Tripreport weiterzuschreiben und danach am Fenster zuzusehen, wie draußen Tokio vorbeirauscht. Sonne, vermutlich um die 25 Grad, und schon ordentlich schwül für 11 Uhr morgens. Für die ganze Woche sind über 30 Grad und Gewitter vorhergesagt.
Nach anderthalb Stunden Fahrt steigen wir an der Shibuya Station aus. 30 Grad und mörderische Luftfeuchtigkeit wirken wie ein Fausthieb, wir lachen uns kurz kaputt und steuern durch den Bahnhof zum HachikÅ Exit, wo die
Statue dieses treuen Hundes einen berühmten Treffpunkt bildet. Eigentlich müssten wir den Ausgang am gegenüberliegenden Ende der Station nehmen, aber wir wollen uns den Anblick der großen Kreuzung samt dazugehöriger Menschenansammlungen nicht entgehen lassen.
Danach finden wir sogar praktisch ohne Irrwege den zehnminütigen Fußweg zum Cerulean Tower Hotel, wo wir die nächsten drei Nächte wohnen werden.
Es ist inzwischen halb eins; unser Zimmer wird aber erst gegen 14 Uhr verfügbar sein. Wir lassen unser Gepäck an der Rezeption und entscheiden, für eine Stunde die Gegend zu erkunden. Gerade noch rechtzeitig schicke ich eine SMS an einen japanischen Bekannten mit der Bitte, uns statt um 14 Uhr erst um 15 Uhr zu treffen - er war zu Hause in Yokohama gerade zur Tür raus.
Wir steuern das nächste Einkaufszentrum an und besorgen uns einen Kaffee. Mein Latte ist von hervorragender Qualität (schon fast Melbourne-Niveau), während Bingham mit seinem Eiskaffee leider irgendwie nicht wirklich zufrieden ist. Wir lassen uns an zwei kleinen Tischen nieder, als eine Frau gestikulierend auf uns zusteuert, und uns zu verstehen gibt, dass der Werbeflyer auf einem der Tische kein Abfall, sondern ihre “Reservierung†für den Tisch ist. Wir bewegen uns also jeweils um einen Stuhl nach rechts und sind für den Rest des Aufenthaltes verwirrt ob der Tatsache, dass die Frau ihren reservierten Platz gar nicht einzunehmen scheint, während wir einen Scone und einen Donut verdrücken.
Als nächstes ist die Straße
Center Gai an der Reihe. Modetempel, Arcade-Hallen und Plattenläden reihen sich hier aneinander, während japanische Teenager abgefahrene Mode zur Schau tragen. Bingham und ich sind uns einig: hätten wir Töchter, würden wir ihnen gehörig die Ohren langziehen für manche der Outfits.
Auf dem Rückweg beugen wir dem Jetlag mit einem weiteren Kaffee vor, diesmal bei Starbucks, von wo aus sich das Treiben auf der Kreuzung unter uns ausgezeichnet fotografieren und filmen lässt. Danach steuern wir zurück zum Hotel und genehmigen uns je eine bitter nötige Dusche.
Pünktlich um 15 Uhr erscheint mein Bekannter Koichi in der Lobby. Er hat sich Montag und Dienstag frei genommen, um uns während unseres Aufenthaltes herumführen zu können. Später erklärt er uns, dass er wie die meisten Japaner mit einer Woche Urlaub abgespeist wird, und ich bekomme ein extrem schlechtes Gewissen, doch er beruhigt uns: sein Chef hat ihm die zwei Tage zusätzlich frei gegeben. Ich hole noch schnell drei Flaschen
mitgebrachter Fritz-Kola aus dem Kühlschrank und wir machen uns auf den Weg nach unten, wo wir Koichi gleich finden, mit der Cola anstossen, und mit dem angetrunkenen Mut beschließen, uns wieder hinaus in die Hitze zu wagen, bis Noah, der vierte im Bunde, an der Shibuya Station ankommt - sein Flug mit Continental aus den USA ist bereits gelandet.
Einmal mehr drehen wir unsere Runde durch die Center Gai und treffen Noah eine halbe Stunde später in der Nähe der HachikÅ-Statue, ein Treffpunkt für ganz Tokio, was es natürlich nicht gerade leicht macht, einander in der Menge zu finden.
Wir laden Noah am Hotel ab und lassen uns im Café in der Lobby nieder, während er sich etwas frisch macht. LIebäugle kurz mit einem der hervorragenden Kuchen, bevor ich mich den anderen anschließe und ein Bier bestelle. Bingham wirkt zufrieden und bestellt ob der isotonischen Wirkung von Bier gleich noch eins.
Koichi schlägt vor, den
Meiji-Schrein zu besuchen, und so bezahlen wir, laufen durch die inzwischen deutlich erträglichere Hitze wieder zum Bahnhof und nehmen die Yamanote Line bis zur Harajuku Station, die nach nur einem Halt erreicht ist. Der Schrein ist von einem großen Park umgeben. Wir schreiten durch ein gigantisches Tor, vorbei an Fässern voller Sake und Wein, und erreichen den Schrein gerade, als eine Durchsage verkündert, dass das Areal demnächst schließen wird.
Koichi zeigt uns, wie man sich an einer Quelle mit großen Löffeln aus Holz rituell die Hände wäscht, und wir betreten das eigentliche Areal des Schreins. Vorsicht ist geboten beim Überschreiten der Schwelle - darüber-, aber niemals daraufsteigen! Wir schießen ein paar Fotos, und ich beschließe, dass mir ein Glücksbringer für Stabilität von Geist und Körper ganz gut tun würde. Ein Kitsch-Souvenir muss ja sein.
Wieder draußen bemerken wir unseren inzwischen unbändigen Hunger. Wir haben Lust auf
Yakitori, und Koichi sucht ein Restaurant in einer Seitengasse der
Takeshita Street aus. Wie viele kleine Restaurants und Bars gelangt man auch dorthin nur über kleine Eingänge und einen Lift, doch leider stellt sich heraus, dass das Lokal heute geschlossen ist. Für die Alternative müssen wir zurück zur Shibuya Station, doch vorher flanieren wir noch einmal die Takeshita Street auf und ab und staunen über Leute und Geschäfte.
Am kleinen Restaurant angelangt, werden wir freundlich begrüßt und nehmen in einer Ecke Platz. Zuerst bestellen wir eine Runde Bier und bekommen als kleinen Snack eine Schale voller Sojabohnen in den grünen Schoten. Koichi hält uns Teutonen gerade noch rechtzeitig davon ab, die Dinger komplett zu verspeisen, zeigt, wie man die süßen Bohnen aus den Schoten drückt, und bestellt anschließend eine Auswahl von Spießen. Wir mampfen uns durch die Speisekarte und sind begeistert; allein die Spieße mit gegrillter Hähnchenhaut finden wir etwas gewöhnungsbedürftig. Wir kommen auf japanische Restaurants in Deutschland zu sprechen, und ich verkünde meine Liebe für
Karaage, was Bingham auf den hervorragenden Einfall bringt, das doch einfach auch zu bestellen, damit man mal eine Vergleichsmöglichkeit hat. Die nächste Viertelstunde verbringen wir damit, Noah das Essen mit Stäbchen beizubringen.
Wir sind zwar müde, doch es ist noch nicht einmal neun Uhr, also wollen wir uns einen letzten Drink genehmigen. Koichi führt uns zu einer Bar namens Vesper (es gibt derer zwei in Shibuya), wieder unscheinbar gelegen und nur über einen Aufzug erreichbar. Mit einem Gin and Tonic und einer Schale Nüsse lassen wir den ersten Tag ausklingen.
