zu Lande und in der Luft durch Vietnam

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Wolke7

Erfahrenes Mitglied
30.08.2010
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Im zu Ende gegangenen Winter stand eine weitere Etappe meiner 'Weltreise' auf dem Programm. Im vorvergangenen Winter führte mich die Reise von Hongkong bis nach Hanoi, und von dort aus sollte es weitergehen bis nach Ho Chi Minh City auf dem Fahrrad. Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Es herrschen eisige, bisweilen gar frostige Temperaturen im Norden Vietnams; also habe ich die erste Hälfte als Flugreisender eine Art City-Hopping in Vietnam unternommen und habe mich anschließend im Sattel durch die Bergwelt im Westen des Landes bewegt.
Unsere Freunde Hopper und Fischköpfle haben vor Kurzem ebenfalls Reiseberichte zu Vietnam dem VFT zum Nacherleben gegeben. In dieser Folge mag der Meinige eine hoffentlich nicht ermüdende Ergänzung darstellen.
Ein großer Dank geht an Quyen und ihren Vater in Hanoi. Sie haben das Fahrrad ein Jahr auf ihrem Dachboden behütet und gepflegt, so daß meine Wenigkeit damit die Tour fortsetzen konnte.
Doch seht selbst:

Hanoi
Schon beim Anflug auf Hanoi ist es zu sehen: Der Himmel würde bewölkt sein und die Temperaturen werden sich wohl in moderaten Grenzen halten. So ist es denn auch. Mit dem Linienbus fahre ich ins Zentrum und laufe den Rest zur Unterkunft zu Fuß. Dabei erlebe ich Hanoi wie ich es vom vergangenen Jahr in Erinnerung habe: laut, geschäftig und die Hanoier wittern bei jedem Ausländer ein schnelles Geschäft.
Eigentlich möchte ich schon am Folgetag mit den Besichtigungen beginnen, es ist jedoch lausig kalt, und meine Wenigkeit nur mit leichter Kleidung ausgestattet. So mache ich zumindest halb neugierig, halb fröstelnd einen Spaziergang zum Hoan Kiem See und bestelle ein Ticket für das Wasser-Puppen-Theater.
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Diese Show ist etwas Besonderes: Ähnlich Marionetten werden tanzende Figuren auf einer Wasserfläche bewegt. Jedoch werden die Puppen durch ein Gestänge von unten, d.h. unterhalb der Wasserfläche bewegt. Ein Kammerorchester mit traditionellen asiatischen Instrumenten spielt dazu ethnische Weisen; traditionell?, ganz hinten hat sich eine E-Gitarre versteckt. Gezeigt wird eine Show über das ländliche Leben mit den kulturellen Vorstellungen vietnamesischer Bauern. Einem Bauerntanz zu martialischen Trommelklängen folgt der spielerische Büffelkampf gefolgt von religiösen Handlungen und einer Hochzeit. Dem Höhepunkt strebt das Geschehen zu, als die örtlichen Honoratioren ihrem Lebenszweck nahe kommen, und sich ein großer, goldener Fisch in einen anmutigen Drachen verwandelt und ins Nirvana entschwebt.
Rund um den Ba Dinh Platz schlägt das Herz noch sozialistisch. In einer Mischung aus den Beispielen 'Roter Platz in Moskau' und 'Platz des Himmlischen Friedens in Peking' stehen rund um den gigantischen Platz das Ho-Chi-Minh-Mausoleum, die große Halle des Volkes und (etwas abseits) der ehemalige Präsidentenpalast. Uniformierte am Rand wachen über das sittsame Benehmen und die korrekte Kleidung der Passanten – und dennoch bleibt das Betreten der Öffentlichkeit verwehrt. Das Anstehen vor dem Mausoleum vermittelt einen Eindruck von der Rolle Ho Chi Minhs für die vietnamesische Gesellschaft: Reisegruppen, vermutlich sowohl Schulklassen als auch Abordnungen der Provinzen, besuchen ihren 'Onkel', auch wenn der schon seit über 40 Jahren tot ist. In einem grauen Marmorwürfel ruht der Staatsgründer, übrigens seinem letzten Willen zuwider, in einem gläsernen Sarg bewacht von vier Soldaten. Die Besucher schreiten zunächst die Stufen nach oben, laufen auf einem roten Plastikläufer und steigen dann in den Totenraum hinab. Das aschfahle Gesicht ruht auf einem Samtkissen, der schlanke Körper ist in ein einfaches Seidenkleid gewandet und die spärliche Beleuchtung fokussiert die sanften Gesichtszüge. Es wirkt wie in einem Wachsfigurenkabinett; eigentlich möchte man gar nicht wissen, wieviel Silikon zur Modellierung des Gesichts notwendig war.
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Im benachbarten Museum werden einige Stationen des Lebens nachgezeichnet aus der Jugend in einem Dorf Zentralvietnams, aus der Zeit der sozialistischen Pioniertaten in Paris und Moskau und schließlich aus dem Widerstandskampf bis zur Staatsgründung. In einem anderen Flügel wird das Wirken der Partei nachgezeichnet: Den großen Beispielen Marx und Lenin entsprechend wird der Kampf für die Arbeiterklasse beschworen, und das Staatsschicksal in Fünfjahresplänen festgelegt – auch heute noch –, während das Volk längst zum Kapitalismus übergegangen ist.
Beim Besuch des Literaturtempels merke ich doch wieder, wie wenig ich eigentlich von asiatischer Kultur weiß. Der Tempel ist eine konfuzianische Akademie, die vor über 800 Jahren von der königlichen Dynastie gestiftet wurde und bis ins 20. Jahrhundert Studenten auf ihre Führungsrolle in Staat und Gesellschaft vorbereitet hat. Durch 5 Innenhöfe schreitet der neugierige Besucher bis er vor der großen Zeremonienhalle und dem Khai-Than-Tempel inne hält. Die Bedeutung der Höfe entspricht ihrem äußeren Erscheinungsbild: anfangs dezent gestaltet mit Pools und Pflanzen, mit den Absolventenstelen der letzten 300 Jahre oder den zweistöckigen Gebäuden für die 'Halle des großen Erfolges'. Dazu kommen illustre Namen wie das 'Tor mit dem Pavillon des Sternzeichens der Literatur' oder 'die Quelle des Himmlischen Lichts'.
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Ein Bau besonderer Qualität ist das ehemalige Hoa Lo Gefängnis. Die Franzosen haben es eingerichtet zur Inhaftierung politischer und krimineller Häftlinge. Heute steht nur noch ein bescheidener Rest des Ostflügels, alle anderen Gebäudeteile mußten einem Bürohochhaus mit Hotel weichen. Die Ausstellung ist doch ganz schön einseitig: es werden die außerordentlich großen Leiden der vietnamesischen Widerstandskämpfer während der Haft gezeigt neben der generös-respektvollen Behandlung amerikanischer Kriegsgefangener nur zwanzig Jahre später.
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Der Ursprung Hanois liegt rund um den Ho Tay (Westsee); zumindest deuten die vier Tempel der städtischen Schutzheiligen darauf hin. Jeder Tempel ist von einer hohen Mauer umgeben, die das Tosen der Stadt ausschließt. Fast fällt der Besucher in eine kontemplative Trance voll innerer Ruhe, mit Weihrauchdüften betäubt und durch das rhythmische Beten bzw. Singen der Gläubigen ergänzt. Die geschwungenen Dächer mit den Drachen- und Löwenfiguren an den Ecken geben dem Gebäudeensemble sowohl ein dekoratives Flair als auch den nötigen geistigen Schutz, um sich den Göttern ganz hinzugeben. Auf dem Altar türmen sich die Opfergaben, dahinter ruht die Bronzefigur gekleidet in seidene Tücher und davor sitzt eine Pilgergruppe auf einfachen Strohmatten und rezitiert buddhistische Texte zum Takt einer Trommel.
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Rund um den Ho Tay und etwas abseits der Ausfallstraßen stehen eine Vielzahl internationaler Luxushotel und großzügiger Villen. Diese Gegend hat sich zur besten Adresse gemausert, d.h. hier wohnen überwiegend Ausländer und sozialistische Kader.
 
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Wolke7

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30.08.2010
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Danang

Es ist immer noch ausgesprochen kalt, und an manchen Tagen weht ein frischer, feuchter Wind durch die Straßen. Die Reisenden aus der Ha Long Bay und aus Sapa berichten von eisigen Nächten auf dem Wasser und von dick mit Reif überzogenen Bäumen in den Bergen. Zum Radfahren herrschen keine angenehmen Bedingungen. Ein europäisches Pärchen aus Leeds hat die Räder nach der Fahrt nach Haiphong dort abgestellt und ist erstmal in den Süden geflogen. Ihrem Beispiel folgend habe ich das Rad in Hanoi untergestellt und bin für ein paar Tage in die größte Stadt Zentral-Vietnams geflogen. Vietnam Airlines setzt auf dieser Route mehrmals täglich einen Airbus 330 ein, ein Großraumflugzeug mit über 260 Sitzen. Es war zwar nicht voll, trotzdem empfinde ich das Vorhalten dieser Kapazitäten für bemerkenswert.
Da Nang ist durch den Song Han River in zwei Teile geteilt: östlich reihen sich die Strandresorts, quirligen Kneipen und Bars aneinander; westlich liegt das Stadtzentrum mit allen Wirtschaftseinrichtungen und den wenigen Sehenswürdigkeiten. Höhepunkte sind das Cham Museum und der Cao Dai Tempel. Drumherum liegen einige buddhistische Tempel, eine zartrosa gestrichene Kathedrale und ein sozialistischer Betonkoloß, in dem der tägliche Markt stattfindet.
In der Umgebung Da Nangs befanden sich vom 4. bis 13. Jahrhundert geistig-spirituelle Zentren, die Einwanderer aus Südasien errichtet haben. Sie brachten hinduistische Vorstellungen mit, die mit den lokalen zu einer neuen Religion verschmolzen sind. Die Statuen zeigen die üblichen tänzerischen Bewegungen wie im Hinduismus und den Altar-Aufbau der Lingas, d.h. eines quadratischen Fundaments, auf dem ein runder Aufsatz mit spitzer Kappe ruht. Selbstverständlich darf auch der mythische Drachenvogel Garuda nicht fehlen. Die Dekorationen sind so fein in den Stein gemeißelt, daß auch der heutige Betrachter noch fast jedes Detail erkennen kann: florale Ornamente, an denen jedes Blütenblatt hervortritt, körperliche Details wie Brustwarzen und Augenlider oder der Halm, der aus dem Bauchnabel austritt und sich zu einer blühenden Lotuspflanze emporrankt.
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In der Spätphase der Cham-Kultur haben die Priester zunehmend den Buddhismus adaptiert, was sie zum allmählichen Verschmelzen mit der umgebenden ethnischen Identität angetrieben hat. Ein künstlerischer Niedergang ab dem 12. Jahrhundert legt beredtes Zeugnis von diesem Assimilierungsprozeß ab.
Der Cao Dai Tempel ist etwas ganz Besonderes: Die Gläubigen verehren nur den einen Gott der gesamten Welt, ohne dabei die partikularen Religionen zu verdammen. Sie laden die großen fünf Weltreligionen ein, integrieren sie und finden den Weg zu dem einen, über allem stehenden Weltgott. Der zentrale Platz im Tempel wird von einer blauen Kosmos-Kugel eingenommen, auf der ein Auge abgebildet ist: das Auge des Allerhöchsten (Cao Dai) auf die Menschen. Darüber hängt ein Bild, auf dem die fünf Hauptfiguren der Weltreligionen abgebildet sind: Konfuzius, Jesus, Laotse, Muhammed und Buddha. Ansonsten ist der Raum schlicht eingerichtet; auf dem Boden liegen einige Sitzkissen und gegenüber dem Allerhöchsten steht ein mannshoher Altar. Täglich viermal kommen die Nonnen und Mönche zusammen und feiern ein gemeinsames Gebet. Selbstverständlich haben mich die Geistlichen zur Teilnahme am Gebet eingeladen. Versehentlich habe ich mich auf die Damenseite gesetzt und wurde mit einem Lächeln zum Wechseln auf die andere Seite gebeten. Als alle angekommen sind, schlägt der Vorbeter die Glocke, und im Takt zu den Glockenschlägen rezitiert die Gemeinschaft die Gebete. Es hört sich an wie ein Gestammel ohne erkennbare Worte, fast wie eine Mischung aus Gesang und Sprechtext. Immer wieder verneigen sich die Geistlichen vor dem Dao Cai bis die Stirn den Boden berührt, richten sich auf und rezitieren weiter. Schließlich gibt jeder einen kleinen Zettel in einen Topf, der vor den Augen aller angezündet wird. Das ist wohl so etwas wie das Vergeben der Sünden. Der Oberpriester sagt noch ein paar Worte und dann verschwinden alle wieder im Klosterbereich, zu dem Fremde keinen Zutritt haben.
ViE17DanangCaoDaiTempel.jpg ViE13DanangCaoDaiTempel.jpg ViE18DanangCaoDaiTempel.jpg ViE19DanangCaoDaiTempel.jpg
Ich unternehme noch einen Rundgang durch den gepflegten Garten mit Bäumen und Sträuchern, die akkurat geschnitten sind und eher die menschliche Dominanz als das unbändige natürliche Wachstum ausdrücken.
Nach dem Besuch mache ich in einem Cafe eine Pause und bestelle einen Kaffee. Worauf habe ich mich da bloß eingelassen? Es gibt natürlich einen Caphe Viet, d.h. eine leicht ölige Kaffeebrühe als Art Espresso in einem Glas, dazu wurde ein großer Eiswürfel und eine dicke Vanillesoße gereicht. Meinem Wunsch nach einem Heißgetränk haben die aufmerksamen Damen dann sofort entsprochen: Das Glas mit der Espresso-Pfütze wird in eine Schale heißen Wassers gestellt. Zum Herunterspülen gibt es ein Glas grünen Tees.
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Wolke7

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30.08.2010
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Hue

Regen, Regen, Regen. Von der ersten Minute nach der Ankunft bis zur Abreise hat es fast nur geregnet. Die Einheimischen sprechen vom jährlichen Monsun, doch die langfristigen Klimadaten beschreiben Hue als überwiegend trocken im Januar und Februar. Wie auch immer, der ständige Niesel geht durch und durch und begrenzt die Aktivitäten signifikant. Am dritten Tag ist das Wetter hinreichend trocken für den Besuch des Königspalastes.
Direkt am Ufer des Huong Giang Flusses haben die Gia-Long Herrscher vor gut 200 Jahren eine gewaltige Zitadelle mit Bastionen errichtet nach dem Vorbild europäischer Befestigungen a la Vauban. Innen spielte sich das gesamte höfische Leben ab mit der verbotenen Stadt für die Königsfamilie, Verwaltungsbauten für die höheren Beamten und das Militär. Heute leben etwa 50.000 Familien in den Mauern der Zitadelle in meist einfachen Häusern.
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Touristischer Höhepunkt ist die Verbotene Stadt, die durch eine kleinere Mauer abgeschirmt war. Hier lebten der König mit Familie, Hofstaat und Konkubinen; etwas abseits die Vorfahren mütterlicherseits neben dem Ahnentempel. Die gesamte Anlage ist eine kleinere Version der Verbotenen Stadt in Beijing: Grundriß, Funktionalität und Architektur finden reichlich Entsprechungen. Der aufmerksame Besucher betritt die Stadt durch das fünfbogige Mittagstor mit einem zweigeschossigen Pavillon obendrauf. Das Dach ist mit Drachen, Masken und dekorativen Ornamenten reich geschmückt. Das Witzige: Hier und überall sonst bestehen die Schmuckwerke aus wiederverwendeten Bruch glasierter Porzellan- und Keramikscherben. Man erkennt beim genauen Hinsehen noch deutlich Teetassen, Teller und anderes Geschirr neben bunten Wandfliesen, die mosaikartig in den feuchten Untergrund gedrückt wurden und die figuralen Dekorationen ergeben. Im Pavillon saßen der König und der weibliche Hofstaat bei Zeremonien, die seine Anwesenheit zwar nicht unbedingt erforderlich machten, die aber doch von Interesse sein mochten. Die Damen konnten aus dem oberen Bereich durch halbdurchsichtige Öffnungen das Geschehen verfolgen, ohne selbst gesehen zu werden.
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Hinter dem Mittagstor öffnet sich das Areal zu einem weiten Platz. Ein leicht erhöhtes Plateau eingerahmt von Teichen, Grünanlagen und der Halle der höchsten Harmonie bot den äußeren Rahmen für die wirklich wichtigen Zeremonien. Hier ist deutlich erkennbar, wie streng hierarchisch die Gesellschaft Vietnams im 19. Jahrhundert gewesen ist; jeder Teilnehmer hat 'seinen' Platz bekommen nach Rang und Funktion abgestuft, nach Positionierung auf dem Plateau oder auf den Stufen davor und nach Nähe zum König. Der König selbst saß auf einem vergoldeten Thron innerhalb der offenen Halle.
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Ursprünglich schloß sich hinter der Halle der höchsten Harmonie die nochmals von einer Mauer umgebene Purpurne Verbotene Stadt an. Hier befanden sich die Privatgemächer der königlichen Familie und des engsten Hofstaates. Leider ist davon heute nicht allzu viel zu sehen. Verwahrlosung und Kriegseinwirkung haben einen Großteil der Gebäude ruiniert. Erst nachdem internationale Touristen Interesse an dem kulturellen Erbe Vietnams gezeigt haben, wird die Königsstadt wieder restauriert bzw. neu aufgebaut. Ebenso ergeht es dem östlichen Teil: außer dem königlichen Theater wurde noch kein Gebäude restauriert. Ursprünglich befanden sich hier die Erholungs- und Vergnügungseinrichtungen: ein herrlicher Garten, eine reiche Bibliothek, Tempel verschiedener buddhistischer Strömungen und eben das Theater.
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Im westlichen Teil stehen der schon restaurierte Ahnentempel und die Wohnhäuser für die Königsmutter und -großmutter, die ihren eigenen kleinen Hofstaat unterhielten. Im Ahnentempel reihen sich die Altäre für die letzten sieben vietnamesischen Könige wie eine Perlenkette aneinander. Das dürften wohl alle Generationen, die in der Königsstadt residierten, sein. Die glimmenden Räucherstäbchen und die reich gefüllten Schalen mit Opfergaben zeigen, daß auch heute noch (wieder) das Ahnenerbe geehrt wird, obwohl es nach der Unabhängigkeit Vietnams sträflich vernachlässigt wurde.
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Gegenüber steht der markante Glockenturm, mit 13 m das höchste Gebäude ganz Hues bis 1945.
Wie kleine Reiche für sich wirken die Residenzen für die weiblichen Vorfahren des Königs. Von einer Mauer eingeschlossen steht ein zweigeschossiges Haus auf dem Grundstück, das der Hausherrin auskömmlichen Wohnraum oben und repräsentative Audienzräume unten bot. Mal abgesehen von der Größe unterscheidet es sich in Architektur und Dekoration nicht von den Gebäuden der Purpurnen Stadt. Sogar ein kleiner Garten mit Teich und schattigen Plätzchen sorgt für das Wohlergehen der Bewohnerinnen.
Im Ausstellungspavillon wird ein Spiel gezeigt, bei dem sich ein Spieler ein etwa unterarmlanges Bambus-Stöckchen auf die Stirn stellt und es dann kopfüber auf ein Holzbrett treffen läßt. Von dort federt es erneut hoch, beschreibt einen eleganten Bogen und landet schließlich wieder 'Füße unten' in einer enghalsigen Vase. Die Beschriftung weist dieses Spiel als einen vergnüglichen Zeitvertreib aristokratischer Familien aus, bei dem der letzte König Bao Dai es zu großer Geschicklichkeit gebracht haben soll. Man kann sich gar nicht vorstellen, daß überhaupt einmal ein Stöckchen in der ausgestellten Vase gelandet sein könnte.
Auf der anderen Flußseite stehen dicht beieinander zwei buddhistische Klöster. Das eine, Chua Bao Quoc wurde 1747 zur nationalen Pagode aufgewertet. Ein Tempel, in dem neben den Buddhastatuen auch die Äbte vergangener Tage verehrt werden ist vom Wohnhaus und den Wirtschaftsgebäuden umgeben. Auch hier sind die Dekorationen aus den bekannten wiederverwendeten Scherben gestaltet. Höhepunkt ist jedoch der kleine Urwald an der Südseite: ein natürlich belassener Wald schützt die Grabstätten der Mönche. Auf matschigen Trampelpfaden erreicht man die Stelen, Stupas und kleinen Gräber. Die ganze Anlage wirkt etwas heruntergekommen, teils weil manche Gräber und das Eingangsportal überwuchert sind, teils weil die geschlossenen Türen einen unbewohnten Eindruck hinterlassen. Lediglich zwei junge Mönche sind vor Ort und schalten für mich als einziger Besucher das Licht an. Sie stammen von dem unweit gelegenen Chua Tu Dam, einem buddhistischen Kloster, das ein chinesischer Flüchtling in den 1680ern hier gegründet hat. Schon die Begrüßung "Nihao" zeigt den nationalen Charakter der Mönche. Die Gebäude sind ausnahmslos neueren Datums, und im Garten stehen in Kübeln eine Vielzahl kunstfertig geschnittener Bonsais umgeben von bunten Fahnen und dem vielfach wiederholten Neujahrsgruß. Hier findet sogar der neugierige Reisende einen Ort der Ruhe und kurzzeitigen Entspannung.
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Ho Chi Minh City - Teil 1

Die Metropole des Südens ist wohl die internationalste Stadt Vietnams. Die junge Generation trägt ein fancy Outfit zur Schau, das jedem japanischen Comic-Strip Konkurrenz machen könnte. Dazu kommen viele Kneipen, Nachtbars und Glaspaläste globaler Banken. Schon der erste Eindruck bei der Fahrt vom Flughafen ins Zentrum zeigt breite Boulevards, teilweise mit extra Spuren für Zweiräder. Der Grundriß im Zentrum ist orientiert an einem Schachbrett mit einigen Ausfallstraßen und vielen schmalen Seitenstraßen.
Bei der Ankunft wird immer noch das TET gefeiert, das Neujahr des Mondkalenders. Eine der wichtigsten Durchgangsstraßen wurde zur Fußgängerzone umfunktioniert. Hier schlendern und tummeln sich während der Feiertage viele Kurzurlauber aus nah und fern. Besonders die asiatischen Touristen finden großen Gefallen an den vielen blühenden Blumen in gelb und rosa, dazu kommen die schrillen Figuren von Hasen, Löwen, Drachen und anderen Tieren. Insgesamt eine ausgelassene, gelöste Stimmung zur Neujahrsfeier.
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Parallel verläuft die Dong Khoi; hier schlägt noch der letzte Rest des kolonialen Zeitalters. Von der Notre Dame führt der Weg am Hauptpostamt, am Stadttheater und an einigen ehemaligen Nobelhotels vorbei zur Flußpromenade. Alle genannten Gebäude sind im Stil der Dritten Französischen Republik errichtet. Für die Europäer und wohl noch mehr für die Europäerinnen muß diese Straße einmal wie das Wohnzimmer inmitten der fremden Stadt gewesen sein. Inzwischen sind manche Bauten durch gesichtslose Zweckbauten ersetzt; trotzdem liegen hier immer noch die teuersten Geschäfte mit den modernsten Modekreationen sowie die angesagtesten Restaurants.
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Hinter der Kathedrale ist das gewachsene HCMC durch einen Grüngürtel getrennt. Und, ja da ist doch noch was: der ehemals neobarocke Gouverneurspalast ist nach einer schweren Beschädigung durch einen Plattenbau sozialistischer Architektur ersetzt worden. Hier hat die südvietnamesische Regierung ihren Sitz erhalten. Bei der Führung weist die nette Dame auch auf so manche weltpolitische Aktion hin, die hier geplant bzw. stattgefunden hat, z.B. die bedingungslose Kapitulation des Südens im Mai 1975.
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Von den Museen ist das zur Geschichte Vietnams besonders sehenswert. Mit modernen museumspädagogischen Instrumenten wird die Geschichte von der ersten Besiedlung bis zur Herausbildung einer typisch vietnamesischen Identität beleuchtet. Dabei wird auch nicht verschwiegen, daß zur Kultivierung des heutigen geographischen Vietnams eigentlich die Siedler aus China und Indien die entscheidende Rolle gespielt haben.
 

Wolke7

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30.08.2010
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Ho Chi Minh City - Teil 2

Westlich des kolonialen Zentrums liegen einige Klöster und Pagoden. Ausnahmslos sind es Gründungen eingewanderter Mönche aus China, Japan, Indien oder Cambodia. Alle Tempel sind gut besucht; schließlich möchten die Besucher für das beginnende Jahr Glück und Prosperität erbitten. Da wird sicherlich ein kleines Opfer an den Gott hilfreich sein – und wehe, wenn nicht. Die Altäre quellen fast über vor angebotenen Tellern mit frischem Obst, Chocolate Chips, Bierdosen und anderen Genußmitteln, von denen die Gläubigen annehmen, die Götter werden sie honorieren. Die Mönche kommen kaum nach, aus den Sandbottichen die noch glimmenden Weihrauchstäbchen zu entfernen; und immer drängen neue Besucher nach und stopfen frische Stäbchen in den Sand. In der Chua Ngoc Hoang, dem Tempel des Jadekaisers, werden kleine Goldfische und Schildkröten in die Teiche entlassen, reichlich gefüttert und mit einem Gebet verabschiedet. Das soll wohl ein langes Leben und viel Glück bringen.
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Wie im Hinduismus üblich begrüßt den neugierigen Besucher im Sri Mariammam Tempel ein bunter Tempelturm mit vielen Figuren. Es ist mit Abstand der bunteste Gebäudeteil der gesamten Anlage. Das Innere wird von einem Schrein dominiert, in dem das Allerheiligste aufbewahrt wird: eine Staue der Mariammam und ihren himmlischen Begleitern.
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Weltpolitische Bedeutung hat der buddhistische Mönch Thich Quang Duc erlangt. In der Regierungszeit des südvietnamesischen Präsidenten Diem wurden Buddhisten allgemein und speziell Nonnen und Mönche mit drakonischer Strenge verfolgt. Einer von ihnen hat sich im Juni 1963 während einer Meditation öffentlich selbst verbrannt. Die Bilder gingen um die Welt und haben u.a. dazu geführt, daß der US-Präsident Kennedy seinen vietnamesischen Kollegen hat fallen lassen. Thich Quang Duc wurde seither als Märtyrer und Boddhisattva verehrt. Sein Todesort wird durch eine gepflegte Stupa mit einer von stilisierten Flammen umgebenen Sitz-Statue ausgezeichnet. Am Rand standen einmal Tafeln mit Bildern und Erläuterungen; diese wurden jedoch entfernt.
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In der Pham Ngu Lao und der Bui Vien befindet sich ein Großteil der hiesigen Tour Operator und Budget Hotels. An ihren Reklametafeln sind übrigens fast alle Preise in US-Dollar angegeben. Tatsächlich möchten Dienstleister lieber Dollar als die nationale Währung Dong kassieren. Der Dong wird von der Regierung als rein nationale Währung gepflegt. Offiziell ist die Ausfuhr von Dong selbst in kleinen Mengen verboten, auch für Vietnamesen. Wenn Vietnamesen eine Auslandsreise machen möchten, benötigen sie also ausreichend Devisen für ihre Reise, und die kommen von den internationalen Reisenden in Vietnam. Manchmal zahle auch ich in US-Dollar und bekomme jedesmal Wechselgeld in Dong heraus.
Traditionell siedelten die Chinesen ein paar Kilometer südwestlich im ehemaligen Sumpfland. Sie machten das Land urbar, bauten Kanäle und fingen mit dem Handel zwischen China und Südvietnam an. Heute sind das alte und das chinesische Zentrum längst miteinander verschmolzen und durch dicht befahrene Straßen verbunden. Dennoch hat 'Chinatown' etwas seiner ursprünglichen Identität bewahrt. Manche ältere Häuser in den Nebenstraßen zeigen noch die für Südchina typische Architektur: zweistöckig mit hölzernen Fensterläden und Arkadengängen zur Straßenseite hin. Im ganzen Viertel wimmelt es nur so von Versammlungshallen, Gebetsräumen und Tempeln. Im Ha Chuong Hoi Quan ist es richtig voll. Der Tempel ist nach Süden ausgerichtet, besitzt einen äußeren Vorhof, einen dreibogigen Durchgang, und anschließend steht der Besucher in einem noch oben offenen Innenhof. Dichte Weihrauchschwaden wabern durch die Halle; an Schnüren hängen die glimmenden Weihrauchspiralen herab und vernebeln buchstäblich die gesamte Anlage. In der Haupthalle steht der Hauptaltar, seitlich daneben die Altäre für die Göttin der Fruchtbarkeit und den Gott des Reichtums. Kein Wunder, daß gerade hier kurz nach dem Neujahrfest umfangreiche Opfergaben dargebracht werden.
Etwas weiter steht der Tempel Phuoc An Hoi Quan. Als unbedarfter Europäer denke ich an einen typgleichen Bau wie gerade eben. Doch der Eindruck täuscht: Diese Halle ist zwar genauso aufgebaut wie der Tempel, doch ist die verehrte Person ein General.
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Chinatown wird von Touristen weniger besucht als das koloniale Viertel. Das macht den Spaziergang zu einem ungestörten Erlebnis; es fragen hier keine Rikscha-Fahrer nach Kunden, und im Cafe drängeln keine frechen Schuhputzer. Das alles macht den Ausflug zu einem entspannten Erlebnis.
 

Wolke7

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30.08.2010
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1. Etappe nach Van Giang

Ab jetzt geht es mit dem Fahrrad weiter. Nach dem Rückflug SGN - HAN steht der Drahtesel wohlbehalten in Hanoi.
Die Strecke ist wohlbekannt: auch der Flughafenbus fährt zunächst über den Song River (Roter Fluß) auf die Ostseite der Stadt und biegt dann nach Norden ab. Fast noch am äußersten Stadtrand liegt das Dorf Co Loa. Heute erinnert nichts mehr an eine Hauptstadt im 3. Jh. v.Chr., die durch eine Legende regionale Berühmtheit erlangt hat: Die gerade verheiratete Prinzessin My Chau verrät das Geheimnis der Unbezwingbarkeit ihres Vaters An Duong Vuong ihrem Gatten, dem Sohn des Nachbarkönigs Zhao Tuo; gemeinsam machen sie es unwirksam und geben Zhao Tuo das Signal zum Angriff. Angesichts der Niederlage und dem Einsehen in den Verrat schlägt der wutentbrannte An Duong Vuong seiner Tochter den Kopf ab, und der junge Witwer stürzt sich in sein Schwert.
Heute wird die Legende durch mehrere Tempel und Gebetshallen. die pittoresk an einem Tümpel liegen, wach gehalten. Eine Sandsteinfigur zeigt den verratenen König An Duong Vuong, und von dort schreitet der neugierige Besucher durch ein dreibogiges Tor und betritt einen geräumigen Innenhof. Die heutigen Gebetshallen sind keine 100 Jahre alt; sie zeigen die untergegangene Königsdynastie mit dem geschlagenen König An Duong Vuong auf dem Hauptaltar. Zur Anlage gehört auch eine Versammlungshalle, wie sie seit dem 17. Jh. üblich war: ein breit angelegtes Gebäude mit tief heruntergezogenem, geschwungenem Dach wird durch den mittigen Eingang in zwei Hälften geteilt. Auch wenn im Eingangsraum ein Altar steht, ist diese Halle ein säkulares Gebäude; hier haben sich die Dorfmitglieder zum Rat getroffen und die jährlichen Feste abgehalten.
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Durch die Reisfelder fahre ich weiter in Richtung Bac Ninh. Unterwegs werde ich immer wieder von Schulkindern begleitet, die aus der Schule kommen oder dorthin fahren. Ihr english beschränkt sich allerdings auf wenige Phrasen 'Hello', 'What's Your name?' oder 'How are You?'. Die jungen Mädchen haben nett gewunken und brachen in pubertierendes Gekicher aus, wenn ich ihren Gruß erwidere.
Kurz vor Tu Son steht etwas versteckt zwischen modernen Häusern eine weitere Versammlungshalle, die dem gleichen Typ wie in Co Loa entspricht und aus der gleichen Zeit stammt. Hier sind die Holzschnitzereien im Inneren fein gearbeitet. Sie zeigen verschlungene Drachenkörper, Löwen und landwirtschaftliche Szenen. Draußen trainieren zwei Bewohner ihre Kampfhähne für die regelmäßigen Turniere auf dem Vorplatz.
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Von Bac Ninh aus gibt es zwei Möglichkeiten, den kleinen Ort Tho Ha zu erreichen: Zunächst fahre ich über die Brücke des Song Cau River und dann auf und hinter dem Deich bis nach Tho Ha. Es ist schon ein wenig spekulativ auf den Wegen, die eher breite Trampelpfade als gepflasterte Straßen sind, und bei der starken Bewölkung, die keine Orientierung nach der Sonne erlaubt, den Kurs zu halten. Nach ein paar Irrfahrten schaffe ich es dann doch und platze in eine Trauung. Das edel gewandete Paar kommt aus dem Tempel, ein Chor traditionell gekleideter Damen singt und die Gäste füllen fast den ganzen Hof. Plötzlich werde ich selbst zur Attraktion; die Gäste wenden mir ihre Kameras zu und schießen serienweise Photos. Manche schauen geradezu als hätten sie noch nie einen Radfahrer gesehen und lachen herzlich dabei. Mit so einer Aufmerksamkeit hatte ich dann doch nicht gerechnet.
Das Dorf zieht sich am Ufer entlang. Auf der einzigen Straße und einigen abknickenden Gassen spielt sich das Leben ab. Am heutigen Samstag wird offenbar nicht nur geheiratet, es findet auch ein Fest am Marktplatz statt. Wegen der Enge muß ich durchs Dorf schieben und komme am historischen Dorftor heraus, das aus den Zeiten stammt als Tho Ha noch ein geschäftiges Zentrum der Keramikproduktion war. Die chinesischen Schriftzeichen deuten an, wie lange Nordvietnam in chinesischen Händen lag. Besonders nach dem Ende der Ming-Dynastie (1644) mußten viele Chinesen fliehen, darunter auch Mönche, die in ihrer neuen Heimat Klöster, Tempel und Schulen gegründet hatten. Ein paar Reste findet man also auch in Tho Ha, einem der verschlafensten Fleckchen Vietnams. Mit der Fähre setze ich über und erreiche nach wenigen Kilometern Bac Ninh.
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Südlich liegt der nächste Seitenarm des Roten Flusses, der Duong. Auch hier fahre ich auf der Deichkrone bis zum Dorf But Thap, wo ein Kloster aus dem 13. Jh. alle Zeiten überlebt hat. Zwei grimmig dreinblickende Dharma-Wächter beschützen die ummauerte heilige Stätte. Von dort geht der Besucher durch eine weitere Halle in das zentrale Heiligtum: eine Vielzahl von dunkelroten Boddhisattvas stehen an den Wänden, am eindrucksvollsten die Darstellung Avalokiteshvaras. Buchstäblich 1.000 Hände ragen aus dem Körper in alle Richtungen, jede einzelne trägt ein Auge. In dem schummrigen Licht kommt die Dramatik dieser Figur gar nicht recht zur Geltung, denn eigentlich ist diese Halle anderen Boddhisattvas gewidmet. Im hinteren Teil des Klosters wird den Vorfahren gedacht. Selbstverständlich sind die seligsten Klostervorsteher durch eigene Stupas geehrt, die einfachen Mönche lediglich durch kleine Tafeln.
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Offenbar machen sich drei einheimische Mädchen einen Spaß daraus, sich mit Besuchern zu photographieren. Auch mich fragen sie; obwohl ich nur mittelgroß bin, überrage ich sie um Haupteslänge. Sie stellen sich deshalb auf eine Bank und freuen sich sehr an den entstandenen Photos.
Nur wenige Kilometer südlich im Dorf Dau liegt vermutlich die Wiege des vietnamesischen Buddhismus. Einwandernde Mönche aus Indien haben sich hier im 3. Jh. niedergelassen und Klöster gegründet. Die neue Religion war der alten in vielerlei Hinsicht überlegen, so daß die Anhängerschar immer größer wurde. Heute steht ein Neubau aus dem 18. Jh. an der Stelle des alten Klosters. Ein mächtiger, quadratischer Ziegelsteinturm steht auf dem Vorplatz und läutet bei Bedarf. Besondere Aufmerksamkeit erregen die vielen Darstellungen in den hinteren Umgängen. Dort sind Menschen in verschiedensten Situationen dargestellt: im Gespräch, allein meditierend, fröhlich lachend, anmutig schreitend, ruhend usw. Jede Szene ist einer typisch menschlichen Stimmung, vielleicht auch Alltagssituation zugeordnet. Die Gläubigen gehen zu der passenden Darstellung, opfern, stecken ihre Räucherstäbchen ein und beten.
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Es wird jetzt etwa um 6 Uhr schon so dunkel, daß man nicht mehr weiterfahren kann. Also suche ich nach einem passenden Nha Nghi und ruhe mich für die nächste Etappe aus.
 
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2. Etappe nach Quoc Oai

Südlich von Van Giang liegen direkt am Flußufer zwei interessante Tempel. Der eine, der Den Chu Dong Tu, wirkt schon von weitem besonders durch die verspielten hellbeigen Türme und die Fassade. Chu Dong Tu war ein armer Fischer, der die Liebe der Königstochter entfesselte und sie gegen den Willen ihres Vaters heiratete. Dem fälligen Mordkommando entkam der Arme nur, indem er mit seiner schönen Braut in den Himmel auffuhr. Seitdem wird er als einer der vier Unsterblichen verehrt. Der Tempel ist völlig anders als alle religiösen Stätten, die ich vorher besucht habe. Die Gebetshalle liegt inmitten eines lieblich angelegten Gartens mit Sträuchern, Steinen und Pflanzenkübeln, in denen anmutige Szenerien dargestellt sind. Auf schmalen Wegen und kleinen Brücken bahnt sich der Besucher den Weg zum Altar, der die üblichen Sitzstatuen, Vasen und glitzernden Lämpchen zeigt. Das Besondere am Den Chu Dong Tu sind der auffällige Fassadenschmuck und der liebevoll gestaltete Garten.
ViG10DenChuDongTu.jpg ViG15DenChuDongTu.jpg
Noch in Sichtweite liegt der zweite Tempel, der Den Da Trach, der für Besucher das attraktivere Pilgerziel ist. Er besitzt den 'klassischen' Aufbau mit Vorhof, Vorhalle, Innenhof, Haupthalle und Umgang. Scharenweise kommen die Pilger mit Ausflugsdampfern aus Hanoi herangefahren, um den Schutzgeist gnädig zu stimmen und ihn um seinen persönlichen Schutz zu bitten. Vor der Tempelanlage wird gerade kräftig gebaut, vermutlich um noch mehr Verkaufsstände und Restaurants zu beherbergen.
Die Fähre zur Flußquerung ist ein echter Seelenverkäufer: Alles, wirklich alles war rostig, und trotzdem passen 5 Fahrzeuge und diverse Zweiräder mit Personen drauf. Gemütlich tuckerte der Kapitän seinen schwimmenden Untersatz auf die andere Seite.
Anhang anzeigen ViG19F
Die Deiche des Sung Rivers und deren Nebenflüsse werden meine ständigen Begleiter. Auf ihnen kann man ganz gut fahren, der Verkehr ist stark begrenzt allerdings sind die Wege auf der Karte nur unzureichend markiert. So orientiere ich mich meistens nach Gut Glück und biege auch schon mal falsch ab. Schließlich komme ich dennoch am richtigen Ort heraus. Zur Landseite hin sind die Felder voll geflutet; die Reissaat ist in vollem Gange. Viele Frauen stehen bis knapp unter die Knie im Wasser und drücken die Setzlinge in den Schlamm. Es ist eine harte Arbeit, die dem Rücken alles abverlangt und, sofern barfuß ausgeführt, auch die Haut weich macht.
Südlich von Te Tieu beginnt die Region der Karstberge. Gespenstisch tauchen sie im ganztägigen Dunst auf und verschwinden wieder. Am Fuße eines Berges liegt die Chua Huong, das bedeutendste Pilgerziel in dieser Gegend. Bei der Anfahrt erkennt man eine Vielzahl von heiligen Orten in den Dörfern und in der Nähe der Karstberge. Das letzte Stück zur Chua Huong wird mit dem Ruderboot zurückgelegt, das heißt, ich muß das Fahrrad mit dem Gepäck an der Anlegestelle abstellen. Der scheinbar freundliche 'Manager' weist mir einen Platz an und kassiert kräftig ab. Selbstverständlich nehme ich alle Wertsachen mit und schließe das Fahrrad ab; das ist auch dringend notwendig. Nach der Rückkehr muß ich feststellen, daß die jungen Männer das Gepäck durchwühlt und das Schloß zu knacken versucht haben.
Am Ende eines Kanalarms liegt die Chua Huong als ein Heiligtum, das auf mehreren Ebenen die Gebetshallen angelegt hat als ob man auf einer Himmelsleiter das Allerhöchste erreichen könnte. Auf dem gestuften Hauptaltar stehen bestimmt ein Dutzend dunkelrote Sitzstatuen, die allesamt mit Tüchern verhüllt sind. Trotzdem beten die Pilger, bringen ihre Opfer dar und stecken die Weihrauchstäbchen in den Topf. Dieser Tempel ist jedoch nur der Vorgeschmack für das eigentliche Ziel der Pilgerfahrt. Hoch oben fast auf dem Gipfel öffnet sich eine Grotte, in der seit dem späten 15. Jh. buddhistische Heilige verehrt werden. Man darf jedoch vermuten, daß dort schon wesentlich früher religiöse Veranstaltungen zelebriert wurden.
ViG29ChuaHuong.jpg ViG23ChuaHuong.jpg
Die Weiterfahrt auf dem Deich gestaltet sich zu einem echten Desaster. Es liegt so viel Split auf der Deichkrone, daß sich die kleinen Steinchen durch die Reifen bohren, ein Plattfuß ist die Folge. Bei der Reparatur übersehe ich das winzige Teilchen, das also noch immer im Reifen steckt und den neuen Schlauch schon nach wenigen Kilometern erneut beschädigt. Einen Platten hatte ich schon während der ersten Etappe, so daß alle Ersatzschläuche nun verbraucht sind. Also benötige ich die Hilfe eines Reifenflickers, die es praktisch überall gibt. Es ist ein kleines, schlichtes Häuschen, in dem die Familie mit einem Kleinkind lebt. Der vordere Raum ist als Werkstatt und Aufenthaltsraum eingerichtet. Zum Händewaschen muß ich in den Garten. Dort steht ein Wellblechverschlag, in dem alle 'Wasserarbeiten' verrichtet werden: Toilette, Geschirrspülen, Wäschewaschen usw. Der Rest der Etappe verläuft dann glatt ohne Panne.
Die Gegend südwestlich Hanois besitzt einige Heiligtümer, die sich an Karstberge anlehnen und seit Urzeiten religiös genutzt werden. In der Nähe von Chuc Son steht die Chua Tram Gian, ein ehemaliges Kloster aus dem 12. Jh. Es besteht aus der Gebetshalle, einer Art Park, in dem die Grabstupas stehen, und einer Grotte. Besonders die Grotte ist eigenartig: An den Wänden entlang des Weges zum Hauptaltar sind zahlreiche Tropfsteinformationen erkennbar, davor stehen in langer Reihe kleine Statuen von Boddhisattvas, selbstverständlich dürfen auch die beiden Wächterfiguren nicht fehlen – und gegenüber auf einem eigenen Altar die rot angestrahlte Büste Ho Chi Minhs.
Wieder einige Kilometer weiter nicht weit von Quoc Oai entfernt ragt ein einzelner Karstberg aus der flachen Ebene empor. Hier fahren die Besucher wieder gruppenweise vor, besuchen den Tempel Chua Thay und besteigen den gut 100 m hohen Berg. Malerisch liegt der Tempel hinter einem Tümpel mit Pavillon in der Mitte. Der äußere Aufbau entspricht dem Tempel der Chua But Thap, obwohl das hiesige Kloster viel später gegründet wurde. Eine düstere Vorhalle mit zwei mächtigen Wächterfiguren führt unter einem Durchgang in die erste Haupthalle mit dem Hauptaltar und flankierenden ebenfalls mächtigen Dharma-Wächtern. Die zweite Haupthalle ist den Ahnen, d.h. den verstorbenen Klostermitgliedern vorbehalten. Auf halber Höhe des Aufstiegs auf den Berg erreichen die Pilger eine kleine Grotte und eine Ansammlung von Gebetshallen. Der Weg endet knapp unterhalb des Gipfels vor einer Grotte, die steil nach unten in den Berg hineinführt. In dieser engen Einsiedelei soll der Legende nach der Mönch Tu Dao Hanh die letzten Monate seines Lebens in einsamer Meditation verbracht haben, bevor er ins Nirvana aufgestiegen ist.
ViG48ChuaThay.jpg ViG49ChuaThay.jpg ViG43ChuaThay.jpg
Von einem Vietnamesen werde ich gefragt, ob ich denn katholisch sei. Für Vietnamesen ist, wie ich lerne, der Katholizismus gleichbedeutend mit dem Christentum; entsprechend kann er mit meiner Antwort, ich sei Protestant nichts anfangen. Der Hintergrund der Frage besteht im Unverständnis, was ein Nicht-Buddhist eigentlich hier will, denn tatsächlich die ganze Busgesellschaft betet und opfert reichlich - nur der neugierige Individualreisende nicht. Meine Antwort, daß man Pilgerorte doch auch mit touristisch-interessiertem Anliegen besuchen könne, hat ihn wohl nicht recht zufrieden gestellt. Er lächelt freundlich, nickt und erwidert, daß es ja tatsächlich eine schöne Anlage sei.
 
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3. Etappe nach Lao Cai

Quasi gleich um die Ecke liegt eine zweite Pagode auf einer kleinen Anhöhe. Die Chua Tay Phuong gehört offenbar zum Besuchsprogramm organisierter Reisegruppen: auf dem Parkplatz drängen sich zwischen den Souvenirständen westliche und asiatische Touristen mit schweren Kameras um den Hals. Sie ahnen ja noch gar nicht, was ihnen bevorsteht. Über eine steile, grobe Stufentreppe muß der neugierige Besucher dem aufdringlichen Werben der Verkäufer ausweichen und gleichzeitig nach Luft schnappen für die nächsten Stufen. Mancher Tourist bleibt erschöpft am Wegesrand sitzen und weiß genau, sie/er muß ja auch wieder runter.
Die Pagode Tay Phuong besteht aus drei Hallen, die allerdings so eng aneinander gebaut sind, daß man sie als eine große Halle mit Zwischenwänden verstehen kann. Im Innern folgt die Einrichtung dem 'klassischen' Aufbau: zwei grimmig blickende Wächter begrüßen die Besucher, das Hauptheiligtum in der Mitte, und abweichend im hinteren Bereich steht eine erlesene Kollektion von La Han Figuren. Das menschliche Original ist Buddhas Spuren in selbstbestimmter Weise gefolgt und hat später Erleuchtung erlangt. Die Holzfiguren sind so lebensecht gestaltet, daß ihre Individualität voll zur Geltung kommt. Der betende Pilger soll in dieser Halle lernen, daß jeder Weg zur Erleuchtung führen kann, wenn man ihn denn nur zu Ende geht.
ViG55ChuaTayPhuong.jpg ViG57ChuaTayPhuong.jpg ViG64ChuaTayPhuong.jpg
In den nächsten Stunden wäre ich fast verzweifelt. Eigentlich möchte ich die Hauptstraßen meiden und auf Landstraßen zum nächsten Ziel radeln. Meine Karte weist auch Straßen in gutem Zustand dazu aus. Kommt man jedoch an eine Kreuzung, weiß ich weder, ob der geplante Weg der Richtige ist, weil die Schilder fehlen oder ungenau sind, und die Passanten meistens meine Frage nach dem rechten Weg gar nicht verstehen oder in irgendeine Richtung zeigen, noch, ob der Weg nach den Regenfällen der letzten Nächte in einigermaßen befahrbarem Zustand ist. Also fahre ich auf gut Glück in die mir richtig erscheinende Straße. Diesmal liege ich zwar mit der Straße richtig, doch ist sie völlig verschlammt. Das Rad und sein Reiter sehen aus, als wären sie nur mit knapper Not einem Erdrutsch entkommen.
Der BaVi Nationalpark ist eigentlich ein Ausflugsziel während der Sommermonate. Im Februar liegt der Gipfel oft in Wolken, und die Tierbeobachtung endet erfolglos wegen der schlechten Sicht. Ein paar Australier sind jeden Morgen bei Sonnenaufgang losgezogen, um Vögel zu beobachten und Naturaufnahmen zu machen. Abends haben sie nur von Mißerfolgen berichtet. Mein Hike zum Gipfel brachte kein besseres Ergebnis, allerdings habe ich mir den Tempel am Fuße des Gipfels angesehen. Er unterscheidet sich äußerlich nicht von anderen buddhistischen Heiligtümern, doch der Souvenirstand offenbart den Charakter: die Broschüren und Bücher beziehen sich allesamt auf den Staatsgründer Ho Chi Minh.
Zurück im Gästehaus des Nationalparks esse ich mit den Australiern zu Abend. Das Gericht heißt einfach Rindfleisch mit Gemüse und Senfsauce. Einzelne Fleischstückchen werden zusammen mit einem Gemüsestreifen in ein Salatblatt gewickelt und dann mit der Hand gegessen.
An der Hauptstraße Richtung Lao Cai liegt ein Ort, der als lebendiges Museum angepriesen wird. Seit Urzeiten bauen die Bewohner die Häuser aus einem eisenhaltigen Lehm, der zu Ziegeln geformt und von der Sonne getrocknet steinhart wird. Duong Lam ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl privater Häuser, die durch eine übermannshohe Mauer eingefriedet sind. Um einen kleinen zentralen Platz gruppieren sich die Bauten: Wohnhaus, Stall und vielleicht noch ein Anbau. Ein paar Brunnen an den Straßen sorgen für die Wasserversorgung. So stelle ich mir die Dorfgestaltung nach chinesischer Tradition vor. Jede Familie besitzt einen geschützten Bereich, der von Besuchern und selbst vom Arm der Obrigkeit nicht verletzt werden darf. Heute wohnt dort allerdings kaum noch jemand. Kein Wunder, daß im sozialistischen Vietnam diese Form des Familienanwesens ausgestorben ist – bis auf den letzten Rest in Duong Lam.
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Entlang des Song Rivers fahre ich nun nach Lao Cai.
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Das südliche Flußufer wird gerade vom Projekt des Noi Ba – Lao Cai – Highways beeinträchtigt. Die Straßen sind aufgerissen, Baufahrzeuge tragen ihren Dreck auf die Straße und die Regenfälle tun ein Übriges. Während einer Pause irgendwo hinter dem Deich vor einem kleinen Haushaltswarenladen versammeln sich plötzlich einige Damen und wollen buchstäblich alles von mir wissen. So vergeht der Nachmittag wie im Fluge; schließlich bietet mir eine Familie ihre Dachkammer zum Übernachten an. Offenbar handelt es sich um eine wohlhabende Familie; geschnitztes Mobiliar mit Perlmuttintarsien, dekorative Lampen und eine großzügige Anzahl von Räumen. Der Hausälteste war Soldat in der vietnamesischen Armee und zeigt mir stolz seine Auszeichnungen und einige Photos. Leider spricht niemand außer der jungen Tochter etwas englisch. Am nächsten Morgen gehe ich im Restaurant des Sohnes und seiner Gattin frühstücken; es gibt Nudelsuppe mit Hundefleisch. Das braunschwarze Fleisch färbt das Wasser dunkeltrüb; es ist zwar kein besonders appetitlicher Anblick, doch schmeckt die Suppe nach einer kräftigen Brühe.
Lao Cai ist die Provinzhauptstadt an der chinesischen Grenze. Schon einige Kilometer vor dem Zentrum erweitert sich die Hauptstraße zu einer mehrspurigen Magistrale. Rechts und links reihen sich die Regierungsbauten im protzigen sozialistischen Stil aneinander, große, rote Wappen verkünden die Dominanz der Obrigkeit und überdimensionale Plakate am Straßenrand glorifizieren das bevorzugte Sozialmodell. Dazwischen stehen ein paar Bürohäuser großer vietnamesischer Firmen, und überall wird gebaut. Ob Vietnam vielleicht auch den chinesischen Weg gehen möchte, die ländliche Bevölkerung in Ballungsgebiete umzusiedeln?
 
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4. Etappe nach Sapa

Es verspricht ein schöner Tag zu werden: die Sonne lacht vom Himmel, das Frühstück ist kräftig und der neugierige Radler schwingt sich elanvoll aufs Rad. Vom Song River soll es heute auf eine 35 km lange Serpentinenstrecke in die Berge gehen. Die ersten Kilometer rollen gemütlich leicht bergan bis die Hänge näher rücken und die Straße immer mehr Kurven benötigt, um die Steigungen noch halbwegs erträglich zu halten. Mir entgegen kommen viele Mopedfahrer ohne Motor, sie rollen einfach bergab und bremsen bei Bedarf. Schon bald entdecke ich einen Wegbegleiter, der fortan zum ständigen Begleiter werden wird: ein Schild, das eine mehr als 10%ige Steigung ankündigt. Anfangs geht es ja noch gut, doch nach jeder Kurve werden die Beine träger, das Nach-Luft-Jappsen hörbarer und der Blick richtet sich nur noch nach unten. Selbst eine kurze Pause bringt nur kurze Erholung. Die übernächste Steigung war das Aus im Sattel; also ist Schieben angesagt bis es wieder flacher wird. Immerhin kann ich so auch mal die grandiose Aussicht auf die bergige Landschaft werfen: rechts erhebt sich der Gebirgszug bis zum Phan Si Pan, dem höchsten Gipfel Vietnams, links geht der Blick ins Tal hinunter. Immer häufiger steige ich ab, versuche Kurzerholungen und nehme den nächsten Anlauf. Doch nach knapp der Hälfte der Strecke muß ich kapitulieren. In einer Kurve stelle ich das Rad ab, setze mich auf einen Stein und sinniere über die Schnapsidee, mit einem Fahrrad nach Sapa fahren zu wollen. Schließlich halte ich einen Minibus an und frage nach einer Mitnahme für das Rad, das Gepäck und meine Wenigkeit. Alles kein Problem.
In Sapa ist es deutlich kühler, erst recht in dem noch feuchten Hemd.
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Rund um den Busterminal stehen die Einheimischen und überbieten sich geradezu in Hotelangeboten und Moto-Fahrten. Zum Glück habe ich die Adresse eines passenden Hotels recherchiert und frage nur nach dem Weg. Im Zentrum existieren fast keine andere Aktivitäten als Shoppen, Essen und Übernachten; trotzdem sind die Straßen belebt mit Touristen, um die herum die auffällig kleinen Damen und Mädchen in Kostümen, die sie als Angehörige einer bestimmten ethnischen Gruppe ausweisen, laufen und ihre (angeblich) selbst hergestellten Handarbeiten anpreisen.
ViG98Sapa.jpg ViG97Sapa.jpg ViG96Sapa.jpg ViG99Sapa.jpg ViH16Sapa.jpg
Das Hotel besitzt eine kleine Terrasse mit grandiosem Ausblick ins Tal und auf den Gebirgszug gegenüber.
 
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Ausflug nach Cat Cat

Der erste Ausflug führt steil bergab nach Cat Cat. Direkt unterhalb Sapas liegt eine Siedlung am Fluß, die aus ein paar Wohnhäusern, Restaurants und einer Schule besteht. In den Hütten am Wegesrand verkaufen die Einheimischen ihre bunt-gestreiften Textilarbeiten, Erfrischungen und Snacks. Wie fast überall in und um Sapa reihen sich die Touristengruppen wie eine lange Karawane aneinander und bestaunen die Siedlung. Das Dorfleben erscheint auch hier extrem romantisiert; viel zu künstlich, um auch nur halbwegs authentisch zu sein.
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Am Wegende wenden sich fast alle Gäste zurück nach Sapa; meine Wenigkeit biegt allerdings nach links zum Dorf Xin Chai ab. Der Spaziergang führt in den oberen Teil der Schlucht mit einzelnen Bauernhäuschen und Reisterrassen, auf denen genüßlich die Büffel grasen. Rundum wühlen die Schweine im Matsch, die Gänse schnattern laut und die Hunde schnüffeln überall herum. Die Bäuerinnen schlagen hoch oben in den Steilhängen Holz. Hier, wo sich nur wenige Ausländer hin verirren, ist das noch weitgehend agrarisch bestimmte Dorfleben zu spüren, selbst wenn wohl viele Bewohner in den Läden und Hotels Sapas arbeiten. Fast fühlt man sich in ein Idyll versetzt, in dem die Menschen ihr bescheidenes, aber auskömmliches und glückliches Familienleben führen können, wenn nicht an den Häusern die Satellitenschüsseln prangten und laut knatternde Mopeds die Stille zerreißten.
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Ausflug nach Ta Van

Für die attraktivste Tour rund um Sapa möchte ich besonderes Wetter haben. Es ist der Hike, der durch das zunächst enge Tal an einigen Dörfern vorbei und dann durch die erweiterte Ebene bis nach Ta Van führt. Drei volle Tage muß ich warten bis sich der Nebel lichtet, der Niesel aufhört und sogar die Temperaturen einen phantastischen Tag versprechen. Gleich vorweg: Das Warten hat sich gelohnt. Jeden Morgen ziehen dutzende Touristengruppen am Hotel vorbei, auch bei dem schlechten Wetter der Vortage. Jetzt wird mir einmal mehr klar, wie vorteilhaft das individuelle Reisen ohne fest gebuchte Arrangements und Zeitdruck ist. Wer bei schlechtem Wetter die Tour macht, hat nicht nur nichts davon, die Pfade sind obendrein noch rutschig und dreckig.
Ich folge einfach mal der einen Gruppe, mal der anderen, um nicht vom rechten Weg abzukommen. Tatsächlich sind manche Pfade kaum als Wege zu erkennen, und ohne Hilfe käme ein ortsunkundiger Wanderer schnell vom Weg ab. Noch auf der Straße treffe ich ein paar junge Männer, die gerade ihr Schwein für den Motorradtransport vorbereiten: Das Tier wird mit zusammengebundenen Füßen in eine Plastikfolie eingewickelt und dann auf dem Rad festgebunden. Lautes Quieken begleitet diese Prozedur.
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Das Tal ist von langgezogenen Berghängen eingeschlossen, die der Szenerie einen privaten, aber doch offenen Charakter verleihen. Am spektakulärsten sind die Reisterrassen anzusehen, die sich wie Plattformen nach oben ausdehnen, durch markante Wälle abgegrenzt sind und an einem Bauernhaus oder auf einer Anhöhe in kreisrunden Formen enden. Mit großem Respekt vor dieser kulturellen Höchstleistung spaziere ich durch die Felder und versuche das ausgeklügelte Bewässerungssystem zu verstehen. Das Dorf Ta Van gilt als das Zentrum der örtlichen Handwerkskunst. Überall werden traditionelle Textilarbeiten und fein gearbeitete Schnitzkunst angeboten. Im Kontrast dazu hängen auf den Wäscheleinen Handtücher mit Emblemen europäischer Fußballvereine und blue Jeans.
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In diesem kleinen Dorf irgendwo in den Bergen Nordvietnams kann man wunderbar einen Aspekt der Globalisierung ablesen: Die Kenntnis modernen Lebens weckt auch bei den zurückgezogen lebenden Dorfgemeinschaften den Wunsch nach Partizipation zu Lasten der ethnischen Traditionen. Ohne die Touristen aus aller Welt wäre die 'Kunst der Alten' wohl schon stark vom Aussterben bedroht. Ein junges vietnamesisches Paar erklärt mir, daß sie zu ihrer Hochzeitsreise vor 10 Jahren schon einmal in Sapa waren und damals das Tal noch fast unberührt von internationalen Touristenströmen war. Sie erkennen den Ort kaum wieder und ärgern sich über die plumpe Anmache der jungen Damen zum Verkauf der Souvenirs.
Den Rückweg lege ich auf der asphaltierten Straße zurück. Von halber Höhe wirkt das Tal noch eindrucksvoller; jetzt erst erschließt sich die weite Ausdehnung der landwirtschaftlich nutzbaren Hänge. Jetzt wird auch deutlich, daß zu jedem Bauernhaus ein Hang mit eigenen Terrassen gehört. Dieser Anblick erhöht meinen Respekt noch weiter, denn die Reisbauern standen und stehen vor der Aufgabe, die Verteilung des Wassers konfliktfrei zu regeln. Obwohl nur wenig Menschen hier lebten und leben, müssen sie doch in der Frage der Landnutzung Institutionen wie in einer Stadt hervorgebracht haben – und das seit Jahrtausenden.
Kurz vor der Rückkehr nach Sapa entdecke ich am Straßenrand einen Herrn, der seine beiden Kampfhähne trainiert. Er hat die Schnäbel zum Schutz vor Verletzungen abgeklebt und lenkt die Tiere immer wieder aufeinander zu. Mit Krallentritten, Schnabelhieben und vollem Körpereinsatz bekämpfen sich die Hähne. Nur wenn einer zu Boden gegangen ist oder sich die beiden zu dicht der Straße nähern, greift der Trainer ein.
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Am Abend laden die Hoteleigentümer ihre Familie, ein britisches Paar und meine Wenigkeit zum Essen ein. Zu zehnt sitzen wir am Tisch und verspeisen genüßlich die vietnamesischen Spezialitäten: Hühnchen, Bambus, Grünkraut dazu Reis und Nudeln. Wie in Ba Vi werden auch hier die Happen in Blätter eingewickelt, in eine Sauce getunkt und gegessen. Verwirrt beobachte ich, daß nur die Herren überhaupt etwas trinken, und dann auch noch einen starken Reiswein, den die Familie als Happy Water bezeichnet. Selbst der grüne Tee nach dem Essen bleibt den Herren vorbehalten; Damen würden ihn abends nicht vertragen und könnten die ganze Nacht nicht schlafen, lautet die Erklärung. Für den Onkel ist es ein besonderes Vergnügen, mit Europäern das Happy Water zu trinken. Immer wieder prostet er der Runde zu und füllt die Gläser nach. Also, mit Schlafproblemen habe ich nicht zu kämpfen gehabt.
 
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Ausflug nach Ta Phin

Das Wetter in Sapa ist wechselhaft. Einige Tage lang ist es draußen nur grau und naß, an anderen Tagen strahlt die Sonne herab und die Sicht eröffnet immer wieder großartige Ausblicke auf die Berge. An so einem Tag mache ich mich mit dem Rad ins etwa 12 km entfernte Ta Phin auf. Zunächst geht es auf der Hauptstraße bergab; mir stehen schon fast die Haare zu Berge beim Gedanken, daß ich dieselbe Straße ja auch wieder bergauf fahren möchte. Später geht es auf einem Feldweg weiter in das Dorf der Damen mit den roten Kopftüchern. Die Landschaft ist ähnlich attraktiv wie die entlang des Weges nach Ta Van, allerdings befinden sich die Terrassen nicht in so einem guten Zustand. Erosion und das Gewicht von Mensch und Tier setzen den Wällen offenbar doch ganz schön zu. Unterwegs treffe ich (fast) nur Einheimische, die mit ihren überladenen Mopeds ebenfalls den Feldweg nutzen. Am Wegesrand steht ein verfallenes Klostergebäude. In den 1940ern wollten Franziskanerinnen die Tradition der christlichen Mission fortsetzen. Sie konnten in dem aufstrebenden Unabhängigkeitsbemühen der Vietnamesen jedoch nicht deren Loyalität erreichen. Immer wieder waren sie Animositäten ausgesetzt bis eines Tages das Kloster in Flammen stand. Das war das Ende der tapferen Franziskanerinnen in Sapa und Umgebung.
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Bei der Ankunft im Dorf konnte ich die Berichte anderer Reisenden nachempfinden: so aufdringlich wurde ich in Vietnam noch nicht zum Kauf von Souvenirs oder zum Verzehr von Erfrischungen aufgefordert. Soll man eigentlich die Souvenirs kaufen? In Ta Van und den Nachbardörfern hat der herdenartige Tourismus bereits jetzt zum Untergang der Traditionspflege geführt. Nur noch für Touristen werden Textilien hergestellt, und alle anderen Angebote werden am touristischen Wert gemessen. Als Reisender sieht man förmlich die Dollar-Zeichen in den Augen der Damen. Wenn also die Bewohner Ta Phins eine hinreichend große Chance auf den Erhalt ihrer ethnischen Alltagskultur haben wollen, darf das Einkommen durch den Tourismus nicht zur wichtigsten Quelle werden.
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Einen Reiz der etwas anderen Art verspricht der kurze Ausflug in den Ham Rong zu werden. Oberhalb Sapas liegt ein botanischer Garten, der sowohl endemische Pflanzen und regionale Gartengestaltung zeigt als auch Beispiele aus Europa. Vom Hügel aus hat man eine phantastische Sicht ins Tal hinunter und auf die Bergkette im Hintergrund. Endlich kann ich auch einmal im Dunst den Phan Si Pan erkennen. Heute herrscht eine interessante Wetter- und Wolkenlage: in Sapa ist es gerade warm genug, daß es fast den ganze Tag wolkenfrei geblieben ist. Im Tal ist es jedoch kühler, so daß sich die Wolken bis etwa auf halbe Hanghöhe ausgedehnt haben. Von oben sieht es aus als wäre das Tal mit einem breiten Wattestreifen bedeckt. Manchmal bläst ein Windhauch einen Teil heraus, der sich dann beim Aufstieg verflüchtigt. Gegen Abend wird es wieder kühler, so daß sich die Wolkengrenze nach oben verschiebt. Sapa versinkt geradezu im Nebel bis morgen die Vormittagssonne so viel Kraft entfaltet, daß sich die Wolken auflösen – hoffentlich.
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5. Etappe nach Dien Bien Phu

Sapa liegt noch lange nicht am höchsten Punkt des Tales; entsprechend fahre ich noch etwa 15 km weiter steil bergauf. Unterwegs wartet ein weiteres, beeindruckendes Naturschauspiel: von hoch oben aus den höchsten Berglagen ergießt sich ein Wasserfall über mehrere Kaskaden herab. Die leichte Brise verweht die Gischt, so daß es aussieht, als spanne sich ein seidener, halbtransparenter Vorhang vor die Bergwand. Über eine Treppe geht man hinauf, begleitet von den Angehörigen der ethnischen Gruppen, die auch hier ihre Souvenirs verhökern wollen. Manche Kinder lassen sich mit ihren charakteristischen Gesichtern und ihrem Kopfputz bereitwillig photographieren. Daneben stehen die Mütter, vielleicht auch Großmütter und kassieren einen Obolus dafür. Selbstverständlich werde ich kein Kunde dieses Gelderwerbs.
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Das letzte Stück zum Deo Tram Ton Pass hat es noch einmal in sich; mehr schiebend als fahrend erreiche ich dann die Passhöhe auf etwa 1900 m. Die Aussicht auf den Phan Si Pan, dessen Gipfel in Wolken gehüllt ist, und in die westlich gelegenen Berge ist spektakulär. Auch die Straße der nächsten 20 km ist zu sehen, die sich als Serpentine entlang der Hänge und der reißenden Gebirgsbäche windet. Dazu weht ein geradezu eisiger Wind über die Höhe. Mehr zitternd als genießend fällt mir das Ausruhen schwer. So schnell es geht steige ich wieder auf und rolle abwärts. Die kalten Finger klammern sich an die Bremsen bis sie verkrampfen, und die Straße voller Schlaglöcher fordert meine volle Aufmerksamkeit. So eine Abfahrt ist genauso anstrengend wie der Aufstieg.
Die erste Kleinstadt ist das ehemalige Binh Lu, heute Tam Duong. Die Regierung setzt ein gewaltiges Staudammprojekt um: Der Da Fluß und alle seine Zuflüsse sollen reguliert werden, und mehrere Kraftwerke Strom produzieren. Angesichts der regelmäßigen Stromausfälle in Sapa und dem gesamten Nordwesten sicherlich eine Maßnahme zur Hebung der Lebensqualität. Andererseits müssen dazu Tausende, ja Zehntausende von Familien umgesiedelt werden. Im Gebiet zwischen Binh Lu und Pa So sollen sie eine neue Heimat finden, nach Möglichkeit sogar nach ihrer ethnischen Zugehörigkeit getrennt. Auf dieser knapp 100 km langen Strecke wird gebaut ohne Ende. Nicht nur die Hauptstraße wird ausgebaut, in den wachsenden Kleinstädten entstehen Wohnsiedlungen und Infrastruktur nach sozialistischem Muster: mehrspurige Magistralen, mehrstöckige Wohnanlagen und zentrale Markthallen bestimmen den Lebensraum flankiert von protzigen Verwaltungsgebäuden, Krankenhäusern, Schulen oder Postämtern. Heute wirkt es belustigend, daß auf diesen Musterstraßen fast ausschließlich Mopeds und Büffelkarren fahren – und nur der Regen beseitigt die großen Büffelfladen. Man darf wohl gespannt sein, wie sich die kleinbäuerlichen Familien mit ihrem neuen Leben arrangieren und ob sie ihre traditionelle Identität auch in den Städten wahren werden. Zudem leben immer noch die angestammten Familien in ihren dörflichen Strukturen. Ob die sich mit ihren neuen Nachbarn arrangieren werden?
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Landschaftlich ist der Westen Vietnams eine abwechslungsreiche Gegend. Berge über 2000 m sind getrennt durch Flußtäler, die einmal als reißende Schluchten, ein andermal als breite Ebenen geformt sind. Überall wird Landwirtschaft betrieben: Feldbau mit Reis und Tee, dazu kommt Tierhaltung von Geflügel, Büffeln, Ziegen und Hunden. Übrigens zeigen sich die Reisterrassen in einem satten, leuchtenden Grün. Offenbar ist das Klima in den Tälern westlich des Hoang Lien Son Gebirges deutlich milder, so daß die Aussaat früher und das Wachstum schneller vonstatten gehen.
In Pa So sollte eigentlich sonntags Markttag sein. Gegen Mittag komme ich an und sehe auch die Marktunterstände. Allerdings deutet nichts auf einen Handel hin; nicht einmal Verpackungsmüll liegt herum. Inzwischen habe ich den Nam Na erreicht, einen Fluß, der nur wenige km entfernt entspringt und sich eher wie ein wilder Gebirgsbach durch die Felsen in der Talsohle windet. Immer wieder addieren sich aus den Seitentälern Zuflüsse hinzu, so daß der Fluß langsam anschwillt. Jetzt sind auch hin und wieder Stauwehre in Bau, die offenbar die Fließgeschwindigkeit regulieren sollen, wenn der Staudamm fertig ist.
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Bei Muong Lay mündet der Nam Na in den Song Da. Der Ort war einmal das Regionalzentrum, doch seit Beginn des Staudammprojektes verlassen mehr und mehr Bewohner die Stadt, die in Bälde in den Fluten versinken wird. Die Hauptstraße wurde bereits weiter oben am Hang neu gebaut bzw. ist noch in Bau gemeinsam mit einigen Arbeitersiedlungen.
Für mich führt die Strecke weiter nach Süden. Es geht durch Täler und über die Bergsättel; kurzum: Die Fahrt ist zwar sehr reizvoll doch auch ebenso anstrengend. Hier spüre ich deutlich das mittlere Erwachsenenalter; nach drei Tagen Fahrt durch die Bergwelt Nordvietnams sind die Beine am Ende. Ein Ruhetag in Muong Chai bringt dann die erhoffte Erholung. Obwohl sich eigentlich in dieser abgelegenen Gegend kaum Reisende herumtreiben, gibt es drei Gasthäuser mit Fremdenzimmern. Vielleicht nutzen eher die angetrunkenen Gäste der Karaoke-Bars die Schlafgelegenheit. Zumindest läßt der Lärmpegel während der Nacht diesen Schluß zu...
Die Berge sind jetzt flacher, und die Steigungen nicht mehr so steil und lang wie zuvor. So fahre ich in das breite Tal, in dem Dien Bien Phu liegt. Die Stadt spielt für die Landesidentität eine entscheidende Rolle. Am 7. Mai 1954 haben hier die Vietnamesen ihre französischen Kolonialherren besiegt und den Weg in die Unabhängigkeit des Nordens erkämpft. Überall in der Stadt wird an die Schauplätze der Entscheidungsschlacht erinnert. Auf zwei Hügeln mitten in der Stadt sind die alten Stellungen rekonstruiert und mit Erläuterungen versehen. Ein soldatischer Heldenfriedhof ehrt die Toten des Frühjahrs 1954. Ein junger Mann fragt mich in unsicherem english, was ich denn beim Gang durch die Schützengräben der französischen Bastionen empfände. Eigentlich nichts Besonderes, lautet meine unbefriedigende Antwort, es ist ein historischer Ort, dessen Besuch interessant und lohnenswert ist. Für den Vietnamesen und seine Begleitung ruht auf diesem Schlachtfeld tatsächlich die nationale Seele.
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Am Abend fährt mir im Hotel noch einmal der Schreck durch die Glieder: Plötzlich beginnt die Deckenlampe hin und her zu schwingen, die Vorhänge bewegen sich und im Treppenhaus ist aufgeregtes Fußgetrappel zu hören. Irritiert gehe auch ich hinunter und sehe die schwingenden Stromleitungen an der Straße sowie die klirrenden Teetassen auf den Tischen. Ja, tatsächlich schwankt die Erde. Die Nachrichten am nächsten Morgen berichten von einem Erdbeben in Myanmar, das weiträumig zu spüren war.
 
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Wolke7

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30.08.2010
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Rückflug

Der Rückflug nach Europa ist gebucht von Ho Chi Minh City (SGN) aus, also ist ein Zubringer dorthin notwendig. Vietnam Airlines fliegt Dien Bien Phu (DIN) zweimal täglich mit ATR72 von Hanoi (HAN) aus an. Gebucht ist DIN-HAN-SGN in Eco. Das zweistöckige Flughafen-, ähhmm Flugplatzgebäude besitzt einen großzügigen Parkplatz, auf dem nicht ein Fahrzeug abgestellt ist. Am schlafenden Torwächter vorbei betrete ich die Abfertigungshalle: ein kleiner Imbißstand, vier Check In Counter mit Ticket Sales, Toiletten; das ist alles. Das Gepäck bekommt von der freundlichen jungen Dame einen einfachen Anhänger mit der Aufschrift 'HAN', ein Durchchecken von Gepäck oder Pax nach SGN ist nicht möglich. Der Bordingpass ist etwas eigenwillig gestaltet, enthält aber alle wichtigen Informationen. An der SiKo wird der Reisepaß gewissenhaft studiert, ein Auspacken des Notebooks ist nicht nötig, also wahrlich entspannt und ohne Anstehen. Der Wartebereich ist ebenso großzügig dimensioniert wie der Parkplatz. Man hat eine attraktive Aussicht auf den Taxiway, die Runway und dahinter auf die Reisfelder, die von Bergen im Hintergrund eingerahmt sind. Ein Zaun fehlt: die Runway wird gern von Mopeds und Fußgängern benutzt; ist ja auch viel bequemer als auf den staubigen Trampelpfaden daneben.
Der Flug ist nicht mal zur Hälfte besetzt. Die Kabine macht einen freundlichen Eindruck: der Himmel ist in zartgelb gehalten, dazu passen die blauen Sitze. Außerdem scheint die Ausstattung noch neuwertig zu sein. Zum Glück hat der Check In nur einen Pax pro Reihe gesetzt. In dieser Eco-Kabine kann man den kurzen Flug nach HAN sicher gut aushalten. Zur Erfrischung gab es übrigens eine kleine Flasche Wasser.
Geschätzte 15 Minuten nach der Ankunft in HAN war das Gepäck da. Man muß dann zurück in den öffentlichen Bereich und sich neu einchecken. Doch wo ist der gebuchte Flug? Obwohl das Ticket erst 3 Tage vor der Reise ausgestellt wurde, gibt es den gebuchten Flug nicht (mehr). Ich könnte mich für jeden beliebigen Flug nach SGN einchecken, lautete die Antwort vom Service-Counter. Das hat dann auch funktioniert. HAN ist an diesem Abend gut besucht, es gibt nicht genügend Sitzplätze und der Geräuschpegel trägt nicht gerade zum entspannten Warten bei.
Der Flug auf einem A332 ist in Eco voll gebucht. Die Kabine macht gelinde gesagt, einen benutzten Eindruck. Mein vietnamesischer Sitznachbar erklärt, daß die ausrangierten Fluggeräte der Langstrecken noch für Inlands- und Regionalflüge herhalten müssen. Ja, so sieht es auch aus. In Eco darf man natürlich keine Spitzengastronomie erwarten, immerhin gab es während des zweistündigen Fluges 2 Gerichte zur Wahl und Softdrinks, dazu Kaffee oder Tee. Die FB haben sich ihrer Aufgabe ohne nennenswerte Höhepunkte entledigt, waren weder muffig noch besonders aufmerksam. Zur Unterhaltung gab es die beliebten Szenen aus Quebec 'Just for laughes'. Einen echten Minuspunkt verdient die Toilette: eine Kabine war defekt und auch so gekennzeichnet. Zwar blieben die Gründe unbekannt, dennoch wurde die Toilette genutzt. Vorsichtshalber habe ich mich dafür nicht weiter interessiert; doch haben die Pax in der Nähe sichtlich ihre Nasen gerümpft.
(Die Photos sind übrigens ohne Blitz aufgenommen. Eventuelle Farbungenauigkeiten oder Belichtungsschwächen möge die VFT-Community bitte exkulpieren.)
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Nach einer Zwischenübernachtung geht es abends weiter: mit LH773 nach BKK, dann auf MS961 nach CAI mit Anschlußflug MS799 nach CDG alles in C.
Das neue internationale Terminal in SGN macht einen freundlichen Eindruck. Mit geschwungenem Dach und großen Fensterflächen erhält es eine Weitläufigkeit, die indirekte Beleuchtung schafft eine angenehme Raumatmosphäre. Im Obergeschoß befindet sich ein FoodCourt mit asiatischer und westlicher Küche, der die Wartezeit vor dem Check In verkürzen kann. Wem das nicht reicht, kann in der Parkson Mall direkt gegenüber die restlichen Dong ausgeben. Dort findet man internationale Markenprodukte und typische Gastronomie.
Schon die Zeremonie, wie die hübschen Check In Agentinnen ihre Plätze einnehmen, ist sehenswert: Im Gänsemarsch erreichen sie das Desk, stellen sich hinter den Stühlen auf und, wie auf ein Zeichen, verneigen sie sich gleichzeitig in die Richtung der bereits wartenden Paxe. Der vorreservierte Sitzplatz 1A wird bestätigt, und das Gepäck bis nach Paris durchgecheckt. Ohne Nachfrage erhalte ich die Einladung zur Rose-Lounge.
Um diese Zeit ist der Flughafen weitgehend leer. Mit minimaler Wartezeit geht es durch die Immigration und durch die Fast Lane der SiKo zur Rose Lounge. Wie über eine Kellertreppe erreicht man die Lounge, in der durch eine fein abgestimmte Lichtführung Lese-/Arbeits- und Ruhebereiche abgeteilt sind. Positiv ragen dezente Abfalleimerchen an jedem Tisch heraus, eher negativ ist die mehr als nur zugige Air Condition. Das Speisen- und Getränkeangebot ebenso wie die Zeitungsauswahl zeugen von Bescheidenheit. Die Fertiggerichte und Sandwiches sind trocken bis pappig, dafür sind das Frischobst und die Salatbeilagen saftig, knackig, aromatisch. Erwähnenswert ist vielleicht noch der freie WiFi-Zugang. Insgesamt also eine Lounge mit Stärken und Schwächen.
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Über den LH-Flug auf der B744 muß man dem VFT wohl nicht viele Worte machen. Mehr als die Hälfte der Flugzeit nahmen Start und Landung in Anspruch, so daß für den Imbiß nicht viel Zeit blieb – weder für die FBs noch für die Pax. Allerdings war die kleine Kabine der ersten vier Reihen auch übersichtlich besetzt: 5/17.
In BKK geht es zügig durch die SiKo zum Transitdesk. Die beiden attraktiven Damen stellen die fehlenden Boardingpässe aus, und ich bin willkommen in der Royal Silk Lounge. Zu später Abendstunde ist die Lounge gut besucht, trotzdem gibt es noch einige freie Plätze für ankommende Gäste. Das Buffet besteht aus leckeren Häppchen verschiedenen Geschmacks, die man nach und nach durchprobieren kann. Namen wie 'Salmon Cream Pie' oder 'Spinach Chese' verführen geradezu zu Gaumenfreuden. Zum Glück sind es noch zwei Stunden bis zum Boarding; da werde ich wohl tatsächlich alle mal probiert haben. Besonders um die Mitternachtszeit wünsche ich doch etwas mehr Ruhe in der Lounge; die großen Fenster, die lauten TV-Programme und das ständige Gläserklirren stören, auch wenn die Lounge insgesamt eine angenehmere Atmosphäre schafft als die in SGN.
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Über die C der Egypt Air ist schon viel gesprochen worden. Die Inkonsistenz des Produktes ist wohl das größte Hindernis für eine nachhaltige Qualitätsbewertung. Auch der heutige Flug hat in den letzten Wochen mehrfach das geplante Fluggerät gewechselt. Schließlich ist es die neue B773 geworden.
Der erste Eindruck beim Betreten ist einladend: das dezent violette Licht ist nicht nur hell genug, es strahlt die Sitze und die Wände unaufdringlich an, so daß selbst die zart aufgemalten Papyrus-Pflanzen an den Wänden erkennbar sind. Dazu läuft auf den Kabinen-Bildschirmen das Flight-Tracking-Programm. Die Sitze sind ausreichend breit und bequem; selbst beim aufrechten Sitzen fällt der Kopf nicht auf die Brust und die Fußstützen sind für einen mittelgroßen Menschen mehr als ausreichend. Zwischen den beiden benachbarten Sitzen läßt sich eine Wand vorziehen zur Vergrößerung der Intimsphäre. In Liegeposition wird der Platz zwar nicht ganz full flat, aber doch so waagerecht und lang, daß weder die Füße in der Luft baumeln noch das Bett zur Rutsche wird. Einzige Schwachpunkte sind das Obermaterial aus Kunststoff, das eine ausreichende Durchlüftung der Kleidung verhindert, und die Armlehnen befinden sich nicht auf gleicher Höhe.
Zum Service: Die Crew war sehr aufmerksam und ausgesucht freundlich, bisweilen gar witzig. Getränke zu den Mahlzeiten wurden permanent angeboten und mehrfach nachgeschenkt, während der Nacht waren auf Nachfrage Getränke erhältlich. Die Speisen waren quantitativ und geschmacklich gut; besonders das Frühstück bot eine breite Vielfalt an Croissant-Aufstrichen. Der Abflug ist mitten in der Nacht um 2 Uhr. Meiner unmaßgeblichen Meinung nach ist es besser, ein preflight-Dinner in der Lounge einzunehmen und eine Stunde vor der Landung ein hochwertiges Frühstück anzubieten. Heute wird das Licht zum Dinner gedimmt in blau-violett, allerdings kamen die Speisen mit dem Wagen. Die C ist nur etwa halb besetzt und auch noch in zwei Kabinen geteilt, so daß der Nebensitz frei bleiben kann und eine wohltuende Ruhe in der Nacht herrscht; einmal vom Schnarchen eines Paxes abgesehen.
Im Gegensatz zu anderen Flügen haben die FBs die Fensterklappen nicht heruntergeklappt. Meine Wenigkeit gehört sicher zur Minderheit, die einen Bezug zur Außenwelt für angenehm hält. Der Lichteinfall in den Morgenstunden stört mich nicht nur nicht, er verschafft mir ein angenehmeres Flugempfinden. Deshalb hier ein Sonderpunkt für die Crew.
Insgesamt kann sich die C auf der B773 mit den meisten europäischen Cs auf gutem Niveau messen.
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Nach der Landung in CAI habe ich wohl Glück gehabt: weder vor dem Transfer desk noch vor der Zutritts-SiKo gab es Wartezeiten. Man muß jedoch anmerken, daß nur eine SiKo-Schleuse für alle Transit-Paxe und keine Fast Lane für einen Hub nicht ausreichend sind.
Innerhalb der nächsten halben Stunde füllt sich die Lounge (Almesan-Nichtraucher-Lounge nahe Gate F1) dann doch (über)reichlich. Es gibt zwar räumlich abgeteilte Sitzecken, Ruhezonen sind es jedoch nicht. Man wünschte sich hier eine etwas breitere Differenzierung in Arbeits-, Interaktions- und Ruhezonen. Ebenso wie in SGN und BKK steht auch in CAI ein freier WiFi-Zugang zur Verfügung. Eine kleine TV-Ecke sowie Zeitungen in mehreren Sprachen, u.a. englisch, italienisch, deutsch, sorgen für Abwechslung.
Der Tageszeit angepaßt besteht das Speisenangebot aus typischen Frühstückszutaten, z.B. Muffins, Käseplatte und Müsli mit Milch. Doch nach dem reichhaltigen Frühstück im Flieger steht mir der Sinn nicht gerade nach Völlerei.
Einen großen Pluspunkt erhält das Bodenpersonal. Die Damen und Herren wissen, worauf Vielflieger Wert legen und bieten genau diese Leistungen proaktiv an. Dabei sind sie sehr freundlich, sprechen gutes englisch und die Damen bezirzen mit dem gefühlt zauberhaftesten Lächeln Nordafrikas.
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Obwohl das Terminal 3 noch neu ist und vermeintlich nach den modernsten Standards der Flughafen-Architektur gebaut sein sollte, kann es diesen Anspruch lediglich durch das Design erfüllen. CAI offenbart noch signifikanten Verbesserungsspielraum für Paxe der Premiumklassen.
Der Flug CAI nach CDG wird mit einem A333 durchgeführt. Laut Horus Bordmagazin ist es der einzige A333 in der Egypt Air Flotte. Hier kann man nur wiederholen, was zur B773 gesagt ist; das Servicekonzept basiert hinsichtlich Inneneinrichtung, Speisenprogramm und Service auf demselben Konzept. Tatsächlich sind die gleichen bequemen Sitze verbaut wie in der B773, lediglich der Sitzabstand ist geringer. Zur Begrüßung sagt der Purser: "The flight will take 4 hours and 25 minutes, In'sh Allah.", und weist gleich die FBs zur Verteilung der Amenity Kits an.
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Nach der Ankunft in CDG geht alles ganz schnell: Dank Priority Deboarding sind C-Paxe die ersten im Tunnel und die ersten an der Immigration. Als EU-Staatsbürger kann ich direkt zum Counter durchlaufen, Paß vorlegen, fertig. Diesmal klappt es sogar mit dem Priority-Gepäck. Als eines der ersten läuft es aufs Band: Ende der Reise.

Vielen Dank für die freundliche Aufmerksamkeit und noch größeren Dank für die Geduld beim Lesen und Nacherleben.
 

rcs

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06.03.2009
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4.501
München
Danke für den ausführlichen Bericht und die vielen Impressionen aus Südostasien!
 
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