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Es ist April geworden. In der nördlichen Hemisphäre zieht langsam der Frühling ein mit seinem frischen Duft und den ausschlagenden Bäumen. Was liegt näher als diese Jahreszeit einmal in den Kirschhainen Kyotos zu verbringen und dabei das japanische Kulturerbe genauer zu betrachten.
Japan steht in diesem Jahr unter dem Eindruck des havarierten Atomkraftwerkes. Viele Touristen haben ihre Reise storniert oder sich gleich für ein anderes Ziel entschieden; dabei indiziert eine sorgfältige Risikoanalyse nur eine geringe Gefahr für die Regionen südlich und westlich Tokyos. Tatsächlich spielt eine potentielle radioaktive Vergiftung von Atemluft, Lebensmitteln oder Trinkwasser überhaupt keine Rolle. Was sich als echtes Desaster für die Reisebranche in Japan entpuppt, bringt dem unentwegten Reisenden eine genußvolle Visite der schönsten Plätze Kyotos.
Schon die Ankunft am Osaka-Airport KIX gestaltet sich sehr übersichtlich. Außer dem LH-Flug aus FRA, der auch noch auf einen A343 downgegradet wurde, kommt zeitgleich kein anderer Flug an; die Immigration läuft fast wie von selbst, das Gepäck läuft bereits am Band und die Beamt/innen sind allesamt ausgesucht freundlich. So geht es weiter bei der Zugfahrt mit dem Haruka-Express zur Kyoto Station: ein Schnellzug mit bequemen Sitzen, ausreichend Gepäckablagen und nur zwei Stops bis Kyoto.
Jetzt kann es also losgehen mit der Erkundung einer Stadt, in der etwa 20% aller japanischen Kulturerbestätten liegen, die über 1.000 Jahre lang Hauptstadt eines Kaiserreiches war, die nach Meinung der Geomanten auf unübertrefflich günstigem Grund errichtet ist, die nach dem Vorbild der prosperierenden chinesischen Metropole Chang'An geschaffen wurde und die mit ihrem Charme Generationen von Japaner/innen aller sozialen Schichten verzaubert (hat).
In den 1850ern und 60ern, nachdem die kaiserliche Familie längst nach Tokyo umgezogen war, verheerten einige Brände weite Stadtteile; auch historische Bausubstanz ging dabei verloren. Zwar wurden Tempel und Paläste wieder aufgebaut, doch den ursprünglichen Charme konnten und wollten die Zeitgenossen nicht wieder herstellen. Auch heute noch besucht der neugierige Reisende die verklärte Vorstellung des alten Glanzes einer goldenen Epoche.
Kaum zu glauben: der Toji-Tempel stand einmal außerhalb der Stadtmauer als ein Ort von Friedenszeremonien und Gebeten für die Sicherheit des ganzen Reiches. Schon von Weitem ist die fünfstöckige Pagode aus 1644 mit ihrer nadelartigen Spitze sichtbar; mit 55 m das höchste Holzgebäude Kyotos. Auf dem ehemaligen Klostergelände stehen noch zwei große Gebetshallen und ein gestalteter Landschaftsgarten mit einem Tümpel und vor allem in voller Blüte stehender Kirschbäume. Es wirkt, als ragten die Gebäude aus einem weißen und rosefarbenen Meer an Blüten heraus. In den Gebetshallen präsentieren sich einige Buddha-Statuen und Abbildungen verschiedener Heiliger, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen. Na ja, eigentlich könnte mal jemand zumindest den gröbsten Staub entfernen...
Der Garten ist als Meditationsgarten angelegt, d.h. als Besucher läßt man sich unter den Bäumen nieder und genießt die Blütenpracht, schaut dem plätschernden Wasser zu und denkt über die Welt nach: so lange es am Schönsten ist, soll und darf man sich den Gefühlen hingeben, mit allen Sinnen genießen. Doch schon nach kurzer Zeit wird die Kurzlebigkeit des Augenblicks offenbar, das strahlende Weiß erhält Flecke und verblaßt schließlich im Lauf der Vergänglichkeit. Doch in Bälde, wenn das Erlebte nur noch in schwacher Erinnerung auftaucht, wird sich der Kreis mit unbändiger Energie schließen, einen neuen Höhepunkt natürlicher Energie im Zyklus des Werdens und Vergehens hervorbringen. Auch dann wird die harmonische Ästhetik den leidenschaftlichen Augenblick bestimmen – gleich und doch anders.
Auch eine junge Mutter genießt mit ihrem Nachwuchs die Atmosphäre und den Sonnenschein.
Kyoto war auch das religiöse Zentrum Japans. Die Vielzahl der Tempel bezeugt eine reiche spirituelle Kultur, aber auch den klösterlichen Drang, sich im Dunstkreis der Macht zu bewegen, ja gar manchmal direkt nach ihr zu greifen. Ein besonders reiches Beispiel für hochwertige Architektur innen wie außen bietet der Nishi-Hongan-Ji, ein Kloster, das gerade seinen 750. Geburtstag feiert, jedoch erst in den 1590ern nach Kyoto umgezogen ist. Heute werden für die gemeinsamen Gebete die modernen Hallen aus dem 19. und 20. Jahrhundert genutzt, doch die historischen Gebäude stehen zur Besichtigung offen. An diesem Freitag drängeln sich Hunderte von Pilgern auf dem Gelände; am frühen Nachmittag soll die größte Zeremonie stattfinden, und zuvor möchten die meisten Gruppen natürlich einen Blick auf das alte Kloster erhaschen. Fast als einziger westlicher Gast reihe ich mich in die Schlangen ein und erhalte sogar ein englischsprachiges Leaflet mit kurzen Erklärungen der kunstvollen Wandbemalungen; dort sind vorwiegend kräftige Landschaftsszenen und Tierdarstellungen zu sehen, allesamt in schwarzer Tusche gezeichnet, die bei den halbtransparenten Wänden kreative Schattenbilder ergeben. Das Leaflet erklärt dazu, daß es sich bei den Räumen um die Abtswohnung handelt, die im Stil der späten Momoyama-Zeit (1. Hälfte des 17. Jahrhunderts) von den besten Künstlern der Kano-Schule geschaffen wurden. Einem Neuling der japanischen Kulturgeschichte sagen diese Informationen natürlich nicht so viel, doch erhoffe ich mir einige Verknüpfungen, so daß am Reiseende ein dezidierteres Bild entstanden ist. Von der Klostermauer ist noch ein Schmucktor mit dem Namen 'Sonnenuntergangstor' erhalten und in kräftigen Farben restauriert. Es markiert den südlichen Zugang für Prozessionen, hat also mit dem Sonnenuntergang nur insofern etwas zu tun, als es so schön mit Schnitzereien aus der chinesischen Mythologie gestaltet ist, daß man darüber den Sonnenuntergang völlig vergißt. Ein kleiner Garten, der 'Garten des Tigertals', bietet Gelegenheit zu einem Spaziergang durch eine künstliche Wasserlandschaft hin zu einem Teehaus.
Der eigentliche Klostergarten befindet sich jedoch zwei Straßen weiter östlich. Der Kaiser hat dem Abt 1653 ein Gelände mit der Auflage, dort einen typisch japanischen Landschaftsgarten anzulegen, geschenkt. Der Garten ist so konstruiert, daß der Besucher beim Umwandeln 13 verschiedene Landschaften erlebt – und genau das auch tun soll, um die Vielfalt tatsächlich erkennen zu können. Jede Wegbiegung bietet neue Blicke auf künstliche Hügel, künstliche Teiche, verschiedene Felsen und natürlich exakt gepflanzte und beschnittene Bäume. Zwei Teehäuser auf den Inseln ermöglichen das zwanglose Betrachten dieser geistreichen Gartenarchitektur. Je nach Sitzordnung verschiebt sich der Fokus der prominent hervorgehobenen Landschaften.
Im Zentrum Kyotos lag und liegt der kaiserliche Park mit dem Gosho-Palast im Zentrum. Hier treffen sich Freizeitsportler zum Joggen, Spaziergänger mit Hunden, Kindergruppen zum Spielen und Familien zum Picknicken. Doch das Herz bleibt für (fast) alle Besucher verschlossen. Wie eine Verbotene Stadt sind die historischen Gebäude von einer hohen Mauer umgeben, zu denen in der Vergangenheit nur die Minister, die Höflinge und die kaiserliche Familie Zutritt besaßen. Moderne Besucher müssen sich bei der Kaiserlichen Verwaltung einen Permit zu einer der wenigen Touren besorgen. Die Palastanlage entspricht den strengsten Hierarchien einer geschichteten Gesellschaft: selbst die kaiserliche Familie hat nur Zutritt zu den ihnen gewidmeten Gebäuden. Lediglich zum Neujahrsempfang hat die kaiserliche Familie oft bei eisiger Kälte die Huldigungen des Hofstaates entgegen genommen. Das ganze Ensemble macht eher den Eindruck eines goldenen Käfigs als den eines Ortes patriarchalischer Machtentfaltung.

Japan steht in diesem Jahr unter dem Eindruck des havarierten Atomkraftwerkes. Viele Touristen haben ihre Reise storniert oder sich gleich für ein anderes Ziel entschieden; dabei indiziert eine sorgfältige Risikoanalyse nur eine geringe Gefahr für die Regionen südlich und westlich Tokyos. Tatsächlich spielt eine potentielle radioaktive Vergiftung von Atemluft, Lebensmitteln oder Trinkwasser überhaupt keine Rolle. Was sich als echtes Desaster für die Reisebranche in Japan entpuppt, bringt dem unentwegten Reisenden eine genußvolle Visite der schönsten Plätze Kyotos.
Schon die Ankunft am Osaka-Airport KIX gestaltet sich sehr übersichtlich. Außer dem LH-Flug aus FRA, der auch noch auf einen A343 downgegradet wurde, kommt zeitgleich kein anderer Flug an; die Immigration läuft fast wie von selbst, das Gepäck läuft bereits am Band und die Beamt/innen sind allesamt ausgesucht freundlich. So geht es weiter bei der Zugfahrt mit dem Haruka-Express zur Kyoto Station: ein Schnellzug mit bequemen Sitzen, ausreichend Gepäckablagen und nur zwei Stops bis Kyoto.
Jetzt kann es also losgehen mit der Erkundung einer Stadt, in der etwa 20% aller japanischen Kulturerbestätten liegen, die über 1.000 Jahre lang Hauptstadt eines Kaiserreiches war, die nach Meinung der Geomanten auf unübertrefflich günstigem Grund errichtet ist, die nach dem Vorbild der prosperierenden chinesischen Metropole Chang'An geschaffen wurde und die mit ihrem Charme Generationen von Japaner/innen aller sozialen Schichten verzaubert (hat).
In den 1850ern und 60ern, nachdem die kaiserliche Familie längst nach Tokyo umgezogen war, verheerten einige Brände weite Stadtteile; auch historische Bausubstanz ging dabei verloren. Zwar wurden Tempel und Paläste wieder aufgebaut, doch den ursprünglichen Charme konnten und wollten die Zeitgenossen nicht wieder herstellen. Auch heute noch besucht der neugierige Reisende die verklärte Vorstellung des alten Glanzes einer goldenen Epoche.
Kaum zu glauben: der Toji-Tempel stand einmal außerhalb der Stadtmauer als ein Ort von Friedenszeremonien und Gebeten für die Sicherheit des ganzen Reiches. Schon von Weitem ist die fünfstöckige Pagode aus 1644 mit ihrer nadelartigen Spitze sichtbar; mit 55 m das höchste Holzgebäude Kyotos. Auf dem ehemaligen Klostergelände stehen noch zwei große Gebetshallen und ein gestalteter Landschaftsgarten mit einem Tümpel und vor allem in voller Blüte stehender Kirschbäume. Es wirkt, als ragten die Gebäude aus einem weißen und rosefarbenen Meer an Blüten heraus. In den Gebetshallen präsentieren sich einige Buddha-Statuen und Abbildungen verschiedener Heiliger, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen. Na ja, eigentlich könnte mal jemand zumindest den gröbsten Staub entfernen...
Der Garten ist als Meditationsgarten angelegt, d.h. als Besucher läßt man sich unter den Bäumen nieder und genießt die Blütenpracht, schaut dem plätschernden Wasser zu und denkt über die Welt nach: so lange es am Schönsten ist, soll und darf man sich den Gefühlen hingeben, mit allen Sinnen genießen. Doch schon nach kurzer Zeit wird die Kurzlebigkeit des Augenblicks offenbar, das strahlende Weiß erhält Flecke und verblaßt schließlich im Lauf der Vergänglichkeit. Doch in Bälde, wenn das Erlebte nur noch in schwacher Erinnerung auftaucht, wird sich der Kreis mit unbändiger Energie schließen, einen neuen Höhepunkt natürlicher Energie im Zyklus des Werdens und Vergehens hervorbringen. Auch dann wird die harmonische Ästhetik den leidenschaftlichen Augenblick bestimmen – gleich und doch anders.




Auch eine junge Mutter genießt mit ihrem Nachwuchs die Atmosphäre und den Sonnenschein.
Kyoto war auch das religiöse Zentrum Japans. Die Vielzahl der Tempel bezeugt eine reiche spirituelle Kultur, aber auch den klösterlichen Drang, sich im Dunstkreis der Macht zu bewegen, ja gar manchmal direkt nach ihr zu greifen. Ein besonders reiches Beispiel für hochwertige Architektur innen wie außen bietet der Nishi-Hongan-Ji, ein Kloster, das gerade seinen 750. Geburtstag feiert, jedoch erst in den 1590ern nach Kyoto umgezogen ist. Heute werden für die gemeinsamen Gebete die modernen Hallen aus dem 19. und 20. Jahrhundert genutzt, doch die historischen Gebäude stehen zur Besichtigung offen. An diesem Freitag drängeln sich Hunderte von Pilgern auf dem Gelände; am frühen Nachmittag soll die größte Zeremonie stattfinden, und zuvor möchten die meisten Gruppen natürlich einen Blick auf das alte Kloster erhaschen. Fast als einziger westlicher Gast reihe ich mich in die Schlangen ein und erhalte sogar ein englischsprachiges Leaflet mit kurzen Erklärungen der kunstvollen Wandbemalungen; dort sind vorwiegend kräftige Landschaftsszenen und Tierdarstellungen zu sehen, allesamt in schwarzer Tusche gezeichnet, die bei den halbtransparenten Wänden kreative Schattenbilder ergeben. Das Leaflet erklärt dazu, daß es sich bei den Räumen um die Abtswohnung handelt, die im Stil der späten Momoyama-Zeit (1. Hälfte des 17. Jahrhunderts) von den besten Künstlern der Kano-Schule geschaffen wurden. Einem Neuling der japanischen Kulturgeschichte sagen diese Informationen natürlich nicht so viel, doch erhoffe ich mir einige Verknüpfungen, so daß am Reiseende ein dezidierteres Bild entstanden ist. Von der Klostermauer ist noch ein Schmucktor mit dem Namen 'Sonnenuntergangstor' erhalten und in kräftigen Farben restauriert. Es markiert den südlichen Zugang für Prozessionen, hat also mit dem Sonnenuntergang nur insofern etwas zu tun, als es so schön mit Schnitzereien aus der chinesischen Mythologie gestaltet ist, daß man darüber den Sonnenuntergang völlig vergißt. Ein kleiner Garten, der 'Garten des Tigertals', bietet Gelegenheit zu einem Spaziergang durch eine künstliche Wasserlandschaft hin zu einem Teehaus.


Der eigentliche Klostergarten befindet sich jedoch zwei Straßen weiter östlich. Der Kaiser hat dem Abt 1653 ein Gelände mit der Auflage, dort einen typisch japanischen Landschaftsgarten anzulegen, geschenkt. Der Garten ist so konstruiert, daß der Besucher beim Umwandeln 13 verschiedene Landschaften erlebt – und genau das auch tun soll, um die Vielfalt tatsächlich erkennen zu können. Jede Wegbiegung bietet neue Blicke auf künstliche Hügel, künstliche Teiche, verschiedene Felsen und natürlich exakt gepflanzte und beschnittene Bäume. Zwei Teehäuser auf den Inseln ermöglichen das zwanglose Betrachten dieser geistreichen Gartenarchitektur. Je nach Sitzordnung verschiebt sich der Fokus der prominent hervorgehobenen Landschaften.



Im Zentrum Kyotos lag und liegt der kaiserliche Park mit dem Gosho-Palast im Zentrum. Hier treffen sich Freizeitsportler zum Joggen, Spaziergänger mit Hunden, Kindergruppen zum Spielen und Familien zum Picknicken. Doch das Herz bleibt für (fast) alle Besucher verschlossen. Wie eine Verbotene Stadt sind die historischen Gebäude von einer hohen Mauer umgeben, zu denen in der Vergangenheit nur die Minister, die Höflinge und die kaiserliche Familie Zutritt besaßen. Moderne Besucher müssen sich bei der Kaiserlichen Verwaltung einen Permit zu einer der wenigen Touren besorgen. Die Palastanlage entspricht den strengsten Hierarchien einer geschichteten Gesellschaft: selbst die kaiserliche Familie hat nur Zutritt zu den ihnen gewidmeten Gebäuden. Lediglich zum Neujahrsempfang hat die kaiserliche Familie oft bei eisiger Kälte die Huldigungen des Hofstaates entgegen genommen. Das ganze Ensemble macht eher den Eindruck eines goldenen Käfigs als den eines Ortes patriarchalischer Machtentfaltung.
