AG Charlottenburg: Kein Anspruch auf ORC und Mehrgepäckkosten bei Umbuchung (VO 261/2004)

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kexbox

Erfahrenes Mitglied
04.02.2010
6.320
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Neuss
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Na sowas. Meine Mandanten waren auf AB JFK-DUS gebucht, der Flug fiel aus und am Folgetag ging es mit LH nach Hause. Der entstandene Schaden wurde teils von AB getragen, teils wurde AB durch Urteil nun zum Ersatz verpflichtet. Drei Punkte, die ein Teilunterliegen verursachten, machen mir aber Sorgen in der Entscheidung des AG Charlottenburg:


1. Mehrgepäckkosten Lufthansa
Die Mandanten (TB Gold / OW Sapphire) konnten bei AB zwei Koffer p.P. mitnehmen, bei Lufthansa sollten sie aber nun für den zweiten Koffer 100 Dollar zahlen, was sie auch taten und daraufhin von AB Ersatz verlangten.

Das Gericht ist der Ansicht, dass dieser Schadensersatzanspruch auf die 600,00 EUR Entschädigungszahlung anzurechnen sei. Das kann m.E. aber nicht für einen Schadensersatz statt der Leistung gelten für eine Pflicht, die sich gerade aus der VO 261/2004 selbst ergibt (hier: Art. 8 Abs. 1 lit. b) Ersatzbeförderung unter vergleichbaren Reisebedingungen). Kontrollüberlegung: Wenn das so wäre, wäre ja jede Airline schlecht beraten, überhaupt umzubuchen. Soll sich der Kunde doch selbst einen Flug buchen, das würde nachher ja ohnehin auf die 600,00 EUR angerechnet.:rolleyes:

2. Aufwendungen für XL-Sitze
Mit 20k Topbonus Punkten wurden XL Sitze erworben. Diese Leistung wurde auf dem LH-Flug natürlich nicht erbracht. Auch hier sagt das Gericht: Das steckt in den 600,00 EUR schon drin und verweist auf eine Entscheidung des BGH (https://openjur.de/u/747148.html).

Sicher, Minderungsansprüche einer Reise (!), die auf den Unannehmlichkeiten einer Flugverspätung beruhen, sind mit den 600,00 EUR zu verrechnen, das sehe ich ein. Aber bei nicht erbrachten Leistungen das gezahlte Entgelt nicht ersetzt zu bekommen, ist schon schräg. Ich hatte - daran ist das Gericht natürlich nicht gebunden - einen Anspruch aus § 812 BGB geltend gemacht. Art. 12 Abs. 1 der VO soll lediglich eine kumulative Geltendmachung von Ansprüchen verhindern, die auf einer Verzögerung der Beförderung beruhen. Darum geht es aber beim XL-Sitz nicht.
Oder anders: Wären meine Mandanten pünktlich geflogen, aber ohne XL-Sitz, dann hätten sie ebenfalls einen Anspruch auf Erstattung der Meilen gehabt. Warum soll AB nur aufgrund der zusätzlichen Annullierung hier besser stehen?


3.
Mit der gleichen Begründung (Anrechnung) lehnt es das AG Charlottenburg auch ab, ein Original Routing Credit (Was ist ein ORC?)verlangen zu können.



Im Ergebnis hätte ich mir vom Gericht, das möglicherweise hier etwas oberflächlich an die Sache herangegangen ist, einen Hinweisbeschluss oder eine mündliche Verhandlung gewünscht, um diese Missverständnisse aufzuklären.

In Bezug auf einen Original Routing Credit müsste man nun in Zukunft Passagieren raten, zunächst diesen isoliert geltend zu machen, um danach erst die 600,00 EUR zu verlangen, wie auch immer das Gericht dann die (auch Status-)Meilen auf die 600,00 EUR anrechnen will.

Wie ist Eure Meinung dazu?

AG Charlottenburg, Urteil vom 24.04.2017 Az.: 203 C 26/17
Anhang anzeigen AG Charlottenburg Folgeansprüche Annulierung anonymisiert.pdf.pdf
 

qwertpoiuz

Erfahrenes Mitglied
30.04.2013
605
0
Frage eines Laien, was deckt die pauschale Entschädigung ab? Wenn die Airline zB für die Hotelunterbringung und den Ersatztransport sorgt, somit dem Kunden hier keine weiteren Kosten entstehen, ist dann das Geld rein als Kompensation für die verlorene Zeit und die ungünstigen Umstände zu sehen? Wenn eine Pauschale nichts abdeckt, ist sie doch für mindestens eine von den zwei Seiten eher ungünstig.
Wäre es, wenn Passagiere Einzelposten abgegolten bekommen möchten, nicht besser, auf die Standardbeträge zu verzichten und die Ansprüche Punkt für Punkt einzufordern?
Frage zum Punkt 2: weigert sich AB, die Kosten bzw Meilen für die XL Sitze zu erstatten? Oder möchten die Mandanten für den entgangenen Komfort entschädigt werden? Sollte sich AB weigern, halte ich das für ein starkes Stück.
 

CGNFlyer

Erfahrenes Mitglied
23.05.2012
4.622
989
Ich bin mir nicht sicher ob ein Richter manchmal davon Ahnung hat über das er entscheidet.
Für Charlottenburg würde ich persönlich diese Frage mit nein beantworten. Ich hatte kürzlich auch dort einen Fall und die sachliche Kompetenz des Richters war doch recht fragwürdig.um das Verfahren nicht unnötig zu verlängern oder noch mehr das Verfahrensergebnis durch Unwissen des Gerichts zu gefährden war es gut das die Beklagte dem Vergleich zugestimmt hat und das Verfahren damit abgeschlossen wurde.
 
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Laxness

Gesperrt
06.05.2017
17
0
1. Mehrgepäckkosten Lufthansa
Die Mandanten (TB Gold / OW Sapphire) konnten bei AB zwei Koffer p.P. mitnehmen, bei Lufthansa sollten sie aber nun für den zweiten Koffer 100 Dollar zahlen, was sie auch taten und daraufhin von AB Ersatz verlangten.

Das Gericht ist der Ansicht, dass dieser Schadensersatzanspruch auf die 600,00 EUR Entschädigungszahlung anzurechnen sei. Das kann m.E. aber nicht für einen Schadensersatz statt der Leistung gelten für eine Pflicht, die sich gerade aus der VO 261/2004 selbst ergibt (hier: Art. 8 Abs. 1 lit. b) Ersatzbeförderung unter vergleichbaren Reisebedingungen). Kontrollüberlegung: Wenn das so wäre, wäre ja jede Airline schlecht beraten, überhaupt umzubuchen. Soll sich der Kunde doch selbst einen Flug buchen, das würde nachher ja ohnehin auf die 600,00 EUR angerechnet.:rolleyes:
Ist der Verlust von Statusvorteilen, wie Zusatzgepäck und Loungebesuch, aufgrund der Ersatzbeförderung nicht gerade ein typisches Bsp. für das, was mit den 600 Euro abgegolten werden soll?

Kontrollüberlegung: Ich glaube auch, daß eine Airline ihre Kunden auch einfach nicht umbuchen könnte. Sie muß dann halt Schadensersatz leisten. Niemand kann sie zu einer Umbuchung zwingen. In der Praxis ist das allerdings schon deshalb abwegig, weil man die Schlagzeile, "AB ließ uns und 300 weitere Menschen einfach in New York stehen" mit Bildern von weinenden Kindern gern vermeiden möchte.
Der Amtsrichter geht allerdings sogar davon aus, daß Deine Mandanten den LH-Flug für den nächsten Tag selbst gebucht haben.

Also: Zusatzgepäck ist ebenso in den 600 Euro enthalten wie ein Restaurantbesuch anstatt der Lounge.

2. Aufwendungen für XL-Sitze
Mit 20k Topbonus Punkten wurden XL Sitze erworben. Diese Leistung wurde auf dem LH-Flug natürlich nicht erbracht. Auch hier sagt das Gericht: Das steckt in den 600,00 EUR schon drin und verweist auf eine Entscheidung des BGH (https://openjur.de/u/747148.html).

Sicher, Minderungsansprüche einer Reise (!), die auf den Unannehmlichkeiten einer Flugverspätung beruhen, sind mit den 600,00 EUR zu verrechnen, das sehe ich ein. Aber bei nicht erbrachten Leistungen das gezahlte Entgelt nicht ersetzt zu bekommen, ist schon schräg. Ich hatte - daran ist das Gericht natürlich nicht gebunden - einen Anspruch aus § 812 BGB geltend gemacht. Art. 12 Abs. 1 der VO soll lediglich eine kumulative Geltendmachung von Ansprüchen verhindern, die auf einer Verzögerung der Beförderung beruhen. Darum geht es aber beim XL-Sitz nicht.
Oder anders: Wären meine Mandanten pünktlich geflogen, aber ohne XL-Sitz, dann hätten sie ebenfalls einen Anspruch auf Erstattung der Meilen gehabt. Warum soll AB nur aufgrund der zusätzlichen Annullierung hier besser stehen?
Wie gelangst Du von dem vertraglichen Anspruch auf einen XL-Sitz zu einem Anspruch auf Rückzahlung des Entgelts dafür aus § 812? Ist bei Nichterfüllung eines Vertrages nicht vielmehr Schadensersatz zu leisten (solange die Paxe nicht vom Vertrag zurücktreten)? Und stellt sich dann nicht wiederum die Frage, ob die "Unannehmlichkeit", auf einem simplen Eco-Sitz fliegen zu müssen, nicht wiederum ein typischer Fall der 600 Euro sind?

3.
Mit der gleichen Begründung (Anrechnung) lehnt es das AG Charlottenburg auch ab, ein Original Routing Credit (Was ist ein ORC?)verlangen zu können.
Das ist unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Gerichts nur konsequent. Es handelt sich um einen unmittelbar aus der Annulierung entstandenen Schaden.
(OT: ich wurde unlängst von AB auf BA umgebucht und BA hat mir auf mein TB-Konto brav die Meilen für ein Businessticket gutgeschrieben, obwohl es sich ursprünglich um ein Prämienticket handelte. Mal gewinnt man, mal verliert man :))

Solange die drei Schäden insgesamt 600 Euro nicht übersteigen, stehen sich Deine Mandanten ja nicht schlechter als bei Durchführung des Fluges mit AB. So wie ich die Verordnung verstehe, dient die Kompensation keineswegs nur immateriellen Schäden, sondern ist auch auf die hier in Rede stehenden anzurechnen.

Meiner Meinung nach ist das Urteil des Amtsrichters bei näherem Hinsehen daher gar nicht so abwegig.
Ich habe allerdings mit Reise- und Transportrecht nichts zu tun und betrachte mich insoweit als Laien. Und als solcher würde ich mich - mit sicherlich vielen anderen - freuen, wenn Du öfter mal solche Entscheidungen publizieren könntest.(y)
 
Zuletzt bearbeitet:

Rambuster

Guru
09.03.2009
19.548
237
Point Place, Wisconsin
Der Kläger hat jedoch die LH M&M Meilen erhalten?
Witzig, dass AB bei Statuskunden kein ORC genehmigt.

Bei LH klappt das immer - sogar die PPB Punkte werden manuell gutgeschrieben!
 

axxoo25

Erfahrenes Mitglied
27.09.2016
2.220
174
Hinsichtlich der XL-Sitze könnte doch Art. 10 der VO analog greifen?

Und ich denke, dass dies auch hinsichtlich Status-benefits möglich sein sollte.

Die betroffenen OW sapphire/emarld Inhaber haben ja genau aus diesem Grund AB gebucht..
 
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axxoo25

Erfahrenes Mitglied
27.09.2016
2.220
174
@kexbox: ist das ding berufungsfähig? wenn ja, geht man in die berufung?
 

axxoo25

Erfahrenes Mitglied
27.09.2016
2.220
174
Antrag auf Zulassung könnte Erfolg haben, weil zur Fortbildung des Rechts und so
 

CKR

Erfahrenes Mitglied
18.05.2015
1.851
-9
MUC
Wie ist Eure Meinung dazu?

AG Charlottenburg, Urteil vom 24.04.2017 Az.: 203 C 26/17
Anhang anzeigen 98384

Nach dem ersten Lesen entspricht das Urteil nicht meinem Empfinden, dass es sich um "vergleichbare Reisebedingungen" handelt.

Es wird ja in der VO auch auf Klassen eingegangen und die definiert sich für mich insbesondere aus Art des Sitzes bzw. Platzangebotes und der Anzahl an Gepäckstücken.

Nach dem AG Charlottenburg würde ich jetzt fast meinen, dass ich im Extremfall gezwungen sein könnte, die komplette Entschädigungssumme aufzuwenden, um tatsächlich so, wie ich es ursprünglich wollte, fliegen zu können. Und der Zeitverlust geht dann auch auf mich?

Zwar handelt es sich nunmal um Pauschalen und da gibt es immer Gewinner und Verlierer, aus dem Vergleich der Paxe zueinander.

Aber meiner Meinung nach geht das AG hier am Sinn und Ziel der Verordnung vorbei.
 
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CKR

Erfahrenes Mitglied
18.05.2015
1.851
-9
MUC
@ Laxness:

Ich könnte Dir, zumindest in Teilen, zustimmen, wäre der Flug am selben Tag zur selben Zeit auf derselben Route erfolgt.

Da das nicht der Fall ist, würde ich mich durchaus als schlechter gestellt, als bei Durchführung des original Fluges mit AB fühlen.
 

spocky83

Erfahrenes Mitglied
21.12.2014
3.631
970
MUC, BSL
@CKR
Nunja, aber die XL Seats sind ja sogesehen keine eigene Klasse. Das es auch innerhalb einer Kabinenklasse bessere und schlechtere Sitze gibt ist ja unbestritten, aber dann wäre ja sogesehen fast jede kostenpflichtige Sitzplatzreservierung zu entschädigen - immerhin ist ein Mittelplatz doch eher nicht einem Gangplatz vorzuziehen.
 

CKR

Erfahrenes Mitglied
18.05.2015
1.851
-9
MUC
@CKR
Nunja, aber die XL Seats sind ja sogesehen keine eigene Klasse. Das es auch innerhalb einer Kabinenklasse bessere und schlechtere Sitze gibt ist ja unbestritten, aber dann wäre ja sogesehen fast jede kostenpflichtige Sitzplatzreservierung zu entschädigen - immerhin ist ein Mittelplatz doch eher nicht einem Gangplatz vorzuziehen.

Es ist immer schwer, eine Grenze zu ziehen. Aber ja, wenn ich kostenpflichtig einen bestimmten Sitzplatz wähle und den dann nicht erhalte, erwarte ich in der Tat eine Rückerstattung - aber keine Entschädigung.

Nach Argumentation des AG könnte ich jegliche aufpreispflichtige Leistung 2x ordern müssen, die dann auf die Entschädigung anzurechnen wäre. Und im Extremfall würde ich sie 0x erhalten.

Die VO spricht weder von Buchung- noch von Kabinenklassen. Insofern sehr schwammig, was vergleichbare Reisebedingungen sind.