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Eine Kurzgeschichte aus dem Blog "Gedanken eines Fliegenden" die ich euch nicht vorenthalten will. (Zustimmung vom Autor zur Veröffentlichung wurde eingeholt:
Flug 69 nach JFK
... oder es geht schief, was schief gehen kann.
Epilog
Für einen Blogeintrag braucht es eine Geschichte, Hauptdarsteller und ein paar Pointen. Im Flugzeug gibt es das alles auf engstem Raum. Ein Flugzeug ist ein Theater mit vielen Bühnen, wo jeder - und auch wirklich jeder - meint, er spiele die Hauptrolle. Die engen Gänge sind ein Laufsteg der Eitelkeiten; die Galleys gleichzeitig Hochleistungsküchen, als auch Klatschzentren und die Cockpits das, was sie in der englischen Übersetzung auch bedeuten: eine Bühne für Gockelkämpfe. Besatzungen sind auch nur Menschen, wollen aber auch als solche behandelt werden.
Begleiten sie die Besatzung von Flug SCREW 69 nach New York. Der Flugzeugtyp ist ein Airbus 330, die Crew besteht aus zwölf mehr oder weniger motivierten Leuten. Da sich kein Mensch zwölf Namen merken kann, beschränken wir uns auf fünf Personen. Die Geschichte ist lang, wer sie als pdf lesen möchte, darf sie HIER herunterladen. Schnallen sie sich an, es könnte turbulent werden.
«Cabin Crew, takeoff in one minute!»
Preflight Duty
Jaques Gonfler war wütend. Er knallte den Telefonhörer auf die Gabel und fluchte in seiner Muttersprache Französisch vor sich hin. Im Mehrfamilienhaus hörte ihn keiner. Seit seiner Scheidung wohnte er in der Anflugsschneise in einer Dreizimmerwohnung. Über dem Hausdach tauchte ein vierstrahliger Jet auf, der verzweifelt gegen die Schwerkraft kämpfte. Unüberhörbar wurden die letzten Schubreserven mobilisiert. Man verstand in der Wohnung das eigene Wort nicht mehr, nicht einmal die eigenen Flüche.
«New York statt Bangkok - Merde!»
Zum Weiterfluchen blieb keine Zeit. Die Einsatzleitstelle musste einen kranken Flugkapitän ersetzen und zwar schnell. Flug 69 sollte Zürich in 90 Minuten verlassen und Jaques Gonfler war der einzig verfügbare Ersatz, der in so kurzer Zeit aufgeboten werden konnte.
Er tauschte die Badehosen mit der Winterjacke und die kurzen Shorts mit den langen Unterhosen. Auch die Präservative warf er wütend in die Ecke. Im prüden New York würde er die Zwölferpackung nicht brauchen.
Die Wohnungstür knallte ins Schloss, als er energiegeladen ins Treppenhaus stürzte. In der linken Hand den Koffer und in der rechten den Crew-Bag, rannte er die drei Stockwerke in die Garage hinunter. Der Aufzug war wieder einmal defekt. Mit quietschenden Reifen schoss er aus der Tiefgarage, ohne auch nur einmal in den Rückspiegel zu blicken. Eigentlich schade, denn vielleicht hätte er bemerkt, dass seine Brieftasche mit Reisepass und Kreditkarte in diesem Moment vom Autodach rutschte.
Mit 130 Sachen flog JoBo über den Nordring Richtung Flughafen. JoBo hiess eigentlich Johannes Bohnenblust, aber das klang einfach nicht cool genug für einen frischgebackenen Langstrecken-Copiloten. Das Auto war sein ganzer Stolz. Etwas zu teuer für sein Einkommen, aber standesgemäss, wie er fand. Er freute sich auf den Flug zum Big Apple. Den Kapitän kannte er aus der Umschulung auf die A330. Er war jung, aufgestellt und kompetent, wie es sich für einen Piloten der Luftwaffe gehörte. Dank seinem Können überstanden sie während des Kurses auch den berüchtigten Fluglehrer, der arrogant und aufgeblasen war, wie ein Luftballon an einem Kindergeburtstag. Nein, mit diesem alten Sack wollte er keine acht Stunden im Cockpit verbringen - lieber nicht. Die Raststätte Katzensee war schon vorbei, als sein Handy klingelte. Automatisch reduzierte sich die Lautstärke der Musik und der Bluetooth-Ohrstöpsel begann zu blinken. Ein teures Accessoire, aber in der heutigen Zeit unumgänglich. Es war sein Lieblingskapitän am Ende der Leitung. «Hallo JoBo, ich musste den Flug absagen. Meine Tochter hatte einen Unfall.» Automatisch reduzierte JoBo das Tempo, was auch prompt von einem Mercedes mit Basler Kennzeichen mit Lichthupesignalen quittiert wurde. Am Steuer sass eine ältere Dame mit Föhnfrisur, die zu JoBo’s Belustigung in einer Uniform seiner Fluggesellschaft steckte. «Alte Schachtel», dachte er und konzentrierte sich wieder auf das Gespräch und den Verkehr. «Dann wünsche ich gute Besserung. Schade, dass du nicht mitkommen kannst. Hoffentlich hast du für gleichwertigen Ersatz gesorgt.» «Da muss ich dich leider enttäuschen Jobo, geplant ist das Arschloch aus der Umschulung.»
Trix Sarasin drückte auf die Tube. Die Zürcher konnten einfach nicht Autofahren! Wertvolle Minuten verflogen, in denen sie lieber in der Garderobe noch einmal ihren Lidschatten nachgezogen hätte. Jetzt reduzierte dieser Depp im Audi auch noch das Tempo. «Blöder Ziiiiircher, mach mal Platz da!» Sie betätigte mehrmals die Lichthupe und hoffte die Schnecke so von der Überholspur zu schiessen. Ihre potenten Halogenscheinwerfer verrichteten im Seriefeuermodus ihren Dienst zur vollen Befriedigung von Madame Sarasin. Der junge Schnösel machte Platz. Während dem Überholen erkannte sie die drei goldenen Streifen auf seiner Schulter. «Ein Copilötli!», lachte sie. «Geh mal schön Kurzstrecke fliegen mein Kleiner und lass brav die jungen Dinger in Ruhe. Mama Sarasin jettet heute nach New York.» Sie drückte aufs Gas und die dreihundert Pferde unter dem Stern galoppierten Richtung nächstes Opfer.
Ein leerer Koffer ist nicht kleiner als ein voller. Die Gepäckablagen der Bundesbahnen waren einfach zu klein für den Überseekoffer. Zara hätte auch den Kleinen mitnehmen können. Doch in New York wusste man nie, ob gerade irgendwo Ausverkauf war. Sie plazierte den Koffer im Abteil so, dass jedermann ihre Gepäcketikette mit der Aufschrift «Crew» lesen konnte. Das wäre unnötig gewesen. Zara reiste in Vollmontur. Die Uniform perfekt gebügelt, den Rock ein Spürchen zu kurz und die Strümpfe frisch aus dem Discounter, präsentierte sie sich stolz in ihren neuen Stöckelschuhen. Geschminkt war sie auf der grosszügigen Seite. Die Lippen in sattes Rot getaucht und die Lidschatten so schwarz, als käme sie direkt von einem Nachtflug. Auch Parfüm hatte sie üppig aufgetragen, was den Sitznachbarn zur Rechten dazu bewog, den Platz zu wechseln. Doch von diesen kleinen Makeln abgesehen, repräsentierte sie sich als Vorzeige-Flugbegleiterin. Ihre sportliche Figur passte perfekt in die dunkelblaue Uniform und die Frisur war nicht nur vorschriftskonform, sondern auch der letzte Schrei. Wie unschwerlich zu erkennen, war sich Zara nicht gewohnt, Röcke zu tragen. Eine ältere Dame im Abteil gegenüber machte sie mit Handzeichen diskret darauf aufmerksam, dass Frau in Rock die Beine nicht so spreizen sollte. Verlegen bedankte sich Zara Kaufleuten, verliess die S-Bahn am Flughafen und reihte sich vor der Schlange an der Rolltreppe ein, die Passagiere und Angestellte in die Flughafenhalle brachte.
«Reibst du mir den Rücken mit Body Lotion ein?», rief Roman Richtung Schlafzimmer. Sein Freund machte unter der Decke keinen Wank. «Ach komm, ich verbringe den ganzen Tag in dieser furztrockenen Röhre und du weiss, wie empfindlich meine Haut ist.» Keine Reaktion aus dem Schlafzimmer. «Selber schuld. Wenn der Ausschlag in New York wieder da ist, dann muss ich bei Glen vorbei und der wird mir mehr als den Rücken einsalben.» Immerhin ein «mmmhhh» klang unter der Decke hervor. Roman gab auf und zog sich an. Er bereitete sich auf der Parravicini einen Espresso zu und blickte aus dem Fenster über den Zürichsee. Die neu bezogene Wohnung im Seefeld war einfach paradiesisch. Extrem teuer, aber paradiesisch. Roman hätte die Arbeit als Flight Attendant aus finanzieller Sicht nicht nötig. Sein verstorbener Vater vererbte ihm ein Vermögen, das er selbst bei seinem verschwenderischen Lebenswandel bis zum Tod nie und nimmer hätte durchbringen können. Sein Lover arbeitete als Private Banker und hatte haufenweise schwule Mulimillionäre in seinem Portfolio. Da kam einiges an Geld zusammen im Monat. Genug um das Leben würdevoll zu geniessen. «So steh endlich auf, wir müssen bald los.» Es war Wochenende und sein Partner wollte mit nach New York. Allerdings würde er länger bleiben. Man konnte als Banker privates gut mit geschäftlichem verbinden. Die Zeit wurde knapp, Roman musste gehen. Er bestellte ein Taxi auf den Namen Barfüssler und verliess die gemeinsame Wohnung. Sein Partner hatte noch Zeit. Als First-Class Passagier konnte er bis eine Viertelstunde vor Abflug einchecken.
Briefing
Mit JoBo im Schlepptau betrat Jaques Gonfler den Briefingraum. Die Kabinenbesatzung besprach gerade ein Notfallszenario, doch das störte den Herrn Kapitän nicht im Geringsten. «Guten Morgen!» Die Gespräche verklangen, die Blicke senkten sich Richtung Boden. «Flug nach New York, acht Stunden zwanzig Flugzeit, Turbulenzen wie immer. Johannes das Greenhorn fliegt uns nach Amerika. Er wird euch über das Wetter informieren.» Die Blicke waren noch immer gesenkt, die Flugzeit notiert. Mehr interessierte die Flight Attendants nicht.
Trix Sarasin studierte die Passagierliste der ersten Klasse. Fünf Leute waren geplant, zwei davon sogenannte VON, das sind besonders wichtige und gute Kunden, die verwöhnt und gehätschelt werden müssen. Sie freute sich auf die VON’s. Als Tochter aus gutem Hause war sie es gewohnt, einflussreiche Persönlichkeiten zu betreuen. Das Cockpit würde sie auf diesem Flug vernachlässigen. Ein bornierter Kapitän und ein Copilot, der ihr Sohn sein könnte - nicht ihre Welt. Ihre Welt war die erste Klasse, wo sich Filmstars und Politiker die Sitze teilten, wo es früher Kaviar gab und Zigarren. Ja früher, da war alles besser!
Roman betrachtete den jungen Copiloten. Den süssen Vornamen Johannes hat er durch das coole JoBo getauscht, was ihn keineswegs maskuliner machte. Roman scannte JoBo’s Body und gab ihm gute Noten. Sein knabenhaftes Aussehen gefiel Roman. Er käme nicht als Partner in Frage, aber wäre ein veritabler Seitensprung. Tja, dieses Mal nicht, aber wer weiss.
Zara pflegte ihre Fingernägel gut versteckt hinter der Handtasche. Der Copilot wollte mit seinen Wettermeldungen einfach nicht aufhören. Was meinte der Idiot eigentlich. Dank iPhone waren alle bestens über den Sturm in New York informiert. Trix vielleicht nicht, aber die hatte soviel Haarspray auf ihrem Kopf, dass es einen Hurrikan brauchte, um die Konstruktion in Schieflage zu bringen. Anfänger! Gut, so lange war sie auch noch nicht dabei, aber immerhin flog sie schon zum zweiten Mal nach New York. Ein altes Flughuhn quasi.
Gonfler wurde es zu bunt, er unterbrach JoBo mitten im Satz. «Um es kurz zu machen. Es herrscht Scheisswetter in New York. Wenn’s knallt bei der Landung, war der Kleine Schuld.» Er hatte bereits die Türfalle in der Hand, als er sich noch einmal umdrehte. «Haben alle den Reisepass? Bei dieser unerfahrenen Crew würde mich nichts verwundern! Hat noch jemand etwas anzufügen?» Roman hob die Hand und informierte, dass er seinen Freund dabei hatte. «Keinen Platz!», knurrte der Kapitän. «Ich nehme grundsätzlich niemanden auf dem Notsitz mit, Schwuchteln sowieso nicht!» Die Tür knallte zu, die Kabinenbesatzung war wieder allein.
«Sympathische Erscheinung», kommentierte die Kabinenchefin und fuhr mit den Notfallinstruktionen fort.
JoBo lief wie ein gewaschener Pudel Richtung Planungsraum. Das war ein Scheissauftritt. Ausgerechnet heute, wo diese Zara in der Besatzung war. Im Cockpit würde sie ihn auch nicht besuchen. Wen wundert’s, bei so einem Büffel als Chef. Scheisse, warum musste die Tochter des Lieblingskapitäns nur einen Unfall bauen.
Der Chef sass vorwurfsvoll am Planungstisch und wartete auf JoBo. «Wo sind die Planungsunterlagen?», fluchte der Kapitän. «Oben im Dispatch, wie immer.» An den umliegenden Tischen gingen die Augenbrauen hoch. «Einmal Arschloch, immer Arschloch», flüsterte ein Kapitänskollege zu seinem Copiloten, studierte die Wetterkarte und schüttelte den Kopf. Gonfler lief militärischen Schrittes zum Flugplaner.
«New York - toute suite s.v.p.!»
«Einen Moment bitte, ich bin noch mit der Tokio Crew beschäftigt.»
«Tokio startet zehn Minuten nach uns.»
«Ja, aber sie waren zuerst.»
«Ca m’intresse pas!»
Wieder verdrehten Kollegen die Augen. Der miserable Ruf Gonflers hatte sich einmal mehr bestätigt. Der Planer schob wortlos einen Stapel Papiere zum verhassten Kapitän und beschäftigte sich weiter mir der Tokio-Crew. Fluchend packte Gonfler die Flugunterlagen und verliess das Büro des Flugplaners. Eigentlich hätte er als verantwortlicher Kapitän noch über eine Pistensperrung an seiner Destination informiert werden sollen, aber das hatte sich damit erledigt.
«Roman mach dir keine Sorgen, ich bringe deinen Freund schon irgendwo unter», flüsterte ihm die Kabinenchefin im Crew-Bus in die Ohren. «Ich mache mir keine Sorgen, falls die Schlafmütze es noch aus dem Bett geschafft hat, ist er bestimmt an Bord. Fest gebucht, erste Klasse.» «Hoppla», antwortete die Kabinenchefin, «das ist aber eine Überraschung.» «Er ist einer der gelisteten VON’s. Sitz 1A. Danke für dein Engagement.» Roman wollte die erste Klasse Hostessen auch über seinen Freund informieren, liess das aber sein. Trix mit ihrer Föhnfrisur, die aussah wie der Haaraufsatz eines Playmobilmännchens, schien komplizierter als erwartet. Besser man lies die alte Madame in Ruhe arbeiten.
Die beiden Piloten redeten kein persönliches Wort miteinander. Gonfler studierte die Flugunterlagen, JoBo das Wetter. Als fliegendem Piloten wäre es eigentlich JoBo zugestanden, die erforderliche Treibstoffmenge zu bestimmen. Doch er machte sich keine Illusionen. Wie erwartet, hat Gonfler den von ihm gewünschten Wert auf das offizielle Formular gesetzt und mit seinem Kurzzeichen unterschrieben. JoBo hätte mehr genommen, traute sich aber nicht zu intervenieren.
Eine Viertelstunde später sass JoBo auf seinem Sitz und stellte die Schalter dorthin, wo sie gemäss Airbus Checkliste stehen sollten. Sein Kapitän schwirrte wie ein Eichhörnchen auf Speed durch die Gänge und trieb ausnahmslos jeden zur Weissglut, der ihm über den Weg lief. Zum ersten Mal hasste JoBo seinen Job.
Pünktlich wurde der Flug nach New York abgedockt und auf den Vorplatz geschoben. Die Triebwerke liefen ordnungsgemäss an und fünf Minuten später schaute die Flugzeugnase Richtung Himmel. Der ganze Flughafen Zürich war erleichtert, als die Maschine den Boden verliess. Für die Besatzung des Fluges 69 begann eine mehrstündige Odyssee. Einer gegen alle, alle gegen einen.
Steigflug
Zara schwitzte in der hintersten Küche. Nicht wegen der Temperatur, sondern wegen den vierzig koscheren Essen. Ausgerechnet heute! Auf alles hatte sie sich vorbereitet, wirklich auf alles. Jüdische Passagiere erwartete sie nicht auf dem Flug nach Amerika. Schlechte Vorbereitung Zara, beheimatete New York doch die grösste jüdische Exilgemeinde der Welt. Das hiess Stress am Boden. Vierzig koschere Mahlzeiten, davon drei vegetarische, fünf Kinder und sieben «non-gluten». Zuerst mussten die Spezialessen am Boden gefunden, dann geprüft, dann bezeichnet und dann auf die Öfen verteilt werden. Zara war schon vor dem Erlöschen des «fasten seat belt» total erschöpft.
Trix konnte es kaum erwarten, den Filmstar auf Sitz 1A zu bedienen. Vermutlich reiste er unter einem Synonym. Der Name auf der Passagierliste klang zu gewöhnlich, zu unbekannt. Während der kleine Copilot versuchte, die Flugzeugnase Richtung Westen zu drehen, schaute Trix in den kleinen Spiegel im Puderdöschen. Die Frisur sitzte, das Make-up auch. Die ersten zehn Minuten wollten nicht verstreichen. Das «fasten seat belt» nicht verschwinden. Endlich das langersehnte «Ping», endlich durfte sie aufstehen. Während die Kabinenchefin in drei Sprachen allerlei Informationen herunterlas, die keine Seele an Bord interessierte, öffnete Trix die Champagnerflasche aus edler Domäne. Handgriffe, die ihr in den vergangenen Jahren in Fleisch und Blut übergingen. Die bauchigen Flaschen benahmen manchmal wie wildgewordene Teenager. Kein Wunder, wurden sie doch gerüttelt und geschüttelt, verladen und wieder entladen. Doch Trix war ihnen gewachsen, sie hätte das noch bei Stromausfall beherrscht. Sanft schälte sie das Aluminium vom Flaschenhals, drehte das Drahtnetz langsam im Gegenuhrzeigersinn und warf den Abfall mit einer Hand elegant in den Eimer, während sie den Champagner mit der anderen auf der schmalen Ablage fixierte. Genau in diesem Moment zwängte sich die dicke Deutsche von 1K hinter ihr durch und das Unglück nahm ihren Lauf. Die kleine Ruckbewegung genügte, um dem Zapfen Auftrieb zu geben und dem Überdruck in der Flasche freien Lauf zu lassen. Begleitet vom einem lauten «Plopf» schoss das Stück Kork durch die Luft und traf Trix so unglücklich am Hals, dass eine blaue Stelle blieb, die einem Knutschfleck nicht unähnlich sah. Kaum spürte die Arme den Aufprall des Zapfens, wurde der Kopf mit kühlem Krug Selectionée 1992 gekühlt. Die Passagierin konnte sich in die Toilette flüchten, die Kabinenchefin und Trix standen nass in der Küche und rochen wie Boxenluder an der Preisverteilung vom grossen Preis von Monaco. Beide brachen in Tränen auch.
In diesem Moment öffnete sich die Cockpittür und Gonfler stand vor den beiden Damen. Er schien von der Katastrophe keine Notiz zu nehmen und bestellte einen doppelten Espresso mit geschäumter Milch und zwar SUBITO!
Die beiden Damen brauchten jetzt dringend eine Toilette. Die der ersten Klasse war besetzt mit der Dicken von 1K. Das konnte eine Ewigkeit dauern! In der Businessklasse hatte es drei der rettenden Tolietten. Zwei waren bereits besetzt, eine zeigte auf Grün. Doch der Weg zur rettenden Insel führte durch die erste Klasse. Beide zögerten. Trix gab eine erbärmliche Figur ab. Die Schminke verteilte sich grosszügig um die Augen und in der Puderschicht bildeten sich tiefe Canyons, in denen eine Mischung von Schweiss, Tränen und Krug Selectionée 1992 hinunterlief. Die Bluse war nass und an zwei Stellen war der Büstenhalter deutlich zu erkennen.
Wieder öffnete sich die Cockpittür und JoBo stand in der Küche. Eigentlich wollte er nur helfen, den Kaffee für den Chef zubereiten. Als er die verzweifelten Damen im Galley erblickte, versuchte er diese etwas aufzuheitern. Aufzuheitern, mit einem Spruch, der zwar zu seinem Alter passte, die reife Trix und ihre Kollegin nicht wirklich trösten konnte: «Na, veranstaltet ihr einen wet T-Shirt contest?»
Hinten im Flugzeug nahmen weder Gäste, noch Besatzungsmitglieder Notiz vom Champagnerunfall im vorderen Galley. Roman verwöhnte die Gäste in der Business-Class, Zara versuchte die Küche in der Econnomy zu managen. Niemand realisierte, dass die Ansage der Kabinenchefin mitten im Satz abrupt stoppte. Nach etwa einer Stunde -, die heissen Essen waren gerade zum Verteilen bereit, erschien Romans Freund in der mittleren Küche. «Nicht jetzt Schatz, ich hab jetzt wirklich keine Zeit! Vergnüge dich vorne bei Lachs und Champagner, ich besuche dich, wenn ich hier fertig bin.» Roman spitzte die Lippen wie es nur Schwule können und wollte seinem Partner links und rechts ein Abschiedsküsschen auf die Wange geben. «Roman, es ist was passiert. Vorne herrscht Chaos!» Romans Mine verfinsterte sich. Rauch, Motorenprobleme oder ein Feuer? Müssen wir Notlanden, den Service abbrechen, Schwimmwesten anziehen? Sein Partner beruhigte ihn. «Im Gegenteil, ihr müsst nicht den Service abbrechen, sondern ihn endlich beginnen. Ich sterbe vor Hunger und Durst habe ich auch.» Wortlos verstaute Roman seinen Schubkarren und lief schnurstracks in die vordere Küche. Das Bild, das ihm geboten wurde beelendete ihn. Trix, die hochnäsige Hostess aus alten Zeiten versuchte verzweifelt einen Knutschfleck mit rosa Puder zu überdecken und die Kabinenchefin reinigte mit Feuchttüchern das Bedienpanel des Bordunterhaltungssystems. Etwas Krug Selectionée 1992 hat sich zwischen die Leiterplatten geschlichen und das ganze System lahmgelegt. Als er in die Gesichter der beiden schaute, sah er nackte Panik.
Roman drehte sich zu seinem Partner um. «Lust auf etwas Spass?» «Logo!», lautete die kurze Antwort und die Zwei legten los. Als erstes verstaute Roman die beiden Heulsusen im kleinen Schlafraum der Piloten. Dieser wurde auf diesem Flug nicht gebraucht, die Betten waren frei. Er holte aus der Bordapotheke Schlaftabletten, breitete die Duvets aus und klopfte die Kissen zurecht. «Gute Nacht die Damen. Seit beruhigt, wir schaukeln das schon.»
Problem eins gelöst.
Nach einem kurzen Telefonat ins Business-Class-Galley arrangierte Roman ein Mittagessen für die beiden Piloten, das selbst Gonfler für über eine Stunde ruhig stellen sollte. Er brachte sämtlichen Lesestoff in französischer Sprache nach vorne, wünschte einen guten Appetit und verabschiedete sich höflich.
Problem zwei gelöst.
In der Zwischenzeit machte sein Freund in der ersten Klasse die Runde. Er beschönigte nichts und informierte die Gäste über den Nervenzusammenbruch der Damen, offenbarte seinen Plan und klopfte dazwischen Sprüche, die den Gästen ein herzhaftes Lachen entlockten. Roman riss in der Küche alle Schubladen auf und stellte die Getränke, die seinem Geschmack entsprachen auf die Seite. Im Nu baute er in der ersten Klasse eine kleine Bar auf und mixte Getränke in allen Farben. «Jetzt zeigen wir denen einmal, wie wir am anderen Ufer Partys feiern!» Die Jalousien wurden heruntergelassen, das Licht gedämpft und der iPod von Roman beschallte die Kabine mit Lounge Musik.
Roman improvisierte. Er arrangierte eine Vorspeiseplatte mit Lachs, Trockenfleisch und Hartkäse, der eigentlich für den Nachtisch gedacht war. Dazu servierte er den Chablis aus der Business-Class, der ihm besser mundete, als der teure Weisswein aus dem Burgenland. Nach drei Flugstunden begann die Dicke aus 1K zu singen. Eine Viertelstunde später schnarchte sie. Die Wagen waren bald leergefressen, die Gäste glücklich.
Problem drei gelöst.
Als Zara nach vier Stunden völlig erschöpf in der vorderen Kabine erschien, wo sie sich etwas zu Essen holen wollte, blieb sie erschrocken stehen. Roman und sein Freund knutschten offensichtlich betrunken in einen Sitz herum, während sich die Dicke von 1K und ihr schmächtiger Nachbar näher kamen, als es sich auf 11000 Metern eigentlich gehörte. «Auweia, das gibt Ärger!»
...
Flug 69 nach JFK
... oder es geht schief, was schief gehen kann.
Epilog
Für einen Blogeintrag braucht es eine Geschichte, Hauptdarsteller und ein paar Pointen. Im Flugzeug gibt es das alles auf engstem Raum. Ein Flugzeug ist ein Theater mit vielen Bühnen, wo jeder - und auch wirklich jeder - meint, er spiele die Hauptrolle. Die engen Gänge sind ein Laufsteg der Eitelkeiten; die Galleys gleichzeitig Hochleistungsküchen, als auch Klatschzentren und die Cockpits das, was sie in der englischen Übersetzung auch bedeuten: eine Bühne für Gockelkämpfe. Besatzungen sind auch nur Menschen, wollen aber auch als solche behandelt werden.
Begleiten sie die Besatzung von Flug SCREW 69 nach New York. Der Flugzeugtyp ist ein Airbus 330, die Crew besteht aus zwölf mehr oder weniger motivierten Leuten. Da sich kein Mensch zwölf Namen merken kann, beschränken wir uns auf fünf Personen. Die Geschichte ist lang, wer sie als pdf lesen möchte, darf sie HIER herunterladen. Schnallen sie sich an, es könnte turbulent werden.
«Cabin Crew, takeoff in one minute!»
Preflight Duty
Jaques Gonfler war wütend. Er knallte den Telefonhörer auf die Gabel und fluchte in seiner Muttersprache Französisch vor sich hin. Im Mehrfamilienhaus hörte ihn keiner. Seit seiner Scheidung wohnte er in der Anflugsschneise in einer Dreizimmerwohnung. Über dem Hausdach tauchte ein vierstrahliger Jet auf, der verzweifelt gegen die Schwerkraft kämpfte. Unüberhörbar wurden die letzten Schubreserven mobilisiert. Man verstand in der Wohnung das eigene Wort nicht mehr, nicht einmal die eigenen Flüche.
«New York statt Bangkok - Merde!»
Zum Weiterfluchen blieb keine Zeit. Die Einsatzleitstelle musste einen kranken Flugkapitän ersetzen und zwar schnell. Flug 69 sollte Zürich in 90 Minuten verlassen und Jaques Gonfler war der einzig verfügbare Ersatz, der in so kurzer Zeit aufgeboten werden konnte.
Er tauschte die Badehosen mit der Winterjacke und die kurzen Shorts mit den langen Unterhosen. Auch die Präservative warf er wütend in die Ecke. Im prüden New York würde er die Zwölferpackung nicht brauchen.
Die Wohnungstür knallte ins Schloss, als er energiegeladen ins Treppenhaus stürzte. In der linken Hand den Koffer und in der rechten den Crew-Bag, rannte er die drei Stockwerke in die Garage hinunter. Der Aufzug war wieder einmal defekt. Mit quietschenden Reifen schoss er aus der Tiefgarage, ohne auch nur einmal in den Rückspiegel zu blicken. Eigentlich schade, denn vielleicht hätte er bemerkt, dass seine Brieftasche mit Reisepass und Kreditkarte in diesem Moment vom Autodach rutschte.
Mit 130 Sachen flog JoBo über den Nordring Richtung Flughafen. JoBo hiess eigentlich Johannes Bohnenblust, aber das klang einfach nicht cool genug für einen frischgebackenen Langstrecken-Copiloten. Das Auto war sein ganzer Stolz. Etwas zu teuer für sein Einkommen, aber standesgemäss, wie er fand. Er freute sich auf den Flug zum Big Apple. Den Kapitän kannte er aus der Umschulung auf die A330. Er war jung, aufgestellt und kompetent, wie es sich für einen Piloten der Luftwaffe gehörte. Dank seinem Können überstanden sie während des Kurses auch den berüchtigten Fluglehrer, der arrogant und aufgeblasen war, wie ein Luftballon an einem Kindergeburtstag. Nein, mit diesem alten Sack wollte er keine acht Stunden im Cockpit verbringen - lieber nicht. Die Raststätte Katzensee war schon vorbei, als sein Handy klingelte. Automatisch reduzierte sich die Lautstärke der Musik und der Bluetooth-Ohrstöpsel begann zu blinken. Ein teures Accessoire, aber in der heutigen Zeit unumgänglich. Es war sein Lieblingskapitän am Ende der Leitung. «Hallo JoBo, ich musste den Flug absagen. Meine Tochter hatte einen Unfall.» Automatisch reduzierte JoBo das Tempo, was auch prompt von einem Mercedes mit Basler Kennzeichen mit Lichthupesignalen quittiert wurde. Am Steuer sass eine ältere Dame mit Föhnfrisur, die zu JoBo’s Belustigung in einer Uniform seiner Fluggesellschaft steckte. «Alte Schachtel», dachte er und konzentrierte sich wieder auf das Gespräch und den Verkehr. «Dann wünsche ich gute Besserung. Schade, dass du nicht mitkommen kannst. Hoffentlich hast du für gleichwertigen Ersatz gesorgt.» «Da muss ich dich leider enttäuschen Jobo, geplant ist das Arschloch aus der Umschulung.»
Trix Sarasin drückte auf die Tube. Die Zürcher konnten einfach nicht Autofahren! Wertvolle Minuten verflogen, in denen sie lieber in der Garderobe noch einmal ihren Lidschatten nachgezogen hätte. Jetzt reduzierte dieser Depp im Audi auch noch das Tempo. «Blöder Ziiiiircher, mach mal Platz da!» Sie betätigte mehrmals die Lichthupe und hoffte die Schnecke so von der Überholspur zu schiessen. Ihre potenten Halogenscheinwerfer verrichteten im Seriefeuermodus ihren Dienst zur vollen Befriedigung von Madame Sarasin. Der junge Schnösel machte Platz. Während dem Überholen erkannte sie die drei goldenen Streifen auf seiner Schulter. «Ein Copilötli!», lachte sie. «Geh mal schön Kurzstrecke fliegen mein Kleiner und lass brav die jungen Dinger in Ruhe. Mama Sarasin jettet heute nach New York.» Sie drückte aufs Gas und die dreihundert Pferde unter dem Stern galoppierten Richtung nächstes Opfer.
Ein leerer Koffer ist nicht kleiner als ein voller. Die Gepäckablagen der Bundesbahnen waren einfach zu klein für den Überseekoffer. Zara hätte auch den Kleinen mitnehmen können. Doch in New York wusste man nie, ob gerade irgendwo Ausverkauf war. Sie plazierte den Koffer im Abteil so, dass jedermann ihre Gepäcketikette mit der Aufschrift «Crew» lesen konnte. Das wäre unnötig gewesen. Zara reiste in Vollmontur. Die Uniform perfekt gebügelt, den Rock ein Spürchen zu kurz und die Strümpfe frisch aus dem Discounter, präsentierte sie sich stolz in ihren neuen Stöckelschuhen. Geschminkt war sie auf der grosszügigen Seite. Die Lippen in sattes Rot getaucht und die Lidschatten so schwarz, als käme sie direkt von einem Nachtflug. Auch Parfüm hatte sie üppig aufgetragen, was den Sitznachbarn zur Rechten dazu bewog, den Platz zu wechseln. Doch von diesen kleinen Makeln abgesehen, repräsentierte sie sich als Vorzeige-Flugbegleiterin. Ihre sportliche Figur passte perfekt in die dunkelblaue Uniform und die Frisur war nicht nur vorschriftskonform, sondern auch der letzte Schrei. Wie unschwerlich zu erkennen, war sich Zara nicht gewohnt, Röcke zu tragen. Eine ältere Dame im Abteil gegenüber machte sie mit Handzeichen diskret darauf aufmerksam, dass Frau in Rock die Beine nicht so spreizen sollte. Verlegen bedankte sich Zara Kaufleuten, verliess die S-Bahn am Flughafen und reihte sich vor der Schlange an der Rolltreppe ein, die Passagiere und Angestellte in die Flughafenhalle brachte.
«Reibst du mir den Rücken mit Body Lotion ein?», rief Roman Richtung Schlafzimmer. Sein Freund machte unter der Decke keinen Wank. «Ach komm, ich verbringe den ganzen Tag in dieser furztrockenen Röhre und du weiss, wie empfindlich meine Haut ist.» Keine Reaktion aus dem Schlafzimmer. «Selber schuld. Wenn der Ausschlag in New York wieder da ist, dann muss ich bei Glen vorbei und der wird mir mehr als den Rücken einsalben.» Immerhin ein «mmmhhh» klang unter der Decke hervor. Roman gab auf und zog sich an. Er bereitete sich auf der Parravicini einen Espresso zu und blickte aus dem Fenster über den Zürichsee. Die neu bezogene Wohnung im Seefeld war einfach paradiesisch. Extrem teuer, aber paradiesisch. Roman hätte die Arbeit als Flight Attendant aus finanzieller Sicht nicht nötig. Sein verstorbener Vater vererbte ihm ein Vermögen, das er selbst bei seinem verschwenderischen Lebenswandel bis zum Tod nie und nimmer hätte durchbringen können. Sein Lover arbeitete als Private Banker und hatte haufenweise schwule Mulimillionäre in seinem Portfolio. Da kam einiges an Geld zusammen im Monat. Genug um das Leben würdevoll zu geniessen. «So steh endlich auf, wir müssen bald los.» Es war Wochenende und sein Partner wollte mit nach New York. Allerdings würde er länger bleiben. Man konnte als Banker privates gut mit geschäftlichem verbinden. Die Zeit wurde knapp, Roman musste gehen. Er bestellte ein Taxi auf den Namen Barfüssler und verliess die gemeinsame Wohnung. Sein Partner hatte noch Zeit. Als First-Class Passagier konnte er bis eine Viertelstunde vor Abflug einchecken.
Briefing
Mit JoBo im Schlepptau betrat Jaques Gonfler den Briefingraum. Die Kabinenbesatzung besprach gerade ein Notfallszenario, doch das störte den Herrn Kapitän nicht im Geringsten. «Guten Morgen!» Die Gespräche verklangen, die Blicke senkten sich Richtung Boden. «Flug nach New York, acht Stunden zwanzig Flugzeit, Turbulenzen wie immer. Johannes das Greenhorn fliegt uns nach Amerika. Er wird euch über das Wetter informieren.» Die Blicke waren noch immer gesenkt, die Flugzeit notiert. Mehr interessierte die Flight Attendants nicht.
Trix Sarasin studierte die Passagierliste der ersten Klasse. Fünf Leute waren geplant, zwei davon sogenannte VON, das sind besonders wichtige und gute Kunden, die verwöhnt und gehätschelt werden müssen. Sie freute sich auf die VON’s. Als Tochter aus gutem Hause war sie es gewohnt, einflussreiche Persönlichkeiten zu betreuen. Das Cockpit würde sie auf diesem Flug vernachlässigen. Ein bornierter Kapitän und ein Copilot, der ihr Sohn sein könnte - nicht ihre Welt. Ihre Welt war die erste Klasse, wo sich Filmstars und Politiker die Sitze teilten, wo es früher Kaviar gab und Zigarren. Ja früher, da war alles besser!
Roman betrachtete den jungen Copiloten. Den süssen Vornamen Johannes hat er durch das coole JoBo getauscht, was ihn keineswegs maskuliner machte. Roman scannte JoBo’s Body und gab ihm gute Noten. Sein knabenhaftes Aussehen gefiel Roman. Er käme nicht als Partner in Frage, aber wäre ein veritabler Seitensprung. Tja, dieses Mal nicht, aber wer weiss.
Zara pflegte ihre Fingernägel gut versteckt hinter der Handtasche. Der Copilot wollte mit seinen Wettermeldungen einfach nicht aufhören. Was meinte der Idiot eigentlich. Dank iPhone waren alle bestens über den Sturm in New York informiert. Trix vielleicht nicht, aber die hatte soviel Haarspray auf ihrem Kopf, dass es einen Hurrikan brauchte, um die Konstruktion in Schieflage zu bringen. Anfänger! Gut, so lange war sie auch noch nicht dabei, aber immerhin flog sie schon zum zweiten Mal nach New York. Ein altes Flughuhn quasi.
Gonfler wurde es zu bunt, er unterbrach JoBo mitten im Satz. «Um es kurz zu machen. Es herrscht Scheisswetter in New York. Wenn’s knallt bei der Landung, war der Kleine Schuld.» Er hatte bereits die Türfalle in der Hand, als er sich noch einmal umdrehte. «Haben alle den Reisepass? Bei dieser unerfahrenen Crew würde mich nichts verwundern! Hat noch jemand etwas anzufügen?» Roman hob die Hand und informierte, dass er seinen Freund dabei hatte. «Keinen Platz!», knurrte der Kapitän. «Ich nehme grundsätzlich niemanden auf dem Notsitz mit, Schwuchteln sowieso nicht!» Die Tür knallte zu, die Kabinenbesatzung war wieder allein.
«Sympathische Erscheinung», kommentierte die Kabinenchefin und fuhr mit den Notfallinstruktionen fort.
JoBo lief wie ein gewaschener Pudel Richtung Planungsraum. Das war ein Scheissauftritt. Ausgerechnet heute, wo diese Zara in der Besatzung war. Im Cockpit würde sie ihn auch nicht besuchen. Wen wundert’s, bei so einem Büffel als Chef. Scheisse, warum musste die Tochter des Lieblingskapitäns nur einen Unfall bauen.
Der Chef sass vorwurfsvoll am Planungstisch und wartete auf JoBo. «Wo sind die Planungsunterlagen?», fluchte der Kapitän. «Oben im Dispatch, wie immer.» An den umliegenden Tischen gingen die Augenbrauen hoch. «Einmal Arschloch, immer Arschloch», flüsterte ein Kapitänskollege zu seinem Copiloten, studierte die Wetterkarte und schüttelte den Kopf. Gonfler lief militärischen Schrittes zum Flugplaner.
«New York - toute suite s.v.p.!»
«Einen Moment bitte, ich bin noch mit der Tokio Crew beschäftigt.»
«Tokio startet zehn Minuten nach uns.»
«Ja, aber sie waren zuerst.»
«Ca m’intresse pas!»
Wieder verdrehten Kollegen die Augen. Der miserable Ruf Gonflers hatte sich einmal mehr bestätigt. Der Planer schob wortlos einen Stapel Papiere zum verhassten Kapitän und beschäftigte sich weiter mir der Tokio-Crew. Fluchend packte Gonfler die Flugunterlagen und verliess das Büro des Flugplaners. Eigentlich hätte er als verantwortlicher Kapitän noch über eine Pistensperrung an seiner Destination informiert werden sollen, aber das hatte sich damit erledigt.
«Roman mach dir keine Sorgen, ich bringe deinen Freund schon irgendwo unter», flüsterte ihm die Kabinenchefin im Crew-Bus in die Ohren. «Ich mache mir keine Sorgen, falls die Schlafmütze es noch aus dem Bett geschafft hat, ist er bestimmt an Bord. Fest gebucht, erste Klasse.» «Hoppla», antwortete die Kabinenchefin, «das ist aber eine Überraschung.» «Er ist einer der gelisteten VON’s. Sitz 1A. Danke für dein Engagement.» Roman wollte die erste Klasse Hostessen auch über seinen Freund informieren, liess das aber sein. Trix mit ihrer Föhnfrisur, die aussah wie der Haaraufsatz eines Playmobilmännchens, schien komplizierter als erwartet. Besser man lies die alte Madame in Ruhe arbeiten.
Die beiden Piloten redeten kein persönliches Wort miteinander. Gonfler studierte die Flugunterlagen, JoBo das Wetter. Als fliegendem Piloten wäre es eigentlich JoBo zugestanden, die erforderliche Treibstoffmenge zu bestimmen. Doch er machte sich keine Illusionen. Wie erwartet, hat Gonfler den von ihm gewünschten Wert auf das offizielle Formular gesetzt und mit seinem Kurzzeichen unterschrieben. JoBo hätte mehr genommen, traute sich aber nicht zu intervenieren.
Eine Viertelstunde später sass JoBo auf seinem Sitz und stellte die Schalter dorthin, wo sie gemäss Airbus Checkliste stehen sollten. Sein Kapitän schwirrte wie ein Eichhörnchen auf Speed durch die Gänge und trieb ausnahmslos jeden zur Weissglut, der ihm über den Weg lief. Zum ersten Mal hasste JoBo seinen Job.
Pünktlich wurde der Flug nach New York abgedockt und auf den Vorplatz geschoben. Die Triebwerke liefen ordnungsgemäss an und fünf Minuten später schaute die Flugzeugnase Richtung Himmel. Der ganze Flughafen Zürich war erleichtert, als die Maschine den Boden verliess. Für die Besatzung des Fluges 69 begann eine mehrstündige Odyssee. Einer gegen alle, alle gegen einen.
Steigflug
Zara schwitzte in der hintersten Küche. Nicht wegen der Temperatur, sondern wegen den vierzig koscheren Essen. Ausgerechnet heute! Auf alles hatte sie sich vorbereitet, wirklich auf alles. Jüdische Passagiere erwartete sie nicht auf dem Flug nach Amerika. Schlechte Vorbereitung Zara, beheimatete New York doch die grösste jüdische Exilgemeinde der Welt. Das hiess Stress am Boden. Vierzig koschere Mahlzeiten, davon drei vegetarische, fünf Kinder und sieben «non-gluten». Zuerst mussten die Spezialessen am Boden gefunden, dann geprüft, dann bezeichnet und dann auf die Öfen verteilt werden. Zara war schon vor dem Erlöschen des «fasten seat belt» total erschöpft.
Trix konnte es kaum erwarten, den Filmstar auf Sitz 1A zu bedienen. Vermutlich reiste er unter einem Synonym. Der Name auf der Passagierliste klang zu gewöhnlich, zu unbekannt. Während der kleine Copilot versuchte, die Flugzeugnase Richtung Westen zu drehen, schaute Trix in den kleinen Spiegel im Puderdöschen. Die Frisur sitzte, das Make-up auch. Die ersten zehn Minuten wollten nicht verstreichen. Das «fasten seat belt» nicht verschwinden. Endlich das langersehnte «Ping», endlich durfte sie aufstehen. Während die Kabinenchefin in drei Sprachen allerlei Informationen herunterlas, die keine Seele an Bord interessierte, öffnete Trix die Champagnerflasche aus edler Domäne. Handgriffe, die ihr in den vergangenen Jahren in Fleisch und Blut übergingen. Die bauchigen Flaschen benahmen manchmal wie wildgewordene Teenager. Kein Wunder, wurden sie doch gerüttelt und geschüttelt, verladen und wieder entladen. Doch Trix war ihnen gewachsen, sie hätte das noch bei Stromausfall beherrscht. Sanft schälte sie das Aluminium vom Flaschenhals, drehte das Drahtnetz langsam im Gegenuhrzeigersinn und warf den Abfall mit einer Hand elegant in den Eimer, während sie den Champagner mit der anderen auf der schmalen Ablage fixierte. Genau in diesem Moment zwängte sich die dicke Deutsche von 1K hinter ihr durch und das Unglück nahm ihren Lauf. Die kleine Ruckbewegung genügte, um dem Zapfen Auftrieb zu geben und dem Überdruck in der Flasche freien Lauf zu lassen. Begleitet vom einem lauten «Plopf» schoss das Stück Kork durch die Luft und traf Trix so unglücklich am Hals, dass eine blaue Stelle blieb, die einem Knutschfleck nicht unähnlich sah. Kaum spürte die Arme den Aufprall des Zapfens, wurde der Kopf mit kühlem Krug Selectionée 1992 gekühlt. Die Passagierin konnte sich in die Toilette flüchten, die Kabinenchefin und Trix standen nass in der Küche und rochen wie Boxenluder an der Preisverteilung vom grossen Preis von Monaco. Beide brachen in Tränen auch.
In diesem Moment öffnete sich die Cockpittür und Gonfler stand vor den beiden Damen. Er schien von der Katastrophe keine Notiz zu nehmen und bestellte einen doppelten Espresso mit geschäumter Milch und zwar SUBITO!
Die beiden Damen brauchten jetzt dringend eine Toilette. Die der ersten Klasse war besetzt mit der Dicken von 1K. Das konnte eine Ewigkeit dauern! In der Businessklasse hatte es drei der rettenden Tolietten. Zwei waren bereits besetzt, eine zeigte auf Grün. Doch der Weg zur rettenden Insel führte durch die erste Klasse. Beide zögerten. Trix gab eine erbärmliche Figur ab. Die Schminke verteilte sich grosszügig um die Augen und in der Puderschicht bildeten sich tiefe Canyons, in denen eine Mischung von Schweiss, Tränen und Krug Selectionée 1992 hinunterlief. Die Bluse war nass und an zwei Stellen war der Büstenhalter deutlich zu erkennen.
Wieder öffnete sich die Cockpittür und JoBo stand in der Küche. Eigentlich wollte er nur helfen, den Kaffee für den Chef zubereiten. Als er die verzweifelten Damen im Galley erblickte, versuchte er diese etwas aufzuheitern. Aufzuheitern, mit einem Spruch, der zwar zu seinem Alter passte, die reife Trix und ihre Kollegin nicht wirklich trösten konnte: «Na, veranstaltet ihr einen wet T-Shirt contest?»
Hinten im Flugzeug nahmen weder Gäste, noch Besatzungsmitglieder Notiz vom Champagnerunfall im vorderen Galley. Roman verwöhnte die Gäste in der Business-Class, Zara versuchte die Küche in der Econnomy zu managen. Niemand realisierte, dass die Ansage der Kabinenchefin mitten im Satz abrupt stoppte. Nach etwa einer Stunde -, die heissen Essen waren gerade zum Verteilen bereit, erschien Romans Freund in der mittleren Küche. «Nicht jetzt Schatz, ich hab jetzt wirklich keine Zeit! Vergnüge dich vorne bei Lachs und Champagner, ich besuche dich, wenn ich hier fertig bin.» Roman spitzte die Lippen wie es nur Schwule können und wollte seinem Partner links und rechts ein Abschiedsküsschen auf die Wange geben. «Roman, es ist was passiert. Vorne herrscht Chaos!» Romans Mine verfinsterte sich. Rauch, Motorenprobleme oder ein Feuer? Müssen wir Notlanden, den Service abbrechen, Schwimmwesten anziehen? Sein Partner beruhigte ihn. «Im Gegenteil, ihr müsst nicht den Service abbrechen, sondern ihn endlich beginnen. Ich sterbe vor Hunger und Durst habe ich auch.» Wortlos verstaute Roman seinen Schubkarren und lief schnurstracks in die vordere Küche. Das Bild, das ihm geboten wurde beelendete ihn. Trix, die hochnäsige Hostess aus alten Zeiten versuchte verzweifelt einen Knutschfleck mit rosa Puder zu überdecken und die Kabinenchefin reinigte mit Feuchttüchern das Bedienpanel des Bordunterhaltungssystems. Etwas Krug Selectionée 1992 hat sich zwischen die Leiterplatten geschlichen und das ganze System lahmgelegt. Als er in die Gesichter der beiden schaute, sah er nackte Panik.
Roman drehte sich zu seinem Partner um. «Lust auf etwas Spass?» «Logo!», lautete die kurze Antwort und die Zwei legten los. Als erstes verstaute Roman die beiden Heulsusen im kleinen Schlafraum der Piloten. Dieser wurde auf diesem Flug nicht gebraucht, die Betten waren frei. Er holte aus der Bordapotheke Schlaftabletten, breitete die Duvets aus und klopfte die Kissen zurecht. «Gute Nacht die Damen. Seit beruhigt, wir schaukeln das schon.»
Problem eins gelöst.
Nach einem kurzen Telefonat ins Business-Class-Galley arrangierte Roman ein Mittagessen für die beiden Piloten, das selbst Gonfler für über eine Stunde ruhig stellen sollte. Er brachte sämtlichen Lesestoff in französischer Sprache nach vorne, wünschte einen guten Appetit und verabschiedete sich höflich.
Problem zwei gelöst.
In der Zwischenzeit machte sein Freund in der ersten Klasse die Runde. Er beschönigte nichts und informierte die Gäste über den Nervenzusammenbruch der Damen, offenbarte seinen Plan und klopfte dazwischen Sprüche, die den Gästen ein herzhaftes Lachen entlockten. Roman riss in der Küche alle Schubladen auf und stellte die Getränke, die seinem Geschmack entsprachen auf die Seite. Im Nu baute er in der ersten Klasse eine kleine Bar auf und mixte Getränke in allen Farben. «Jetzt zeigen wir denen einmal, wie wir am anderen Ufer Partys feiern!» Die Jalousien wurden heruntergelassen, das Licht gedämpft und der iPod von Roman beschallte die Kabine mit Lounge Musik.
Roman improvisierte. Er arrangierte eine Vorspeiseplatte mit Lachs, Trockenfleisch und Hartkäse, der eigentlich für den Nachtisch gedacht war. Dazu servierte er den Chablis aus der Business-Class, der ihm besser mundete, als der teure Weisswein aus dem Burgenland. Nach drei Flugstunden begann die Dicke aus 1K zu singen. Eine Viertelstunde später schnarchte sie. Die Wagen waren bald leergefressen, die Gäste glücklich.
Problem drei gelöst.
Als Zara nach vier Stunden völlig erschöpf in der vorderen Kabine erschien, wo sie sich etwas zu Essen holen wollte, blieb sie erschrocken stehen. Roman und sein Freund knutschten offensichtlich betrunken in einen Sitz herum, während sich die Dicke von 1K und ihr schmächtiger Nachbar näher kamen, als es sich auf 11000 Metern eigentlich gehörte. «Auweia, das gibt Ärger!»
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