Tag 3: Delhi
Um 7:15 Uhr klingelt der Wecker. Wir duschen und machen uns fertig für den Tag. Bevor es losgeht, gehen wir aber natürlich wieder zum Frühstück. S. startet wieder süß u.a. mit einem French Toast und schließt am Ende mit etwas Rösti und gedünstetem Brokkoli ab.
Für mich gibt es etwas Brot und anschließend Chole Bhature.
Chole Bhature ist angeblich einer der beliebtesten Snacks in Delhi. Hergestellt aus weißen Kichererbsen, die über Nacht eingeweicht und dann mit aromatischen Gewürzen gekocht werden, wird Chole mit einem Bhatura (Ballonbrot) gereicht. Schmeckt sehr gut, wenn auch das Brot schon recht fettig ist am frühen Morgen
Anschließend geht’s nochmal fix aufs Zimmer, wir packen unseren Tagesrucksack mit Sonnencreme, Desinfektionstüchern und einem Schal für S. und dann geht’s ab in die Lobby, wo uns um Punkt 9 Uhr bereits Jai, unser Reiseführer für die kommende Woche, erwartet. Wir werden in einem fast perfekten Deutsch begrüßt. Nach einem kurzen Kennenlernen geht’s nach draußen, wo unserer Fahrer wartet. Er hatte uns bereits vorgestern vom Airport zum Hotel gefahren.
Jai hat am Goetheinstitut Deutsch gelernt und mit diesen Kenntnissen dann in der Tourismusbranche Fuß gefasst. Wie bereits erwähnt war er lange Zeit als Gruppenreiseleiter für große, deutsche Reiseveranstalter in ganz Indien tätig. Mittlerweile hat er sich etwas zurückgezogen und macht im Jahr nur noch ein paar Touren, inzwischen führt er auch Individualtouristen.
Erstes Ziel: Alt-Delhi. Wir fahren vorbei an einigen prachtvollen Bauten, dem India Gate (Kriegsdenkmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen indischen Soldaten), der Präsidentenresidenz - dem ehemaligen Vizekönigspalast -, dem Parlament und dem Sekretariat, einer interessanten Mischung aus viktorianischem Baustil und 20. Jahrhundert sowie dem roten Fort zur Jama Masjid, der größten und angeblich elegantesten Moschee Indiens.
Hier ist kaum etwas los, da bis 10 Uhr nur Touris auf das Gelände dürfen. Jai erklärt uns einiges und von dem etwas erhöhten Hauptplatz der Moschee hat man bereits einen guten Blick in die winkeligen Gassen der Altstadt. Scheinbar haben wir heute einen Tag erwischt, an dem „wenig“ los ist. Normalerweise würde man von hier nur noch Köpfe sehen. Dies scheint wohl auch damit zusammenzuhängen, dass aufgrund des bevorstehenden G20-Gipfel weniger Inder nach Delhi reisen. Man muss dazu sagen, dass wir zum Zeitpunkt der Flugbuchung nicht wussten, dass der G20-Gipfel in dem Zeitraum in Delhi stattfinden wird. Deshalb haben wir uns nach der Buchung auch ein paar Gedanken gemacht, ob wir mit diesem Wissen, die Reise nicht doch anders geplant hätten. Kurzzeitig hatten wir sogar überlegt, die Reise umzubuchen. Im Nachhinein haben wir wohl aber alles richtig gemacht. Der G20-Gipfel hat am Ende dafür gesorgt, dass wir vieles wesentlich leerer erleben durften, als das wohl normalerweise der Fall ist. Zwar gab es in Delhi gestern und vor allem an unserem letzten Tag auch einige Straßensperren, welche eine Besichtigung mancher Sehenswürdigkeiten erschwerten, oder sogar unmöglich machten, aber das war für uns absolut verkraftbar.
Nach der Moschee schnappen wir uns direkt davor zwei Rikschas und lassen uns durch die engen Gassen, sowie über die Chandi Chowk fahren. Einst eine kaiserliche Allee der Moguln, heute das belebteste Geschäftsviertel der Stadt.
Um ehrlich zu sein, hatten wir uns das alles irgendwie anders vorgestellt. Ja es ist chaotisch. Und ja es ist wuselig und auch riecht man hier und da mal etwas Unangenehmes oder es stiegt einem der Geruch von Urin in die Nase. Aber ganz ehrlich: da rieche ich morgens in Frankfurt auf dem Weg aus der S-Bahn bis zum Büro bedeutend Schlimmeres.
Nach unserer rund 30-minütigen Tour wartet auch schon wieder unser Fahrer auf uns. Wir fahren durch das etwas immerwährende Hupkonzert vorbei am Raj Ghat (Ghandi Memorial), welches zur Zeit geschlossen ist, in Richtung Gurudwara Sri Bangla Sahib, dem größten Sikh-Tempel Delhis. Dort erzählt uns Jai einiges zu der Kultur der Sikhs. Sehr faszinierend. Und wenn alle Menschen (tatsächlich) ein bisschen nach manchen der Grundprinzipien leben würden, könnte die Welt vermutlich ein besserer Ort sein. Da muss man sich auch an die eigene Nase fassen. Doch wenn man ehrlich ist: die guten Vorsätze wären bei uns vermutlich spätestens nach den ersten negativen Erfahrungen, oder wenn die Gutmütigkeit dann einmal ausgenutzt wird, schnell wieder verflogen.
Wir erfahren, dass es egal ist, ob man als Sikh reich oder arm ist. Man gibt (zumindest in der Theorie) immer das, was man kann. Nicht nur finanziell. Und so kann es angeblich vorkommen, dass ein sehr reicher Sikh, einfach mal die Schuhe der Besucher während ihres Besuchs des Tempels poliert.
Nach einem Besuch des Tempels selbst werfen wir noch einen Blick in die zugehörige Küche. Hier werden im Durchschnitt pro Tag rund 20.000 Menschen verköstigt. Alles finanziert durch Spenden.
Hier erhält jeder der möchte eine kostenlose Mahlzeit. Egal welcher Religion man angehört, egal wie alt man ist oder woher man kommt. Es gibt nur eine Regel: wenn man länger als drei Tage am Stück kommt, muss man auch eine Gegenleistung in Form von Arbeit erbringen. Denn das gehört zu den Grundprinzipien der Sikhs. Arbeite hart und aufrichtig, teile immer mit den weniger Begünstigten. Das soll auch der Hauptgrund sein, weshalb man nie einen bettelnden Sikhs sehen soll. Harte Arbeit ist der Grundpfeiler für Erfolg und Zufriedenheit.
Anschließend geht es zur 72m hohe Qutab Minar (UNESCO Weltkulturerbe). Es handelt sich hierbei um das erste muslimische Monument auf indischem Boden. Die Moschee und Bauten der Anlage wurden auf dem Fundament eines hierfür zerstörten hinduistischen Tempels errichtet.
Auf dem Gelände befindet sich auch das Kuriosum „Iron Pillar“, eine 2.000 Jahre alte, über 7 m hohe und mehr als 6 t schwere Eisensäule, die angeblich nicht rostet.
Auf dem Weg nach draußen gibt es noch einen kurzen Fotostopp. Denn die blonden Haare von S. haben die Aufmerksamkeit einer weiblichen Schulklasse geweckt
Und da die Mädels so lieb gefragt haben, wird der Wunsch nach einem Foto natürlich erfüllt.
Zu diesem Zeitpunkt erahnen wir noch nicht, wie beliebt wir als Fotomotiv noch werden würden.
Danach geht es zurück ins Hotel. Wir hatten heute extrem viel Glück mit dem Verkehr. Auch hier scheint der G20-Gipfel bereits seine Schatten vorauszuwerfen.
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Unser Fazit nach den ersten Eindrücken:
Über Indien und auch Delhi herrschen bei uns viele Vorurteile. Auch wir hatten diese vorab. Und natürlich gibt es Straßenstände, an denen wir uns nicht unbedingt Hühnchen zubereiten lassen würden. Unser Guide und Fahrer übrigens auch nicht
Und auch in Deutschland kämen wir nicht auf die Idee uns Wasser an einem Stand zu holen, an dem das Wasser aus Gartenschläuchen kommt.
Aber Delhi selbst ist stellenweise eine aufgeräumte, gepflegte, saubere und ordentliche Stadt, die in unseren Augen völlig unverdient solch einen Ruf hat.
Was uns absolut verwundert, ist wie grün diese Stadt ist. Es gibt kaum eine Straße, die nicht von Bäumen gesäumt ist. Parks und die Sehenswürdigkeiten sind sehr gepflegt und sauberer als so manches Äquivalent in Deutschland. Dies scheint übrigens generell der Fall zu sein und keine Ausnahme für den erwarteten hohen Besuch kommende Woche.
Laut Jai ist Delhi, insbesondere Neu-Delhi sehr sauber. In vielen Regionen, in denen Korruption noch vorherrschend ist, sei dies noch etwas anders. Auch das werden wir noch sehen.
Ja, es ist wuselig und ja teils auch chaotisch, insbesondere natürlich auch der Verkehr. Aber am Ende unterscheidet sich Delhi nicht groß von anderen südostasiatischen Ländern bzw. Städten. In andern Städten, insbesondere in Rangun, haben wir auch viel Armut und Dreck gesehen, insofern haben wir es uns weitaus "schlimmer" vorgestellt, als der erste Eindruck es hergibt. Außergewöhnliche Armut konnten wir, bis auf typische Betteleien bei Rotphasen, bisher noch nicht erkennen. Wie gesagt, das ist das, was wir nach dem bisher Gesehenen berichten können. Ob sich dieser Eindruck bestätigt, können wir zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht einschätzen. Uns ist es jedoch wichtig bereits einmal festzuhalten, dass viele unserer Annahmen über Indien wohl doch auf Vorurteilen beruht.
Wir haben es mal so für uns zusammengefasst: Wenn man etwas reiseerfahren ist und schon das ein oder andere Land gesehen hat, erlebt man in Indien nichts völlig Ungewöhnliches. Als Asien "Einstiegsland" würden wir es ehrlich gesagt aber wohl nicht empfehlen.
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Im Hotel angekommen ruhen wir uns ganz kurz aus und verschwinden anschließend für eine Stunde im Gym. Auch hier ist alles sehr schön eingerichtet. Die Geräte sind alle gepflegt, Handtücher, Desinfektionsmittel und Wasser stehen auch kostenfrei zur Verfügung. Der gesamte Spa-Bereich wirkt wirklich schön. Generell muss man sagen, dass Hotel ist wirklich sehr, sehr gut. Genau das, was es sein sollte: ein "Save Haven" der zur Not ein perfekter Rückzugsort ist. Auch wenn wir gedacht hätten, dass wir diesen dringender benötigen werden
Anschließend geht’s für +1 aufs Zimmer und ich lege mich nochmal kurz an den Pool auf dem Dach. Dann heißt es fertig machen, denn wir haben eine Einladung zum Essen.
Um 18:30 Uhr werden wir von Jai wieder in der Lobby abgeholt. Es geht in den südlichen Teil von Gurgaon, wo die Wohnung von C. liegt. Er ist der Geschäftsführer der Reiseagentur, über die wir diese Tour gebucht haben. Er hatte auf dem LinkedIn Profil von +1 gesehen, dass sie auch mal im Tourismus Bereich gearbeitet hat. Wir dachten dies sei der Grund für die Einladung gewesen. Das hier jedoch vermeintlich noch andere Gründe etwas damit zu tun hatten, erfuhren wir erst später durch Jai. Auf dem Weg dorthin passieren wir wieder den Flughafen und das südlich davon gelegene Gurgaon. Hier reiht sich ein modernes Gebäude neben das andere. Die internationalen Firmennamen lassen sich kaum alle zählen. Ob US-Großstadt oder Indien? Das kann man hier nicht mehr ohne weiteres unterscheiden. Auch die Straßen sind sehr gut ausgebaut. Überall wird gebaut.
Als wir nach ziemlich genau einer Stunde Fahrt ankommen, werden wir freundlich von C., seiner Frau, dem gemeinsamen Sohn und dessen Ehefrau empfangen. Wir nehmen zusammen auf der Couch Platz und direkt werden wir mit Wasser und Wein versorgt. Lustig, da wir uns bzgl. des Alkohols unsicher waren und deshalb extra keine Flasche Wein aus Rheinhessen mitgebracht haben.
Was uns direkt auffiel: während alle anderen Wasser aus einer Karaffe tranken, bekamen wir Wasser aus kleinen Flaschen eingeschenkt. Wir unterhalten uns nett und erfahren einiges über Indien, das Reisen im Allgemeinen, die Zeit von C. und seiner Familie in Deutschland und das Business.
Lustig wie klein die Welt manchmal ist: C. lebte mit seiner Familie für sechs Jahre rund 30km von uns entfernt. Er kennt unsere Heimat daher natürlich auch und somit war das Eis gebrochen. Hätten wir das gewusst, hätten wir als unser Gastgeschenk, Pralinen von Hussel und ein beschreibendes Bilderbuch über unsere Heimatstadt, etwas anders ausgewählt. Aber woher hätten wir es wissen sollen. Während den Gesprächen werden bereits die ersten Snacks aufgetischt. Chicken Tikka, Minzsoße, kleine Canapés und Oliven mit Käse. Alles sehr lecker.
Durch die Gespräche verfliegt die Zeit und der Blick auf die Uhr macht insbesondere S. etwas nervös, denn mittlerweile war es schon nach 21 Uhr. Zwischenzeitlich fragte uns C., ob wir schon Hunger haben oder noch warten wollen. Da wir aber im Haus des Gastgebers ungern den weiteren Verlauf bestimmen wollten, haben wir uns etwas zurückgehalten und die Entscheidung dem Hausherren überlassen. Im weiteren Verlauf meinte ich dann irgendwann zu S., dass sie wohl auf unser Go warten. Man muss dazu sagen, dass wir uns auch auf deutsch nicht ganz so "frei" unterhalten konnten. Zum einen, weil Jai dabei war, aber auch weil der Sohn, wie sich rausstellt in unserem Alter, 6 Jahre lang in Deutschland zur Schule ging. Also frage ich sie sehr subtil, ob sie mittlerweile Hunger hat. Nach ihrem kurzen "Ja", gingen die Damen des Hauses direkt in die Küche und fingen an alles vorzubereiten.
Kurze Zeit später geht es dann zu Tisch und es wird feinstes, selbstgemachtes Essen aufgefahren.
Butter Chicken, Dal, Blumenkohl und Kartoffeln, Kichererbsen in einer würzigen Soße, Chapati, Reis und etwas Rohkost. Alles hat einfach nur sehr, sehr gut geschmeckt. Das Dal ist auf jeden Fall besser als gestern im Bukhara. Das Butter Chicken extrem lecker und das Brot einfach mega.
Wir müssen irgendwann entschieden einen weiteren Nachschlag ablehnen. Der Sohn teilt uns aber auch mit, dass müsse man, da man sonst gemästet wird.
Was wurde zu Hause noch aus dem Freundeskreis gespottet und Witze darüber gemacht, dass wir uns spätestens an diesem Abend die ersten Magen-Darm-Verstimmungen holen würden. Spoiler: weit gefehlt.
Als wir fertig sind, wird bereits der Nachtisch aufgetischt. Jedoch nicht nur einer, sondern direkt zwei. Eine Art Vanillecreme mit Mango und Apfel, was sehr gut geschmeckt hat plus noch eine kleine Schoko-Torte, die dann dafür gesorgt hat, dass nun wirklich nichts mehr reinpasste.
Wir hatten bereits gelesen, dass indische Einladungen relativ abrupt nach dem Abendessen enden. Gefühlt hatten wir unser Stück Torte gerade aufgegessen, da holte die Dame des Hauses ein kleines Tütchen aus einem Nebenraum und überreichte es ihrem Mann. C. überreichte die Tüte wiederum +1 und bat darum das Geschenk zu öffnen.
Darin verbarg sich zu unserem großen Erstaunen ein silbernes Armband. Wir waren baff. Damit hatten wir nun wirklich nicht gerechnet.
Wir bedankten uns mehrmals für den schönen Abend und das Geschenk. Dann ging alles relativ schnell. Er erfolgte eine herzliche Verabschiedung von C.'s Frau und Schwiegertochter in der Wohnung. C. und sein Sohn begleiteten uns noch nach draußen. Unser Fahrer erwartete uns schon vor der Tür und so endete ein sehr schöner Abend.
Auf der ca. 45-minütigen Rückfahrt erzählte uns Jai dann auch, dass er es in den letzten 30 Jahren nicht erlebt hat, dass sein Chef Touristen zu sich nach Hause einlädt. Im Hinduismus glaubt man bekanntermaßen an die Wiedergeburt und so verspüren viele Hindus oft das Gefühl Personen auf einer anderen Ebene zu kennen, obwohl man sich vorher noch nie begegnet ist. Und dieses Gefühl hatte er auch bei +1. Das war wohl der Grund, weshalb wir eine Einladung erhalten haben, was selbst unseren erfahrenen Guide überraschte.
Wir sagen Danke für die Einladung! Wir hatten einen sehr netten Abend, superspannende Geschichten und Gespräche und vor allem ein mega leckeres Essen!
Zurück auf dem Zimmer machen wir uns bettfertig und verfassen noch diese Zeilen des Reiseberichts.
Morgen geht’s nach Agra.