Jetzt liegt die makedonische Tiefebene vor mir, die im Sueden durch den Fluss Aliakmonas begrenzt wird und im Osten durch die moderne Stadt Thessaloniki und die Aegaeis. Hier im aeussersten Westen und Suedwesten befinden sich mehrere Nekropolen zwischen den Ortschaften Lefkadia, Veria und Vergina. Es handelt sich um Kammergraeber, die durch einen Erdhuegel geschuetzt sind und anhand der Bauweise, der Ausmalung und der Grabbeigaben den kulturellen Stand Makedoniens zur Zeit der Bestattungen recht gut wiedergeben. Tatsaechlich handelt es sich um Hunderte, vielleicht gar Tausende von Einzelgraebern, die zum grossen Teil wissenschaftlich noch nicht ausgewertet sind oder nach der Auswertung wieder zugeschuettet wurden. Nahe Lefkadia sind 2 solcher Kammergraeber zugaenglich - allerdings nur in den Sommermonaten.
So steht der neugierige Radfahrer am Zaun, schaut auf das geschlossene 'Garagen'tor und muss sich mit den Darstellungen der Info-Tafeln begnuegen.
Wer kennt sie nicht: die Geschichten von Carter's Entdeckung des Grabes Tut-Ench-Amuns, Schliemanns Entdeckung Trojas, von den Ausgrabungen Delphis, Mykenes, Olympias und, und und.
Hand aufs Herz, wer hat schon mal etwas von Vergina gehoert, das mit dem antiken Ort Aigai gleichgesetzt wird? Der abenteuerlustige Radfahrer muss zugeben, dass er mit diesen Ortsnamen bislang nichts anfangen konnte.
Das heutige Dorf ebenso wie die antike Siedlung schmiegt sich an einen sanft ansteigenden Berg an. Knapp oberhalb der besiedelten Flaeche befand sich einer der makedonischen Koenigspalaeste. Es war eine beeindruckende zweigeschossige Anlage aus dem 5. Jh. v.Chr. mit geraeumigem Innenhof, ueppig dekoriertem Audienzraum, mehreren Speisezimmern, zwei Trakten mit Privatraeumen sowie mehrere Wirtschafts- und Versorgungsraeume. Die Raeume waren ausgemalt mit Szenen der griechischen Mythologie, und die Boeden mit farbigen Mosaiken belegt.
So ein Palast sendet die Botschaft an saemtliche Besucher und Chronisten aus, Makedonien moechte mit den einflussreichsten griechischen Staedten, insbesondere mit Athen auf Augenhoehe stehen und ist auch in der Lage dazu.
Eigentlich war ein touristischer Besuch wegen der Arbeiten nicht moeglich. Ich durfte allerdings kurz an die Palastmauer treten und konnte dieses Foto machen. Es zeigt zwar fast nichts, laesst aber die Ausmasse der Anlage erahnen.
Mitten im modernen Dorf Vergina befindet sich das eigentliche Highlight: ein Tumulus von 110 m Durchmesser und 20 m Hoehe, in dem sich drei Grabkammern befinden. Auch wenn bis heute nicht mit letzter Gewissheit geklaert ist, wer dort bestattet ist, muss es sich um eine herausragende Persoenlichkeit und ein paar engste Verwandte oder Vertraute handeln. Sehr wahrscheinlich betreten wir gerade das Grab Phillipps II., der 336 v.Chr. in Aigai von seiner Leibwache ermordet wurde. Nach makedonischem Ritus mussten die Verstorbenen moeglichst schnell und am Ort ihres Todes bestattet werden, um ein reibungsloses Weiterleben im Totenreich zu gewaehrleisten.
Fuer uns heutige Betrachter ist die Unversehrtheit des Grabes ein unermesslicher Schatz, der tatsaechlich den Vergleich mit dem Grab Tut-Ench-Amuns nicht scheuen muss. Makedonien hatte in den 100, vielleicht 130 Jahren vor Phillipp II einen atemberaubenden wirtschaftlichen und kulturellen Aufstieg erlebt. Die Handwerkskunst hat ein extrem hohes Niveau erreicht, das Militaer konnte dank fortschrittlicher Reiterei grosse Erfolge feiern und der Handel mit dem Balkan, der Schwarmeerregion und Kleinasien, ja bis nach Aegypten bluehte.
Die Grabbeigaben bestehen aus fein ziseliertem Goldschmuck, edlen Tuchen mit Faeden aus Purpur und Gold, elfenbeinbeschlagenen Klinen, Waffen, eine Paraderuestung, Sportgeraet, Utensilien ueppigen Luxuslebens (Weinkruege, bemaltes Geschirr, Oel/Kosmetikgefaesse usw.) und vieles mehr.
Die beiden anderen Grabkammern sind etwas kleiner und nicht ganz so qualitaetvoll ausgestattet, aber immer noch grosszuegig genug, dass in ihnen wohl Mitglieder der Koenigsfamilie oder enge Vertraute bestattet sind.
Leider sind die Bilder im Innern des Tumulus wegen der daemmerigen Beleuchtung nichts geworden. Deshalb kann ich hier nur meine Eindruecke verbal teilen.
Noch ein Wort zur Praesentation der Ausgrabung. Seit vielen Jahren erhaelt die griechische Antikenverwaltung hohe Foerdersummen der EU und wirbt Eigenmittel ein fuer die angemessene und paedagogische Darstellung der gefundenen Objekte und ihres historischen Kontextes. In Vergina und an vielen anderen Orten sind Erlebnisorte und Museen entstanden, in denen die Besucher sich als Teil der Geschichte fuehlen duerfen.
Hier gehen die Besucher in den Tumulus hinein, sehen die Grabkammern an Ort und Stelle, schauen sich die fokussiert ausgeleuchteten Vitrinen an und beschaeftigen sich quasi nebenbei mit der Makedonenzeit.
Bei meinen ersten Griechenlandreisen in den 1990ern bestand die Beschriftung vieler Museen aus Verboten, man moege doch nichts anfassen, und aus belanglosen Bezeichnungen, z.B. redfiguered vessel 5. cent. BC.
Ein geradezu makabrer Fund aus dem Koeniglichen Kammergrab nahe des Palastes hat die Archaeologen vor ein Raetsel gestellt. In dem Grab wurde wahrscheinlich die Mutter Philipps II, Eurydike bestattet. Offensichtlich wurde das Grab noch in der Antike gewaltsam geoeffnet und teilweise gepluendert. Im Vorraum liegen vier maennliche Skelette, die ueberhaupt nicht in den Kontext dieses Grabes passen. Vermutlich sind das die Grabraeuber, die einen Tunnel durch den Tumulus gegraben haben, dann mit dem Ausraeumen begonnen haben und ploetzlich durch den Tunneleinsturz im Grab eingeschlossen waren und sich nicht haben befreien koennen.