Nordgriechenland mit dem Fahrrad

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Wolke7

Erfahrenes Mitglied
30.08.2010
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468
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Der Norden Griechenland kreist schon laenger in meinem Kopf als Ziel fuer eine ausgedehnte Zeitreise seit der Antike bis zur Unabhaengigkeit. Wie schon oefter moechte ich das Land moeglichst im Stil des slow travel erfahren, was fuer mich das Fahren mit dem Fahrrad bedeutet. Ja, die Berge werden anstrengend sein, und der nordgriechische Winter kann auch mal kalt und schneereich werden, aber mit zunehmendem Alter entspringen dem Gehirn auch mal wieder verrueckte Ideen.
Anfang November ging es los mit der Bahn ueber den Brenner bis nach Ancona, wo die Faehren nach Griechenland in See stechen. Am Brennerbahnhof lag bereits eine zentimeterdicke Schneeschicht ueber dem Land. Na, das faengt ja gut an - nur gut, ich sitze im geheizten Zug.
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In Ancona und am Folgetag in Igoumenitsa strahlt jedoch schon die Sonne, und der Herbst zeigt sich von seiner milden Seite.
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Morgen soll es dann richtig losgehen auf der Strecke nach Ioannina.
Alle, die mich auf der Entdeckungsreise begleiten moechten, sind herzlich eingeladen und vielleicht ihre Erfahrungen aus Nordgriechenland hier zu teilen.
Im Laufe der naechsten Zeit moechte ich in diesem Thread den Reisebericht Etappe fuer Etappe einstellen. Bitte seht es mir nach, wenn ich oefters mal weit hinterher haenge.



 

Reyhan

Erfahrenes Mitglied
30.09.2017
622
597
FMO
Vielleicht magst ein paar Details zu Deinem Radel schreiben ?
Da in jungen Jahren selbst per MTB in AT, CH, IT unterwegs gewesen, freue ich mich auf Deinen Bericht.
Danke schon jetzt.
 

Wolke7

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30.08.2010
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In der wilden Bergwelt Nordgriechenlands leben nur wenige Menschen, dementsprechend sparsam verteilt sich die Infrastruktur in der Flaeche. Das Finden von Laeden, Tavernen und Unterkuenften ist gar nicht so einfach. Dazu kommen die steilen Anstiege ueber die veralteten Landstrassen. Der moderne Verkehr laeuft geschmeidig ueber die in den letzten Jahrzehnten entstandenen Autobahnen, nur der lokale Verkehr und der abenteuerlustige Radfahrer nutzen die alten Wege.
So komme ich doch erst am naechsten Tag in Dodona an. Wer die beruehmten Heiligtuemer in Delphi, Athen oder Epidavros kennt, wird hier fast enttaeuscht sein. Zeus wird verehrt in Form einer hochgewachsenen Eiche, die frei im heiligen Bezirk steht. Genauer gesagt ist das Heiligtum ein Orakel, das in der Antike eine aehnliche Bedeutung hatte wie Delphi oder die Siwa Oase. Homer berichtet uns, dass Odysseus zum Ende seiner Irrfahrten hier Informationen einholt, was er wohl bei seiner Rueckkehr nach Ithaka zu erwarten habe. Archaeologische Funde aus dem 9. Jh. v.Chr. bestaetigen die Existenz des Orakels zu dieser Zeit. Die Priester lagerten, wie Homer schreibt, am Boden mit ungewaschenen Fuessen und uebersetzten das Rascheln der Eichenblaetter im leichten Wind zu einer phantasievollen Weissagung. Spaeter ist auch von Tauben die Rede, wobei noch unklar ist, ob es um das Gurren der Voegel ging oder um junge Priesterinnen, die man als Tauben bezeichnete. Auch wurde von einem unheimlichen 'dodonaeischen Klang' gesprochen, der moeglichweise durch die Rotation einer Holzkugel in einem Bronzekessel entstanden ist.
Was fuer ein Kontrast zur 'feinen' Kultur von Delphi!
Erst der Molosserkoenig Pyrrhos (auf den der Begriff Pyrrhussieg als einem zu teuer erkauften Sieg zurueckgeht) hat das Heiligtum mit dekorativer Architektur im 3. Jh. v.Chr. ausgeschmueckt. So wurde der optische Eindruck der Eiche in einem offenen Geviert aufgewertet. Bei der Ausgrabung konnten die Archaeologen den Ort dieser Eiche nachweisen und haben exakt an der Stelle eine neue Eiche gepflanzt.
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Aus der gleichen Zeit stammen das Stadion im Vordergrund und das Theater fuer rund 18.000 Zuschauer. Die Groesse zeigt, wie populaer Dodona in hellenistischer Zeit war und dass Besucher nicht nur aus religioesen Gruenden hierher kamen.
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Dazu gehoerten auch ein Bouleuterion im Hintergrund und ein Prytaneion. Die Gebaeude liegen zwischen dem Theater und dem Allerheiligsten; sie dienten der Verwaltung einschliesslich eines Archivs und als Ort fuer geistige Betaetigung. Die ansteigenden Sitzreihen des Bouleuterions wirken fast wie ein akademischer Hoersaal.
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Im hinteren Teil des Areals zeigen christliche Bauwerke aus dem 5. Jh. n.Chr. wie lange das Heiligtum genutzt wurde, auch wenn die alten Kulte laengst verboten waren und Dodona inzwischen Bischofssitz geworden war.
 
Zuletzt bearbeitet:

Wolke7

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30.08.2010
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Das Rad ist ein Koga F3, das ich 2016 gekauft habe. Mit diesem Rad habe ich seitdem Touren u.a. in Daenemark und durch Norwegen zum Nordkapp unternommen. Es wird spaeter noch mehrmals in den Bildern auftauchen.
Neben drei Saetzen Kleidung, etwas Werkzeug und Ersatzteilen habe ich auch Camping Ausruestung dabei sowie Kleinkram, u.a. das Tablet, mit dem die Bilder gemacht sind und dieser Bericht entsteht.
 

Wolke7

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30.08.2010
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Nach Ioannina sind es jetzt nur noch 20 km, allerdings liegt ein Bergruecken dazwischen, dessen Passtrasse bis auf 877 m Hoehe verlaeuft. Jetzt wird mir auch klar, wie beschwerlich das Reisen in der Antike wohl war. Ein Haendler konnte gar nicht mit einem beladenen Ochsenkarren so einfach ins naechste Tal fahren bzw. den Markt des regionalen Oberzentrums erreichen. Ebensowenig haette ein Koenig mit seinem Tross durchs Land zur Wahrung seiner Regentschaftsrechte reisen koennen. Die Strapazen waeren so gross und die Reisezeit so lang, dass sich schnell ein politisches Vakuum gebildet haette, in dem lokale Herrscher die Stellung eines Koenigs infrage gestellt haetten. Darin duerfte der Grund liegen, warum das antike Griechenland aus einer Vielzahl unabhaengiger Stadtstaaten bestand.

Obwohl Ioannina bereits in spaetroemischer und byzantinischer Zeit eine bekannte Stadt war, kam sie erst nach der osmanischen Eroberung 1430 zu bemerkenswerter Bluete: neue Bauten entstanden, eine Zitadelle auf einem Huegel am westlichen Seeufer und zusaetzliche Gewerbe, insbesondere Gold- und Silberschmiede liessen sich in der Stadt nieder. So entwickelte sich Ioannina fast 500 Jahre lang unter den Osmanen als Hauptstadt der Provinz Epirus.

Ehrlichweise darf man bemerken, wie wenig das osmanische Erbe nach der Eroberung durch Griechenland respektiert wurde. Bauten und Kultur wurden dem Verfall preisgegeben; erst in juengster Zeit wird die Altstadt restauriert bzw. es wird gerettet, was noch rettbar ist. So sehen die tuerkische Bibliothek und die Aslan Aga Moschee auch jetzt noch verfallen aus, auch wenn die schwersten Schaeden bereits beseitigt sind.
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Die Zitadelle war zur Seeseite durch die Lage auf einem Huegel ausreichend gesichert und zur Landseite durch dicke Mauern geschuetzt.
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Das Metallgitter schuetzt das Grab der schillerndsten Figur Ioanninas: des aus Albanien stammenden Ali Paschas, des Loewen von Ioannina. Ali Pascha war Anfuehrer einer Diebesbande, die immer wieder Reisende und Delegationen des Sultans der Hohen Pforte ausgeraubt hat. Als er seine Bande dem Sultan ausgeliefert hatte, wurde er Pascha von Trikala und 1788 von Ioannina. Er etablierte eine Herrschaft, die auf dem Grat zwischen liebevoller Empathie und drakonischer Haerte balancierte. Durch erfolgreiche Kriegszuege konnte er sein Herrschaftsgebiet ueber den suedlichen Balkan, Zentralgriechenland und die Nordhaelfte der Peloponnes ausdehnen. Nach 1805 baute er sich eine grosse Privatarmee auf und fiel immer wieder durch Illoyalitaet gegenueber der Hohen Pforte auf. Schliesslich wurde es dem Sultan zu bunt und er sandte eine Strafexpedition nach Ioannina, um Ali Pascha festzunehmen. 1820 wurde Ali Pascha gefangen gesetzt und zwei Jahre spaeter hingerichtet. Es bleibt die Erinnerung an einen charismatischen Herrscher, der meisterhaft die Maechtigen seiner Zeit gegeneinander ausspielen konnte. Bis heute wird Ali Pascha von Griechen und Albanern als Freiheitskaempfer verehrt und von Tuerken als Verraeter verunglimpft.
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Im Pamvotis See liegt eine kleine Insel, auf der vom 11. bis 15. Jh. sieben kleine Kloester entstanden sind. Die wenigen Nonnen und Moenche suchten nach einem abgeschiedenen Ort, wo sie ihren kontemplativen Glauben leben konnten. Im aufgegebenen Pandeleimon Kloster hat sich Ali Pascha vor den osmanischen Haeschern verschanzt.
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Wolke7

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30.08.2010
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Jetzt geht es richtig in die Berge, genauer gesagt in die Epirus Berge. Hier muss ich bergauf richtig kaempfen und an den steilsten Passagen auch mal absteigen und schieben. Dafuer gibt es anschliessend lange, rasante Abfahrten und spektakulaere Blicke in die Taeler. Zusaetzlich haben sich viele Waelder schon herbstlich verfaerbt: der blaue Himmel mit weissen Wolken bietet den Rahmen fuer die gelblich-braun bis tiefrot leuchtenden Haenge.
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Von Ioannina aus geht es zunaechst ueber zwei mittelhohe Passtrassen in die Kleinstadt Konitsa. Kurz vorher ueberquert die Strasse zunaechst den Voidomatis Fluss (1. Bild) und dann den Aoos. Heute stellt die Fahrt auf der Landstrasse auch fuer schwere Fahrzeuge kein Problem mehr dar, aber die alten Bruecken aus osmanischer Zeit stellten selbst fuer Zugkarren eine echte Herausforderung dar. Die Bruecken sind mit grobem Kopfstein gepflastert, und die Aoos Bruecke ist so steil, dass darin noch Stufen eingelassen sind. Selbst das Fahrrad musste angehoben werden.
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Das Rad hat uebrigens 57 cm Rahmenhoehe bei 1,80 m Koerpergroesse. Vorne fahre ich 37-622 (28x1,40) Reifen, hinten wegen des hoeheren Gewichts 47-622 (28x1,75), beide sind Schwalbe Marathon Plus. Gangschaltung ist eine Shimano Dyna SVS mit 3x9 Gaengen.

Kurz hinter Konitsa folgt der dritte Pass. Erschoepft kehre ich gegen Abend in einer Xenonas ein, einer Herberge mit laendlicher Kueche und ein paar Gaestezimmern. Das ganze Dorf besteht aus geschaetzten 20 Haeusern am Ufer eines Bergbaches. Abends wird es auf 700m lausig kalt, so dass ca. ein Dutzend Nachbarn kommen, sich um den Kamin versammeln, und die Geselligkeit geniessen. Natuerlich ist auch der abenteuerlustige Radfahrer froh ueber die Waerme. Es gibt uebrigens zum Abendessen nur ein Gericht zur Wahl: Haehnchenbrust mit Nudeln und griechischem Salat (choriatiki).
Am naechsten Morgen steht schon ein kraeftiges Fruehstueck fuer mich auf dem Tisch. Am Nebentisch treffen sich eine Handvoll Maenner mit ihren Flinten. Sie wollten zur Wildschweinjagd, sagen sie. Wer weiss, vielleicht gibt es diese Woche noch frischen Wildbraten nach Art des Hauses.

Es folgt die laengste und hoechste Steigung bis auf 1.516 m. nahe des Dorfes Nea Kotili.
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Und jetzt liegt es mir fast wie zu Fuessen: Makedonien. Bis zur Herrschaft Alexanders des Grossen galt Makedonien bei den Griechen als barbarisches Ausland, ja sogar als Feindesland, von dem im 4. Jh. eine existentielle Gefahr ausging. Bildlich gesprochen konnten nur der griechischen Kultur angehoeren, wer von den olympischen Goettern gesehen werden konnte. Die sassen hoch auf dem Mt. Olympos und haben nur nach Osten, Sueden und schemenhaft nach Westen geblickt. Wer im Norden lebte und was dort vor sich ging, blieb ihnen verborgen.
 

Wolke7

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30.08.2010
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Auf einer erhabenen Halbinsel liegt die Stadt Kastoria im gleichnamigen See, der fuer die Stadtentwicklung aller Zeiten so bedeutsam war und ist. Nicht nur der reiche Fischbestand garantierte gute Lebensbedingungen, es waren vor allem die Biber, deren Felle zu hochwertigen Pelzen verarbeitet wurden und die den Bewohnern ein reiches Einkommen beschert haben. Spaetestens seit byzantinischer Zeit besteht ein weitverzweigtes Handelsnetz, in dem Luxus- und Alltagsgueter in grossen Mengen umgeschlagen wurden.
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Der besondere Schatz Kastorias fuer heutige Reisende sind die vielen byzantinischen Privatkirchen aus dem 10. bis 15. Jh., in denen tatsaechlich zu den Gottesdiensten lediglich eine (Gross)Familie, allenfalls noch eine Nachbarschaft Platz fand. Die meisten sind mit mindestens 2 Schichten Freskenbemalung ausgestattet, was geradezu fuer einen ehrgeizigen Wettbewerb der Familien spricht, welche wohl die feinste Ausmalung besitzt - nicht, welche die groesste ist.
Fast alle Kirchen sind im Stil von Basiliken erbaut. Exemplarisch steht die Kirche Agii Anargyri, die den Heiligen Kosmas und Damianos geweiht ist.
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Markant ist die Kirche Panagia Koumbelidiki fuer die Muttergottheit, die als Kuppelbau ausgefuehrt ist. Der Name deutet auf eine Verbindung osmanischer Kultur mit dem Christentum hin.
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In osmanischer Zeit haben sich neu zugezogenen Familien Residenzen im kleinasiatischen Stil gebaut: Das Erdgeschoss ist aus Naturstein gebaut, auf dem sich im Obergeschoss die eigentlichen Wohnraeume in Fachwerkbauweise befinden. Manche zeigen einen weiten Dachueberstand als Sonnenschutz fuer eine Veranda oder einen Balkon. Leider erleiden diese Haeuser das gleiche Schicksal wie die in Ioannina; die Griechen sind doch eher zurueckhaltend bei der Erhaltung des osmanischen Kulturerbes.
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Am abgelegensten Ende der Halbinsel befindet sich das Kloster Panagia Mavriotissa, dessen zwei Kapellen byzantinisch sind, das Wohngebaeude osmanisch.
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Hier sind die qualitaetvollen Malereien an der Aussenwand vom Wetter nicht so sehr verblasst, allerdings ganz schoen zerkratzt. Im Kircheninneren ist die Freskierung deutlich besser erhalten.
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Wolke7

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30.08.2010
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Je weiter ich nach Osten vorankomme desto breiter werden die Taeler, und die Berggipfel erreichen nicht mehr die Hohen wie im Epirus. Dass die Tage kuerzer werden und die Sonne nicht mehr die waermende Kraft hat, ist im Winter voellig normal.
Gerade ist die Sonne aufgegangen im kleinen Ort Agios Pandelimonas.
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Edessa ist der naechste bedeutende Stop der Reise. Obwohl das antike Makedonien ein Flaechenland war, hatte es keine Hauptstadt. Es gab ein paar Residenzstaedte mit einem koeniglichem Palast sowie repraesentativen Nebengebaeuden, in denen der Makedonenkoenig immer wieder zu Gast war.
Aus der Antike haben sich kaum Relikte erhalten. Ausserdem muss die Stadt wohl voellig anders ausgesehen haben als heute. Vermutlich hat ein schweres Erdbeben im 14. Jh. einen tiefen Riss der Erdoberflaeche verursacht. Der westliche Teil hat sich gehoben, der oestliche gesenkt, so dass ein bis zu 70 m hohes Kliff entstanden ist. Edessa hat zuvor an einem See gelegen, der nach dem Erdbeben buchstaeblich ausgelaufen ist. Heute stuerzt der Fluss an mehreren Stellen als Wasserfall in die Tiefe, was Edessas bedeutendste Sehenswuerdigkeit darstellt.
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flying_accountant

Reguläres Mitglied
14.07.2019
61
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Danke für den spannenden Bericht. Ich lese ihn mit großem Interesse, da ich die meisten Orte bereits selber mit dem Fahrrad kennen gelernt habe. Leider sind seit einer Knie OP die Berge im Epirus für mich nicht mehr auf dem Fahrrad machbar. Meine Schwiegermutter lebt in der Nähe von Pella; dort steht das MTB meines Neffen, dass ich bei Besuchen regelmäßig nutze. In der Ebene östlich von Edessa bis nach SKG bin ich dann häufiger auf zwei Rädern unterwegs.

Eine Frage habe ich: hattest Du Probleme mit Straßenhunden? Ich bin zwar in über 30 Jahren Griechenland-Erfahrung niemals gebissen worden, aber wurde gelegentlich laut kläffend verfolgt.
 
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Reaktionen: Wolke7

Wolke7

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30.08.2010
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Vielleicht habe ich in der letzten Woche Deine Schwiegermutter und Deinen Neffen ja in Pella getroffen. Es wird das uebernaechste Kapitel des Berichtes.
Ja, die Strassenhunde koennen tatsaechlich nervig sein. Bis jetzt ist alles gutgegangen, obwohl ein Hund mal in die Packtasche geschnappt hat (in der Naehe von Veria).
Ein anderes Mal wurde ich von einem klaeffenden Hund ueber eine laengere Strecke verfolgt - bergab zum Glueck. Ein Autofahrer hat meine missliche Lage erkannt und durch Hupen den Hund verscheucht.
Die meisten Hunderudel sind jedoch ganz friedlich, eventuell bellen sie mich beim Vorbeifahren an, machen aber nichts weiter.
 

Wolke7

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30.08.2010
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Jetzt liegt die makedonische Tiefebene vor mir, die im Sueden durch den Fluss Aliakmonas begrenzt wird und im Osten durch die moderne Stadt Thessaloniki und die Aegaeis. Hier im aeussersten Westen und Suedwesten befinden sich mehrere Nekropolen zwischen den Ortschaften Lefkadia, Veria und Vergina. Es handelt sich um Kammergraeber, die durch einen Erdhuegel geschuetzt sind und anhand der Bauweise, der Ausmalung und der Grabbeigaben den kulturellen Stand Makedoniens zur Zeit der Bestattungen recht gut wiedergeben. Tatsaechlich handelt es sich um Hunderte, vielleicht gar Tausende von Einzelgraebern, die zum grossen Teil wissenschaftlich noch nicht ausgewertet sind oder nach der Auswertung wieder zugeschuettet wurden. Nahe Lefkadia sind 2 solcher Kammergraeber zugaenglich - allerdings nur in den Sommermonaten.
So steht der neugierige Radfahrer am Zaun, schaut auf das geschlossene 'Garagen'tor und muss sich mit den Darstellungen der Info-Tafeln begnuegen.

Wer kennt sie nicht: die Geschichten von Carter's Entdeckung des Grabes Tut-Ench-Amuns, Schliemanns Entdeckung Trojas, von den Ausgrabungen Delphis, Mykenes, Olympias und, und und.
Hand aufs Herz, wer hat schon mal etwas von Vergina gehoert, das mit dem antiken Ort Aigai gleichgesetzt wird? Der abenteuerlustige Radfahrer muss zugeben, dass er mit diesen Ortsnamen bislang nichts anfangen konnte.
Das heutige Dorf ebenso wie die antike Siedlung schmiegt sich an einen sanft ansteigenden Berg an. Knapp oberhalb der besiedelten Flaeche befand sich einer der makedonischen Koenigspalaeste. Es war eine beeindruckende zweigeschossige Anlage aus dem 5. Jh. v.Chr. mit geraeumigem Innenhof, ueppig dekoriertem Audienzraum, mehreren Speisezimmern, zwei Trakten mit Privatraeumen sowie mehrere Wirtschafts- und Versorgungsraeume. Die Raeume waren ausgemalt mit Szenen der griechischen Mythologie, und die Boeden mit farbigen Mosaiken belegt.
So ein Palast sendet die Botschaft an saemtliche Besucher und Chronisten aus, Makedonien moechte mit den einflussreichsten griechischen Staedten, insbesondere mit Athen auf Augenhoehe stehen und ist auch in der Lage dazu.
Eigentlich war ein touristischer Besuch wegen der Arbeiten nicht moeglich. Ich durfte allerdings kurz an die Palastmauer treten und konnte dieses Foto machen. Es zeigt zwar fast nichts, laesst aber die Ausmasse der Anlage erahnen.
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Mitten im modernen Dorf Vergina befindet sich das eigentliche Highlight: ein Tumulus von 110 m Durchmesser und 20 m Hoehe, in dem sich drei Grabkammern befinden. Auch wenn bis heute nicht mit letzter Gewissheit geklaert ist, wer dort bestattet ist, muss es sich um eine herausragende Persoenlichkeit und ein paar engste Verwandte oder Vertraute handeln. Sehr wahrscheinlich betreten wir gerade das Grab Phillipps II., der 336 v.Chr. in Aigai von seiner Leibwache ermordet wurde. Nach makedonischem Ritus mussten die Verstorbenen moeglichst schnell und am Ort ihres Todes bestattet werden, um ein reibungsloses Weiterleben im Totenreich zu gewaehrleisten.
Fuer uns heutige Betrachter ist die Unversehrtheit des Grabes ein unermesslicher Schatz, der tatsaechlich den Vergleich mit dem Grab Tut-Ench-Amuns nicht scheuen muss. Makedonien hatte in den 100, vielleicht 130 Jahren vor Phillipp II einen atemberaubenden wirtschaftlichen und kulturellen Aufstieg erlebt. Die Handwerkskunst hat ein extrem hohes Niveau erreicht, das Militaer konnte dank fortschrittlicher Reiterei grosse Erfolge feiern und der Handel mit dem Balkan, der Schwarmeerregion und Kleinasien, ja bis nach Aegypten bluehte.
Die Grabbeigaben bestehen aus fein ziseliertem Goldschmuck, edlen Tuchen mit Faeden aus Purpur und Gold, elfenbeinbeschlagenen Klinen, Waffen, eine Paraderuestung, Sportgeraet, Utensilien ueppigen Luxuslebens (Weinkruege, bemaltes Geschirr, Oel/Kosmetikgefaesse usw.) und vieles mehr.
Die beiden anderen Grabkammern sind etwas kleiner und nicht ganz so qualitaetvoll ausgestattet, aber immer noch grosszuegig genug, dass in ihnen wohl Mitglieder der Koenigsfamilie oder enge Vertraute bestattet sind.
Leider sind die Bilder im Innern des Tumulus wegen der daemmerigen Beleuchtung nichts geworden. Deshalb kann ich hier nur meine Eindruecke verbal teilen.

Noch ein Wort zur Praesentation der Ausgrabung. Seit vielen Jahren erhaelt die griechische Antikenverwaltung hohe Foerdersummen der EU und wirbt Eigenmittel ein fuer die angemessene und paedagogische Darstellung der gefundenen Objekte und ihres historischen Kontextes. In Vergina und an vielen anderen Orten sind Erlebnisorte und Museen entstanden, in denen die Besucher sich als Teil der Geschichte fuehlen duerfen.
Hier gehen die Besucher in den Tumulus hinein, sehen die Grabkammern an Ort und Stelle, schauen sich die fokussiert ausgeleuchteten Vitrinen an und beschaeftigen sich quasi nebenbei mit der Makedonenzeit.
Bei meinen ersten Griechenlandreisen in den 1990ern bestand die Beschriftung vieler Museen aus Verboten, man moege doch nichts anfassen, und aus belanglosen Bezeichnungen, z.B. redfiguered vessel 5. cent. BC.

Ein geradezu makabrer Fund aus dem Koeniglichen Kammergrab nahe des Palastes hat die Archaeologen vor ein Raetsel gestellt. In dem Grab wurde wahrscheinlich die Mutter Philipps II, Eurydike bestattet. Offensichtlich wurde das Grab noch in der Antike gewaltsam geoeffnet und teilweise gepluendert. Im Vorraum liegen vier maennliche Skelette, die ueberhaupt nicht in den Kontext dieses Grabes passen. Vermutlich sind das die Grabraeuber, die einen Tunnel durch den Tumulus gegraben haben, dann mit dem Ausraeumen begonnen haben und ploetzlich durch den Tunneleinsturz im Grab eingeschlossen waren und sich nicht haben befreien koennen.
 

Wolke7

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30.08.2010
3.047
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Von der suedlichen Residenzstadt (Vergina/Aigai) fahre ich jetzt etwa 50 km in die Residenz am noerdlichen Rand der makedonischen Tiefebene Pella. Die Stadt ist eng verbunden mit dem wirtschaftlichen und kulturellen Aufstieg Makedoniens im 5. Jh. v.Chr. Es hat sich geradezu als Gluecksfall fuer die Einwohner Pellas in der Gruendungsphase um 400 v.Chr. bis heute erwiesen, dass Koenig Archelaos ein kultivierter Herrscher war, der die kreativsten Architekten, die phantasievollsten Maler und feinsten Mosaikleger nach Pella holte. Dazu kamen noch u.a. der Tragiker Euripides und spaeter der Philosoph und Prinzenerzieher Aristoteles, um den hier geborenen Prinzen Alexander auf seine Koenigswuerde vorzubereiten.
Nach dem Ende des genuinen Makedonenreiches verschob sich das Machtzentrum allerdings in das neu gegruendete und verkehrsmaessig besser gelegene Thessaloniki, und Pella verfiel bald darauf in die Bedeutungslosigkeit. Heutige Besucher treffen auf einen recht engen Ausschnitt makedonisch-hellenistischer Stadtentwicklung ueber etwa 250 Jahre hinweg.
Im Zentrum Pellas liegt die grosszuegig dimensionierte Agora mit identischen Ladenlokalen rundherum.
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Daran schliessen sich Wohnquartiere, Werkstaetten, oeffentliche Einrichtungen, Villenviertel usw. an. In den Thermen trafen sich die Badenden zum Plausch und zur persoenlichen Hygiene. Sie sassen z.B. in diesen Sitzwannen Seite an Seite mit anderen Gaesten.
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In den Toepfereien wurden neben Haushaltsgegenstaenden auch Wohnaccessoires hergestellt.
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Bei den beiden linken Figuren sind Schnitt und Faltenwurf der Tunica sowie die Applikationen an den Schultern und Oberarmen bis ins kleinste Detail identisch. Nur der Kopf mit der Frisur sind individuell ausgefuehrt. Der Torso wurde als Massenware gebrannt, und bei den Koepfen gab es einige Muster, aus denen sich die Kundschaft den gewuenschten aussuchen konnte. Der Toepfer hat dann beide Teile zusammengefuegt.
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Die Villen der Oberschicht waren mit feinen Kieselmosaiken ausgestattet. Bei der Reinigung wurde ein duenner Oelfilm aufgetragen, der die Farben und den Glanz dieses 'Steinteppichs' noch deutlicher hervorgehoben hat als es heute im Museum darstellbar ist. Dieses Mosaik zeigt die Loewenjagd.
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Wolke7

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30.08.2010
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Wer heute durch die Strassen Thessalonikis spaziert, begegnet der Vergangenheit auf Schritt und Tritt. Der zentrale Platz ist nach Aristoteles benannt, und etwas weiter die Uferpromenade entlang trifft man auf ein prominent dargestelltes Reiterbild Alexanders. Die beiden sind wohl tatsaechlich die herausragendsten Persoenlichkiten des antiken Makedoniens. Allerdings hat Aristoteles die meiste Zeit seines Lebens in Athen gelebt, und beide waren bereits gestorben, als Thessaloniki gegruendet wurde. Zudem gelangte die Stadt erst nach der Eroberung durch die Roemer 148 v.Chr. zu einer ueberregionalen Bedeutung, nachdem die Via Egnatia, die Verlaengerung der Via Appia von der Adria zum Bosporus durch Thessaloniki fertiggestellt war.

Aristoteles hat gern den Menschen und ihrem Leben zugesehen und hat daraus feinsinnig die Strukturen des Menschseins erkannt.
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Richtig zu Ehren kam Thessaloniki durch den roemischen Co-Kaiser Galerius (regierte 293, ab 305 als Augustus bis 311), der hier seinen Regierungssitz errichtete und ein gross angelegtes Bauprogramm realisierte. Aus dieser Zeit stammt der Galerius-Bogen als Triumphbogen und oestlicher Stadteingang.
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Die Marmorreliefs zeigen vor allem Szenen aus der militaerischen Laufbahn Galerius', der in den 290er Jahren Aufstaende in Aegypten und Persien niederschlug.
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Etwas weiter steht die Georgsrotunde. Sie war urspruenglich das Mausoleum Galerius', errichtet als verkleinertes Abbild des Augustus Mausoleums in Rom, also ein Kuppelbau. Doch bereits sein Nach-Nach-Nachfolger als Ostkaiser liess das Mausoleum zu einer Kirche im fruehbyzantinischen Stil umbauen: die Aussenwaende wurde erhoeht, so dass von aussen betrachtet eine zylindrische Form entstanden ist, eine Apsis im Osten und eine Vorhalle im Westen geben der Kirche eine axiale Ausrichtung und ein breiter 'Erdgeschossring' verschaffen dem Bau mehr Volumen. In osmanischer Zeit wurde aus der Rotunde eine Moschee. Das Minarett stammt aus 1590.
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Die stark befestigte Stadtmauer fuehrt weiter hangaufwaerts bis zur hoechsten Stelle, wo eine Akropolis die Garnison beherbergte. Seit Galerius bis zum Ende der osmanischen Zeit 1913 diente sie als Kaserne, danach bis 1989 als Gefaengnis. Der Name Eptapyrgion (sieben Tuerme) deutet schon auf die Wehrhaftigkeit hin.
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Beispielhaft fuer die zahlreichen byzantinischen Kirchen sei die dem Heiligen Demetrios geweihte Basilika genannt. Ueber Demetrios ist nicht viel bekannt; er soll waehrend der Christenverfolgung im Jahr 306 roemischer Beamter oder Legionaer gewesen sein und haette als Christ seine Glaubensbrueder verraten sollen. Weil er sich geweigert hat, wurde er mit Speerstichen gefoltert und getoetet. Etwas mehr als 100 Jahre spaeter ist ihm zu Ehren eine bescheidene Kapelle gestiftet worden, die sich spaeter zu einem Wallfahrtsort entwickelt hat und staendig erweitert wurde. Selbst die Osmanen haben Demetrios respektiert, und in der nun als Moschee fungierenden Kirche keine Zerstoerungen angerichtet. Der heutige Anblick entstammt dem Wiederaufbau nach dem grossen Stadtbrand von 1917. Im Inneren konnte vieles von der byzantinischen und mittelalterlichen Einrichtung gerettet werden.
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Direkt an der Uferpromenade steht der letzte Rest der venezianischen Hafenbefestigung, der Weisse Turm. Die Venezianer haben sich waehrend der Kreuzzuege als hervorragende Logistiker erwiesen und konnten Stuetzpunkte im gesamten oestlichen Mittelmeer errichten. Sie griffen beherzt zu, als ihnen 1423 in einem Machtvakuum Thessaloniki zum Kauf angeboten wurde. Allerdings mussten sie die Stadt bereits 10 Jahre spaeter wieder abtreten an die Osmanen. Die Hafenbefestigung mit dem Weissen Turm stammt aus dieser Zeit.
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Was wir in Kastoria schon gesehen haben, gilt auch fuer Thessaloniki: Die Griechen tun sich schwer mit dem Bewahren des osmanischen Kulturerbes. Inzwischen hat sich dann doch die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich die kulturelle Vielfalt in jeder Beziehung lohnt.
Das Yahudi Hamam gibt dem Strassenzug mit etlichen Cafes zusaetzlichen Charme.
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Das Wetter in Thessaloniki war wechselhaft. So wirken manche Bilder doch truebe. Ihr moeget bitte vor Eurem geistigen Auge den Charme der Stadt bei strahlendem Sonnenschein hinzufuegen.
 

Wolke7

Erfahrenes Mitglied
30.08.2010
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468
Die drei fingerfoermigen Halbinseln der Chalkidike spielen seit mindestens 2.500 Jahren eine wichtige Rolle bei der logistischen und militaerischen Absicherung des Zugangs zum Schwarzen Meer. Besonders Athen hing stark von den Getreideimporten aus dem Gebiet der heutigen Ukraine ab und musste kompromisslos ihre Stuetzpunkte entlang der Schiffsroute verteidigen. Spaeter waren es die Makedonen, die Roemer, Balkanvoelker, Tuerken, Piraten und andere Kriegsflotten, die immer wieder das Land ausbeuteten und die Bevoelkerung dezimierten. Selbst heute noch rangiert die Chalkidike am unteren Ende der Prosperitaetsrangliste Griechenlands.
Trotz allem blieb der Selbstbehautungswille der Bevoelkerung erhalten, und die Strategen haben frueh erkannt, dass eine Verteidigung nur gemeinsam moeglich ist. Die Kuestenorte der westlichen Chalkidike haben sich zusammengeschlossen und im Jahr 432 v.Chr. eine befestigte Ortschaft aus dem Boden gestampft: Olynthos.
Eigentlich sind die Ausgrabungen interessant und sehenswert, und der neugierige Radfahrer haette sie sich gern angesehen und seine Eindruecke geteilt, aber der freundliche aeltere Herr im Eingangshaeuschen warnte, dass das Besucherzentrum im Winter geschlossen ist, die Mosaiken abgedeckt und ueberhaupt nur einige Areale zugaenglich sind. Respekt fuer diese Ehrlichkeit!
So kann ich aus Olynthos nur diesen spaerlichen Rest eines Wehrturmes aus byzantinischer Zeit zeigen. Die agrarische und gesellschaftliche Entwicklung wurde in jener Zeit wesentlich von Kloestern und Grundbesitzern getragen, die die Bevoelkerung in Abhaengigkeit fuer sich arbeiten liessen und sich fuer den Schutz dieser Menschen verantwortlich zeigte. Bei Gefahr konnte sich die Bevoelkerung in die Wehrtuerme zurueckziehen und wurde von trainierten Mannschaften verteidigt.
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Schon in Thrakien liegt die byzantinische Stadt Amphipolis, die vor allem durch ein Mausoleum aus hellenistischer Zeit bekannt ist: Der Loewe von Amphipolis.
Dort wurde der Admiral Laomedon bestattet, der als Kapitaen einer Trireme die Gunst Alexanders gewann und zum Admiral befoerdert wurde. Spaeter wurde er Satrap in Syrien.
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Das heutige Monument ist eine Rekonstruktion, dessen Sockel urspruenglich pyramidal gestuft war und eine Grabkammer enthielt.
 

Wolke7

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30.08.2010
3.047
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Es gibt nicht viele Doerfer, die mehrmals Schauplatz eines bedeutenden Ereignisses der Weltgeschichte wurden. Der Ort Philippi gehoert zu ihnen.
Nach dem Tod Caesars kam es zu einem politischen Streit, ob Rom weiterhin eine Republik sein solle oder ein Reich mit nur einem Herrscher. Dieser Konflikt endete in einem Buergerkrieg; eigentlich darf man sogar sagen: der bereits bestehende Buergerkrieg entzuendete sich weiter an diesem Konflikt. 42 v.Chr. kam es bei Philippi zu einer ersten entscheidenden Schlacht zwischen den Caesarmoerdern Brutus und Longinus auf der republikanischen Seite und den Triumvirn Marcus Antonius und Octavian. Nach der Niederlage sahen Brutus und Longinus keine Perspektive mehr fuer die Republik und begingen Suizid. Damit war aber bei weitem noch keine Entscheidung fuer ein (Kaiser)Reich gefallen. Marcus Antonius und Octavian entfremdeten sich und fuehrten den Buergerkrieg nun gegeneinander fort. Doch das ist eine andere spannende Geschichte.

Das zweite Ereignis wird in der biblischen Apostelgeschichte beschrieben: Der Apostel Paulus missioniert Makedonien und Griechenland. Im Jahr 49 kommt er nach Philippi und geraet in Streit mit dem Herrn einer heidnischen Wahrsagerin. Daraufhin erschuettert ein leichtes Erdbeben den Ort. Eigentlich nichts Besonderes, aber Paulus deutet es als goettliches Zeichen und ueberzeugt die Bevoelkerung von der Ueberlegenheit der neuen monotheistischen Religion. Die erste Christengemeinde auf dem europaeischen Festland war gegruendet.
Seitdem war und ist Philippi (heutiger Name ist Krinides) ein Pilgerort, zu dem vor allem taufwillige Erwachsene reisen. Die antike Stadt wurde umfangreich ausgegraben; die heutige Taufkapelle steht im Nachbardorf Lydia, das nach der ersten von Paulus getauften Person benannt ist.

Bereits aus makedonischer und hellenistischer Zeit stammen Tempel und Repraesentationsbauten wie dieses Theater. Im Hintergrund die schneebedeckten Gipfel des Pangaion (1956m).
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Philipp II hat fuer sich ein Heroon errichten lassen, das im 5. Jh.n.Chr. zu einer christlichen Basilika umgebaut wurde. Na ja, viel zu sehen gibt es nicht mehr.
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Nachdem das Christentum Staatsreligion im Roemischen Reich geworden war, bluehte Philippi als Pilgerort auf. Viele Taeuflinge wollten sich am Ort der allerersten Taufe auf europaeischem Festland taufen lassen. Es entstanden einige Basiliken, an die ein fuer die Erwachsenentaufe geeignetes Taufbecken angeschlossen war. In den rechteckigen Raum am Fuss der Treppe fuehren ein paar Stufen zu einem Wasserbecken.
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Die mit Abstand groesste und praechtigste Basilika liegt direkt an der grossen Agora. Es gibt antike Berichte, dass dort eine Paulus-Reliquie aus Rom aufbewahrt wurde. Wissenschaftlich belegt ist das jedoch nicht; nur das Patrozinium Paulus' gilt als gesichert.
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Die Saeulen zeigen quadratische Kapitelle, die spaeter in der Romanik zu Wuerfelkapitellen weiterentwickelt wurden. Im Hintergrund auf dem Berg die Akropolis aus hellenistischer Zeit.
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Wolke7

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30.08.2010
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Nur ein paar Km jenseits eines Bergrueckens liegt die Hafenstadt Kavala. Ein steiler Felsen ragt ins Meer und schuetzt eine natuerliche Bucht, die seit der Antike als Hafen genutzt wird. Obendrauf thront eine trutzige Burg, die zunaechst den Franken dann den Osmanen als Stuetzpunkt diente.
Die historischen Ueberreste sind fast vollstaendig ueberbaut, so dass wir uns der modernen Lebendigkeit der Stadt hingeben koennen.
Hier machen wir zum ersten Mal Bekanntschaft mit Suleiman dem Praechtigen (regierte 1520-1566), der als der bedeutendste Sultan des Osmanischen Reiches gilt. Auf seine Initiative geht der Ausbau Kavalas zum regionalen Zentrum zurueck, der bis heute den Charakter der Stadt dominiert.
Blick von der Hafenpromenade zur Burg,...
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...von der Burg zum Hafen...
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...und innerhalb des oberen Burghofes.
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Residenzen am Fusse des osmanischen Stadtgebiets.
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Suleiman musste fuer die Stadterweiterung dieses Aquaedukt aus roemischer Zeit restaurieren, das waehrend der gesamten osmanischen Zeit in Betrieb war.
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Markttag
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Winteraktivitaeten. Na ja, auf den Schlittschuhen eiern die meisten nur herum, trainieren noch das Gleichgewicht und versuchen sich am eleganten Laufen einer Kurve.
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crossfire

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15.04.2012
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332
Absolut lesenswert! Bin schlichtweg sprachlos über Dein historisches Wissen, welches Du in die -an sich schon spektakuläre Tour- einfließen lässt! Wenn Du mir die Frage gestattest: ist das alles Hobby oder hast Du auch beruflich mit dem römischen Reich/Byzanz/Ostrom etc zu tun?
Anyway: toller Reisebericht, mal ganz anders! Ich ziehe den Hut!
 

Wolke7

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30.08.2010
3.047
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Absolut lesenswert! Bin schlichtweg sprachlos über Dein historisches Wissen, welches Du in die -an sich schon spektakuläre Tour- einfließen lässt! Wenn Du mir die Frage gestattest: ist das alles Hobby oder hast Du auch beruflich mit dem römischen Reich/Byzanz/Ostrom etc zu tun?
Anyway: toller Reisebericht, mal ganz anders! Ich ziehe den Hut!
Entschuldigung fuer die spaete Antwort und vielen Dank fuer Dein tolles Feedback.
Ach, im Laufe des Lebens sammelt sich eben so manches an Erfahrung und Wissen an. Auf dem Gymnasium vor 40 Jahren habe ich Altgriechisch gelernt und deshalb neben der Sprache den Grundstein fuer das Verstaendnis der Antike gelegt. Es ist vielleicht auch ein Beleg fuer die These 'Reisen bildet'.
Die Leidenschaft fuer historische und kulturelle Zusammenhaenge hat mich mein ganzes Leben lang begleitet, ist aber nie mein Hauptberuf gewesen. Nur fuer ein paar Jahre habe ich mal als Reiseleiter gearbeitet, allerdings nicht in Griechenland.
 
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Wolke7

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30.08.2010
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Es ist halb 9 Uhr morgens in Kavala, das Thermometer zeigt gerade mal 2 Grad und die Sonne hat den Horizont gerade ueberstiegen. Ich moechte die Vormittagsfaehre auf die Insel Thassos nehmen, die nach knapp 90 Min. den Hafen Prinos an der Westkueste erreicht. Das Bild zeigt Kavala kurz nach Sonnenaufgang sowie die Faehre.
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Von Prinos sind es nur 15km bis in den groessten Ort Limenas, die ich bei spuerbarer Kaelte trotz strahlenden Sonnenscheins radele.
Die thrakischen Kuestenorte wurden in archaischer Zeit aus dem oestlichen Mittelmeer und Kleinasien her erschlossen und besiedelt. Deshalb konnten sich hier orientalische und europaeische Kultur zu einer fruchtbaren Mischung aus dem Besten beider Einfluesse entwickeln. Erst spaeter kolonialisierte Athen die Region, indem sie Edelmetalle als Tributzahlungen akzeptierte und die Haefen als Stuetzpunkte der Schiffsroute ins Schwarze Meer nutzte.
Limenas ist einer der Orte, in dem die moderne Besiedlung auf den Grundmauern der antiken Stadt entstanden ist. Entsprechend schwer ist die archaeologische Spurensuche buchstaeblich in den Vorgaerten der Bewohner. Nur die Agora ist frei zugaenglich, bietet allerdings ausser einigen Grundmauern keine spektakulaeren Ergebnisse.
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Am interessantesten ist dieser Sockel in Form eines Schiffsbugs. Sehr wahrscheinlich stand eine Figur darauf, wie wir sie von Samothrake her kennen.
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Am Ortsrand sind die Reste des Stadttores 'Zeus und Hera' erhalten. Wer genau hinschaut, kann Iris, die Personifikation des Regenbogens erkennen, vor der sich Hera entschleiert.
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Im Museum begruesst diese uebergrosse Kouros Statue mit Widder die Besucher. Haltung und Frisur deuten auf einen aegyptischen Bezug hin.
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Wir erkennen die Bedeutung des Meeres fuer Thassos an dieser Aphrodite auf einem Delphin.
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Gern wuerde ich annehmen, diese gefluegelte Frauenstatue waere die Nike von Thassos auf dem Schiffsockel. Leider ist das falsch - wohl zum grossen Gefallen Nikes, die sich bestimmt nicht so durchschnittlich dargestellt sehen wollte.
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MANAL

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29.05.2010
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8.190
Dahoam
Vielen Dank für diesen sehr interessanten und hier im Forum auch etwas ungewöhnlichen Reisebericht!

Ich habe schon etwas mitgenommen, nämlich dass ich in der Gegend um Epirus mal in den Bergen wanderen muss. Bisher gingen meine A3*G-Flüge immer auf irgendwelche Ägäis-Inseln, aber ich hatte gar nicht so auf dem Schirm, dass es da oben auch schöne Gebirge gibt.
 
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Wolke7

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30.08.2010
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Zwischen Komotini und Alexandroupolis liegen zwei bedeutende Grabungsareale, die jeweils einer in der antiken Literatur beschriebenen Stadt zugeordnet werden koennen.
Das heutige Maroneia ist benannt nach dem thrakischen Priesterkoenig Maron, von dem uns Homer in der Odyssee berichtet: Odysseus war Gast des Koenigs und erhielt zum Abschied eine Amphore des beruehmten thrakischen Rotweins, der so schwer, geradezu sirupartig war, dass man ihn nur mit Wasser verduennt trinken konnte. Als er mit seinen Gefaehrten in der Hoehle des einaeugigen und kannibalen Riesen Polyphem eingeschlossen war, machte Odysseus ihn mit dem Wein betrunken und gewann die Kraft nach einem Schluck dieses 'Zaubertranks', dem Riesen mit einem glimmenden Holzpflock das Auge auszubrennen.
Natuerlich habe ich sofort ausprobiert, ob auch der heutige thrakische Rotwein noch so eine magische Wirkung hat. ... Na ja, immerhin habe ich tief und fest geschlafen.
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Das antike Stadtareal erstreckt sich ueber mehrere Kilometer von der Kueste bis zum Gipfel des 681m hohen Ismaros. Ausserdem ist der Hang dicht bewachsen mit Olivenbaeumen. Entsprechend schwer tun sich die Archaeologen mit den Ausgrabungen. Bis heute sind eigentlich nur ein Dionysos Tempel, das Theater, Teile der gewaltigen Stadtmauer sowie ein paar Einzelgebaeude ausgewertet. Das Archaeologenteam vor Ort findet jedes Jahr weitere Gebaeudefundamente, weiss aber nicht immer, wie ein Archaeologe berichtet, um was fuer ein Gebaeude es sich handelt. Wenn ueberhaupt werden erst zukuenftige Generationen ein einigermassen aussagekraeftiges Bild Maroneias zeichnen koennen.
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Leider ist das Theater nur von einer Schauplattform aus zu sehen.
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Ueber eine grobe Schotterpiste geht es jetzt an der zerkluefteten Kueste entlang nach Mesembria. Zumindest haben sich Althistoriker und Archaeologen lange der Verfuehrung hingegeben, dass die Funde dort mit Herodots Berichten ueber den Feldzug des Perserkoenigs Xerxes nach Athen uebereinstimmten, und die Fundamente eigentlich nur zu Mesembria gehoeren koennen. Das persische Feldheer habe demnach in Mesembria 480 v.Chr. gerastet und sich gemeinsam mit der Flotte fuer die Kaempfe auf dem Weg nach Athen vorbereitet.
Tatsaechlich gab es an der thrakischen Aegaeiskueste eine Handvoll nennenswerter Staedte, die allesamt von Athen kolonialisiert waren. Maroneia, 10 km weiter westlich haben wir gerade schon kennengelernt. Neue Untersuchungen haben gezeigt, bei dieser Stadt handelt es sich um Zone, das ebenfalls in antiken Texten erwaehnt wird. Wo Mesembria liegt und welchen Charakter diese Stadt hatte, ist nun wieder umstritten.
Zone war eine Handwerkerstadt, in der vor allem Toepferwaren sowie Metallschmuck und -dekorationen produziert wurden.

Die Waldbraende im August 2023 haben grossflaechig das Land zerstoert, und auch im Gebiet Zones gewuetet. Dabei sind u.a. die Servicegebaeude des erschlossenen Grabungsbezirkes ein Raub der Flammen geworden. Bis zur Erneuerung bleibt die Staette deshalb geschlossen.
So sieht es derzeit in der Gegend westlich von Alexandroupoli aus.
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Alexandroupoli ist kulturell eine halb griechische, halb tuerkische Stadt; ueber die Landstrasse sind es weniger als 50km bis zur tuerkischen Grenze. Meinem Eindruck nach versucht die griechische/thrakische Regierung gerade wegen der Randlage und der wirtschaftlichen Rueckstaendigkeit innerhalb Griechenland die Stadt besonders zu foerdern: am Stadtrand ist eine Universitaet entstanden, die wie eine Satellitenstadt wirkt, das Stadtzentrum hat eine grosszuegige Promenade erhalten und A3 fliegt 2x taeglich nach Athen.
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Wolke7

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30.08.2010
3.047
468
Alexandroupolis ist fuer mich vor allem eine Durchgangsstation auf dem Weg nach Samothrake, der mystischen Insel in der noerdlichen Aegaeis. Von hier setzt eine Faehre ueber; tatsaechlich ist sie die einzige Reisemoeglichkeit im Winterhalbjahr nach/von Samothrake. Obwohl die Insel nur ungefaehr ein Drittel der Flaeche von Thassos umfasst, ragt der Berggipfel bis 1611m in den Himmel. Im Bild ist er von Wolken eingehuellt.
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In archaischer Zeit, wahrscheinlich vor 1200 v.Chr. brachten kleinasiatische Siedler ihre traditionellen Mysteriengoetter mit und errichteten ihnen einen heiligen Bezirk an der Nordkueste, dem heutigen Palaiopolis. Nach den Gebraeuchen dieses Kultes war das Aussprechen oder Schreiben der Goetternamen untersagt. Wir koennen also nur annehmen, dass die Hauptgottheit eine weibliche Fruchtbarkeitsgoettin oder Muttergottheit war, die spaeter als griechische Goettin Demeter einen Platz im Pantheon bekam.
Das heilige Gebaeude war eine offene Rotunde, vor der einige Felsenaltaere standen. Bei den alljaehrlichen Festspielen brachten die Menschen der Muttergottheit Naturalopfer dar, d.h. vor allem Tierblutopfer. Es ist eines der Vorgaengerrituale des heutigen Erntedankfestes.
Erst nach der athenischen Kolonialisierung wurde auch der Heilige Bezirk durch Tempel erweitert, die wir allgemein als griechische Tempel identifizieren: rechteckig, Eingang im Osten, Cella im Westen. Vermutlich war der erste Tempel in Holzbauweise errichtet und wurde im 4. Jh. v.Chr. durch einen Steinbau ersetzt.
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Die groesste Attraktion ist ein Siegesmonument am Rande des Tempelbezirks. Auf einem Schiffsrumpf steht die Nike von Samothrake. Die Archaeologen haben rund um den Sockel Bruchstuecke der Statue gefunden, konnten jedoch den Kopf und die Arme nicht finden. Kuenstler, Historiker und Archaeologen haben idealisierte Spekulationszeichnungen erstellt, wie Nike wohl einmal ausgesehen haben mag. Da sehen wir sie als fanfareblasende Siegesbotschafterin, als Ueberbringerin des Lorbeerkranzes nach der siegreichen Seeschlacht oder als listige Schicksalsspielerin. Ausserdem fehlt bis heute eine Inschrift; wir wissen also noch nicht einmal, nach welcher Seeschlacht ihr das Denkmal gesetzt wurde. In Frage kommen Seeschlachten, an denen samothrakische Schiffe beteiligt waren, zwischen 306 und 149 v.Chr. Am wichtigsten: es fehlt die originale Statue. Die franzoesischen Ausgraeber haben sie nach Paris verschifft, wo sie heute im Louvre ausgestellt ist. Vor Ort steht diese 3D-Printer-Kopie, natuerlich nicht am originalen Platz, sondern etwas ausserhalb vor dem Museum.
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Bitte sagt es nicht weiter: am Eingang des Ausgrabungsgelaendes war niemand anwesend. Allerdings war die Pforte nur angelehnt. Frech wie ich manchmal bin, habe ich mir die Ausgrabungen angesehen, obwohl in Griechenland schon 'Einbrecher' in archaeologische Staetten bestraft wurden, obwohl sie keine Raubgrabungen durchgefuehrt haben und auch sonst keine Schaeden angerichtet haben. Ins Museum bin ich dann aber doch nicht eingebrochen.
 

Wolke7

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30.08.2010
3.047
468
Von Samothrake aus moechte ich die Tour in Richtung des Mt. Olympos und weiter nach Thessalien fortsetzen. Es gibt keinen anderen sinnvollen Weg als zunaechst zurueck nach Thessaloniki zu fahren. In Alexandroupolis hoere ich wiederholt die Warnung vor wilden Hunderudeln entlang der Schotterstrasse nach Maroneia. Die Strasse fuehrt durch einen ausgedehnten Olivenhain ohne jegliche menschliche Besiedelung oder Infrastruktur. Auf dem Hinweg hat das Archaeologenteam die Hunde beruhigt und ihnen die Reste ihres Lunches zugeworfen, so dass ich unbehelligt passieren konnte.
Jetzt verbellt mich das erste Rudel nahe des Campingplatzes bei Dikella, laesst mich aber sonst in Ruhe. Nur ein Hund folgt mir ueber mehrere km, obwohl ich ihn in keinster Weise gelockt habe. Die Hunde bekommen tatsaechlich immer wieder Kuechenabfaelle und Essensreste von gelegentlich vorbeikommenden Olivenbauern; vielleicht hat dieser Hund auch von mir so etwas erhofft.
Kurz vor Maroneia kommen mir dann drei grosse Hunde bedrohlich bellend entgegen. Mir rutscht schon das Herz in die Hose, in dieser einsamen Gegend werde ich bestimmt auf keinerlei Hilfe hoffen duerfen. Doch dann geschieht das Unerwartete: Die drei Hunde sehen den vierten, mir folgenden Hund in einiger Entfernung hinter mir. Wie drei Furien rennen sie an mir vorbei und stuerzen sich auf den vierbeinigen Eindringling, der blitzartig die Flucht ergreift. So schnell es der grobe Schotter erlaubt fahre ich weiter bis ich ausser Sichtweite bin. Das ist ja gerade nochmal gut gegangen.

Nach Kavala nehme ich die kuestennahe Landstrasse durch den Nationalpark Ostmakedonien und Thrakien. Am Zusammenfluss dreier Fluesse hat sich die Vistonia-Lagune gebildet, die zwischen zwei Landzungen in die Aegaeis abfliesst. Dieses Feuchtgebiet aus Suess- und Brackwasser ist Lebensraum vieler Vogel- und Fischarten und zugleich das groesste seiner Art in Griechenland.
In die Schlagzeilen geriet die Lagune als Teil der politischen und finanziellen Krise 2008: Das Athos Kloster Vatopedi beansprucht die Eigentumsrechte auf die Lagune und das angrenzende Ufer aufgrund eines Vertrages mit dem ostroemischen Kaiser aus dem 11. Jh. fuer sich. Die griechische Regierung bot dem Kloster 260 Filetgrundstuecke in Athen und anderen guten Lagen Griechenlands zum Tausch an; kurz gesagt: der Wert der Lagune wurde astronomisch ueberbewertet und die Tauschgrundstuecke stark unterbewertet. Nach allgemeiner Ansicht ein Verlust fuer die Staatskasse in dreistelliger Millionenhoehe.

Mitten im See wurde einst auf Pfaehlen das Kloster Agios Nikolaos errichtet. Heute steht dort ein Neubau, der ueber einen schmalen Holzsteg erreichbar ist. Kulturhistorisch nicht so bedeutsam, aber durch die Lage ein idyllischer Ort.
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Nach dem sonntaeglichen Gottesdienst steht im Schatten des Baumes ein gefuellter Brotkorb. Wer sich daraus bedient, nimmt den Laib Christi in sich auf; quasi ein Abendmahl im Self-Service-Format.
Auf dem Holzbrett im Baum wird der Beginn des gemeinsamen Gebets verkuendet. Ein Klosterbrauch, der auf Noah zurueckgeht: Zum Zeichen, dass sich die Tiere jetzt zur Arche begeben sollten, hat er laut auf ein Holzbrett gehaemmert.
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Die westlichste der thrakischen Staedte war Abdera, ueber die wir durch Homer, Herodot und Thukydides recht gut unterrichtet sind. Bereits in archaischer Zeit gelangte sie zu grossem Wohlstand und ueberregionaler Bedeutung, und waehrend der persischen Herrschaft bis 480 v.Chr. hat sie dem fremden Koenig stets ihre grosszuegige Hilfe angeboten. Nach dem Ende der Perserkriege schloss sie sich freiwillig dem Attischen Seebund an und konnte fuer 100 Jahre von diesem Schutz profitieren. In dieser Zeit erlebte Abdera ihre kulturelle Bluete, aus der die Atomisten Demokrit, Protagoras und Anaxarchos sowie der Dichter Anakreon hervorgingen. Manche Kulturschaffenden muessen es wohl mit ihrer extravaganten Kunst zu weit getrieben haben: Abdera galt und gilt als der Heimatort von Dummheit und Verruecktheit, z.B. bei Cicero und Duerrenmatt (Der Prozess um des Esels Schatten).
Die Thraker eroberten Abdera 376 v.Chr. zurueck und verwuesteten die Stadt vollstaendig. Archaeologen haben aus dieser Zeit eine dicke Geroellschicht gefunden, die sie nicht erklaeren koennen, ausser durch eine Schlammlawine. Abdera wurde um 350 von Philipp II. neu gegruendet, konnte jedoch nie wieder die einstige Bedeutung erlangen.

Charakteristisch aus der Zeit vor 376 sind die exakt behauenen Quadersteine, aus denen die Hausfronten errichtet waren. Die inneren und rueckwaertigen Mauern bestehen aus einfachen Natursteinen. Hier gut zu sehen am Westtor der Stadtmauer.
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Besondere Aufmerksamkeit galt im Villenviertel dem privaten Innenhof. Die Bodenplatten wurden sehr stabil und akkurat verlegt, dass sie sogar heute noch in ihrer Form gut erkennbar sind.
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Eigentlich dienen diese Dolia der Getreidelagerung. Sollten sie mal einen Sprung bekommen oder sonstwie Wasser durchlassen, wurden sie fuer die Totenbestattung wiederverwendet.
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Wolke7

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30.08.2010
3.047
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An Thessaloniki vorbei fahre ich jetzt gen Sueden. Direkt an der Bruecke ueber die Bahngleise zwischen den Orten Aiginio und Nea Agathoupoli erblicke ich diese seltsame Kontruktion: Eine DC3 ist auf dem Dach 'gelandet'. Hier lockt/e ein Cafe Gaeste an; jetzt steht vor dem Grundstueck <Poleitai> - zu verkaufen. Im Vielfliegertreff darf man das zeigen, oder?
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Nahe der antiken Stadt Methone steht im heutigen Dorf Nea Agathoupolis dieses Denkmal Philipps II. Vielleicht geht es auf die Eroberung Methones durch Philipp II. im Jahr 354 v. Chr. zurueck. Die Stadt wurde nach der Belagerung vollstaendig geschleift und niemals neu errichtet. Den Bewohnern liess Philipp ihr Leben und alles, was sie mit ihren Haenden tragen konnten.
Die vielen weissen Punkte in der seichten Bucht sind uebrigens Flamingos.
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Im Sueden Makedoniens liegt Dion, das religioese Zentrum des Koenigreichs. Eigentlich war Dion vor allem ein Festspielort, wo den 9 Musen 9 Tage lang gehuldigt wurde. Spaeter kamen sportliche Wettspiele hinzu, die als die Olympiaden im Schatten des Olymps vermarktet wurden - viel authentischer als die Spiele im fernen Olympia. Grosszuegig und politisch clever luden die makedonischen Koenige die griechischen Spitzenathleten dazu ein.
Erst seit der hellenistischen Zeit kam die Stadt Dion zu ihrer Bedeutung. Verkehrsguenstig an der Hauptstrasse von Thessalien nach Makedonien gelegen und ausgestattet mit einem Flusshafen bluehten Handel und kultureller Austausch, so dass die Stadt in roemischer Zeit Bischofsitz wurde. Mit dem Verfall des westroemischen Reiches endete auch die beste Zeit Dions.
Nahe des heutigen Dorfes Dion liegt der beispielhaft praesentierte Archaeologische Park.

Am Demeter Tempel dankte Philipp II den Goettern fuer ihren Beistand in der Schlacht um Olynthos. Hinten der rechteckige Tempel und vorne der freistehende Altar.
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Vor seinem Asienfeldzug opferte Alexander am Zeustempel und hielt das 9taegige Musenfest ab. Tempel bedeutet hier ein etwa 20 m breiter, flacher Altar mit einer Freiflaeche davor.
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In Dion gab es ein Theater aus hellenistischer Zeit und eines aus roemischer Zeit. Das hellenistische wurde errichtet, indem die Zuschauerraenge kuenstlich aufgeschuettet wurden. Im Hintergrund uebrigens der Olymp (2.917m).
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Das roemische Theater besitzt ein gemauertes Fundament. Wir koennen hier den Fortschritt in der Bautechnik im Laufe von 400 Jahren erkennen.
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Der interessanteste Fund stammt aus einer Metallwerkstatt: diese Wasserorgel mit 24 Pfeifen aus der Spaetzeit Dions. Zum Spielen wurde eine Luftblase unter Wasser gedrueckt, und durch das Oeffnen bestimmter Ventile stroemte die Luft durch eine Pfeife und erzeugte den gewuenschten Ton. Antike Autoren beschreiben die Wasserorgel-Musik als besonders lieblich und anruehrend. Fast so wie die Musik heutiger Geblaeseorgeln.
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Diese Zeus Statue aus makedonischer Zeit erinnert an Phidias' Zeus in Olympia. Vermutlich war diese Aehnlichkeit genau so gewollt und sollte die Gleichrangigkeit der Dion Olympiade mit der auf der Peloponnes zum Ausdruck bringen.
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Ein Hinweis fuer Manal und alle Bergwanderer: Im Olymp Nationalpark existiert ein Netz gut markierter Wanderwege. Als Startpunkt bietet sich Litochoro an. Dort gibt es alles, was man zur Vorbereitung einer Bergtour benoetigt.

Auf einem Felsvorsprung nahe der Ortschaft Platamonas ruhte seit alters her eine befestigte Akropolis. Das aenderte sich abrupt nach dem IV. Kreuzzug im Jahr 1204: Bei diesem Unternehmen lief so ziemlich alles schief, was irgendwie hat schieflaufen koennen. Anstatt im Heiligen Land gegen die Moslems zu kaempfen und evtl. noch weiter nach Aegypten zu ziehen, liessen sie sich von der Aussicht auf fette Beute und gegen den ausdruecklichen Willen des Papstes zur Eroberung und Pluenderung Konstantinopels hinreissen. Von diesem Schlag hat sich das byzantinisch-ostroemische Reich nie wieder erholt. Die Kreuzzuegler haben dann die Kriegsbeute untereinander aufgeteilt; dabei fielen Thrakien, Makedonien und Thessalien als das neu gegruendete Koenigreich Thessaloniki an den fraenkischen Ritter Bonifatius von Montserrat. Der hat seine Macht durch die Burg Platamonas konsolidieren wollen, die er in wenigen Monaten errichten liess.
Bonifatius wurde 1207 im Eroberungskrieg gegen Bulgarien gefangen genommen und enthauptet, das Koenigreich Thessaloniki wurde 1224 von einer byzantinischen Regionalarmee aus dem Epirus erobert und hoerte auf zu existieren; nur die Burg hat die Zeiten ueberdauert, wenn auch unter wechselnden Herrschaften.
Im Bild leuchtet der schneebedeckte Suedgipel des Olymps (2.816m) in der Vormittagssonne.
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Innerhalb der Burg ist der innere Bereich mit dem Burgfried noch einmal abgesetzt.
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Im Burgareal werden die Reste byzantinischer Kirchen wissenschaftlich untersucht. Man kann sogar noch spuren der Wandmalereien erkennen.
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