Nachweis der exakten Ankunftszeit (=Öffnen der Türen) seitens Passagier bzw. Airline

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DirtyDancer

Erfahrenes Mitglied
26.01.2014
455
25
STR
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Ich weiss, dieses Thema gehört eigentlich in der Fred "EU Fluggastrechte / Annullierung", aber da dort eher konkrete Anfragen zu persönlichen Fällen abgehandelt werden, erlaube ich mir einen separaten Fred, da dies ein allgemeines Thema ist, welches immer wieder für Vielvlieger relevant sein könnte.

Das Urteil aus 2014 hat ja glücklicherweise klar festgelegt, dass die Ankunftszeit im Sinne der Fluggastrechte-VO durch das Öffnen der Flugzeugtür definiert ist (und glücklicherweise im Urteil auch gleich klargestellt, dass das Öffnen der ersten Tür relevant ist - und somit Diskussionen im Sinne von "was hilft mir das Öffnen der Tür im Unterdeck des A380, wenn ich im Oberdeck drei Minuten länger auf das Öffnen der Tür warten muss" gar nicht erst aufkommen lässt).

Was hier im Forum aber meiner erfolglosen Suche nach nicht wirklich ausdisktutiert wurde, ist die Frage, wie die Beweislage in einem Fall aussieht, bei dem es ähnlich wie in dem Urteil behandelten Fall auf die Minute ankommt. Also
a) was hat der Passagier für Möglichkeiten, zu beweisen, dass die Tür tatsächlich erst nach der magischen 2/3/4-Stunden-Grenze geöffnet wurde?
b) was hat die Airline für Möglichkeiten, zu beweisen, dass die Tür tatsächlich bereits vor der magischen 2/3/4-Stunden-Grenze geöffnet wurde?
In http://www.vielfliegertreff.de/airl...-zur-verordnung-nr-261-2004-ankunftszeit.html gabes zwar Diskussionsansätze, aber nicht mehr.
Falls das Thema doch schon ausführlich diskutiert wurde -> Schande über mich und bitte den Link zu dem entsprechenden Fred.
In den folgenden Ausführungen gehe ich der Einfachheit halber von einem Kurzstreckenflieger a B737/A320 aus.

zu a) Passagier
1. Falls man das Glück hat, in der Nähe der Tür zu sitzen, hat man evtl. die Möglichkeit, dies zu dokumentieren, entweder per (gedanklicher oder schriftlicher) Notiz oder per Handyvideo (mit eingeblendeter Uhrzeit oder mit Schwenk auf die eigene Armbanduhr). Erstes Problem dabei: beim Deboarding per Treppe kann man so nur eine der beiden Türen dokumentieren (also kommt von der Airline das Gegenargument: die andere Tür wurde aber vor Ablauf der magischen Grenze geöffnet). Zweites Problem: Die Handy- oder Armbanduhr könnte (bewusst oder unbewusst) ein paar Minuten vorgehen, also wird das wohl ggf. nicht als (gerichtsfester) Beweis anerkannt.
2. Falls man irgendwo in der Mitte des Fliegers sitzt (und nicht gerade als erster aufspringt und ein Basketballer-Gardemass mit Blick über den Bulkhead zur Tür hat), hat man in der Regel keinen Blick zur Tür und hat daher nur das Erlöschen der Anschnallzeichen als Merkmal, zu dem man die Uhrzeit dokumentieren kann. Beweissicherheit: siehe oben
3. Bleibt noch flightradar24 und Co (diese sind aber wohl auch nicht als Beweis zugelassen). Hier bekommt man aber auch nur den Aufsetzzeitpunkt und (über Play) das Erreichen der Parkposition angezeigt, nicht aber das Öffnen der Tür.
Fazit: als Passagier hat man eigentlich kaum richtige Beweismöglichkeiten.

zu b) Airline
1. Wird von der Cabin Crew irgendwo schriftlich/elektronisch der Zeitpunkt des Öffnens der Tür dokumentiert? Wenn ja, wo nimmt das Crewmitglied die Uhrzeit her? Von der eigenen Armbanduhr -> die könnte (bewusst oder unbewusst) ein paar Minuten nachgehen, also wird das wohl ggf. nicht als (gerichtsfester) Beweis anerkannt. Oder gibt es an beiden Türen eine für die Cabin Crew ablesbare "Bordzeit", die dann abgelesen und notiert wird?
2. Wird im Cockpit das Öffnen der Tür (was ja möglicherweise durch irgendeine Anzeige sichtbar ist) irgendwo schriftlich/elektronisch dokumentiert? Wenn ja, wo nimmt der Captain oder FO die Uhzeit her? Von der eigenen Armbanduhr -> die könnte (bewusst oder unbewusst) ein paar Minuten nachgehen, also wird das wohl ggf. nicht als (gerichtsfester) Beweis anerkannt. Oder gibt es eine "Bordzeit", die dann abgelesen und notiert wird?
3. Ein Flugzeug ist ja auch nur ein Computer und führt daher sicherlich ein logfile über verschiedenste Events. Wird das Öffnen der Tür in diesem logfile auch dokumentiert und wenn ja, stehen diese Logfiles der Airline-Zentrale zur Verfügung?
Fazit: als Airline hat man eventuell bessere Beweismöglichkeiten als als Passagier.

Auch wenn hier im Vorum diverse Airliner aus Cockpit, Kabine, Technik und Boden unterwegs sind, erwarte ich jetzt nicht unbedingt offene Antworten zu b) aus diesem Personenkreis (würde mich trotzdem natürlich freuen), also sind wohl Antworten eher von Vorumsmitgliedern und/oder den Vorumsjuristen (die dieses konkrete Problem selbst schon einmal hatten) zu erwarten.

Eine ergänzende Frage an die Vorumsjuristen in diesem Zusammenhang: Speziell alinakl und kexbox handeln gerade bei AB die Forderungen gerne per Mahnbescheid ab. Wie ist denn die rechtliche Lage, wenn man (z.B. bei einem Langstreckenflug) per Mahnbescheid 600,- € pro Person einfordert, aber man nur berechtigt ist, 300,- € einzufordern, weil die Verspätung eben nur 3:58 h betragen hat, bekommt man da dann selbst Ärger aufgrund eines zu hohen Mahnbescheids?
Die Formulierung in der EU-Verordnung Art. 7 ist ja einerseits aus Laiensicht saublöd ("so kann das ausführende Luftfahrtunternehmen die Ausgleichszahlungen nach Absatz 1 um 50 % kürzen"), andererseits - ebenso aus Laiensicht - eröffnet doch gerade diese Formulierung, dass man erstmal den vollen Betrag fordern kann, ggf. auch per Mahnbescheid, oder?
 
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alinakl

Erfahrenes Mitglied
15.07.2016
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Als Passagier hat man erst einmal nur die Möglichkeit selbst die Uhrzeit zu dokumentieren und sich mögliche Zeugen zu suchen Mitreisende sind dazu sicher geeignet.

Somit gilt dann im Falle eine Verfahrens das Prinzip dass die Airline das Gegenteil nachweisen muss.

Was die Airline denn so speichert ist eine sehr gute Frage, ein Ansatzpunkt hier wäre wohl im Vorfeld die Herausgabe der Unterlagen zu fordern, die Verpflichtung daraus lässt sich nach §421ff ZPO ableiten.
Grundsätzlich wären auch Flightrader24 und ähnliche als Beweis zulässig die Frage ist vielmehr wie diese vom Gericht gewürdigt werden, aber grundsätzlich dürfte gelten:
Wenn der Passagier genau erklären kann wie und warum er die Uhrzeit dokumentiert hat noch Mitreisende vorweisen kann die das bestätigen und dann noch plausible Dokumente wie von FR24 oder ähnlichen vorweisen kann wird die Beweisführung der Airline sehr genau untersucht werden wenn diese zu einem völlig anderen Ergebnis kommt.

Zum Thema zu hoher Mahnbescheid:
Grundsätzlich könnte die Airline die Nebenkosten in voller Höhe, Hälfte der Haupfforderung mit entsprechenden Zinsen und die Hälfte der Verfahrenskosten bezahlen und gegen den Rest Widerspruch erheben. Hat man nicht im schom im Mahnbescheid die Durchführung des strittigen Verfahrens beantragt passiert erst einmal nichts ausser dass man 16Euro für die Mahnbescheidskosten "versenkt" hat, wurde das strittige Verfahren direkt beantragt wird die Sache etwas komplizierter und es könnten noch Kosten entstehen die man zu tragen hat.

Von daher ist ein zu Hoch angesetzter Mahnbetrag im Mahnbescheid ersteinmal kein Problem es sei denn es kommen betrügerische Elemente dazu, die aber in der beschriebenen Fallkonstellation sicher nicht vorliegen.
--> Ergebnis wirklicher Ärger droht keiner aber ein gewisses Kostenrisiko bleibt beim Mahnbescheid sind diese aber eben sehr überschaubar

Allerdings ist ja nach dem EUGH Urteil ja nicht einmal der Zeitpunkt der eigentlichen Öffnung der Tür(en) entscheidend ist sondern auch die Genehmigung aus zu steigen.

Zitat des EUGH:
Die Art. 2, 5 und 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind dahin auszulegen, dass der Begriff „Ankunftszeit“, der verwendet wird, um das Ausmaß der Fluggästen entstandenen Verspätung zu bestimmen, für den Zeitpunkt steht, zu dem mindestens eine der Flugzeugtüren geöffnet wird, sofern den Fluggästen in diesem Moment das Verlassen des Flugzeugs gestattet ist.

Dies kann eben auch schon mal abweichen kann. Hatte schon häufiger dass die Tür der Dash in STR aufging aber eben der Bus noch nicht da war.

Insgesam dürfte aber hier die Beweislast eher bei der Fluggesellschaft als beim Reisenden liegen.

Allerdings wäre wohl der Versuch interessant sich per vorgeschaltetem selbstständigen Beweisverfahren mittels einem Ersuchen an die Airline alle Urkunden vorlegen zu lassen welche "Ankunftszeit" bestimmten, zukommen zu lassen und zu sehen was denn überhaupt so alles dokumentiert wird.

In der Praxis scheint das Problem aber eher nur in den seltenen Fällen relevant zu sein und zwar wenn das Erreichen der Parkposition, welche ja anscheinend sehr genau dokumiert wird, kurz vor und dem öffnen der Türen und Aussteigen kurz nach der vollen Stunde erfolgt.
 
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DirtyDancer

Erfahrenes Mitglied
26.01.2014
455
25
STR
Vielen Dank für Deine ausführlichen Ausführungen!
sofern den Fluggästen in diesem Moment das Verlassen des Flugzeugs gestattet ist.
Das hatte ich beim Überfliegen des Urteils vollkommen überlesen (liegt wohl auch daran, dass in den Berichten/Kommentaren zu dem Urteil überwiegend das Öffnen der Türen genannt wird).
Das vereinfacht die "Beweissicherung" etwas, denn aus den Mitte des Fliegers kann man zwar meistens nicht sehen, wann die Tür geöffnet wird, aber doch, wenn sich die Menschenmasse in Bewegung setzt. Guter Tipp!
 

4O1rjwH1

Neues Mitglied
14.09.2020
1
1
Hallo ihr Zwei. In meinem Fall habe ich es gerade damit zu tun, dass der Flieger das Gate wenige Minuten nach der magischen Grenze erreicht hat. Dies wird auch laut der Daten von FR24 deutlich. Bisher ist in meinem Fall noch nicht entschieden worden, aber sollte es zu einer Beweislast meinerseits kommen, gebe ich euch über die Entwicklung gerne ein Update.
 
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