Ein Augenblick im Lufthansa-Universum

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Siwusa

Erfahrenes Mitglied
24.11.2010
4.884
-22
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50 Stunden Reisezeit liegen jetzt hinter mir. Von Hobart mir Qantas nach Sydney, mit Cathay nach Hong Kong und weiter mit British Airways nach Stockholm via London. Die Flüge waren alle in Economy - aber äußerst angenehm, für das was sie waren, dank Exit Rows und teilweise schwacher Auslastung, sowie erstklassiger Status Recognition (AB Emerald), selbst bei BA (Champagner + F Kit!)

Der letzte Hüpfer sollte dann mit dem Kranich erfolgen, tut er auch. Mit LH 807 soll es gehen und nur wenige Augenblicke nachdem ich in meinem Standardsitz 12A Platz genommen habe (Airbus A320, Exit Row, ihr kennt das) muss ich mal wieder das erlebte und das noch zu erlebende in mein Smartphone tippen.

25 Minuten vor Abflug verlasse ich die SAS Lounge (Skandinavier sehen zwar meist gut aus, Manieren sind aber eher so lala) und gehe zum Gate 7. Angekommen wird gerade das Priority Boarding ausgerufen - elegant schlängle ich um die Traube aus Wartenden und gehe in Position 3 ins Rennen, eh Flugzeug.

Vor mir torkeln zwei rüstige Rentner - Mann und Frau, Ehepaar schätze ich, since 1950 oder so, Herbi und Lotti nachfolgend genannt. Lässig die begrüßenden zwei Lufti-Mädels abgewehrt wird erstmal das "Crew only" Handgepäckfach geöffnet - ich bin verwirrt - langsam geht es weiter. Lotti biegt scharf auf 11A ab - Herbi wankt weiter, knallt in Reihe 12 seine Handgepäckstücke ohne an Geschwindigkeit zu verlieren, bis er bei 14 stoppt und beherzt zu Decken und Kissen greift und diese verschmilzt aber ernst grinsend zu Lotti feuert - ich sitze währenddessen auf 12A und verstehe die Welt nicht mehr. Da steht Herbi und sitzt Lotti und verpacken fröhlich die Amenities in Ihre mitgebrachten Tüten.

Das Flugzeug füllt sich. Lotti lässt sich noch zwei leere Tüten von Herbi reichen, welcher unruhig zwischen 11C und dem Gang hin und her wieselt.

Einige Asiaten nehmen auf 12C,E,F und G Platz. Ich frage meinen fast-Nachbar etwas. Er kann kein Englisch, kein Deutsch. Nur Bruchstücke. Naja wen interessiert schon das BlaBla mit der Exit Row - die Flugbegleiter jedenfalls nicht, denn nachdem man es mir und "meinem Asiaten" auf Deutsch erklärt, versucht man es bei den 3 (Melodie: drei Chinesen mit dem Kontrabass) nur kurz und gibt auf.

Derweil nimmt sich "meiner" nachfolgend ChuChi genannt das World Shop Magazin - nicht zum lesen, nein, ach was! Herzhaft niest er irgendwo im Bereich der Rimowas und Infrarot heizenden Bluetooth Lautsprechern (wtf?, kostet 499€ oder das Äquivalent eines oneway F-Meilenfluges)

ChuChi packt das Magazin wieder weg, und nachdem der erste Atemweg geräumt ist, kommt der nächste dran und man fängt wie ein Ölmagnat auf großem Rohstoffvorkommen sitzend an, die Nasenflügel von allerlei zu befreien, was keine Miete zahlt. Nach kurzer Gütebetrachtung wird es innerlich seufzend auf den Boden geschnipst.

Boarding completed.

"70% Auslastung" schätze ich. Mein 12B bleibt zum Glück frei und ChuChi schläft jetzt. Trotzdem, irgendwie nervt mich der Flug - waren die Passagiere auf allen Flügen doch irgendwie liebenswerter - und beim Kranich jetzt das?

Hinter mir auf 14C und 14E Männlein (Vladimir) und Weiblein (Holzfäller-Barbie). Man scheint sich nicht zu kennen, Vladimir, welcher wohl Kroate ist, erzählt wie toll doch Dubrovnik ist und innerhalb weniger Minuten erfährt man alles, was man sowieso nicht wissen will, wenn man unfreiwillig einer lautstarken Unterhaltung zuhören muss. Dubrovnik soll jedenfalls toll sein, so abseits der touristischen Pfade. Ach so ja. Ok. Wie immer halt. Vladimir redet, Barbie hört zu. alles super. Und ich bereue, mir immer noch nicht neue Noise-Cancelling Headphones gekauft zu haben. Irgendwo jenseits von 17-18 schreit auch jemand rum - genauso laut wie Vladimir. Oh Mann...

Der Pilot meldet sich - typisch deutscher Vorname, typisch deutscher Nachname. So fühlt sich Sicherheitsgefühl an, und das meine ich ernst, irgendwie mag ich das. Dazu die kurze Ansprache - ruhiger Flug, Wetter toll, Blabla - und kurz darauf starten wir auch schon, gefolgt von einer langezogenen Linkskurve über die Fjorde.

Mit dem dröhnen der Turbinen werden die Stimmen von meinen Passagieren gedämpft. Herbi und Lotti haben noch immer keine Decken und Kissen ausgepackt. Alles noch eingepackt und verpackt. Vielleicht für die 38 zuckersüßen Kätzchen zuhause. Aus einer Tüte in der eine weitere Tüte ist, in der noch eine Tüte ist, zieht man jetzt den Focus - ja wo der wohl her ist?

Junges Lufthansa-Mäusschen, noch fröhlich strahlend - und etwas ernster lächelnde erfahrene Mutti kommen mit dem Wagen durch den Gang - "Käse oder Truthahn"? "Truthahn" sage ich und nehme das Brot entgegen, beobachte wie Lotti die zwei Brote in Plastik einpackt und schaue mir an wie ChuChis Freunde das Graubrot so bewundernswert anschauen, wie wie deutschen beim Koreaner, wenn wie keine Ahnung haben, was wir bestellt haben, und nur hoffen, dass es sich nicht mehr bewegt.

Haltbar übrigens bis 5.5 und in Dudeldorf produziert. Ich hebe das Brot auf - für meinen Kumpel, ah eh ne, Chauffeuer natürlich, der mich nachher vom T1 einsammelt. Der fliegt nicht oft, den freut das bestimmt.

Vladimir zeigt der Barbie mittlerweile wie das mit diesen digitalen Boardingpässen funktioniert. Ich überlege, ob ein nullenreicher Kontoauszug oder vermutlich schon eine goldene Amex das Herz der Dame nicht schneller in Vladimirs Hände spielen würden. Während ChuChi ein weiter vorn weiter schläft macht sein Sitznachnbar ChuChi II mit gleichbleibende Faszination das zweite Graubrot auf. Ich glaube er wünscht sich doch lieber etwas traditionelles aus der Heimat, hält aber wacker durch.

Getränke. Team zwei besteht wieder aus der klassischen Kranich-Konstellation. Das junge Hässchen (hat die Instagram? Sie ist süß.) und die Mutti auf Position 2. Huch, ich blicke auf und die junge Flugbegleiterin - blaue Augen, blond, groß (ChuChis Anhänger kichern und ein "ohhh ohh" ist zu vernehmen - lächelt zurück. Ok, zugegeben: Es war mehr ein Zucken. So etwa 0,25 Nanosekunden. So wie man das eben im HQ lernt - Paragraph 420 im Flugbegleiterhandbuch der Hanseaten, Absatz 4 im Kapitel professionelles Warm-Kalt.

Auf meine Getränke muss ich warten. Lotti und Herbi haben Blut geleckt. 6 Getränke finden sich am Ende auf dem Tischlein zwischen den beiden Kleptos: Rotwein, Weissweinschorle, Ferrari-Cremant, Kaffee, usw.

Mein ChuChi schläft schon wieder, seine 3 Freunde sind begnügsam. Ich werde gefragt, bestelle ein Sprudel mit Zitrone - noch ein Zweites? Ja wieso nicht, ne Cola Zerrrrooo bitte, danke. Auf der Rückfahrt schenkt man mir nochmal ungefragt nach "ich mach Ihnen da nochmal was rein" - freundlich sein ist wohl wirklich der Garant für guten Service denke ich mir wie so oft und glaube fest an dieses "Mantra".

Vladimir und Barbie schweigen sich mittlerweile an. Vielleicht hat sie seine Buchungsklasse gesehen - Eco Saver? und abserviert.

Langsam wird es mir langweilig. Ich wünsche mir neue Sitznachnbarn und stecke mir die Not-so-much-Noise-cancelling-headphones in die Ohren und ziehe mein Fazit: bei der Lufthansa sind solche Wocheendflüge mit nicht-Businesskaspern doch mal ganz lustig. Aber über den freien Mittelsitz bin ich dann doch ganz glücklich und habe wieder ein Stück mehr Empathie und Respekt mit der Arbeit der Flugbegleiter weltweit. Aber jetzt will ich dann doch mal langsam heim.

Mit knapp 15 Minuten undeutscher Überpünktlichleit gleiten wir gefühlt Jenseits des Flughafens, wie so oft, in Mainz-Ost zu elegant zu Boden und rollen rund 15 Minuten bis zu unserer Gate Position.
 

Muscogee

Gesperrt
02.04.2017
80
0
Nasenscheiße.
Das, was unser fernöstlicher Geschäftspartner sich da so genüßlich aus dem zu klein geratenen Olfaktometer popelt und rülpsend an den Hinterkopf des Vordermannes schnippt, nennt er - Nasenscheiße.
Das nur als kleine Ergänzung.

Im übrigen bleibt zu hoffen, daß man einen so köstlichen Rant hier öfter zu lesen bekommt! Zwischen Siwusa und Savonarola besteht ja eine gewisse phonetische Ähnlichkeit.
In der Sprache des ersten: Ein Tropfen, der einfach Spaß macht. Vielschichtig aber unkompliziert. Spritzig und mit fruchtiger Note noch lange nach dem Abgang.
 
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flyglobal

Erfahrenes Mitglied
25.12.2009
5.604
505
Ja danke für die Eindrückr!

Man stelle sich im Kopfkino vor Herbizid und Lotti wären in Vielfliegertreff! ( oder sind sie es vielleicht?)

Flyglobal
 
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Rantala

Erfahrenes Mitglied
19.12.2016
283
420
Hab mich weggeschmissen vor Lachen. Toller Bericht!

Einen ChuChi hatte ich mal auf einer Reise nach Vietnam neben mir sitzen. Der hat in 10 Stunden, 3(!!!) Kaffeebecher vollgerotzt.
 
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