Ein paar Tage Mexico

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Bergmann

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Liebe Forumsmitglieder,

ich habe gerade angefangen, im Mucforum einen neuen Reisebericht zu schreiben. Es geht um einen paar Tage in Mexico. Wenn Interesse besteht, dann stelle ich meinen Text auch hier herein.
 
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Bergmann

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Mexico-Flug Teil 1: Von Senatoren und einem Senatorcafe

Ich bin Senator. Und das ist gut so. Gut für mich. Denn ich stehe nicht gerne in einer Schlange - schon gar nicht in einer langen Menschenschlange mit hunderten Fluggästen, die in der Economy-Klasse irgendwo hin fliegen wollen und deshalb vor dem Start am vollen Checkin-Schaltern ihre Koffer abgeben müssen. Schlangestehen ist für mich eine Strafe – ja fast eine Höchststrafe.

Ich leide beim Schlange stehen. Deshalb ist es gut, dass ich nun Senator bin. Da komme ich ungestraft davon, zumindest am Flughafen. Ich brauche mich dort nicht mehr anzustellen. Als Senator darf ich zum First Class Schalter gehen, auch wenn ich nur einen Economyflugschein in der Hosentasche habe - oder wie heute ein Businessclass-Ticket.

Am First Class Schalter ist es meist leer, und die Schalterdamen freuen sich, wenn jemand vorbeikommt, um seinen Koffer abzugeben, so wie ich es heute in München mache: Mein schwarzer Carbonkoffer bekommt sein Etikett. MEX via FRA und Priority steht drauf. Nach Mexiko mit Umsteigen in Frankfurt geht es also, und das mit Priority!

Ich bin also Senator. Ich bin das erst seit einem Jahr. Eigentlich hätte es früher kommen müssen, dass mich die Lufthansa zum Senator ernennt. Denn vom Alter, Aussehen und Funktion wurde es langsam auch wirklich Zeit. Meine Pubertäts- und Pflegeljahre, als ich noch mit Rucksack in der billigsten Holzklasse mit langen schwarzen Lockenhaaren durch die Welt gedüst bin, liegen ja schon über ein Vierteljahrhundert zurück. Economy war gestern, Business und First ist heute. Mittlerweile habe ich auch graue Haare und meine dunkle Stimme ist noch senorer geworden, was vermutlich vom vielen Rauchen und Saufen kommt. Die Haare und die Stimme machen mich heute seriös, seriös wie ein Senator eben ist. Und wenn ich keine Jeans, sondern meinen Maßanzug trage (was einmal die Woche tatsächlich vorkommt), dann sehe ich mindestens so seriös aus, wie der ältere Herr, der mich auf meiner Lufthansa-Miles-und-More-Senatorseite immer so gönnerhaft anlächelt, wenn ich mich dort einlogge.

Ja, so wie diesen Lufthansa-Muster-Senator-Mann im Internet, so habe ich mir immer die Senatoren vorgestellt, als ich noch keiner war: das müssen gediegene Männer im älteren Semester sein, seriös im Auftreten, adrett im Aussehen, wichtig in ihrer beruflichen Funktion, auf jeden Fall mit viel Erfahrung und von der menschlichen Art vielleicht sogar etwas konservativ, was ja nicht falsch sein muss.

Für uns Senatoren hat die Lufthansa in München ein kleines Cafe eingerichtet. Da darf man herein, wenn man sein Senatorkärtchen dabei hat und sein Flugticket vorzeigt. Dann ist man Gast der Lufthansa, und alle Getränke und auch der kleine Imbiss sind kostenlos. Ich mag das Senator Cafe. Es ist klein und überschaubar. Es gibt ein paar Stehtische, Barhocker und ein paar Sessel, in denen man sich entspannen kann. Auch heute bekomme ich einen doppelten Espresso, ein Glas Wasser und ein belegtes Schinkenbrötchen gegen den Frühstückshunger.

Das Cafe ist meist leer. Heute ist es aber ziemlich voll. Denn es Montag, Montagmorgen. Da herrscht am Münchner Flughafen ein gewisser Ausnahmezustand – zumindest was die Geschäftsfliegerei betrifft. Da fliegen ganz viele Senatoren zur Wochenarbeit nach Düsseldorf, Hamburg, Berlin oder sogar auch London, um dann am Donnerstag oder spätestens am Freitag wieder zurückzufliegen. Ich nenne diese wichtigen Männer die Montag-Morgen-Senatoren. Sie haben meist polierte schwarze Schuhe an, oft eine glatt gebügelte dunkelgraue Hose (auf die Bügelfalte kommt es an!), dann blaue oder weiße Hemden und darüber ein neutrales Jackett, meist genauso dunkelgrau und aus dem selben Stoff geschnitten wie die Hose, was dann aus der ganzen Kombination einen Anzug macht. Seriös schaut das aus, nur die Krawatten sind aus Gründen der Bequemlichkeit noch nicht gebunden. Dafür aber wurde die Frisur schon ordentlich adrett zurechtgeföhnt, nach hinten gekämmt, manchmal mit Gel in Form gebracht oder schlichtweg per elektrischen Langhaarschneider auf 2 mm gekürzt, was derzeit ja modisch ist.

Bis auf diese Kurzhaarträger könnte man also meinen, dass es sich bei meiner Beschreibung um ältere Herren handelt. Aber nein, das ist ein Irrtum, zumindest im Senatorcafe an diesem Montagmorgen, an dem ich nach Mexiko fliege möchte: es sind viele junge Männer im Cafe – junge Männer, die erst vor drei oder maximal fünf Jahren aus einer betriebswirtschaftlichen Universität entlassen wurden, um nun bei großen Unternehmensberatungen die ganz Welt zu beraten. Diese Gruppe der gerade mal etwa 30-jährigen gestriegelten Berater dominiert heute das Senatorcafe. Nur sieben andere Gäste fallen da aus der Rolle, denn sie sind schon etwas älter, haben graue Haare, tragen Jeans oder sind schlichtweg weiblich.

Zwei dieser Berater nehmen sich ihren Platz – und zwar an meinem Stehtisch. Sie fragen nicht „Ist hier noch frei?“ oder sagen nicht „Guten Morgen“. Sie treten als Tischbesetzer auf und machen sich breit, so dass ich meine Süddeutsche Zeitung zur Seite schieben muss. Soll ich um meinen Platz kämpfen? Nein, ich sage dann mal lieber „Guten Morgen“, und bekomme auch tatsächlich vom etwa 30-jährigen Senator ein gönnerhaftes Kopfnicken und von seinem jüngeren Kollegen sogar ein Guten Morgen zurück. Der Kopfnicker hebt aber gleich die Hand. Er will sich vom Lufthansa-Bediensteten einen Cafe Americano kommen lassen, was weltmännisch klingt, aber vom Lufthansa Mann nicht ganz verstanden wird: Schwarzer Kaffee sage ich, einfach Filterkaffee.

So beginnt also mein Senatorenmorgen. Ich habe zwei ungebetene Tischnachbarn und versuche, die Süddeutsche Zeitung weiter zu lesen - wie immer zuerst den Wirtschaftsteil, denn nichts ist spannender als die Wirtschaft. Das Spannendste kommt aber heute von nebenan. Im Gespräch meiner Tischnachbarn geht es auch um die Wirtschaft, um ein prominentes Unternehmen und damit bin ich gerade mittendrin im realen Wirtschafts- und im Beratungsleben.

Der Kopfnicker spricht vom „Merger“, der „sucessfull“ war. Jetzt müsse man die „Results“ der „Scorecard“ präsentieren. Der „CIO“ müsse diese Woche unbedingt „comitted“ werden, wegen „MbO“ und damit man das „Humankapital“ im „Retail“ und den „Workflow“ optimieren könne. Ja, sagt der andere Berater, der „Outplacement-Contract“ für „Parts der third Mangement-Line“ sei schon beim „Executive Researcher“ geordert, es gehe um 10 „Heads“, die freigestellt werden müssten, um nach der Potenzialanalyse durch „performend Talents replaced“ zu werden. Das alles will man in dieser Arbeitswoche auf den Weg bringen, haben sich beide Berater vorgenommen. Mit dem Betriebsrat soll der „CIO“ reden, so höre ich aus der Unterhaltung noch heraus.

Trotz dieser traurigen Nachricht für die 10 vermutlich älteren Köpfe, die das Unternehmen unterstützt von seiner Unternehmensberatung bald verlassen dürfen und durch jüngere ersetzt werden – trotz dieser traurigen Nachricht für diese "Heads" ist es die lustige Mischung aus Englisch und Deutsch, die für mich diese Unterhaltung recht unterhaltsam macht: es ist ein künstliches Denglisch, was beide sprechen. Und „Denglisch“ ist in Mode. Auch der Name der Unternehmensberatung, für die beide arbeiten, ist ebenfalls ein denglisches Kunstwort. Es ist so künstlich, das ich diesen Namen bis heute nicht korrekt aussprechen kann.

Was mag wohl auf der Visitenkarte der beiden Berater draufstehen? Beim wortführenden Kopfnicker vermutlich „Senior Executive Management Consultant“, beim Gutenmorgen-Sager eventuell „Senior Talent Performance Consultant“. Ja, so heißt heute ein guter Beraterjob! Ab und zu wollen solche etwa 30-jährige Senioren auch bei meinem Klientel zuerst ihren Rat verkaufen, um dann nachher zu sehen, ob ihr Ratschlag auch funktioniert hat. Deshalb kenne ich mich aus: Wer in dieser Branche mit 30 noch kein Senior ist, der wird dort nicht weit kommen.

Doch heute kommen meine beiden Senioren erst mal gar nicht weit: Sie fliegen nur nach Düsseldorf. Das machen sie vermutlich zigmal jährlich, was dann zum Senatorstatus reicht, den Senioren fliegen meist Business Class und nicht mehr Economy. In der Economy sitzen die Young Professionals drin, die mit ihren vielleicht gerade mal 25 oder 27 Lebensjahren unverbraucht frisch von der Uni auf Kunden losgelassen werden. Sie haben noch nicht den internen Senioren-Status erarbeitet, der zum Business fliegen berechtigt.

Ich persönlich beneide "Young Professionals" und auch "Senior Consultants" nicht. Sie wohnen manchmal in Flugzeugen, übernachten in unpersönlichen Hotelketten und sind die Woche fernab von daheim. Sie arbeiten freiwillig gut 60 oder gar 70 Stunden in der Woche, weil man in der Ferne ja nicht jeden Abend Party feiern kann. Man geht deshalb dazu über, im Hotelzimmer abends noch mal seine geschusterte Excell-Tabelle zu überprüfen, ob denn auch alles stimmt mit der selbst gebastelten Beraterformel.

Es ist kurz vor 9 Uhr. Schlagartig wird es im Senator-Cafe leer. Meine beiden denglischen Consultants haben sich auf den Weg gemacht zum Gate nach Düsseldorf. Auch die Maschinen nach Berlin, Hamburg, Köln und Hannover müssen offensichtlich bald los fliegen. Beinahe alle adrett frisierten Anzugträger sind nämlich verschwunden. Nur ein Anzugträger ist noch übrig im Cafe. Dieser ist aber schon weit über 60 Jahre alt und schaut aus wie der Muster-Senator von Lufthansa. Alle anderen Gäste tragen keinen Anzug, sondern Bärte oder Jeans. Der Stil ist eher praktisch – praktisch für eine Flugreise. Schließlich will man im Flugzeug ja keine Modenschau machen. Auch ich habe bequemes Schuhwerk an, dann eine Bluejeans, dann ein gestreiftes Hemd und heute sogar eine Weste, in deren Taschen ich meine Dollarscheine, Kreditkarte und den Reisepass verstaut habe. So gekleidet greife ich mir meine schwarze Ledertasche, die mich seit 20 Jahren auf meinen Reisen begleitet, und gehe zu meinem Flugsteig, um dort in einen Airbus einzusteigen, der mich gleich nach Frankfurt fliegen soll.
 
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