Die hohe Kunst des Langweilens - ein LH Y Minutenprotokoll.

Ein Tag im November 2011. Heute darf ich fliegen. Zum wiederholten Male in diesem Jahr. Über den Atlantik. Auch das zum wiederholten Male. Mit Lufthansa. In Economy. Ebenso Wiederholung. Ein Grund zur Freude? Nicht wirklich. Ein Grund für Panik ? Nicht wirklich. Business as usual? Ein wenig.

Part I - Willkommen an Bord

T -28: Boarding der 747
T -27: Über die Schwelle, rechts, vorbei am ersten Eco-Block
T -26: Stau im Gang, warten, ich muss weiter nach hinten
T -25: Vorbei am ersten Toilettenblock, ich muss weiter nach hinten
T -24: Vorbei an den 30er-Reihen, ich erinnere mich an Scott & Hooch "Das ist nicht Dein Zimmer"
T -23: Vorbei am Küchenblock, "Willkommen an Bord"!
T -22: Reihe 43. Meine Reihe. Sitzplatz D.
T -21: Schnellcheck: Staufächer? Noch frei! Gut. Mittelplätze? Noch frei ? Gut. Sitzplatz G? Besetzt. Ami. Normalfigur. Okay.
T -20: Eco-Reich einrichten: Zweites Kissen organisieren, Übersocken an, Krimskrams aus Tasche, Pass in Staufach am Bulkhead.
T -18: Ich sitze.
T -17: Hoffen das die Mittelplätze frei bleiben. Leute im näheren Umfeld mustern.
T -15: "Boarding completed" - Mittelplätze immer noch frei - Ami von G auf dem Weg zu einer freien Reihe weiter hinten.
T -14: Life is good. Meine Reihe, mein Reich, mein Schatz.
T -13: "Excuse me?" Nein, oder ? Reihe 44 B und C Mutter und Kind ziehen um. Mein Reich wird in Beschlag genommen.
T -12: Life got worse. Statt einer Reihe allein sitze ich nun neben Mami und Sohnemann. *Rassel*
T -11: Push Back. FA zur Mami: Der Kleine darf auf dem Schoss bleiben.
T -10: Sicherheitsvideo.
T -9: Nächste FA: Der Kleine muss auf einen eigenen Sitz! Hü. Hott. Unterschiedliche Seniorität. Unterschiedliche Meinungen.
T -7: Kind angeschnallt.
T -6: Blick auf den Monitor. Den grossen. Den an der Decke. 08:02 Stunden Flugzeit nach EWR. Das geht.
T -5: Zuckeln gen Startbahn.
T -1: "Take-off in 1 Minute"
T: Here we go. Der Countdown läuft. Was mach ich jetzt acht Stunden lang?
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Part II - Die Qual der Wahl oder auch nicht.

+1: Ich fliege. Juhu.
+2: Beschäftigungsmöglichkeiten sondieren. Bordmagazin? Kenne ich. Musik ? Zu früh. Aufheben für härtere Zeiten. Augen zu ? Deal !
+4: *bing* Begrüßungsblabla.
+5: "...über unser Serviceangebot informieren....vor der Landung in First "High Tea", in Business "Dinner", in Eco "Snack" - Das wird lecker.
+6: Das wird lustig. Der LH Snack vor der Landung ist DAS kulinarische Highlight dieses Fluges. Noch gute sechs Stunden Vorfreude.
+8: Augen zu. Paar Minuten zur Ruhe kommen.
+15: Augen auf. Blick auf die Uhr. War wohl nichts.
+16: Eco-Survial-Kit mit Ohrenstöpsel und Augenmaske in Tasche suchen.
+17: Erste Suche erfolglos. Sorge.
+18: Tatsache. Ich bin heute so unvorbereitet und hab mein Eco-Surival-Kit vergessen. So ein Mist.
+19: *bing* FA dürfen aufstehen.
+20: Und nun. Blick nach links, Blick nach rechts. Nichts Neues.
+21: Telefon aus Tasche kram und auf Flug-Modus schalten will.
+22: Telefon ist schon auf Flug-Modus. Stopp-Uhr läuft.
+23: Bewegung in der Küche. Sieht nach Getränkewagen aus.
+25: Pilotenansprache zur Flugroute.
+28: Getränkewagen vorbei nach hinten.
+38: Getränkewagen neben mir. Ein Wasser, ein Päckchen Knabberzeugs.
+39: Vorsatz diesen Drink und Snack zu zelebrieren.
+41: Der Ami von G kommt nun nochmal nach vorne, weil er anscheinend was vergessen hat.
+45: Small-Talk mit Mami von nebenan. Kroatin aus Dubrovnik. Papi des Kleinen ist Amerikaner. Heimaturlaub.
+55: Drink leer, Saletti Snacktütchen leer. Schneller als gedacht.
+56: Mindesthaltbarkeit des Tütchens: 10. Juni 2012.
+60: Erste Stunde um. Sieben Stunden to-go.
+61: Immerhin die Flügelspitze berührt nun schon das "M" von Manchester auf der Map.
+62: Andere Karteneinstellung. Flugzeug noch immer in Frankfurt. Alles eine Sache des Maßstabs.
+65: Blick nach links. Das bärtige gegenüber von 43C mustert nun den Knaben von der Diesel Loverdose-Werbung auf der Magazinrückseite.
+66: Ich mustere die Werbung ebenso und kann keine Ähnlichkeit feststellen. Weder mit meinem Körperbau, noch mit dem des Gegenüber.
+68: Es wird in der Küche gearbeitet.
+69: Wechsel der Kartenansicht. England passiert. Über Blackpool. Irland is next. 06:54 to go.
+70: Die Toilettenanzeige springt auf "occupied".
+71: Ich könnte jetzt den Rest des Fluges Striche machen wie oft das passiert. Statistiken, die die Welt nicht braucht.
+72: Vorhang auf: Mittagessen. Special-Meals. Nicht für mich.
+75: Das Essen auf Rädern rollt vorbei. Mein Magen knurrt ist sich aber nicht sicher, ob der bevorstehenden Herausforderungen.
+77: Da liegt doch tatsächlich eine Semmel auf dem Boden vor der Küche.
+83: Irlands Küste erreicht. Hallo Belfast.
+85: *bing* Sitzgurte an. Es rumpelt.
+86: Der kleine Mann nebenan schreit. Mami kümmert sich. Alles im grünen Bereich.
+88: Wieder ruhig. Zumindest in der Luft. Nebenan noch nicht.
+89: Da rollt der Wagen wieder vorbei. Leer gefressen.
+90: Ich bekomme Sprudelwasser. Mit Zitrone. Kein Unterschied zur First. Ach doch, der Plastikbecher.
+92: Nun ist auch der zweite Wagen leer durch. Ich sitze vor meinem Wasser. Mein Tischlein ist leer.
+93: Drei Leute haben nun noch kein Essen in Eco. Der "Diesel-Mann" und seine Freundin. Ich.
+94: "Wollen Sie etwas essen?" "Gerne!" "Pasta? Was anderes habe ich leider nicht mehr." - Das Leben ist einfach wenn man keine Wahl hat.
+95: Lasset das Festmahl beginnen.

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Part III - Des Widerspenstigen Zähmung

+96: Ich könnte jetzt vor meinem Klapptischlein ein Tischgebet sprechen und die Reaktion der Mitreisenden testen. Ich lasse es.
+97: Ein letzter Blick auf die Map ehe ich mich dem Salatschälchen widme. 06:33 Std. Flugzeit und 4.970km übrig. Das ist unfair, das wird länger.
+98: Die Semmel liegt noch immer auf dem Boden. Seit 21 Minuten.
+100: Salat verzerrt. Käse oder Hauptgang ? Käse!
+101: Dreimal kauen. Käse verzerrt. Butter noch halb gefroren.
+102: Vorhang zu. Blick auf die Semmel von nun an nicht mehr möglich.
+103: Schachtel des Hauptgangs öffnen. Wie beim Überraschungsei. Ich bin ein Falttyp. Ich reisse die Schale nicht auf, ich falte. Platz sparen auf Tablett.
+104: Tagliatelle in Salbei-Sauce. Ich hab noch nicht einmal den ersten Bissen des Hauptgangs im Mund als man mit Tee und Kaffee durch die Kabine rennt.
+105: Jetzt bin ich zickig und entscheide heute mein persönliches "Master of Time"-Konzept durchzuziehen. Tee gibt es wann ich will. Auch in Eco.
+108: 3.000 Meilen verbleibend. Ob ich die Semmel nun noch essen soll?
+110: Ich halte seit 2 Minuten eine halb gefrorene Butter in meiner Hand.
+111: Streichversuch erfolgreich.
+113: Kein zweiter Tee-Gang bislang.
+114: Halbe Butter-Semmel verzerrt.
+116: Mein Tablett wird abgeräumt. Ich behalte fordernd Teebecher und Nachspeise auf dem Klapptischlein. Crew-Test.
+120: Im rechten Gang gibt es jetzt US-Zollformulare. 2.890 Meilen bis Newark.
+121: Das Paar von gegenüber hat noch immer die Tabletts vor sich stehen und macht jetzt Tablett-Rochade. Er balanciert beide weil sie "muss". Liebe ist schön.
+122: Lavatories occupied.
+127: Madame ist zurück. Man stellt den Sitz nach hinten. Der Domino-Effekt beginnt. Reihe 42 drückt das Knöpfchen, 43 folgt, 44 folgt...
+129: Noch sechs Stunden laut Fluginfo. Erster Service nach Meinung von LH durch. Weit gefehlt. Mein Teebecher ist noch leer...
+132: Ich bekomme das Formular ausgehändigt und frage bei der Gelegenheit nach einem Tee. "Muss ich erst aufbrühen!"
+135: Ich bekomme meinen Tee samt Beutelchen. Dem Paar werden nun die Tabletts abgenommen.
+136: Die Semmel vom Boden ist tatsächlich weg!
+137: Auch mein Lunch ist nun offiziell beendet. Man könnte jetzt abräumen. Könnte.
+141: Das Duty-free Wagerl rollt vorbei. Kein Diesel Loverdose für mich.
+142: Licht aus. Der nervigste Teil des Fluges beginnt.

Part IV - Sind wir nicht alle ein bisschen Gaga

+143: Lage: Licht aus, Teetasse und Nachtischbecher auf hälftig eingeklapptem Klapptisch, Kind nebenan schläft, Gefühl von Bettschwere.
+144: Blick zum direkten Hintermann. Der ist wach und schaut mich mitleidsvoll an. Ich verstelle den Sitz nicht nach hinten. Nächstenliebe in rund 10km Höhe.
+145: Eigentlich wäre es jetzt Zeit für die Ohrenstöpsel und die Augenbrille. Beides heute Fehlanzeige. Die angedachte Ruhezeit wird heute anders ausfallen.
+146: *Augen zu*
+183: *Augen auf* Blick zur Stoppuhr auf dem Handy: Immerhin ne gute halbe Stunde habe ich durchgehalten.
+184: Auf dem Overhead-Monitor läuft noch immer Film Nummer 1. Titel? Keine Ahnung. Mein Nachtischbecher ist abgeräumt. Der Teebecher steht noch da. Rache ist süss.
+193: Der Kleine von nebenan hat jetzt ein neues Spiel entdeckt. Tischlein mit Schwung Auf- und Zuklappen. Tischlein auf, Tischlein zu, Tischlein auf, Tischlein zu.
+195: Je Klappvorgang braucht der Kleine etwa 5 Sekunden.
+196: Er wird schneller. Jetzt nur noch 4 Sekunden - 15 Mal in der Minute. klapp, klapp, klapp, klapp, klapp, klapp. Wie viele "klapps" noch bis zum Anflug.
+210: Ich gebe mich geschlagen. Ich bringe den Teebecher selber weg. Zeit für Bewegung und einen Besuch des Waschraums.
+211: Lavatories occupied. Zumindest eines.
+229: Ein paar Stretchingübungen im Freiraum vor der hintersten Tür später sind tatsächlich weitere 18 Minuten um. Die Zeit vergeht halt doch wie im Flug.
+231: Gedankengang: Habe ich den US-Umstecker dabei?
+232: Traurige Gewissheit: Auch der Umstecker hat den Weg diesmal nicht ins Gepäck geschafft. Dämlich.
+240: Bergfest. Zum "feiern" habe ich zwar eh nichts dabei aber zumindest geht es ab jetzt bergab.
+241: Zeit um den Papierkram für die Einreise zu erledigen. Dumm das ich kein I94-Formular mehr ausfüllen muss das wären wieder 3 Minuten gewesen.
+254: Papierkram erledigt. Reiseunterlagen neu sortiert. Von mir aus könnten wir jetzt landen.
+255: Notebook raus. Emails lesen, beantworten und löschen. Bisschen Produktivität geht auch in Y.
+271: Der zweite Film beginnt. Ohne mich.
+285: Notebook aus. Akku schonen. Der fehlenden Umstecker wird sich ohnehin noch rächen. Nicht hier, aber am Boden.
+305: Wenn ich auch sonst nichts dabei habe. Immerhin der eigene Kopfhörer hat den Weg in den Flieger geschafft.
+306: Zeit für das Musikprogramm. Lufthansa Radio mit Michael Reufsteck. Mit Musik ist es ähnlich wie beim heutigen Speisenangebot. Wer kaum Auswahl hat, braucht nicht lange um zu wählen.
+315: Mit Musik im Ohr blättere ich durch den Worldshop Katalog und hake im Kopf einige der diesjährigen Weihnachtsgeschenke ab.
+329: Es gibt Wasser. Mit Sprudel. Ohne Zitrone.
+330: Becher leer. Das Spiel des Abräumens beginnt von vorne.
+331: Ich beginne den leeren Becher auf meiner Fingerkuppe zu balancieren.
+332: Der Kleine nebenan guckt begeistert.
+335: Ich bin gut. Noch ist der Becher kein einziges Mal umgefallen.
+341: Ich habe jetzt tatsächlich den Becher zehn Minuten balanciert. Ein Langstreckenflug fördert bislang unbekannte Talente ans Tageslicht.
+342: Irgendeine 15-jährige singt jetzt "Yeah right!"
+348: Juhu. Lady Gaga. Ich beginne mit dem Fuss im Takt zu wippen. Noch tausendmal wippen und ich bin NYC wieder ein Stück näher.
+353: Der kleine hat jetzt sein Malbuch ausgepackt bekommen. Das bringt mich auf eine Idee...
+354: Ich greife zum Stift bei den Unterlagen und beginne den ausgekerbten Lufthansa-Schriftzug im Becher blau anzumalen. Sieht so Verzweiflung aus?
+365: Die Map ist wieder da. Wir sind über Sept-Iles am St.-Lorenz-Strom. 860 Meilen bis EWR.
+367: Ich verfüge jetzt über einen grafisch verschönerten LH-Plastikgetränkebecher. Hätte ich den Schriftzug statt blau schwarz ausgemalt, hätte ich ihn auf Ebay als HON-Becher verkaufen können.
+373: Noch 1:52 Std bis EWR. Bald gibt es den vor Stunden angekündigten "Snack".
+378: Maaron 5: Moves like Jagger. Mein Bein wippt wieder mit. tipp, tapp, tipp, tapp.
+381: Die Sache mit dem bemalten Becher lässt mich nicht los. Irgendwie hat das was von Casteway und "Wilson".
+391: Grönemeyer. Ton im Kopfhörer aus.
+392: Es ist soweit. Der Snack kommt.
+394: Ladies and Gents! Vor mir liegt LHs weltbekannte Pizzabox. LHs Pizzabox ist in etwa zu vergleichen mit einer Packung EPA bei der Bundeswehr. Ähnlich trocken, ähnlich lange haltbar.
+401: Die Pizza ist verzerrt. Das Getränk geleert. Ganze sieben Minuten Ablenkung durch Essen. War nicht viel mit zelebrieren diesmal.
+403: Ich beginne mit den beiden leeren Bechern "Salavatore" nachzuahmen. Vielleicht hätte ich die gefrorene Butter als Kugel behalten sollen.
+404: Unsinniges Spiel ohne Kugel und mit durchsichtigen Bechern. Scheint als würde die Müdigkeit ihr Tribut fordern.
+409: Man räumt ab. Schweren Herzens trenn ich mich von meinem bemalten Becher. Kein Andenken von diesem Flug.
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