Sonstige: Artikel: Malév trudelt weiterhin ungewissem Schicksal entgegen

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Toconaur

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08.02.2010
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Aus der Budapester Zeitung, erschienen am 7. September 2010:

Malév trudelt weiterhin ungewissem Schicksal entgegen
von Jan Mainka

Der August brachte für die angeschlagene ungarische Fluggesellschaft Malév nicht nur hoffnungsfroh stimmende Passagierzahlen, sondern – Informationen der Wochenzeitung Figyelõ zufolge – auch einen mittleren Schock: Angeblich hatte ein Leasingpartner damit gedroht, die Benutzung einiger ihm gehörender Flugzeuge zu untersagen, wenn ausstehende Leasingraten nicht unverzüglich beglichen würden.
Bei der Leasingfirma handelt es sich um die US-amerikanische International Lease Finance Corporation (ILFC). Dass eine Delegation dieser Firma im August in Bu da pest weilte, wird von keiner der beiden Seiten bestritten. Lediglich über den Inhalt des Treffens gehen die Meinungen auseinander. Nach Auskunft von Malév-Sprecher Ádám Hegedûs sei lediglich der Zeitplan der Zahlungen besprochen worden. „Die Malév bezahlt die ILFC vertragsgemäß“, unterstrich er gleich noch nachdrücklich. ILFC-Pres se chef Paul Thibeau berief sich auf die Firmenpolitik, wonach grundsätzlich keinerlei Kundeninformationen herausgegeben würden, und verriet nicht einmal so viel.

Auskunftsfreudiger waren da schon vier von einander unabhängige Informanten des Figyelõ, von denen auch die Information hinsichtlich des eingangs erwähnten Ultima*tums stammt. Einer der Informanten gab sogar die Summe preis, deren Nichtbezahlung etliche Malév-Flugzeuge an den Boden gefesselt hätte: Rund 3 Milliarden Forint. Nach zwei Quellen der Budapester Zeitung waren es jedoch 2 beziehungsweise 2,5 Milliar den Forint, die sich vor allem aus mehreren nicht bezahlten Leasingraten ergaben.

Aber wie viel auch immer! Letztlich wurde die Summe vom ungarischen Staat aufgetrieben und überwiesen. Der Flugbetrieb konnte ungestört weitergehen. Mit nur zwei bis drei Tagen schrammte Malév noch einmal haarscharf an einem riesigen geschäftlichen De sas ter vorbei.
Wie auch immer sich das Drama im Ein zel nen abgespielt haben mag, auf jeden Fall macht der Vorfall klar, dass die Li qui ditäts prob leme der Firma nach wie vor sehr ernst sein müssen und dementsprechend die Ner ven der Gläubiger blank liegen. Nach dem der Staat bei der Teil wie der ver staat li chung am Jah res anfang bereits tief in die Taschen greifen musste, geht von dem Vorgang indirekt zugleich aber auch erneut die Botschaft aus, nach bald zwei Jahrzehnten das Fass ohne Boden namens Malév endlich zu schließen. Zwischen dem Wunsch und seiner Erfüllung liegen jedoch etliche Barrieren. Ein Problem ist nicht zuletzt der fünfprozentige Restanteil des russischen Entwick lungs bank VEB und ihrer ungarischen „Strohfrau“ Magdolna Költõ.

Russisches Vetorecht bei wichtigen geschäftlichen Entscheidungen

Um ihre bisherigen Zahlungen an die marode ungarische Fluggesellschaft nicht vollständig abschreiben zu müssen, hatte sich die VEB bei der Wiederverstaatlichung im Feb ruar vorsorglich ein Vetorecht bei allen wichtigen geschäftlichen Entscheidungen ausbedungen. Außerdem muss das ungarische Mana gement seitdem bei allen Transaktionen über 50 Millionen Forint vorher eine schriftliche Genehmigung der VEB einholen. Ohne die Russen sind bei der Malév also weiterhin keine größeren Schritte möglich. So ist auch die immer wieder erwogene Idee, die Malév in einen geordneten Konkurs gehen zu lassen und dann einen sauberen Neuanfang zu unternehmen, unter diesen Gegebenheiten nicht umsetzbar.
Die daraus abgeleitete Not-Idee, die Malév dann einfach von selbst kaputtgehen zu lassen – etwa indem die Kero sin rechnungen bewusst nicht mehr bezahlt werden oder halt die Leasingraten – verbietet sich hingegen mit Blick auf die Eigen tü*merstruktur der russischen Bank: Sie gehört nämlich dem russischen Staat und hat keinen geringeren als den russischen Regierungs chef Wladimir Putin als Aufsichtsrats präsident. Es sich mit der VEB zu verscherzen, hieße also, sich mit dem russischen Staat und Putin anzulegen. Bei der enormen Abhän gigkeit Ungarns von russischen Ener gieträgern sicher kein so cleverer Zug. Will der ungarische Staat bei der Lösung seines Malév-Problems vorankommen, scheint also an einer, wie auch immer gearteten, zufriedenstellenden Abfindung des russischen Partners kein Weg vorbeizuführen.

Fortsetzung der Strukturreformen nach wie vor notwendig

Die Zurückgewinnung der vollen Hand lungs freiheit ist jedoch nur ein Teil der Erlösung des Steuerzahlers vom teuren Prob lem fall Malév. Mindestens ebenso wichtig ist die Fortführung der Struktur refor men, die zuletzt vor etwa anderthalb Jahren von den beiden Deutschen Martin Gauss (CEO) und Karim Makhlouf (Han dels*direktor) in Angriff genommen wurden. Besonders letztgenannter hatte sich zum Missfallen der Gewerkschaften schnell einen Ruf als harter Sanierer erarbeitet. Auf sein Betreiben hin wurde unter anderem das Flugnetz rationalisiert und wurden rund 200 Arbeitsplätze abgebaut. Auch ließ er alle Auslands ver tretungen von Malév schließen. „Ein über flüssiger und teurer Luxus für eine Air line von der Größe der Malév. Zumal in dieser Situation!“, begründet Makhlouf gegenüber der Budapester Zeitung diesen Schritt.
Dass ausgerechnet Makhlouf Anfang Au gust entnervt das Handtuch warf, mag zwar für Gewerkschaften ein freudiges Ereignis gewesen sein, ob es das aber auch für den ungarischen Steuerzahler ist, steht auf einem anderen Blatt. Medien berichte, wonach er wegen der schlechten Zahlen gehen musste, weist er übrigens als „absurd und falsch“ zurück. „Malév war in den letzten Jahrzehnten nie profitabel. Sich ausgerechnet jetzt in der schwersten Krise über Verluste aufzuregen, zumal sich erste An zeichen einer nachhaltigen Besserung zeigten, halte ich für nicht nachvollziehbar.“ Die Besserung gelang ihm unter anderem durch ein aggressives Mar ke ting und eine intensivere Vertriebs po li tik, was sich beides positiv auf den Abbau der kostspieligen Auslastungs de fizite auswirkte. Trotz Krise gelang es Malév in den letzten Monaten mit dieser Strategie sogar als einzige Fluggesellschaft der Region ihr Passagieraufkommen zu erhöhen.

Ex-Handelsdirektor sah sich dauerhafter Kritik ausgesetzt

Dennoch brachte Makhlouf seine Ver triebs strategie auch viel Kritik ein, nicht zuletzt erneut von den Gewerkschaften. So sah sich Makhlouf zuletzt permanent mit dem Vorwurf konfrontiert, den Stolz des ungarischen Luft ver kehrs in eine ordinäre Low-Cost-Airline ver wandeln zu wollen. „Dass meine Ver triebs strategie pauschal als Low-Cost-Stra tegie abgewertet wird, zeugt vom geringen Verständnis meiner Kritiker für meine Arbeit und die Airline-Industrie insgesamt. Bei Malév habe ich keinen anderen Kurs verfolgt als etwa bei der Lufthansa, die bekanntermaßen nicht zu den Discount-Fluggesellschaften zählt.“ So wurden bei Malév die Preise nur für gewisse, genau begrenzte Kontingente auf Discount-Niveau gesenkt. „Unser Durch*schnitts ticketpreis ist mit etwa 100 Euro etwa doppelt so hoch wie der von Wizz-Air. Das hat mit Low-Cost nichts zu tun“, lässt er die Zahlen sprechen.

Malév muss bisherige Strategie der Optimierung weiterverfolgen

Als Hauptgrund für seinen Weggang gibt er an, dass sein Arbeitgeber gewisse Ver*einbarungen und Verträge nicht mehr eingehalten hat. Außerdem hatte sich in ihm zunehmend die frustrierende Einsicht breitgemacht, auf verlorenem Posten zu kämpfen. Mit Blick auf die Zukunft ist er sich sicher: „Malév bleibt eigentlich nur die weitere Optimierung. Also die Weiterführung der Strategie, die ich begonnen habe.“ Was die Reformierbarkeit von Malév betrifft, so hat er angesichts der gewonnenen Innen an sichten jedoch seine Zweifel: „Die nachhaltigste Lösung wäre die Schaffung einer völlig neuen Airline ohne die geringsten Altlasten“, findet er. Der neuen Regierung unterstellt er übrigens einen echten politischen Willen, den Problemfall Malév endlich im Sinne des Landes und seiner Steuerzahler zu lösen.
Dafür, dass den neuen Macht habern bisher zumindest noch eine entsprechende Stra tegie zu fehlen scheint, gibt es allerdings zahlreiche Anzeichen. So unter anderem der Ende Au gust erfolgte plötz li che Rück tritt des von der Regierung eingesetzten und gerade einmal ein Monat im Amt befindlichen Vor stands*vorsitzenden László Urbán. Auch die unprofessionellen Umstände der zwei Tage später erfolgten Wahl des bisherigen Vor standsmitglieds und ehemaligen T-Mobile-CEOs János Winkler zu seinem Nachfolger, lassen auf alles andere als eine bereits existierende klare Strategie schließen. Der Fall Malév bleibt also weiterhin spannend.