Büchernische

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covalin

Erfahrenes Mitglied
03.11.2009
1.474
2
Am Schanzgraben
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Weil die Erde keine Google ist

Eine pointierte Gegenüberstellung digitaler Auswüchse mit der sogenannten "guten alten Zeit". Mit viel Ironie beschreibt Thomas Montasser die Situationen, mit den die digitale (Ganz interessant, was bedeutet "digital" und welchen Wortursprung hat es?) Informationsgesellschaft uns im positivem aber auch oftmals im negativem Sinne konfrontiert. Beginnend eher mit Situationen, die wohl jeder schon von uns erlebt hat und einen zum Schmunzeln bringen, entwickelt sich das Buch in eine ernste Betrachtung der Auswüchse einer digitalen Informationswelt. Auf rund 240 Seiten in kurzen Kapiteln zusammengefasst hinterläßt es den Leser nachdenklich zurück.

Zwei Beispiele gefälligst?

Kontext: Email und Brief

Weil die Erde keine Google ist, S. 35f

Eines tages wird es womöglich gar keine Autographen mehr geben, weil wir alle nur noch elektronisch schriftlich miteinander verkehren. Aber mal ehrlich: Wer würde schon andächtig einen Brief von Goethe an Schiller in die Hand nehmen, der mit den Worten beginnt:

from: j.giethe@weimarer-hof.de
to: dr.f.schiller@googlemail.com


Und sich dann schnöde in den Floskeln ergeht:

Parzen gelesen. Grandios. Danke für die Medizin.
Gicht schon besser.
Herzlich
Ihr Geheimrat

Kontext: MP3 und den IPod überall dabei

Weil die Erde keine Google ist, S. 14f

Mir fällt auf, dass die meisten Kinder gar nicht mehr singen können. Das wundert mich auch nicht. Denn wer sich ständig die Ohren verstopft, hört bekanntlich die eigene Stimme nicht. Mein Verdacht, dass die Stöpsel angesichts der Musik, die die Jugendlichen heute hören, vor allem dazu gedacht sind, das völlig erweichte Gehirn nicht herausfließen zu lassen, hat sich gottlob nicht bestätigt. Soweit ersichtlich, ist bei meinen Kindern bisher zumindest alles dringeblieben. Leider nicht die Musik. Die wabert trotz MP3 wie zu meinen eigenen Jugendzeiten durch das ganze Haus. Na ja, eigentlich hämmert sie eher. Aber das hat sie zu meiner Zeit auch getan.

Einstmal hat man Musik in Deziber gemessen oder - noch schöner - in Phon. Heute misst man sie in Megabites. Sie setzt sich inzwischen zusammen aus den Zahlen 1 und 0, wird also zum binären Phantom, und ich werde den Verdacht nicht los, dass mit der Beschallung durch solchermaßen verfremdete Musik eine Codierung des Menschen verfolgt wird. Könnte es nicht sein, dass hinter den Songs von Bands, die auf Namen hören wie Ohrbooten oder Blumentopf ein großangelegtes Programm der CIA steht, das - von der amerikanischen Computerindustrie gesponsert - nichts anderes als den Zweck verfolgt, uns Erdenmenschen in weltraumfähige Halbextraterrestrische zu verwandeln, die dann an digitale Stationen im Orbit angedockt werden können, um dort ihre Aufträge als humanoide Roboter aufgespielt zu bekommen? Wer weiß schon wirklich, was die Spaceshuttles in den letzten Jahrzehnten alles ins All transportiert haben und was auf der ISS tatsächlich experimentiert wird. Wofür steht überhaupt ISS? Irres Sound Spektakel? Implanted Sound Server? Schwer zu sagen, was die da oben machen. Am wahrscheinlichsten ist, dass es nur ein Asyl für Musikgeschädigte unserer Zeit ist. Es soll ja ziemlich ruhig zugehen in den Weiten des Weltalls.


Fazit: Auch wenn ich persönlich auf manche Errungenschaften der modernen Kommunikationstechnik nicht verzichten möchte und gerne auf diese zurückgreife, so wäre oftmals weniger mehr. Absolut lesenswertes Buch.

Author: Thomas Montasser
Titel: Weil die Erde keine Google ist, Lob des analogen lebens
Erschienen:Heyne Verlag, 2010
ISBN: 978-3-453-17863-2

PS: Auch wenn mir das folgende Leitmotiv häufig als Arroganz angekreidet wird:
Wer immer und überall erreichbar sein muss, gehört zum Personal.
 
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flysurfer

Gründungsmitglied
Teammitglied
06.03.2009
26.000
36
www.vielfliegertreff.de
PS: Auch wenn mir das folgende Leitmotiv häufig als Arroganz angekreidet wird:
Wer immer und überall erreichbar sein muss, gehört zum Personal.

Es soll ja auch Leute geben, die das nicht müssen, sondern wollen.

Im übrigen ist das Ganze ja auch eine Frage der Zweigleisigkeit. Ich möchte zum Beispiel gerne immer und überall vernetzt sein, mit Erreichbarkeit im Sinne von "immer erreichbar sein und antworten müssen" hat das jedoch erstmal nichts zu tun. Es zwingt einen ja keiner, ans Telefon zu gehen oder auf jede Nachricht umgehend zu reagieren – oder sie auch nur zu lesen. Oder gehst du alle 10 Minuten zum Hausbriefkasten, um nachzusehen, ob jemand etwas eingeworfen hast, öffnest sofort jeden Brief und beantwortest ihn umgehend? Also ich nicht...

Ich persönlich halte es allerdings für einen enormen Gewinn an Freiheit und Unabhängigkeit, überall auf der Welt zu jeder Zeit vernetzt zu sein und Informationen zu konkreten Dingen und Begebenheiten einholen zu können. Wenn ich etwa in Mumbai in einem Taxi sitze, weiß ich mit meinem iPhone nicht nur genau, wo ich bin und ob wir den richtigen Weg nehmen, ich kann auch ruckzuck herausfinden, ob ein auf großen Plakaten beworbener Bollywoodstreifen etwas taugt und in welchen hotelnahen Kinos ich ihn mir ansehen könnte. Dieser Zustand gefällt mir wesentlich besser als die früher übliche allgemeine Ratlosigkeit und das berühmte "ja wenn ich das damals gewusst hätte oder wenn mir das jemand gesagt hätte, dann hätte ich...".

Dank digitaler Vernetzung haben wir nun die Möglichkeit, zu für uns gerade relevanten Dingen immer und überall genau dann mehr zu erfahren, wenn wir diese Infos brauchen, wenn sie nützlich für uns sind. So sind wir eben nicht mehr auf die "kindness of strangers" angewiesen, die uns freundlicherweise "just in time" genau die Dinge sagen, die uns weiterbringen. Für mich ist das ein enormer Gewinn an Unabhängigkeit und Lebensqualität.
 
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flying_student

Erfahrenes Mitglied
04.04.2009
7.005
3
Zur Zeit lese ich ein empfehlenswertes Buch von Joseph Stiglitz, "Im freien Fall". Er analysiert die Finanzmarktkrise schonungslos, offen und überaus präzise. Das charmante an dem Autor ist, dass er nicht zu der Gruppe gehört, die hinterher alles besser wissen. Er prognostizierte den Zusammenbruch schon vor der Krise. Sein außerordentlicher Sachverstand und sehr gute Erklärungen machen das Buch sowohl für "Anfänger" als auch für "Profis" mit ökonomischen Background zu einer sehr interessanten Wahl.
 
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ingridadele

Erfahrenes Mitglied
14.03.2009
478
1
Da fällt mir wieder ein, dass ich auf einer Reise durch Australien sehr gerne gelesen habe:

Cees Noteboom: Leere umkreist von Land: Reisen in Australien

Sehr interessante, unterschiedliche Texte zu Australien.
 
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primarius

Guest
Dieser Hinweis war leider hier Perlen vor die Säue.

Na, eine positive PN hierzu hab ich immerhin erhalten...
:cool:

Heute wars ein bisserl Kochbuchlastig, aber dieses XXL-Taschenverlag-Kochbuch schau ich mir mal an. Klang vielversprechend.

Wer noch ein bisserl was "kluges" schauen will, kann nachher (00h45) im ZDF Herrn Drewermann lauschen, wie er die Welt erklärt.

Man darf sich bei Herrn Drewermann nicht von dessen kirchlicher Vergangenheit täuschen lassen: ein Freigeist, großer Philosoph und sicherlich hörens- und sehenswert.
 
P

primarius

Guest
Ganz spaßig und momentan täglich um 12h30 aus 3Sat:

Was liest du?

Literarische Comedy mit Jürgen von der Lippe

Naht Weihnachten, kann Jürgen von der Lippe nicht weit sein, um seinen Zuschauern Lesetipps für lange Abende und Geschenktipps für die Bescherung am 24. Dezember zu geben. Dafür sorgt nicht nur der Gastgeber höchstpersönlich, sondern in jeder Sendung auch noch ein anderer prominenter Bücherwurm.
 
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D.Klöbner

Guest
Jetzt ist er tot, der arme Kerl: Hirntumor.
Zwar als "Jugendbuch" deklariert, aber dennoch eines der schönsten Bücher der letzten Jahre:

Tschick, Wolfgang Herrndorf

"Ein großartiges Buch, egal, ob man nun dreizehn, dreißig oder gefühlte dreihundert ist", befand die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".

Bei Spotify gibt es übrigens eine ganz nette Hörbuchfassung desselben, für Abonnenten natürlich für lau...
 
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