Manfred Baasner, 67, wunderte sich nicht, als er kürzlich eine Einladung für das Manager-Frühstück bei der Bochumer Industrie- und Handelskammer bekam. In der Runde treffen sich all jene, die das Wirtschaftsleben der Stadt in besonderer Weise prägen; da darf er natürlich nicht fehlen.
Baasner ist Chef einer der umsatzstärksten Armenspeisungen Deutschlands, der "Wattenscheider Tafel". Knapp 20 000 Hartz-IV- und Sozialhilfeempfänger stehen regelmäßig bei ihm um kostenlose Lebensmittel an. Um den Bedarf zu decken, nimmt er den Supermärkten und Nahrungsmittelherstellern aus der Region täglich mehr als fünf Tonnen Fleisch, Gemüse und andere Waren ab, die sie nicht mehr verkaufen können. "Wir sind ein wichtiger Geschäftspartner für die Unternehmen geworden", sagt Baasner, der sich "mit denen auf Augenhöhe" fühlt.
Es ist eine ungewöhnlich rasante Entwicklung, die die Tafel vollzogen hat. Noch vor wenigen Jahren verteilten ein paar Rentnerinnen einmal in der Woche altbackenes Brot an Obdachlose. Doch mit Hartz IV kam Schwung in die Sache. Aus der Suppenküchen-Bewegung ist ein Fürsorgekonzern mit mehr als einer Million Stammkunden geworden, der ein Filialnetz betreibt, von dem viele Discounter nur träumen können. "Tafel" ist ein Markenname wie Aldi und Schlecker, geschützt vom Patentamt. Etwa 4700 Tafel-Fahrzeuge sind unterwegs, um abzuholen, was sonst weggeworfen würde.
Vordergründig geht es um Mildtätigkeit, doch tatsächlich herrscht bei einigen Spendern auch nüchternes Renditekalkül. Durch ihre edlen Spenden sparen die Lebensmittelhändler Abfallgebühren in Millionenhöhe. Die Berliner Tafel hat ausgerechnet, dass sie selbst im Jahr noch etwa 40 000 Euro zahlen muss, um Bio-Müll zu entsorgen. Dabei handelt es sich etwa um Gemüse, das auf dem Weg zur Tafel welk geworden ist.
Noch besser wird das Geschäft für die Supermärkte und Lebensmittelproduzenten, wenn sie von der Tafel eine Spendenquittung erhalten. Damit wird dann nicht nur ein Entsorgungsproblem gelöst, sondern zusätzlich auch ein geldwerter Vorteil gegenüber dem Finanzamt erzielt. Ob alle gespendeten Waren für die Weitergabe an Bedürftige geeignet sind, spielt keine Rolle. Selbst für schlappes Gemüse stellen die Tafeln eine Spendenquittung aus, die dem Verkaufswert frischer Ware entspricht.