Die richtige Anrede ist manchmal eine schwierige Angelegenheit, denn man möchte ja niemand vor den Kopf stoßen.
Da hats die Lufthansa im Kundenkontakt sehr einfach, der Kunde hat die richtige Anrede schon selbst angegeben. Im B2B-Verkehr kommt es aber regelmäßig vor, daß eine bislang unbekannte Person mails sendet auf die man antworten sollte.
Oft kann man unbekannte ausländische Vornamen über eine kurze Google-Suche dem Geschlecht zuordnen, in einigen Fällen ergibt sich keine Eindeutigkeit.
Ein allen bekanntes Beispiel: Andrea, der italienische Männername.
Wenn mir Andrea Calabrese schreibt, dann kann das auch eine geb. Müller sein.
Fettnäpfchen umschifft man dann durch Neutralität, also ein "Hallo" oder "Guten Tag". Das ist aber manchmal zu salopp und kann dann nur durch ein Telefonat geklärt werden.
Die Notwendigkeit, sich über das Geschlecht der Person, mit der man kommuniziert, im Klaren sein zu müssen, um sprachlich nicht in ein Fettnäpfchen zu treten, nervt mich persönlich auch. Ich suche daher häufig nach Möglichkeiten der geschlechtsneutralen Anrede.
Ein ähnliches Problem habe ich, wenn ich im Alltag von meinem Ehemann spreche, aber bei einem Erstkontakt vielleicht nicht direkt darauf hinweisen möchte, dass ich homosexuell bin. Ich verwende daher oft Bezeichnungen wie "mein Schatz" oder "meine bessere Hälfte", aber spätestens wenn mein Gegenüber dann von meiner Frau spricht, fühle ich mich genötigt, zu korrigieren, auch wenn ich nicht die Notwendigkeit sah, über meine sexuelle Orientierung Transparenz herstellen zu müssen.
Da es in den meisten Situation ja gar nicht erforderlich ist, über das Geschlecht einer Person Bescheid wissen zu müssen, würde ich mir wünschen, wenn unsere Sprache einfach nicht permanent die Unterscheidung in männlich und weiblich erfordern würde. Insofern wäre mir persönlich eine genderlose Sprache lieber als diese aus meiner Sicht holprigen Konstrukte wie Flugbegleiter*innen, aber so leicht findet man wohl keine Form, die nicht wahlweise als männlich oder weiblich interpretiert werden würde.
Genau aus diesen Gründen finde ich die neue geschlechtsneutrale Ansprache der Lufthansa gut.
Es hätte mich aber ebenso wie wohl die meisten Passagiere tatsächlich auch nicht gestört, wenn die alte Begrüßung der Damen und Herren geblieben wäre. Das Gros der Transsexuellen wäre meiner Einschätzung nach übrigens auch mit "Damen und Herren" weiterhin einverstanden gewesen, denn ein Transsexueller fühlt sich (zumindest nach seiner / ihrer (Warum gibt es eigentlich kein generisches Wort, das gleichzeitig für "seiner" und "ihrer" steht?) Transition) eindeutig als Frau oder Mann, so zumindest die drei Transsexuellen aus meinem Freundes- und Familienkreis. Und auch wenn ich selbst für Minderheitenschutz bin, wäre ich der Meinung, dass der verschwindend geringe Anteil an Menschen ohne eindeutigem Geschlecht sich mit "Damen und Herren" hätte weiterhin arrangieren können.
Für mich nehme ich daher die neue Begrüßung der Lufthansa weniger als "Genderwahnsinn" oder "von oben aufgezwungene LGBTQ-Agenda" wahr sondern mehr als eine moderne Form der Begrüßung, die bewusst auf die Unterscheidung der Menschheit bzw. der Passagiere in männliche und weibliche Personen verzichtet.
Insofern wundere ich mich schon über die ein oder andere sehr extreme Reaktion hier. Aber vielleicht wünscht sich hier ja so mancher auch die Unterscheidung zwischen Frau und Fräulein zurück?