Nicht Betrug, aber ist das wirklich nicht strafbar?

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Airsicknessbag

Erfahrenes Mitglied
11.01.2010
19.865
11.024
Sehr bedenkliche Aussage. Zum einen inhaltlich: Gerichte erheben Gebuehren - wer die zahlt, kann seine Prozesse so fuehren, wie er will. Das hat etwas mit rechtlichem Gehoer zu tun, hat also Verfassungsrang. Und zum anderen hat sich die Judikative aus den Angelegenheiten der Legislative rauszuhalten. Wenn umgekehrt ein Politiker den Richtern riete, doch gefaelligst etwas schneller zu arbeiten, verbaeten diese sich das auch zu Recht.

Sollen doch froh sein, auf die Weise gibt's viele neue Stellen - die auch dann noch da sind, wenn der Schweinezyklus wieder nach unten zeigt.
 
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Berlin_Lawyer

Erfahrenes Mitglied
10.10.2017
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Berlin
Jetzt hauen die Richter in die gleiche Kerbe und fordern den Gesetzgeber auf zahlungsunwillige Fluggesellschaften finanziell empfindlich zu treffen. Zivilrechtlich natürlich.

https://www.tagesschau.de/wirtschaft/fluglinien-klagen-101.html

Ich finde die hier getroffenen Aussagen etwas wohlfeil.

Tatsächlich denke ich auch, dass an einzelnen Amtsgerichten die Flut der fluggastrechtlichen Verfahren eine Schwierigkeit darstellt. Nur: Ein allgemeines Problem ist das halt nicht. In der Gesamtheit ändern auch Fluggastklagen nichts daran, dass (bundesweit) seit Jahren die Anzahl von erstinstanzlichen Zivilsachen stark rückläufig ist. Im Jahr 1995 hatte man noch 2.170.255 Eingänge, dann ging es kontinuierlich bergab und zehn Jahre später (2015) waren es noch 1.423.489. Man kann diese Zahlen in jede Richtung drehen und wenden, aber eine grundsätzlich steigende Arbeitsbelastung der Zivilgerichtsbarkeit lässt sich wohl kaum behaupten. Das soll nicht den Einzelfall (AG FFM etc) relativieren, aber man darf auch nicht den Anschein erwecken, als hätten wir hier ein Problem, das sich mit vorhandenen Mitteln und Ressourcen nicht lösen ließe.

Außerdem ist nicht zu vergessen, dass die weit überwiegende Mehrheit der deutschen Amtsgerichte niemals fluggastrechtliche Fälle zu Gesicht bekommt. Die landen praktisch alle in denjenigen Amtsgerichtsbezirken, in denen entweder ein Verkehrsflughafen liegt (deshalb das genannte AG Königs Wusterhausen für SXF) oder eine Fluggesellschaft ihren Sitz hat (mit der Insolvenz von AirBerlin und Germania hat sich das Thema Fluggastrechte am AG Charlottenburg praktisch erledigt). Mit anderen Worten: Wir reden hier über eine Handvoll (überlasteter) Gerichte, während in den meisten Teilen des Landes (Schleswig-Holstein, MeckPomm, Sachsen-Anhalt, Nordhessen) kein Richter jemals über das Vorliegen "außergewöhnlicher Umstände" hat nachdenken müssen.

Am Ende werfen die Aussagen des Amtsgerichtsdirektors doch das Licht auf eine ganz andere Problematik: nämlich darauf, dass man in der Justiz immer noch unterwegs ist wie zu Zeiten der ZPO Anfangsjahre (um 1900). Er bemängelt fehlende "Aktendeckel" und hohe weil "rund 150.000 Euro Portokosten". Vielleicht kann man sich mal perspektivisch daran machen, diesen bürokratischen Aufwand einzudämmen und in der Gegenwart anzukommen (Stichwort: e-Akte) oder bei Small Claims den Weg anderer Rechtsordnungen zu wählen und auf den Papierkrieg (Klage, beglaubigte Abschrift, einfache Abschrift und und und) zu verzichten. Ein paar intelligentere Lösungsvorschläge (zentrale Zuständigkeit wie bei Mahnverfahren?) als irgendwelche Sanktionsvorschriften in den Raum zu werfen, würde ich mir schon wünschen.
 
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schlauberger

Erfahrenes Mitglied
17.02.2013
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Am Ende werfen die Aussagen des Amtsgerichtsdirektors doch das Licht auf eine ganz andere Problematik: nämlich darauf, dass man in der Justiz immer noch unterwegs ist wie zu Zeiten der ZPO Anfangsjahre (um 1900). Er bemängelt fehlende "Aktendeckel" und hohe weil "rund 150.000 Euro Portokosten". Vielleicht kann man sich mal perspektivisch daran machen, diesen bürokratischen Aufwand einzudämmen und in der Gegenwart anzukommen (Stichwort: e-Akte) oder bei Small Claims den Weg anderer Rechtsordnungen zu wählen und auf den Papierkrieg (Klage, beglaubigte Abschrift, einfache Abschrift und und und) zu verzichten. Ein paar intelligentere Lösungsvorschläge (zentrale Zuständigkeit wie bei Mahnverfahren?) als irgendwelche Sanktionsvorschriften in den Raum zu werfen, würde ich mir schon wünschen.

Das wiederum finde ich etwas wohlfeil. Du weißt nämlich genau, dass - über die Geschwindigkeit kann man sicherlich streiten - die Umwandlung vom analogen ins digitale bereits bei allen Gerichten auf dem Weg ist und in den nächsten Jahren die Regel sein wird.

Und wenn sich ein Richter mit der gebotenen Zurückhaltung äußert, man könnte den Eindruck gewinnen, die Zahlungsverweigerung sei ein Geschäftsmodell, dann geht das nach wie vor in Richtung gewerblichen Betruges. Wobei ich das im Beispiel Ryanair natürlich auch verneinen würde, wenn sie schlicht gar nicht reagieren und dann nach Zustellung zahlen. Und sicherlich kommt es auf den Wortlaut der Ablehnung an und wir müssen Tatsachen und Rechtsansichten auseinanderhalten, aber eine - beispielhafte - Aussage, ein technischer Defekt sei ein unvorhersehbares Ereignis, deshalb müsse man nicht zahlen, halte ich, insbesondere wenn dann nach Zustellung kommentarlos gezahlt wird, für strafrechtlich relevant.
 

Berlin_Lawyer

Erfahrenes Mitglied
10.10.2017
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Berlin
Das wiederum finde ich etwas wohlfeil. Du weißt nämlich genau, dass - über die Geschwindigkeit kann man sicherlich streiten - die Umwandlung vom analogen ins digitale bereits bei allen Gerichten auf dem Weg ist und in den nächsten Jahren die Regel sein wird.
Absolut. Aber "Aktendeckel" und "Portokosten" sind derartig aus der Zeit gefallen, dass der Hinweis erlaubt sein muss. Anstatt sich - da bin ich bei Airsicknessbag - den Kopf der Legislative zu zerbrechen, könnte - und mE sollte - die Justiz einen Zahn zulegen und den Rückstand der letzten ein bis zwei Jahrzehnte aufholen, so dass viel Klag über gegenwärtige Zustände und Bedingungen obsolet würden.
 

Airsicknessbag

Erfahrenes Mitglied
11.01.2010
19.865
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"Aktendeckel" und "Portokosten" sind derartig aus der Zeit gefallen, dass der Hinweis erlaubt sein muss.

Und vor allem sind die durch die von den Parteien entrichteten gerichtlichen Kosten abgedeckt. Man kann den Kuchen nicht essen und behalten - man muss fuer die Gebuehren dann halt auch mal ein paar Aktendeckel und Briefmarken kaufen.
 

Flying Lawyer

Erfahrenes Mitglied
09.03.2009
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Und vor allem sind die durch die von den Parteien entrichteten gerichtlichen Kosten abgedeckt. Man kann den Kuchen nicht essen und behalten - man muss fuer die Gebuehren dann halt auch mal ein paar Aktendeckel und Briefmarken kaufen.

Das Problem ist natürlich, dass das in der Landeskasse in Potsdam verschwindet und für die Justiz schlichtweg nicht genug budgetiert ist. Und wenn sich die Herren Richter über das BeA Gedanken machen würden, hätten sie auch keine Portokosten mehr :). Obwohl - ich wundere mich gerade - die paar Sachen die ich von Amts- und Landgerichten aus NRW bekommen, kommen meistens per Fax, also auch kein Porto.
 
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Seemann

Erfahrenes Mitglied
23.03.2010
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MUC
Ich beziehe mich auf die Angelegenheit im offiziellen LH Thread, LH verkauft dem Kunden interkontinentale C auf Strecken, die mit 320 geflogen werden, und dies als Wiederholungstäter.
Schon damals wurde auf das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb verwiesen.
Wenn ich dann in diesem Gesetz den § 16 lese:
(1) Wer in der Absicht, den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen, in öffentlichen Bekanntmachungen oder in Mitteilungen, die für einen größeren Kreis von Personen bestimmt sind, durch unwahre Angaben irreführend wirbt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

empfinde ich als Laie den Tatbestand als erfüllt.