Zur Kirschblüte nach Kyoto

ANZEIGE

Wolke7

Erfahrenes Mitglied
30.08.2010
3.047
468
ANZEIGE
Es ist April geworden. In der nördlichen Hemisphäre zieht langsam der Frühling ein mit seinem frischen Duft und den ausschlagenden Bäumen. Was liegt näher als diese Jahreszeit einmal in den Kirschhainen Kyotos zu verbringen und dabei das japanische Kulturerbe genauer zu betrachten.
Japan steht in diesem Jahr unter dem Eindruck des havarierten Atomkraftwerkes. Viele Touristen haben ihre Reise storniert oder sich gleich für ein anderes Ziel entschieden; dabei indiziert eine sorgfältige Risikoanalyse nur eine geringe Gefahr für die Regionen südlich und westlich Tokyos. Tatsächlich spielt eine potentielle radioaktive Vergiftung von Atemluft, Lebensmitteln oder Trinkwasser überhaupt keine Rolle. Was sich als echtes Desaster für die Reisebranche in Japan entpuppt, bringt dem unentwegten Reisenden eine genußvolle Visite der schönsten Plätze Kyotos.
Schon die Ankunft am Osaka-Airport KIX gestaltet sich sehr übersichtlich. Außer dem LH-Flug aus FRA, der auch noch auf einen A343 downgegradet wurde, kommt zeitgleich kein anderer Flug an; die Immigration läuft fast wie von selbst, das Gepäck läuft bereits am Band und die Beamt/innen sind allesamt ausgesucht freundlich. So geht es weiter bei der Zugfahrt mit dem Haruka-Express zur Kyoto Station: ein Schnellzug mit bequemen Sitzen, ausreichend Gepäckablagen und nur zwei Stops bis Kyoto.
Jetzt kann es also losgehen mit der Erkundung einer Stadt, in der etwa 20% aller japanischen Kulturerbestätten liegen, die über 1.000 Jahre lang Hauptstadt eines Kaiserreiches war, die nach Meinung der Geomanten auf unübertrefflich günstigem Grund errichtet ist, die nach dem Vorbild der prosperierenden chinesischen Metropole Chang'An geschaffen wurde und die mit ihrem Charme Generationen von Japaner/innen aller sozialen Schichten verzaubert (hat).
In den 1850ern und 60ern, nachdem die kaiserliche Familie längst nach Tokyo umgezogen war, verheerten einige Brände weite Stadtteile; auch historische Bausubstanz ging dabei verloren. Zwar wurden Tempel und Paläste wieder aufgebaut, doch den ursprünglichen Charme konnten und wollten die Zeitgenossen nicht wieder herstellen. Auch heute noch besucht der neugierige Reisende die verklärte Vorstellung des alten Glanzes einer goldenen Epoche.

Kaum zu glauben: der Toji-Tempel stand einmal außerhalb der Stadtmauer als ein Ort von Friedenszeremonien und Gebeten für die Sicherheit des ganzen Reiches. Schon von Weitem ist die fünfstöckige Pagode aus 1644 mit ihrer nadelartigen Spitze sichtbar; mit 55 m das höchste Holzgebäude Kyotos. Auf dem ehemaligen Klostergelände stehen noch zwei große Gebetshallen und ein gestalteter Landschaftsgarten mit einem Tümpel und vor allem in voller Blüte stehender Kirschbäume. Es wirkt, als ragten die Gebäude aus einem weißen und rosefarbenen Meer an Blüten heraus. In den Gebetshallen präsentieren sich einige Buddha-Statuen und Abbildungen verschiedener Heiliger, die bis ins 13. Jahrhundert zurückreichen. Na ja, eigentlich könnte mal jemand zumindest den gröbsten Staub entfernen...
Der Garten ist als Meditationsgarten angelegt, d.h. als Besucher läßt man sich unter den Bäumen nieder und genießt die Blütenpracht, schaut dem plätschernden Wasser zu und denkt über die Welt nach: so lange es am Schönsten ist, soll und darf man sich den Gefühlen hingeben, mit allen Sinnen genießen. Doch schon nach kurzer Zeit wird die Kurzlebigkeit des Augenblicks offenbar, das strahlende Weiß erhält Flecke und verblaßt schließlich im Lauf der Vergänglichkeit. Doch in Bälde, wenn das Erlebte nur noch in schwacher Erinnerung auftaucht, wird sich der Kreis mit unbändiger Energie schließen, einen neuen Höhepunkt natürlicher Energie im Zyklus des Werdens und Vergehens hervorbringen. Auch dann wird die harmonische Ästhetik den leidenschaftlichen Augenblick bestimmen – gleich und doch anders.
JapA84KyotoToji.jpg JapA75KyotoToji.jpg JapA70KyotoToji.jpg JapA79KyotoToji.jpg
Auch eine junge Mutter genießt mit ihrem Nachwuchs die Atmosphäre und den Sonnenschein.
Kyoto war auch das religiöse Zentrum Japans. Die Vielzahl der Tempel bezeugt eine reiche spirituelle Kultur, aber auch den klösterlichen Drang, sich im Dunstkreis der Macht zu bewegen, ja gar manchmal direkt nach ihr zu greifen. Ein besonders reiches Beispiel für hochwertige Architektur innen wie außen bietet der Nishi-Hongan-Ji, ein Kloster, das gerade seinen 750. Geburtstag feiert, jedoch erst in den 1590ern nach Kyoto umgezogen ist. Heute werden für die gemeinsamen Gebete die modernen Hallen aus dem 19. und 20. Jahrhundert genutzt, doch die historischen Gebäude stehen zur Besichtigung offen. An diesem Freitag drängeln sich Hunderte von Pilgern auf dem Gelände; am frühen Nachmittag soll die größte Zeremonie stattfinden, und zuvor möchten die meisten Gruppen natürlich einen Blick auf das alte Kloster erhaschen. Fast als einziger westlicher Gast reihe ich mich in die Schlangen ein und erhalte sogar ein englischsprachiges Leaflet mit kurzen Erklärungen der kunstvollen Wandbemalungen; dort sind vorwiegend kräftige Landschaftsszenen und Tierdarstellungen zu sehen, allesamt in schwarzer Tusche gezeichnet, die bei den halbtransparenten Wänden kreative Schattenbilder ergeben. Das Leaflet erklärt dazu, daß es sich bei den Räumen um die Abtswohnung handelt, die im Stil der späten Momoyama-Zeit (1. Hälfte des 17. Jahrhunderts) von den besten Künstlern der Kano-Schule geschaffen wurden. Einem Neuling der japanischen Kulturgeschichte sagen diese Informationen natürlich nicht so viel, doch erhoffe ich mir einige Verknüpfungen, so daß am Reiseende ein dezidierteres Bild entstanden ist. Von der Klostermauer ist noch ein Schmucktor mit dem Namen 'Sonnenuntergangstor' erhalten und in kräftigen Farben restauriert. Es markiert den südlichen Zugang für Prozessionen, hat also mit dem Sonnenuntergang nur insofern etwas zu tun, als es so schön mit Schnitzereien aus der chinesischen Mythologie gestaltet ist, daß man darüber den Sonnenuntergang völlig vergißt. Ein kleiner Garten, der 'Garten des Tigertals', bietet Gelegenheit zu einem Spaziergang durch eine künstliche Wasserlandschaft hin zu einem Teehaus.
JapA92KyotoNishiHonganji.jpg JapA96KyotoNishiHonganji.jpg
Der eigentliche Klostergarten befindet sich jedoch zwei Straßen weiter östlich. Der Kaiser hat dem Abt 1653 ein Gelände mit der Auflage, dort einen typisch japanischen Landschaftsgarten anzulegen, geschenkt. Der Garten ist so konstruiert, daß der Besucher beim Umwandeln 13 verschiedene Landschaften erlebt – und genau das auch tun soll, um die Vielfalt tatsächlich erkennen zu können. Jede Wegbiegung bietet neue Blicke auf künstliche Hügel, künstliche Teiche, verschiedene Felsen und natürlich exakt gepflanzte und beschnittene Bäume. Zwei Teehäuser auf den Inseln ermöglichen das zwanglose Betrachten dieser geistreichen Gartenarchitektur. Je nach Sitzordnung verschiebt sich der Fokus der prominent hervorgehobenen Landschaften.
JapB19KyotoShoseien.jpg JapB15KyotoShoseien.jpg
JapB07KyotoBahnhof.jpg
Im Zentrum Kyotos lag und liegt der kaiserliche Park mit dem Gosho-Palast im Zentrum. Hier treffen sich Freizeitsportler zum Joggen, Spaziergänger mit Hunden, Kindergruppen zum Spielen und Familien zum Picknicken. Doch das Herz bleibt für (fast) alle Besucher verschlossen. Wie eine Verbotene Stadt sind die historischen Gebäude von einer hohen Mauer umgeben, zu denen in der Vergangenheit nur die Minister, die Höflinge und die kaiserliche Familie Zutritt besaßen. Moderne Besucher müssen sich bei der Kaiserlichen Verwaltung einen Permit zu einer der wenigen Touren besorgen. Die Palastanlage entspricht den strengsten Hierarchien einer geschichteten Gesellschaft: selbst die kaiserliche Familie hat nur Zutritt zu den ihnen gewidmeten Gebäuden. Lediglich zum Neujahrsempfang hat die kaiserliche Familie oft bei eisiger Kälte die Huldigungen des Hofstaates entgegen genommen. Das ganze Ensemble macht eher den Eindruck eines goldenen Käfigs als den eines Ortes patriarchalischer Machtentfaltung.
JapB47KyotoGoshoPalast.jpg
 

Wolke7

Erfahrenes Mitglied
30.08.2010
3.047
468
zur Kirschblüte nach Kyoto

Benachbart liegt der Sento-Palast mit einem japanischen Landschaftsgarten, wie er schon zum Nishi-Hongan-Ji gehörte. In diesem ebenfalls ummauerten Areal hat nach der Übergabe des Kaiseramtes der pensionierte Tenno bzw. die hinterbliebene Familie gelebt. Der Garten imponiert durch die starke Ausdruckskraft der Landschaften: hohe Bäume repräsentieren Berge, Teiche das Meer, Kiesel eine Felsenküste, Grasflächen fruchtbare Ebenen, usw. Hier wurde gar nicht erst der Versuch zum Kaschieren der Künstlichkeit unternommen; alles, ja buchstäblich alles ist nicht nur von Menschenhand geschaffen, es sieht auch so aus. Selbst die natürlichen Berge im Hintergrund sind durch die hochgewachsenen Bäume verdeckt.
JapB61KyotoSentoPalast.jpg JapB49KyotoSentoPalast.jpg
Der Shokoku Ji gilt als einer der bedeutendsten Tempel Kyotos wegen der Malertradition, die in diesem Kloster zur höchsten Vollendung betrieben wurde. Die Mönche versenken sich in einen meditativen Zustand, rühren auf einem Stein die Tusche an und übertragen ihre gesamte Kraft auf das handgeschöpfte Papier. Im Museum sind die Arbeiten vieler Generationen zu sehen: Phönixe, Landschaften und Kalligraphien. Auffällig sind die permanent wiederholten Motive, so als ob es eine begrenzte Anzahl von Objekten gäbe, und die Mönche während ihrer Meditationen ein Idealbild des Objekts auf das Papier zu übertragen versuchten, jedoch immer wieder an der menschlichen Unvollkommenheit scheiterten.
Einen völlig anderen Charakter hat der Shimogamo Jinja, ein Tempel, der auf einer Landspitze liegt, die durch den Zusammenfluß zweier Flüsse gebildet ist. Am Ende eines Wäldchens liegt verwunschen das Heiligtum. Auf dem Pilgerweg dorthin plätschern zwei künstliche Rinnsale rechts und links des Weges. Angekommen kann man auf hölzerne Täfelchen seine Wünsche schreiben. Schon kurios, was sich manche Zeitgenossen so alles wünschen...
JapB84KyotoShimogamojinja.jpg JapB87KyotoShimogamojinja.jpg
Dieser Tempel ist so ganz anders als die übrigen in Kyoto: Das Wäldchen strahlt noch Urwüchsigkeit aus, und die Gebetshalle liegt fast versteckt unter den hohen Bäumen. Dennoch steht der Tempel auf der Weltkulturerbeliste. Ist es die Geomantik, sind es die antiken Wasserläufe oder ist es die Rolle als Pilgerziel, die diesen Tempel auszeichnet? Für mich bleibt diese Frage ein offenes Rätsel?
An diesem Dienstag verirrt sich kein Mensch zum Daihoon Ji, obwohl der Tempel einen unschätzbaren Reichtum darstellt: die Gebetshalle ist das älteste Gebäude Kyotos. Erbaut in 1227 im Stil der Kamakura-Zeit. Auffällig ist das weit vorgezogene Dach der Mitteltreppe, unter dem die Gläubigen ihre Gebete sprechen sollen; ein weiteres Vordringen in das Allerheiligste war und ist ihnen verwehrt. Leider ist das Innere abgedunkelt, so daß weder die Deckenbemalung noch die sitzende Buddha-Schüler-Skulptur zu sehen ist. Auf dem Gelände arbeitet ein Gärtner, sonst ist meine Wenigkeit der einzige Besucher. Dieser Tempel war bestimmt einmal am Stadtrand ein vielbesuchter heiliger Ort, doch heute liegt dieses Juwel versteckt in einem Wohngebiet, geradezu zugebaut von den modernen Gebäuden der Seitenstraßen.
Nur einen Steinwurf entfernt finden die Reisebusse mit Schulklassen kaum einen Parkplatz. Der Kitano Tenmangu Schrein geht auf eine Legende aus den Anfangsjahren Kyotos zurück. Bei der Planung und der Ausführung der neuen Hauptstadt ist einiges schief gelaufen. Zum Sündenbock für alle Fehlleistungen wurde der Gelehrte Sugawara Michizane stigmatisiert. Die Bewohner haben ihm das Leben völlig zu Unrecht so schwer gemacht, daß er schließlich entehrt und mit Häme die Stadt verlassen hat, nicht ohne die Bewohner der schlimmsten Verleumdungen zu beschuldigen. Nach seinem Tod wurde Kyoto von einigen Katastrophen heimgesucht, in denen die Bewohner die Rache des in Schimpf und Schande verjagten Michizanes sahen. Zur Reue für ihre Ungerechtigkeiten stifteten sie 845 den Schrein und baten den Gelehrten um Vergebung. Sogar der Kaiser verlieh Michizane den Beinamen 'Gott des Donners'. Offenbar wirkt die reumütige Verehrung noch bis in die Gegenwart. Abgesehen von Feuersbrünsten und Erdbeben blieb Kyoto von Zerstörungen durch Kriege verschont, was den Erhalt der vielen in Holzbauweise errichteten Gebäude ermöglicht.
Herausragend sind die Trennung der Gebetshalle vom Heiligtum und die Verbindung beider durch ein quergestelltes Satteldach. Dadurch erhält der heilige Raum eine noch prominentere Bedeutung, die durch den Innenhof vor der Gebetshalle noch weiter erhöht ist. Die Stützpfeiler sind mit kunstvollen Schnitzereien in kräftigen Farben geschmückt. Wie an den chinesischen Schmucktoren sind auch hier Fabelwesen, Pflanzen und menschliche Szenen dargestellt. Im Innenhof hat sich eine lange Schlange von Jugendlichen in Schuluniformen gebildet. Sie alle möchten dem Donnergott eine Spende darbringen und erwarten selbstverständlich im Gegenzug eine Glücksgabe des Verehrten.
JapC05KyotoKitanoTenmangu.jpg JapC14KyotoKitanoTenmangu.jpg JapC17KyotoKitanoTenmangu.jpg
Vor ungefähr 500 Jahren hat sich in Japan eine militärische Revolution ereignet. Einige Generäle haben als Shogune die Macht an sich gerissen und dem Kaiser eine lediglich repräsentative Rolle zugewiesen. Besonders der Shogun Tokugawa Ieyasu hat sich durch erfolgreiche Truppenführung und durch diplomatisches Geschick ausgezeichnet, was ihm eine weitere Festigung seiner Militärregierung einbrachte. Als sichtbares Zeichen seiner Macht hat er im Dunstkreis des Kaiserpalastes 1603 einen eigenen Nijo Palast errichtet, der eines der in Japan seltenen Beispiele für Machtarchitektur darstellt und gleichzeitig an künstlerischer Gestaltung der Innenräume und des Gartens keine Wünsche offen läßt. Allerdings wurde der Palast nur von drei Shogunen genutzt – und vom letzten, der 1868 hier abdankte und Japan die Rückkehr in eine Zivilgesellschaft ermöglichte.
Die Wände und Schiebetüren sind mit Werken der Kano Schule bemalt. Sie zeigen Naturdarstellungen, die ihrem Ansehen nach die soziale Hierarchie der Shogunate spiegelten: Im Thronsaal zeigen Pfaue ihre Pracht, in den übrigen Empfangsräumen sind Kraniche, stilisierte Pinien und Kiefern sowie Singvögel zu sehen. Die Räume der Leibwache und des Waffenarsenals sind mit Greifvögeln geschmückt. Selbst ein unkundiger Besucher wie meine Wenigkeit kann sich anhand der Wandmalereien einfach in der Hierarchie zurechtfinden. Ein besonderes Augenmerk verdienen die Schnitzereien der Oberlichter im Innern des Palastes. Vermutlich dienten sie einer besseren Luftzirkulation, sie könnten jedoch auch als versteckte Abhöröffnungen funktioniert haben. Bemerkenswert ist die Dreiteilung: in der Mitte sorgt ein schlichtes Holzgitter für die Stabilität, jeweils davor und dahinter sind die den Wandmalereien korrespondierenden Schnitzarbeiten zu sehen, die mindestens ebenso kunstvoll den Charakter des Raumes hervorheben.
JapC24KyotoNijojo.jpg JapC22KyotoNijojo.jpg
Der Garten ist ein Musterbeispiel für einen ganzjährig blühenden Garten. Tatsächlich hat der Gartenarchitekt des 17. Jahrhunderts nicht nur künstliche Teiche und Wasserläufe angelegt, sondern besonderen Wert auf die Farbästhetik gelegt. Jetzt im April geht die Kirschblüte in zarten Farben in das Austreiben einer Ahornart in leuchtendes Grün über. Man spürt geradezu wie die weibliche Anmut die männlichen Lebensgeister zu neuer Energie verführt.
 

Wolke7

Erfahrenes Mitglied
30.08.2010
3.047
468
zur Kirschblüte nach Kyoto

Im Südosten Kyotos liegen der Sennyu-ji und Tofuku-ji. Der erste liegt abseits der Straßen in einem Wald und ist umgeben von einigen weiteren Gebetshallen. Die kaiserliche Familie hat schon früh den Wunsch nach einem Refugium jenseits des politischen Zentrums verspürt, und so ist der Sennyu-ji außerhalb der Stadt entstanden. Ursprünglich wurden hier nur die verstorbenen Familienmitglieder beigesetzt, daher auch der Name Tempel. Das heutige Gebäude stammt aus der Edo-Zeit (1668); es beherbergt auf dem Hauptaltar eine Holzstatue, die in den 1250ern aus China mitgebracht sein soll und so geheim war, daß sie für Jahrhunderte unter Verschluß geblieben ist. Der eigentliche Höhepunkt ist der Gozasho, eine Kaiserresidenz aus dem 19. Jahrhundert. Hierhin konnte sich die Familie zurückziehen, wenn sie private Feste feiern wollte; und wenn eine Dame ungestört entbinden wollte. Selbstverständlich hat auch hier der angesehenste Künstler Japans, Ukita Ikkei, gearbeitet und die Innenräume gestaltet. Unaufdringlich dekorieren die kleinteiligen Motive in gedämpften Farben die Räume, geben aber den Eindruck als könnte sich die Enge in der Weite verlieren.
Der Tofuku-Ji gehört wieder zum Standardprogramm jedes Schulausfluges. Es ist eine altehrwürdige Klosteranlage mit mehreren Gebetshallen, Ausstellungsräumen, Mönchszellen und einem Trakt für den Abt. Die Haupthalle ist ein zweigeschossiges 'Tor' auf mächtigen Pfeilern. Der Gebetsraum befindet sich im Obergeschoß; an drei Seiten reihen sich Rakan-Holzstatuen aus dem frühen 11. Jahrhundert aneinander, in der Mitte ist der Shaka-nyorai prominent hervorgehoben. Die Augen bestehen aus funkelnden Kristallen, die selbst in dem Halbdunkel noch leuchten. Die Wandbilder geben der Szenerie den Charakter einer Versammlung von entrückten Persönlichkeiten; sie stammen aus der Zeit um 1400.
Die Abtswohnung ist wie die Mönchszellen schlicht gehalten; sie ist jedoch von verschiedenen Trockengärten umgeben: Felsen reihen sich aneinander und sind von hellem bzw. rötlichem Kies in Wellenmuster umgeben. Dieses wiederholte Auf und Ab soll die chinesischen Karstberge abbilden, aber auch das Auf und Ab der menschlichen Gefühle im Herzen darstellen. Die Gartenrückseite zeigt ein Schachbrettmuster von eckig geschnittenen Büschen und quadratischem Kiesbett. Sie sollen das Prinzip der Landverteilung in Japan verdeutlichen. Schließlich zeigt ein Garten mit Bonsais wie der Mensch die wilde Natur zähmen kann. Die Mini-Bäume sind bestimmt schon mehrere hundert Jahre alt und werden jährlich kunstvoll beschnitten. Hier haben sich die Mönche großes Expertenwissen angeeignet und 'übergeben' ihre Bonsai von einer Generation an die nächste.
JapC57KyotoTofukuji.jpg JapC59KyotoTofukuji.jpg JapC64KyotoTofukuji.jpg
Der abgeschiedene Bereich, wo sich keine Schulklassen mehr hin verirren, ist über eine Schlucht zu erreichen. Unten plätschert ein Bach und an den Hängen wachsen jene Ahornarten, die bereits den Charakter des Parks im Nijo-Palast bestimmt haben. Gerade sind sie ausgeschlagen und tauchen die Schlucht in ein fast schon surreales Grün, das zu dem braun der Gebäude und dem weißgrau des wolkenverhangenen Himmels stark kontrastiert. Dazu kommt der monotone Gesang des Mittagsgebets aus der benachbarten Halle, der langsam leiser wird und schließlich ganz verstummt.
Ja, leider ist die Zeit schon wieder abgelaufen. Zu Beginn war mein gesundheitliches Wohlbefinden stark angeschlagen, so daß ich mehrere Tage im Bett verbringen mußte. Doch das frühlingshafte Wetter und das Erwachen des natürlichen Jahreszyklus haben das Ihre getan, um mich wieder auf die Beine zu bringen. Als neugieriger Reisender konnte ich nur an der Oberfläche allen Sehenswerten in Kyoto kratzen. Doch eines ist gewiß: Meine Wenigkeit wird wieder einmal den Frühling in Kyoto und Umgebung verbringen.

Rückflug
Vom Kansai Airport (KIX) steht mir ein zwölfstündiger Flug nach Frankfurt bevor. CheckIn, Security und Immigration laufen sehr entspannt ab. Um diese Zeit (zwischen 7 und 8 Uhr morgens) ist fast nichts los; der Flugbetrieb beginnt ohnehin nicht vor 9 Uhr. Die Aska Lounge liegt direkt gegenüber des LH-Abfluggates und bietet eine gedämpfte Atmosphäre mit PC-Arbeitsecke, allerdings keinen ausreichend beleuchteten Lesebereich, dafür freien WLAN-Zugang. Die Getränkeauswahl ist großzügig bemessen, das Speisenangebot beschränkt sich auf Knabbereien und süßes Kleingebäck.
Japz04.jpg Japz02.jpg Japz01.jpg
Wie schon beim Hinflug ist das Fluggerät auf einen Airbus 343 downgegradet; das soll mich jedoch nicht stören, da die F mit 4/8 zur Hälfte belegt ist (Hinflug 1/8) und der Purser mit seiner Crew einen engagierten Service und sympathische Gespräche unterwegs anbietet. Weitere Berichte im VFT zur LH First hieße wohl Eulen nach Athen zu tragen. Deshalb hier nur ein Statement zum Bordessen. Fast wie selbstverständlich entscheiden sich alle 4 Paxe für das sofortige Essen nach dem Start; westliche und japanische Spezialitäten stehen zur Auswahl. Meine Wenigkeit entscheidet sich für einen Mix aus beidem. Hoffentlich waren meine Augen da nicht größer als der hungrige Magen; am Ende blieb von dem leckeren Menu nichts übrig. Zu meiner Überraschung gab es kurz vor der Landung noch ein zweites warmes Hauptgericht. Insgesamt hätte ich mir eher ein auskömmliches Frühstück und ein kräftiges Mittagessen in dieser Reihenfolge gewünscht.
Japz06.jpg Japz07.jpg Japz05.jpg
Hoppla, da ist doch tatsächlich ein blinder Passagier an Bord...!
Japz08.jpg
 

Farscape

Erfahrenes Mitglied
24.09.2010
6.973
6
Wien
Im Toji-Tempel waren wir auch, den großen Koi im Teich hätte ich den ganzen Tag zusehen können.
Bemerkenswert waren die Holzstatuen die sehr gut erhalten waren dafür dass sie einen Brand überstanden haben.

Der Kaisergarten und das Permit,
Sehr sehenswert und dazu auch noch kostenlos, manchmal sind die besten Dinge gratis; super.

Empfehle dir die Schreine und Tempel von Nikko. Jeder Holzbalken trägt eine andere Farbe, das ergibt ein bezauberndes Farbenspiel.
Weiter geht es dann über eine Mautstraße und dem Bus zu einem Bergsee und vereinzelte Onsen entlang der Strecke.
Einer der Privatbahnen bieten Ausflugspakete an, Zug Tokyo-Nikko retour inkl 1000¥ Eintritte um 2600¥

Sehr guter Reisebericht, liest sich sehr unterhaltsam. :)


Sent from my iPhone 3G (ohne S)
 
Zuletzt bearbeitet:
  • Like
Reaktionen: Wolke7

Toconaur

Erfahrenes Mitglied
08.02.2010
4.530
0
in Quarantäne
Schöner Bericht, erinnert mich an meine letzte Reise nach Japan vor ein paar Monaten :)

Wolke7 meinte:
Schon die Ankunft am Osaka-Airport KIX gestaltet sich sehr übersichtlich. Außer dem LH-Flug aus FRA, der auch noch auf einen A343 downgegradet wurde, kommt zeitgleich kein anderer Flug an; die Immigration läuft fast wie von selbst, das Gepäck läuft bereits am Band und die Beamt/innen sind allesamt ausgesucht freundlich.

Zeitgleich nicht unbedingt, doch etwa zur gleichen Zeit kamen bei mir im Januar die Finnen (AY) an, was dafür sorgte, dass es bei der Immigration doch ganz schön voll war. Insgesamt kommen quasi alle Flieger aus Europa (LH, AY, KL, AF, AZ ...) zwischen etwa 8 und 10 Uhr morgens in KIX an. Die Damen & Herren an den Schaltern sich jedoch sehr effektiv und so kommt man im Grunde trotz großen Andrangs gut durch.
 
  • Like
Reaktionen: Wolke7

Wolke7

Erfahrenes Mitglied
30.08.2010
3.047
468
Empfehle dir die Schreine und Tempel von Nikko. Jeder Holzbalken trägt eine andere Farbe, das ergibt ein bezauberndes Farbenspiel.
Weiter geht es dann über eine Mautstraße und dem Bus zu einem Bergsee und vereinzelte Onsen entlang der Strecke.
Einer der Privatbahnen bieten Ausflugspakete an, Zug Tokyo-Nikko retour inkl 1000¥ Eintritte um 2600¥

)

Hallo Farscape,

vielen Dank für die Tips. Ja, tatsächlich wollte ich mir auch die Umgebung Kyotos ansehen. Leider hat mich eine fiebrige Nervenreizung ein paar Tage stark begrenzt. So hat die Zeit nicht mehr gereicht.
Das war bestimmt nicht mein letzter Besuch in Japan.

Gruß Jens
 

Wolke7

Erfahrenes Mitglied
30.08.2010
3.047
468
Zeitgleich nicht unbedingt, doch etwa zur gleichen Zeit kamen bei mir im Januar die Finnen (AY) an, was dafür sorgte, dass es bei der Immigration doch ganz schön voll war. Insgesamt kommen quasi alle Flieger aus Europa (LH, AY, KL, AF, AZ ...) zwischen etwa 8 und 10 Uhr morgens in KIX an. Die Damen & Herren an den Schaltern sich jedoch sehr effektiv und so kommt man im Grunde trotz großen Andrangs gut durch.

Toconaur,

stimmt. Im Laufe des Morgens kommen sie alle.
Anfang April war zumindest der LH-Flug bei weitem nicht ausgelastet. Das war bei den anderen Airlines bestimmt ähnlich.

Gruß Jens
 

Wolke7

Erfahrenes Mitglied
30.08.2010
3.047
468
Finde ich gut, dass du trotz Fukushima in Japan warst!

Hallo ocm,
Ja, zumindest einmal im Leben wollte ich ein strahlendes Lächeln haben.
Im Ernst: Die Tourismus-Branche in Japan leidet schwer unter den Gerüchten, dem Halbwissen und der latenten Sorge vieler potentiellen Gäste. Dabei ist das Risiko in Osaka und Umgebung sehr gering. Für mich gab es den angenehmen Nebeneffekt, daß die Stadt nicht wie sonst im April überlaufen war.
Gruß Jens