Ahoi nochmal!
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So wie hier um den heissen Brei herumargumentiert wird, drängt es sich eher der Verdacht auf, dass die Kritiker genau richtig liegen.
Heißer Brei?
Der erste Beitrag der sich mit dem Thema beschäftigt ist der von "Zugvogel" und er hat versucht den Ansatz einer Erklärung extrem komplexer Tatsachen zu machen.
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Warum sollte ein polnischer Lotse schlechter sein als ein deutscher Lotse nur weil er weniger verdient? Und wenn du nicht die Lotsen selbst als Beispiel nehmen willst nimm halt den ganzen Apparat. Ohne es jetzt geprüft zu haben gehe ich einfach mal davon aus, dass die Gebühren der polnischen Flugsicherung niedriger sind als die der Deutschen.
Das mag sein oder auch nicht, ich weiß es auch nicht. Wir liegen in Deutschland was die Gehälter in europäischen Flugsicherungen angeht IMHO im Mittelfeld. Nicht oben, aber eben auch nicht unten.
Aber wie auch der Zugvogel schon schrieb: Darum geht es nicht!
Es ist so unendlich schade dass beim Thema Fluglotse immer das Thema "hoher Verdienst" und "Streik" aufkommt (in der DFS wurde quasi noch nie gestreikt!)
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Warum sollten dann "die Polen" nicht auch Teile vom deutschen Luftraum zu niedrigeren Kosten mit übernehmen dürfen? Man mag darüber diskutieren ob das unbedingt erstrebenswert ist, aber was spricht dagegen, ist doch in sehr vielen Branchen üblich. Bestimmte Mindestanforderungen/Arbeitsbedingungen lassen sich ja EU Rechtlich festlegen, sodass die Sicherheit die du hier ansprichst durchaus gewährleistet bleiben kann.
Jeder der bei der Flugsicherung arbeitet wird da natürlich etwas gegen haben. Aber Wettbewerb ist nicht immer etwas schlechtes.
Darum geht es auch nicht wirklich. Du darfst nicht vergessen: Es gibt in Bereichen der Flugsicherung schon lange Wettbewerb - und zwar bei allen Towern die nicht auf internationalen Flughäfen stehen!
Und was die Kontrollzentralen angeht wird es schwierig - rein von der rechtlichen Lage in verschiedenen Ländern.
Die DFS ist ja nicht irgendeine Firma sondern im Endeffekt eine Behörde. Die Firma ist bundeseigen und ist und war noch nie auf Gewinn ausgelegt.
Zuviel eingenommenes Geld wurde / wird stets den Kunden (das sind die Airlines) zurückgegeben in Form von niedrigeren Gebühren - das darf man nicht vergessen!
Es geht ja um die Form. Meiner Ansicht nach (und die hat Bundespräsident Roman Herzog mit seiner verweigerten Unterschrift ja geteilt) darf man derartige Einrichtungen nicht privatisieren!
Polizei, Militär, Flugsicherung, Feuerwehr, usw. sind ganz ureigene Aufgaben des Staates und die gibt man nicht aus der Hand.
Und die Aufgaben der Flugsicherung sind Polizeiaufgaben. Grob ähnlich wie die Wasserschutzploizei auf dem Wasser eben in der Luft. Und es geht um Lufthoheit und die Lenkung von Streitkräften. Wir kontrollieren nämlich Militär und Zivilverkehr, Stichwort Landesverteidigung (auch wenn ich persönlich das nicht so ganz ernst sehe, der Russe kommt glaube ich nicht mehr).
Trotzdem kann man auch meiner Meinung nach die Kontrolle über die Luftwaffe und die Benutzung der Luft nicht irgendwelchen privaten Firmen geben bei denen immer Geldgeber dahinter stehen die ganz gewisse Interessen haben!
Als Negativbeispiel führe ich gerne die Kollegen in England an: Dort wurde die Flugsicherung mal privatisiert. Die neuen Betreiber haben das Ding runtergewirtschaftet und Geld raus gezogen und anschließend musste der Staat das völlig marode Ding wieder übernehmen und sehr sehr viel Geld reinbuttern.
Ein ganz großer und wichtiger Punkt ist ist das Militär!
Die Militärs wollen immer größere Lufträume zum Üben - das verträgt sich nicht mit der zivieln Forderung nach direkteren Routings.
Die Jungs wollen nicht irgendwo über dem Meer üben, sondern mitten in Europa in den sehr dicht beflogenen Gebieten und in der politik haben die offenbar noch genug zu sagen um das Krieg-Spielen ungestört üben zu dürfen.
Und jetzt glaubt hier ja wohl auch keiner dass z.B. die französische Luftwaffe erlauben würde dass ihr Mirage-Fighter beispielsweise von einem Engländer der bei der Deutschen Flugsicherung beschäftigt ist über französischem Gebiet kontrolliert werden. Ganz fernab von den rechtlichen Geschichten dabei - bis grade der Franzose sowas erlaubt vergeht noch viel viel Zeit!
Ich versuche mal die aktuelle Problematik in eigenen Worten zu umschreiben - da ich aber auch nicht 100% im Thema drin bin verzeihe man mir etwaige kleine Fehler oder Ungenauigkeiten.
Keine Flugsicherung wehrt sich gegen europäische Änderungen - ganz im Gegenteil!
Die Flugsicherungen arbeiten mit zahllosen Projekten stets mit großem Engagement an der Verbesserung der gegenseitigen Absprachen um den Kunden immer besseren Service zu bieten, da ging in der Vergangenheit sehr viel und ich führe weiter unten ein paar Beispiele an.
Es gibt offensichtlich gute Lobbyarbeit die aber bei den Routingwünschen schon ins Leere greifen weil schon sehr sehr viel so direkt wie möglich fliegt.
Also geht man an die Kosten und verlangt jetzt dass Gebührenordnungen durchgesetzt werden die völlig fernab jeglicher Realität liegen.
Dies hat folgenden Grund und damit sind wir im Kern des ganzen Problems:
Die Kosten wurden berechnet mit Studien zur zukünftigen Verkehrsentwicklung. Man ging damit von sehr sehr deutlichen Verkehrssteigerungen aus.
Aufgrund dieser Datenbasis hat man dann Gebühren berechenet die sicherlich schwer zu erreichen gewesen wären. Sehr schwer, aber vielleicht nicht ganz unmöglich wenn man langfristig daran arbeitet.
Dann kamen diverse Wirtschaftskrisen und andere einschneidende Geschehnisse die dazu geführt haben dass diese damalige Prognose zum Luftverkehr in keinster Weise zutreffen. Es geht nämlich in den letzten Jahren nicht wirklich nach oben, sondern eher nach unten mit dem Luftverkehr - also ein krasse Gegensatz zur Prognose die zur Berechnung für die Gebühren herangezogen wurde.
Und diese falsche Datenbasis führt nun dazu dass man mit den Gebühren die demnächst eingenommen werden können mit dem aktuellen Verkehr nicht überleben kann. Es führt angeblich dazu dass einige Flugsicherungen von heute auf morgen Pleite wären.
Wichtig: Es wehrt sich hier in Deutschland keiner gegen sinvolle und gut ausgearbeitete europäische Regelungen und noch weiter verbesserte Zusammenarbeit - aber die Grundlagen müssen halbwegs realsitisch sein und der Realität entsprechen!
Genau das wird aber von den zuständigen Europa-Leuten nicht zur Kenntnis genommen. Man hat über alle Ebenen versucht mit den zuständigen Leuten zu Reden. Über die Geschäftsführungen, über die Berufsgenossenschaften und -vereinigungen, über die Gewerkschaften, über die Politik (Verkehrsministerien) und heraus gekommen ist folgendes: Genau nichts.
Noch nicht einemal eine Gesprächsbereitschaft war zu erreichen!
Nachdem alle, aber auch wirklich alle Kommunikationswege ausgeschöpft waren und sich genau NULL Tat (wir reden nicht vom Ergebnis sondern rein von der Gesprächsbereitschaft überhaupt!) kündigte man letzten Herbst als letztes Mittel einen European Actionday an, also Streik auf europäischer Ebene um Aufmerksamkeit zu erregen mit der Hoffnung dass man von außen so viel Druck auf die nicht sprechen wollenden Europakommissare (oder wer da zuständig ist) aufzubauen dass der sich dafür rechtfertigen muss.
Ganz plötzlich (surprise surprise) bot man dann Gesprächsbereitschaft an die sich so aüßerte dass man nochmal etwas Zeit anfragte - man wolle sich mit einem neuen Plan ASAP melden.
In der Hoffnung dass die Gegenseite es ernst meint und sich das nochmal mit aktuellen Zahlen anschaut sagte man also den Streik ab um einige Wochen später mit dem Ergebnis der Bednekzeit konfrontiert zu werden:
Die Bedingungen wurden nochmals verschärft und sind jetzt noch mehr fernab jeglicher Realität, unereichbar für alle.
Jetzt aber kurz zum Thema "Wir fliegen so viele Umwege und das müssen wir durch komische Aktionen abschaffen".
Ich als Lotse frage mich wo solche Aussagen von mitteleuropäischen Airlines herkommen. Wahrscheinlich sind sie gar nicht inhaltlich begründet, machen sich aber sehr schön in der Presse wenn man bei der uninformierten Öffentlichkeit einen Prügelknaben hat.
Ich verdeutliche das mal anhand einiger Grafiekn die ich mal vorbereitet habe:
Die Post auf dem Weg nach Leipzig. Von der Schweiz aus kommend geht irgendwie nicht mehr direkt.
Die Gulf-Air aus Hetero fliegt quasi seit dem Kanal ATC-Unit-übergreifend zu einem Navigationspunkt schon fast in Österreich. Schnurstracks gradeaus. Direkter geht nicht.
Die Germanwings aus Köln bekommt ein bombendirect direkt an die deutsch-schwezer Grenze, von da aus geht es auf der autobahn auf dem selben Track gradeaus weiter bis kurz vor Tunis, da sind so gut wie keine Kurzven drin! Direkter? Wie?
Wizzair genauso wie...
AizzBritish Airways von Lonodn nach Athen: Gradeaus Luftlinie meist nach Split, Zadar oder Pula, je nach Flugplan.
Die Kollegen die Richtung Russland / Nordasien fliegen bekommen von mir kurz vor Luxembourg oft eine Freigabe für einen Navigationspunkt der an der weissrussischen Grenze liegt: BOKSU. Ewig weit gradeaus - Luftlinie. Direkter geht nicht, da lasst sich genau Null Meter Flugweg einsparen.
In die andere Richtung funktioniert das auch: Unser bester Kunde auf dem Weg auf die Insel fliegt meist aus Bayern kommend oder vom Brenner schon Richtung Kanal zu einem Navigationspunkt an dem dann London schon nach dem Einleiten des Sinkfluges die Flüge aufteilt auf die verschiedenen Airports in der Londoner Gegend.
Dito, auch wenn es nicht nach London geht.
Auch hier kann man gute Strukturen erkennen, denn die gibt es natürlich weiterhin. Ich versuche dazu gleich weiter unten mal einen Vergleich.
Hier könnte man sagen: Warum fliegt der nicht gleich weiter westlich etwas direkter vielleicht auf Wien zu und dann via Nürnberg gen Frankfurt?
Solche Dinge diktiert ja im Normalfall nicht die Flugsicherung sondern die Dispatch suchst sich einen der vielen Wege aus. Es gibt ja ne große Straßenkarte auch von den Luftstraßen und dann noch viele viele andere Faktoren wie z.B. der Wind, die Kosten der Flugsicherungen, Slots etc.
Es wird also oft extra einen Umweg geflogen um Kosten zu sparen! Klingt komisch, ist aber so. Weil auf der anderen Route der Wind besser ist und ich einen besseren Slot bekomme nehme ich vielleicht einen kleinen Umweg in Kauf obwohl die Flugsicherungsgebühren sogar ein klitzekleines Bisschen teurer sind oder oder doer....Das rechnet alles eine Maschine und dann wird entschieden wie geflogen wird.
Man stelle sich vor viele Menschen stehen auf einem riesigen, leeren Rummelplatz und auf Befehl laufen sie los und sollen zu einem bestimmten Punkt auf der anderen Seite laufen: Manche zum selben Punkt, die meisten zu individuellen Punkten. Die Leute werden sich mehrfach treffen auf dem Weg dorthin und in der Luft ist das genauso: Also muss man in verkehrsreichen Gebieten (und dazu zählt Mitteleuropa sehr stark) gewisse Strukturen einführen.
Wie auf normalen Straßen: Da gibt es auch keine Autobahn von meinem Wohnhau zu meinem Arbeitsplatz! Nein, ich muss erstmal aus meinem Stadtteil auf einen Autobahnzubringer und von dort dann auf die Autobahn und dann wieder runter von der Autobahn und durch das Industriegebiet zu der Firma fahren. Hat struktur, damit jeder gut vorwärts kommt.
Im Kleinen snd das z.B. die Fahrbahnmarkierungen auf großen Kreuzungen und Ampeln. Es geht definitiv auch ohne - aber nicht so schnell und nicht so geordnet wie mit diesen Hilfsmitteln.
So ist auch der eine oder andere Schlenker auf der Moving Map im Flieger zu erkklären: Wenn jeder von der Landebahnschwelle zum Endanflugpunkt der destiantion fliegen würde funktioniert das in Alaska, in Zentralafrika und in manchen Gebieten in Australien. Kamschatka will nicht vergessen aufzuzählen

Aber sonst nicht - da muss ein klein wenig Struktur rein und somit muss man manchmal eben vom Großkreis ein klein wenig abweichen.
Seid aber sicher: Es beschäftigen sich viele Leute mit stetiger Verbesserung und wenn ihr oben seht was da so tagtäglich abgeht frage ich mich wo man da noch groß optimieren will.
Es geht nicht!
Beim Milchpreis / Zucker / xyz-younameit kann man so lange optimieren bis der Produzent gar kein Geld mehr für sein Produkt bekommt und der Kaufpreis für Marketing und Vertrieb draufgeht. Aber eine Flugstrecke die quasi Großkreis ist kann man einfach nicht mehr verkürzen - es ist bereits der maximal kürzeste Weg!
Nochmal ein paar Directs tagsüber:
Noch kurz was zum eigentlichen Thema am Anfang dieses Threads:
Ich habe so im Urin dass es wieder irgendwann zu so einer Streikandrohung komen könnte. Der wurde ja damals durch Gesprächsbereitschaft der Gegenseite abgesagt. Dummerweise hat sich in dieser "Gesprächsstreikpause" eher was zum Negativen entwikelt: Die Forderungen wurden wohl noch verschärft - trotz dem Protest der Flugsicherungen und Fachmänner. Die Politiker scheinen da sehr sehr gut geimpft worden sein seitens der Airlinebranche.
Ich zitiere da mal ein paar Meldungen / Berichte die von der Gewerkschaft als Info kamen:
Trotz aller Kritik
unsererseits und der ANSP-Vertreter mussten wir nach Ende des Treffens verwundert und enttäuscht erfahren, dass die EU-Kommission die RP2 Zielsetzungen noch verschärft und diese noch am selben Tag dem Single Sky Committee (SSC) zur Entscheidung übergeben hatte. Im SSC sind die Staaten vertreten und entscheiden über RP2. In den darauffolgenden Wochen fanden in verschiedenen europäischen Staaten Gespräche mit den nationalen SSC Vertretern statt.
Am 22. und 23. Oktober beriet das SSC erstmalig die Thematik. ATCEUC hatte die Gelegenheit am ersten Tag der Veranstaltung Stellung zu beziehen. Nach unseren Informationen wurden die RP2 Ziele kritisch hinterfragt. Am 15.11.2013 fand auf Einladung der EU"Kommission ein Stakeholder Meeting on RP2 performance targets
in Brüssel statt. An diesem Treffen nahmen verschiedene Vertreter von europäischen Airlines, Flugsicherungsanbietern, Verbänden sowie ATCEUC und ETF statt. Bei diesem Treffen wurden sowohl von den Gewerkschaftsvertretern als auch von den anwesenden Vertretern der Flugsicherungsorganisationen insbesondere die Finanzziele als zu ambitioniert und nicht erreichbar abgelehnt. Das Treffen wurde ergebnislos beendet, wobei die EU-Kommission vorschlug in einem kleineren Rahmen
bis zum 03.12.2013 eine Kompromisslösung zu suchen.
Fazit bisher: Trotz heftigsten Widerstandes hat die EU-Kommission die RP2 Vorschläge des Performance Review Body (PRB) sogar verschärft und verfolgt weiterhin deren Verabschiedung beim SSC-Meeting am 17. und 18. Dezember. ATCEUC hat vorgeschlagen, die RP1 Periode ohne Veränderungen zu verlängern bis ein neues, realistisches ausgewogenes, die Wechselwirkungen einbeziehendes neues System entwickelt ist, welches auch Safety-Ziele beinhaltet.
Und das Heftigste auf SINGLE-EUROPEAN-SKY-Ebene:
Nachdem sich die Verkehrsminister bei einem inoffiziellen Treffen gegen die Verabschiedung des SES2+Paketes ausgesprochen haben, versucht in diesem Fall das Europäische Parlament, das SES2+ Paket zu verabschieden. Beim Treffen mit dem zuständigen Ansprechpartner Marian Jean Marinescu (raporteur on SES2+ on behalf of European Parliament) wurde deutlich, dass Argumente nicht angenommen, Fakten nicht anerkannt werden und keine Bereitwilligkeit besteht Veränderungen in unserem Sinne vorzunehmen („…if you want to speak with me again you have to agree with SES2+“…..)
Ich blicke mit großer Skeptik auf das was da kommen mag.
Wenn man in Brüssel jetzt noch nichtmal auf Verkehrsminister aus ganz Europa hört und nur der Airline-Beeinflußung folgt...
Ich habe jetzt viel viel runtergetippt mit der Hoffnung ein klein wenig Licht ins Thema zu bringen. Ich weiß aber dass es zu komplex ist es dem Otto-Normalbürger beizubringen - ich kann ja selbst nur mit großer Mühe folgen.
Was sicherlich nicht zielführend ist sind Stammtischausrufe und Sprüche aus der untersten Schublade die sich hier schon wieder ankündigen .....
In diesem Sinne.....
Schönen Abend noch!