Ein paar Dinge zur Klarstellung.
1) Wenn ich als Zugezogener in die Schweiz komme, steht mir mangels Netzwerk der graue Wohnungsmarkt nicht zur Verfügung. Ich muss das nehmen, was der Wohnungsmarkt bietet. Und in der Stadt Zürich sind das hauptsächlich die teuren bzw. extrem teuren Wohnungen. Die Aussage von Keoby zeigt eher das Problem, wie wenig Einheimische von den Problemen der Zugezogenen Ahnung haben - und wie wenig sie sich dafür interessieren.
2) Wenn wir über Dinge diskutieren, dann bitte inhaltlich korrekt. Ja, man kann in der Schweiz auch günstig wohnen. Im erweiterten Umland der Stadt. Oder in dem man jemanden kennt, der noch zu alten Mietkonditionen in eine Wohnung eingezogen ist und dann das Glück hat, dass der Vermieter ihn mit übernimmt. Nur - ich kenne niemanden zugewandert, der dieses Privileg geniesst. Zumindest selten bis nie in den ersten Jahren. Fakt ist, Leute mit niedrigem Einkommen finden in der Stadt kaum noch Wohnungen und werden ins Umland verdrängt. Erhöht die Lebensqualität sicherlich massiv und ist auch für das sonstige soziale Leben nur von Vorteil...
...kann natürlich alles gelogen sein. Stichwort Lügenpresse. Nur halte ich Zeitungen wie die NZZ oder den Tagi als ausreichend seriös, als das die die Dinge eher realitätsnah wiederbringen. Im Gegensatz zu Blick oder den SVP-Hausblättern...
3) wenn ich ein Phänomen regelmässig erlebe, dann das Leute, die in der Schweiz leben, häufig ggü den Heimatländer und ihren "Status" lügen. Egal, ob vom Balkan oder aus DE. Das Hauptproblem ist, dass zu Hause man grundsätzlich davon ausgeht, dass dank der hohen Löhne man in der Schweiz wie die Made im Speck lebt. Musste ich selbst bei mir im Bekanntenkreis erleben. Nie in der Schweiz gelebt, aber genau wissen, was in der Schweiz geht und was nicht.
4) man kann auch mit einem Monatseinkommen von 4000 CHF glücklich sein. Keine Frage. Die Frage ist, ob dies unter die Kategorie "problemfrei gut leben" fällt. Jeder hat eine andere Vorstellung davon, wie dies aussieht. Und was man sich davon leisten kann (bzw gerne würde). Viele haben auch keine andere Wahl als mit einem vergleichsweise geringen Einkommen (übrigens egal, ob in der Schweiz oder in DE) leben zu müssen und das beste daraus zu machen. Nur - das hat mit "top leben" herzlich wenig gemeinsam...
5) Es ist eigentlich ziemlich schräg, wenn Leute kaum Steuern zahlen, aber dann von "gut leben" reden. In der Schweiz gilt das gleiche wie in DE oder anderen vergleichbaren Ländern. Wenn man über die komplette Lebenszeit mehr Steuern bezahlt hat als als Gegenleistung bezogen wird, dann hat man ein gutes Einkommen und kann davon sehr gut leben. Wenn dies nicht der Fall ist, dann ist man Nettoempfänger und ist auf Transferleistungen angewiesen. Mit "gut leben" im klassischen Sinne hat dies herzlich wenig zu tun. Ich hab spasseshalber die Rechnung für meine Familie mit 2 Kindern aufgestellt. Und dabei berücksichtigt, was allein die Kosten sind, die Meilen zwischen ihrer Geburt und dem Schulabgang zu schultern hat... Wenn ich mich nicht total verrechnet habe, dann schaffen wir die +/- 0 mit ach und krach. Dabei zahlen wir den höchsten Grenzsteuersatz, dh unser Familieneinkommen ist schon ziemlich hoch... 70% bis 80% der Gemeindebewohner zahlen weniger...
...was im Klartext bedeutet, dass die meisten nur deswegen ein "gutes" bis "sehr gutes" Leben haben, weil sie auf Kosten anderer Leben - auch wenn ihnen das kaum bis wenig bewusst ist.
Sorry, wenn ich kritisch eine Situation reflektiere, dann hat dies wenig mit Arroganz der oberen 10.000 zu tun. Es ist eine nüchterne Analyse des Status quo wohlwissend, dass man im Leben Glück gehabt hat. Nur, weil der Durchschnittslohn 65k in der Schweiz beträgt, heisst dies noch lange nicht, dass es sich um ein tolles Einkommen handelt. Genauso wenig empfinde ich es als toll, wenn man sein Leben nur mit Hilfe von Zusatzleistungen bestreiten kann, weil das eigene Gehalt zu niedrig ist. Oder man auf günstigsten Wohnraum angewiesen ist mit der häufigen Konsequenz, dann jeden Tag mehr als 2 Stunden im Auto oder ÖV zu pendeln. Die wenigsten Wohnungen liegen in der Schweiz an einer S-Bahnstation mit direktem Anschluss zum Arbeitsplatz. Auch hier ein simples Beispiel. Meilen - ZH 12 Minuten. Hört sich gut an, gell? Dummerweise muss ich erst zum S-Bahnhof kommen (+15 Minuten) und dann zum Arbeitsplatz (weitere + 15). Hinzu komme ich damit auf 45 Minuten. Rückzu, "dank" stabiler Verkehrslage, werden daraus schnell 60 Minuten. Aus einer Traumanbindung mit 24 Minuten retour wird ein realistischer Weg von 1h 45 Minuten.
Für mich bedeutet gut oder sehr gut leben eben nicht, dass ich jeden Tag den Taschenrechner zücken muss, um meine Ausgaben ständig im Blick zu behalten. Das ich nicht auf die billigste Krankenkasse angewiesen bin, um "nur" 240 CHF pro Monat zu zahlen. Mit einer Franchise von 2.500 CHF. Und hoffen, dass ich nie krank werde. Oder meine Kinder. Oder das meine Zähne in guten Zustand bleiben. Ich will auch relativ freie Wohnortwahl haben. Und nicht dort wohnen müssen, wo die Mieten günstig sind, weil die Lage (sprich eher niedrigere Steuereinkommen der Gemeinde bei tendenziell höheren Steuersätzen) für die Besserverdienenden zu unattraktiv ist. Egal, aus welchen Gründen. Bin ich zu anspruchsvoll? Mag sein. Aber dies ist für mich ein wichtiges Kriterium, ob ich wirklich "top" leben kann oder eben das nehmen muss, was im Rahmen meiner Einkünfte möglich ist. Was trotzdem immer noch "gut" sein kann... Ich möchte meinen Kindern die Welt zeigen. Egal, ob im Campingwagen, Zelt oder im Familienhotel. Egal, ob Australien, Afrika oder Europa. Und nicht aus finanziellen Gründen ab nach Malle, Zeltplatz + Türkei. Und genauso wenig möchte ich im Alter auf den Staat angewiesen sein oder gar auswandern müssen, um von der Rente leben zu können. Wie so viele Zugewanderte oder Einheimische. Auch das gehört zu "top leben" dazu.
...wenn man diese "abgehobenen" Kriterien als Massstab nimmt, dann sind 150k als Familieneinkommen mit 2 Kindern bereits ziemlich herausfordernd. Noch weniger... Spätestens mit der Rente dürfte einen die Realität einholen. Und genau darauf bezieht sich meine Einschätzung.