Das Konzept gilt für Fehler, die man von sich aus und freiwillig meldet und die sonst unentdeckt geblieben wären. Diese Meldungen will man durch Straffreiheit belohnen, statt sie durch Angst vor disziplinarischen Konsequenzen grundsätzlich zu verhindern.
Deswegen wollen Flugunfalluntersuchungen auch nicht vorrangig die "Schuld", sondern die "Ursache" klären.
Naja... mal zurück zu den Englischen Wurzeln der
Just Culture:
Just culture is a concept related to systems thinking which emphasizes that mistakes are generally a product of faulty organizational cultures, rather than solely brought about by the person or persons directly involved.
Dieses Konzept hat erstmal nichts damit zu tun, wer den Fehler entdeckt und wie er auffällt (oder eben gemeldet wird).
Es geht generell darum nicht das Individuum zu bestrafen das den konkreten Fehler gemacht hat, sondern das Umfeld zu verbessern in dem der Fehler passieren konnte.
Im Deutschen sind wir da sprachlich recht eingeschränkt, im Englischen gibt es sehr feine Unterschiede zwischen Mistake, Error, Fault, Failure, Lapse etc.
Vorsatz zum Beispiel ist kein Fehler, obwohl der Effekt am Ende der gleiche sein kann.
Etwas abzuzeichnen, dass man nicht gemacht hat ist schon ein sehr grenzwertiges Beispiel für einen Fehler. Das geht schon sehr in Richtung geplantes und bewusstes Handeln. Es kann aber trotzdem ein in der Firma absolut übliches Verfahren sein. Deshalb ist es extrem schwer sich da als Aussenstehender zu zu positionieren.
Im Prinzip haben die sich auch erstmal nur an das "aviate, navigate, communicate" gehalten.
Das Flugzeug ausserhalb des erlaubten Betriebsbereiches zu fliegen ist nun nicht gerade ein Musterbeispiel für "aviate".
Ein Flugzeug zu fliegen bedeutet es auf dem gewünschten Flugweg innerhalb der Betriebsgrenzen zu halten, eine 777 mit Vollgas und nur 7° Pitch auf 300kt bei Klappen in Startstellung zu fliegen ist nicht gerade "good Airmanship".
Über 30 Sekunden zu brauchen beim Instrumentenscan einen Unterschied zwischen der im PFD und ISI angezeigten Fahrt zu entdecken ist keine Glanzleistung! Nase absenken ist auch nicht das Standardverfahren bei Windshear Warnung (obwohl ich mich mit dem Detail noch anfreunden könnte).
Alles was nach dem Entdecken der "unreliable Airspeed" passiert ist, war soweit OK. Aber 30 Sekunden das Flugzeug ausserhalb seines Betriebsbereichs zu fliegen bevor man ein klar vor einem angezeigtes Problem erkennt ist keine Meisterleistung. Vielleicht fällt es heute noch gerade under die Mindestanforderungen...
Und von den Boeing Systemen die klare Diskrepanzen in den Luftdaten nicht erkennen und eine Windshear Warnung geben obwohl das Flugzeug sauber im zugelassenen AoA Bereich und auf einer Planmäßigen Flugbahn ist, wollen wir gar nicht mal reden... Offenbar gibt es auch keine Plausibilitätsprüfung der Geschwindigkeitsdaten verglichen mit den Trägheitsdaten.
Bin mal auf die Details gespannt, aber die Overspeed Warning ist ja auch nicht gekommen. Vielleicht tatsächlich eine Mehrheitsentscheidung von 3 Computern, wobei zwei identische falsche Daten hatten und einer abweichende korrekte. Was soll man machen, als Software? Die 3 AoA Sensor Diskussion der Max lässt grüßen.
Was die Pilotenleistung angeht habe ich etwas Verständnis.
Mit dieser Formulierung kann ich leben. Verständnis bedeutet aber nicht gutheißen.
Ich kann viele Pilotenfehlentscheidungen bei vielen Unfällen nachvollziehen und verstehen, damit werden sie aber noch nicht korrekt. Und natürlich müssten wir uns im Sinne von Just Culture auch vom Begriff Pilotenfehler trennen. Auch Pilotenfehler sind ein Produkt des Gesamtsystems. Um so wichtiger sie offen als solche zu diskutieren.