Jenseits von oder voll zum Thema ‚Dark Tourism‘: Eine Winterreise nach Syrien

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Hene

Erfahrenes Mitglied
27.03.2013
4.124
2.721
BER
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2. Tag

Um 7.30h holte mich der Handywecker aus dem Schlaf. Schnell unter die Dusche und um 8h pünktlich war ich hellwach und startklar. Mein Guide Hassan und der Fahrer waren auch zur Stelle. Nachdem wir kurz an einer Patisserie Croissants und Gebäck sowie mehrere doppelte Espressi als Frühstück gekauft hatten, ging es von den regelmäßigen Checkpoints unterbrochen, wo Dokumente und das Fahrzeug geprüft wurden, rasch nach Norden.

Während das Zentrum von Damaskus den inzwischen 9 Jahre anhaltenden Krieg nahezu unzerstört überstanden hat, waren die östlichen und vor allem nordöstlichen Außenbezirke und Vorstädte (mit Hunderttausenden Bewohnern), die von verschiedenen Rebellenfraktionen gehalten wurden, vor allem Ostghuta und Harasta, Schauplatz heftiger Kämpfe. Ab 2017 flog die syrische Armee und ihre Verbündeten zudem massive Luftangriffe. Dementsprechend passiert man auf der Autobahn unmittelbar beim Verlassen der Hauptstadt zahlreiche komplett zerbombte Großwohnsiedlungen. Dazwischen immer wieder auch noch halbwegs bewohnbare Bausubstanz. Von Wiederaufbau aber weit und breit keine Spur.

Rund 60km von Damaskus entfernt abseits des Highways nach Homs und Aleppo war unsere erste Station die Kleinstadt Maaloula. Diese war bis zum Beginn des Krieges überwiegend von christlicher Bevölkerung bewohnt, die einen neu-aramäischen Dialekt sprach. Bereits seit Beginn des Krieges operierten mehrere sunnitische Rebellengruppen, vor allem die von Al-Quaeda unterstützte Al-Nusra-Front in den Bergen um die Stadt. 2013 nahm diese nach einem Selbstmordanschlag auf einen Posten der syrischen Armee am Stadteingang den Ort ein. Unter Drohungen wurden Bewohner des Ortes zur Konvertierung zum Islam aufgefordert, mehrere Menschen exekutiert. Vom Hotel Safir, vor dem Krieg als wichtigster Anlaufpunkt für Touristen erbaut, oberhalb der Stadt gelegen und direkt neben der ältesten Kirche der Welt (frühes 4. Jahrhundert) beschossen die Rebellen den Ort. Die Heiligtümer der Stadt wurden geschändet.







Auch wenn von den rund 3300 Bewohnern heute nur 700 in der Stadt leben (viele sind geflüchtet), ist hier die Sanierung, vor allem was die Sakralbauten angeht, relativ weit fortgeschritten. Die durch Angriffe stark zerstörte älteste, Sergius und Bacchus (Wein wird ausgeschenkt) geweihte Kirche wurde vor allem durch ausländische Hilfe (aus dem Libanon, aber auch Russland und Italien) saniert. Einige jahrhundertealte Reliquien, insbesondere Ikonen, wurden jedoch unwiederbringlich verbrannt oder entstellt, zum Teil entwendet. An deren Stelle hängen heute Kopien.



Durch eine enge Schlucht am Ende der Asphaltstraße gingen wir zum Frauenkloster der heiligen Thekla. Auch die gab es Schändungen, aber der äußere Zustand machte einen guten Eindruck. Allerdings wurden mehrere Nonnen während des Krieges entführt und erst gegen Zahlung von Lösegeld frei gelassen.







Nach diesem traurigen Ort setzten wir unsere Reise nach Homs, einem kaum weniger tragischen Ort, ca. 100km entfernt, fort. Homs mit heute ca. 800.000 Einwohnern war von Beginn des Krieges, insbesondere seit dem Jahr 2012 an, zusammen mit Daraa im Süden eine Hochburg des Widerstands und Ort schwerer Kämpfe mit wechselnden Frontverläufen. Es verwundert nicht, dass mehrere Stadtviertel mit hochgeschossiger Bebauung, auch mitten im Zentrum, nach wie vor in Schutt und Asche liegen. Davon abgesehen ist die Dichte von Assad-Portraits in Homs für syrische Verhältnisse geradezu atemberaubend hoch, egal wohin das Auge blickt.









Auf einer Freifläche im Stadtzentrum, direkt neben einer wieder aufgebauten Moschee hielten wir. Die Mittel hierfür stammen aus einer Stiftung, die dem tschetschenischen Präsidenten Ramzan Kadyrow nahesteht. Einzelne Menschen waren unterwegs, aber die Stimmung war postapokalyptisch, ein Eindruck, der zugegeben durch die relative Leere am Freitagnachmittag, also dem Wochenende, verstärkt wurde. Durch verwaiste Straßenzüge fuhren wir weiter zum 2000 Jahre alten Bazaar von Homs, der mitsamt seiner Umgebung ebenfalls heftig zerstört worden war. Einzelne Händler waren jedoch am Renovieren und die zerstörte Überdachung des Bazaars war auch z.T. wiederhergestellt.







 
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Hene

Erfahrenes Mitglied
27.03.2013
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BER
Fortsetzung

Wir verließen Homs in Richtung Westen zur ehemaligen Kreuzfahrerburg Crac des Chevaliers. Die in den Ausläufern des Alawitengebirges auf einer Hügelkuppe gelegene Zitadelle stammt aus dem frühen 11. Jahrhundert, war allerdings in den mamelukischen und osmanischen Periode Objekt für Um- und Erweiterungsmaßnahmen. 2008 zum UNESCO-Kulturerbe ernannt, war die Festung in ihrem hervorragenden Erhaltungszustand vor dem Krieg eine der Hauptsehenswürdigkeiten. Im Krieg wurde die Burg als Stützpunkt von oppositionellen Gruppen genutzt. Bei Luftangriffen hat die Zitadelle jedoch einige Treffer abbekommen, die im Gesamtbild allerdings kaum auffallen. Während vor dem Eingangsportal zwei Busse mit syrischen Schulklassen standen, herrschte im Inneren vollkommende Leere: Ich war geradezu sprachlos unter dem Eindruck der Festung und dem Ausblick in alle Himmelsrichtungen in fast frühlingshaftem Wetter. Nebenher kam per Telefon auch das Ok für die am kommenden Tag geplante Tour nach Palmyra. Hierfür ist eine spezielle Genehmigung notwendig, die von vier verschiedenen Sicherheitsinstitutionen geprüft wird.










Die Kirche, später in eine Moschee umgewandelt:












Nachdem wir fast zwei h in der Anlage herumgeklettert waren und Hassan hervorragend alles erklärt und beschrieben hatte, fuhren wir an stark zerstörten früheren Ferienhäusern vorbei in ein neu eröffnetes Restaurant am gegenüberliegenden Berghang. Ein Einheimischer und seine Familie hatte die Immobilie in Handarbeit wieder Stand gesetzt, nachdem zuvor die gesamte Inneneinrichtung geplündert worden war. Mehrere Ferienzimmer stehen bereit, leider gibt es in der Gegend keinen Strom, sonst hätte ich sehr gern auch dort übernachtet.





Nach fantastischer syrischer Hausmannskost, die von einer angestellten jungen Frau aus dem nahegelegenen Dorf gezaubert worden war, genoss ich die Aussicht von der Terrasse und unterhielt mich stundenlang mit den Inhabern, die wie gefühlt jede syrische Familie Verwandtschaft in Deutschland hat. Crac des Chevaliers färbte sich im gleißenden und dann fahlen Abendlicht.











Kurz vor Dunkelheitseinbruch verabschiedeten wir und fuhren durch schwer lädierte Dörfer, die nur allmählich wieder bewohnbar gemacht werden, ins Hotel Villa Rosa. Nach einem Imbiss aus gegrillten Hähnchenlebern und Fattoush-Salat in der nahegelegenen Premier League-Sportsbar ging es todmüde in die Federn.
 
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Reyhan

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30.09.2017
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FMO
Oh was ärgere ich mich ! Wir waren zwischen 2000 und 2010 so oft in Mardin und Diyarbakir , haben immer wieder überlegt und dann doch entschieden in der TR zu bleiben : können wir ja immer noch mal...
Danke für den Bericht. Ich freue mich sehr darüber.
 
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CarstenS

Erfahrenes Mitglied
08.09.2012
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Vielen Dank für diese tollen Bilder und Eindrücke und zugehörige Erzählungen! Eine spannende Reise!

Ich war zwischen 2010 und 2016 zig Male in Beirut - nach Syrien wollte ich zwar, hatte es aber immer aufgeschoben und mit 2011 war es dann unmöglich...

Es ist schon eine spannende Ecke mit einer reichhaltigen Geschichte und Kultur!
 
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HU+

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26.10.2016
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HAM
Danke für den sehr interessanten Bericht.
Magst du ein wenig über die Inhalte berichten, worüber die Einheimischen so mit dir gesprochen haben?
 
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Hene

Erfahrenes Mitglied
27.03.2013
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BER
Danke für den sehr interessanten Bericht.
Magst du ein wenig über die Inhalte berichten, worüber die Einheimischen so mit dir gesprochen haben?
Es ging vor allem um die Lebensbedingungen von Syrern in Deutschland incl. Heimweh und Rückkehr. Da ich einige syrische Bekannte in Berlin habe, konnte ich auch aus erster Hand berichten. Mich interessierte v.a. Die Alltagsrealität in den umliegenden Dörfern. Meine Schlussfolgerungen sind allerdings eher pessimistisch. Es wird Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis 'normales' Leben dort wieder möglich sein wird. Ohne traumatisierendes Leben in Ruinen oder unmittelbar daneben.

Zumindest erinnern mich 5l leckeres Olivenöl, das ich beim Hausherr kaufte, jetzt jedes Mal beim Kochen (und Essen) an diesen Ort und seine Menschen.
 
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PhileasFogg

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29.03.2012
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FRA
Sehr schöner Bericht über ein exotisches Touristenziel. Vielen Dank!

Einen Kritikpunkt habe ich allerdings: aufgrund Deines Reiseberichtes aufkeimender Reiseideen musste ich mir von +1 ein paar nicht so freundliche Dinge anhören, wobei „total bescheuert“ noch eins der netteren war.
 
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charliebravo

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05.04.2017
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MUC & KLU
Auch ein spezielles Danke von mir, da ich schon seit 2 Jahren über eine Reise in diese Gegend nachdenke (nur +1 will mich dauernd davon abhalten).
Darf ich Dich fragen, wie Du im Vorfeld alles geklärt hast, bzgl Visa usw? Gerne auch per PN.
 
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Hene

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27.03.2013
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Auch ein spezielles Danke von mir, da ich schon seit 2 Jahren über eine Reise in diese Gegend nachdenke (nur +1 will mich dauernd davon abhalten).
Darf ich Dich fragen, wie Du im Vorfeld alles geklärt hast, bzgl Visa usw? Gerne auch per PN.

Das traf/trifft leider auch auf meine +1 zu. Aber ich habe vollstes Verständnis für diese Bedenken: Das Sicherheitsbedürfnis und die Besorgnisschwelle ist eben bei jedem anders hoch (oder niedrig). Genau wie Comfort Zone irgendwann zu Ende ist (ich musste zugegenerweise auch während der Tour mehrmals aus ihr heraus, dazu später). Wie der Juser hier im Nachbarthread, dessen spannender West- und Zentralafrika-Bericht super lesenswert ist, bin ich da eher hartgesotten, auch wenn mich einige Situationen natürlich emotional mitnehmen.

Aufgrund der Sicherheit (und aus vielerlei anderen Gründen) habe ich mir professionelle Hilfe (in Form eines lokalen Reisebüros, s.o.) besorgt, um Risiken möglichst zu minimieren. Die Lage ist in einigen Gebieten einfach noch recht volatil, ohne 'grounded knowledge' es oft nicht klar, wo z.B. evt. noch Munition oder Minen herumliegen.

Davon abgesehen ist es auch inzwischen (seit einem Zwischenfall mit einem deutschen Touristen, der irgendwo auf eigene Faust fotografierend durch die zerstörten Vorstädte von Damaskus spaziert ist und dabei von Sicherheitskräften aufgegriffen wurde) nicht mehr möglich, sich ohne Guide zu bewegen. Da man ständig durch irgendwelche Checkpoints muss, käme man ohnehin nicht sehr weit. Ein Visum (on arrival) ist zudem ohne Support eines akkreditierten Reisebüros kaum zu bekommen, eine Visumsausstellung durch die syrische Botschaft in Berlin derzeit so gut wie ausgeschlossen (zumindest aber sehr zeitintensiv).
 
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charliebravo

Erfahrenes Mitglied
05.04.2017
972
357
MUC & KLU
Aufgrund der Sicherheit (und aus vielerlei anderen Gründen) habe ich mir professionelle Hilfe (in Form eines lokalen Reisebüros, s.o.) besorgt, um Risiken möglichst zu minimieren. Die Lage ist in einigen Gebieten einfach noch recht volatil, ohne 'grounded knowledge' es oft nicht klar, wo z.B. evt. noch Munition oder Minen herumliegen.

Die (teilweise sicher berechtigten) Gründe, kann ich ja auch verstehen, deswegen würde die Reise auch ohne +1 statt finden.
Hast Du auch Infos zu lokalen RB deiner Wahl ;)
Kontaktiert hast Du die direkt aus Deutschland per Mail?

Das mit dem unmölichen (sehr schwierig zu bekommenen) Visa, hatte ich eben auch schon gelesen, umso interessanter eben Dein Weg.

Ich bin auf jeden Fall schon super gespannt, auf die Fortsetzung :)
 
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Devilfish90

Erfahrenes Mitglied
13.12.2016
753
606
FRA
Siehe #25
Marrota travel
Die (teilweise sicher berechtigten) Gründe, kann ich ja auch verstehen, deswegen würde die Reise auch ohne +1 statt finden.
Hast Du auch Infos zu lokalen RB deiner Wahl ;)
Kontaktiert hast Du die direkt aus Deutschland per Mail?

Das mit dem unmölichen (sehr schwierig zu bekommenen) Visa, hatte ich eben auch schon gelesen, umso interessanter eben Dein Weg.

Ich bin auf jeden Fall schon super gespannt, auf die Fortsetzung :)
 
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Hene

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27.03.2013
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BER
3. Tag

Nach einer unruhigen Nacht, im Hotel nebenan wurde bis in die Puppen Hochzeit gefeiert und die wummernde Heizung im Hotel machte ein geöffnetes Fenster notwendig, ging es kurz nach Sonnenaufgang zum Frühstück. Dieses war nicht der Rede wert: Etwas Aufschnitt, Käse und Oliven, dazu das papierähnliche syrische Brot. Keine Ahnung, warum die Hitlerkatze des Hotels so hinter der Scheibe danach geiferte.



Mit Fahrer und Guide namen wir ein paar Happen und drei Tassen starken Schwarztee und machten uns auf den Weg in den frischen, wieder sehr sonnigen Morgen. Trotz doch sehr anderer Landschaft, hier mediterrane Landwirtschaft mit sanften Hügeln, rostroter Erde und Olivenbäumen, dort eher bewaldetes Mittelgebirge, erinnerte mich die Stimmung unterwegs an eine meiner frühen Reisen durch Bosnien 1997. Die zum Teil stark zerstörten Dörfer, in denen aber dennoch einiges an zum Teil improvisierten Alltagsleben herrschte, ließen keinen Zweifel an der unmittelbaren Kriegsvergangenheit. Verzweiflung aber auch der Wunsch nach einem Leben danach lagen hier praktisch in der Luft. Über eine ziemlich gute Fernstraße erreichten wir erneut Homs, fuhren an komplett zerbombten Stadtvierteln, aber auch der heute (samstags) wieder quirligen Innenstadt vorbei nach Osten. In einer Kaserne der syrischen Armee, in der es von martialischen Assad-Portraits, Hafez und Bashar, nur so wimmelte, holten wir bei einem freundlichen Kontaktoffizier mein Palmyra-Permit in Form eines Briefes ab, den wir dann an den sechs Checkpoints auf dem Weg durch die Wüste vorzeigen mussten.

Gegen 11h erreichten wir nach einer rasanten Fahrt auf einer schnurgeraden Überlandstr. durch die knochentrockene Landschaft, vorbei an zerschossenen Hütten, Tankstellen, Autos und Verkehrsschildern, aber auch einigen riesigen Ziegenherden, die Palmyra-Oase, auf Arabisch als Tadmur bekannt.

Von zwei Bergketten flankiert war Tadmur bereits in frühantiker Zeit ein strategisch wichtiger Siedlungs- und Handelsort, der z.B. bereits in altassyrischen und babylonischen Quellen erwähnt wurde. Zur Blüte gelangte die Oase allerdings zu römischen Zeiten, als sie zu einer freien Stadt ernannt wurde und den Karawanenhandel vom Mittelmeer durch die Wüste zum Euphrat und weiter nach Persien und Indien dominierte (und dadurch steinreich wurde). Durch den Austausch mit den umliegenden Staaten entwickelte sich hier eine einzigartige Kultur (nicht unähnlich dem Hellenismus), die sowohl von griechischen, römischen und später byzantinischen, als auch von mesopotamischen und persischen Einflüssen bestimmt wurde. Unter Fürstin Zenobia schwang sich Palmyra als mächtige Provinz im späten 3. Jahrhundert gar auf, Teile des östlichen Römischen Reiches zu besetzen, was jedoch schiefging. Die römische Wiederbesetzung leitete den Niedergang Palmyras ein.



Während des Bürgerkriegs war Palmyra Ziel schwerer Kampfhandlungen. Die Front zwischen syrischer Armee und Verbündeten und dem IS verschob sich zweimal über die Stadt hinweg. Zunächst wurde Palmyra im Mai 2015 vom IS eingenommen und im März 2016 wieder vertrieben, mit einem Überraschungsangriff kam der IS allerdings im Dezember 2016 zurück und hielt sich bis zum Frühjahr 2017. Durch die Kämpfe wurde die Stadt mit früher rund 50.000 Bewohnern schwer zerstört, nach Angaben unseres Begleiters, eines Soldaten, den wir an einem Armeestützpunkt auflasen, leben 2.000 Zivilisten wieder dort. Während wie im langsamen Tempo durch die Ruinen fuhren, in denen Kinder spielten, während ihre Eltern nebenan die Behausungen wieder einigermaßen herrichteten, wurde mir traurig zumute. Die offiziellen Ankündigungen, den Ort wieder für den Tourismus zu öffnen, kamen mir bei diesem Anblick wie blanker Hohn vor.





Wir hielten vor dem ehemaligen Archäologischen Museum, gegenüber der komplett (bis hin zu den Palmen) verwüsteten Stadtverwaltung. Das Museum selbst wurden vom IS als Gefängnis und Hinrichtungsort (u.a. wurde der Museumsdirektor enthauptet) genutzt. Vor allem große und sperrige Kulturobjekte, die nicht in aller Eile vor dem Einzug des IS nach Damaskus evakuiert werden konnten, wurden schwer beschädigt, vor allem Gesichter von Büsten, Mosaiken und Reliefen zerkratzt und abgeschlagen. Andere zudem auf Nimmerwiedersehen ins Ausland geschmuggelt und verkauft. Die gesamte Einrichtung wurde zertrümmert.













Bei der Rückeroberung hat das Museumsgebäude zudem schwere Schäden durch Luftangriffe abbekommen. Im Dach des Foyers klafft ein riesiges Loch.



 

Hene

Erfahrenes Mitglied
27.03.2013
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Fortsetzung

Nach diesem schlimmen Ort, an dem es mir fast die Tränen in die Augen trieb, und zwei Zigarettenlängen, um das Zittern aus den Händen zu bekommen, fuhren wir weiter zu den antiken Ruinen am Rande der Palmenoase. Auch hier hatte der IS schweren Schaden angerichtet: Der innere Baal-Tempel, eine auf dutzende Tonnen schweren Säulen sitzende Anlage wurde unter Einsatz größerer Mengen Sprengstoffes pulverisiert: Es steht nur noch das Eingangsportal.







Die Außenanlage des Tempels ist allerdings unzerstört erhalten geblieben.











Auch das Hadrianstor am Eingang zur majestätischen Säulenstraße wurde zerstört.







Davon abgesehen war es ohne Frage ein erhabenes Gefühl (in Bildern und Worten kaum widerzugeben), in der warmen Wintersonne ganz allein (nur begleitet von einem Soldaten sowie Hassan) durch die gigantische 19 km² große Anlage zu streifen. Nur sehr, sehr vereinzelt kommen Touristen hierher, ich war der einzige an dem Tag.











Das 3.000 Besucher fassende Amphittheater Palmyras hat den Krieg in relativ gutem Zustand überstanden. Im Jahr 2016 hatte das St. Petersburger Marijnskij-Orchester hier bereits ein Konzert für Angehörige der russischen Militärpolizei, die hier einen Stützpunkt unterhält, gespielt. Die damit suggerierte ‚Normalität‘ wurden durch den Wiedereinzug des IS wenige Wochen später und die Zerstörungen an der Theaterbühne wieder zunichtegemacht.





Kurz vor dem Ende der Säulenallee mahnte unser Aufpasser zum Ende des Spaziergangs. Der Abschnitt von hier bis zur Zitadelle sei noch nicht sicher, die Räumung von Sprengfallen und Minen sei jedoch im Gange.



Wir liefen gemächlich zurück und stiegen wieder ins Auto, aus dem mein Fahrer nicht mal ausgestiegen war. Auf meine Nachfrage, warum ihn das nicht interessiere, sagt er, dass sei ja nicht der Eiffelturm. Wir mussten alle herzlich lachen.

Es war inzwischen 14h und wir wollten bzw. sollten bis zur Dämmerung wieder in Homs bzw. auf dem Weg nach Damaskus sein. In Palmyra selbst gibt es keine Hotels und angesichts der Lage in der Stadt wäre es auch nicht mein größter Wunsch, dort zu übernachten. Vorbei an den vormittags bereits passierten Checkpoints hielten meine Begleiter nach einer Ziegenherde samt Hirten Ausschau. Der Fleischpreis sei hier nur halb so hoch wie in Damaskus und die beiden liebäugelten mit einem Schlachtvieh, entschieden sich dann aber doch gegen einen Kauf. Nach rund zwei h Fahrt erreichten wir Homs und suchten uns ersteinmal einen Imbiss.



Mehr als reichlich Schawarma mit frischem Salat und Pommes war gar nicht notwendig. Gut gestärkt machten wir uns auf den Rückweg nach Damaskus, das wir mitten in der abendlichen Rushhour erreichten.

Wieder im Guesthouse angekommen, kam ich mit einer charmanten jungen Frau ins Gespräch, die für Mustafa Ali, den Künstler, Büro-Aufgaben erledigt. Sie führte mich in dem unerwartet geräumigen Innenhofhaus herum. Danach saßen wir noch stundenlang unter den Orangenbäumen im Innenhof und unterhielten uns, rauchten und hörten Beethoven und Schubert. Ein ziemliches Wechselbad der Gefühle an diesem Tag ging zu Ende.
 

Fliegel

Aktives Mitglied
03.09.2017
126
7
Beeindruckend. Bedrückend. Für Palmyra gibt es glücklicherweise 3D-Animationen, die die zukünftige Rekonstruktion erleichtern sollen. Das mindert aber nicht meine Wut und mein Unverständnis..
Danke für die Einblicke.
 
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PhileasFogg

Erfahrenes Mitglied
29.03.2012
594
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FRA
Ehrlicherweise habe ich gedacht, dass es in Palmyra noch schlimmer aussieht. Wieder mal spannende Einblicke, die das Hinwollen-Gefühl befeuern. Danke!
 
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