Ganz so ist es ja nicht. Zum einen scheint die Frage der "Rechtswidrigkeit", um die es den vorlegenden Gerichten eigentlich ging ("wilder Streik"), dem EuGH gar nicht so wichtig zu sein, weil sich die Frage der Rechtmäßigkeit in einem Streik schließlich nach dem jeweiligen nationalen Recht bestimme und somit eigentlich nicht maßgeblich für eine einheitlich zu bewertende EU-VO sein könne.
Umso mehr ging es dem Gericht um die Frage der Vermeidbarkeit. Da aber ein einzelnes Unternehmen in den allerwenigsten Fällen selbst in der Lage sein wird, einen Streik zu beenden, läuft das darauf hinaus, dass Streiks so gut wie immer außergewöhnliche Umstände begründen können. Wann gibt es denn wirklich mal einen Streik, der sich auf ein einzelnes Unternehmen beschränkt? Und zumindest in solchen Fällen ist es doch sachgerecht, dass das Unternehmen dann in besonderem Maße auch die Belange der Paxe zu berücksichtigen hat.
Naja, der EuGH hat zwei Voraussetzungen an den Ausschluss des Anspruchs gestellt. Zum einen dürfe das Ereignis, das zu den Behinderungen führte, nicht Teil der normalen Betriebstätigkeit sein. Zum anderen dürfe es von der Airline nicht beherrschbar sein. Damit stellt der EuGH auf den "außergewöhnlichen Umstand" ab und prüft hilfsweise die "Unvermeidbarkeit".
Der EuGH stellt bereits fest, dass bei Umstrukturierungen Konflikte mit den Mitarbeitern nicht ungewöhnlich seien. Die Situation im Herbst 2016 sei daher als Teil der normalen Geschäftstätigkeit zu betrachten. Auf den Fall hier übertragen heißt es, dass ein Gewitter im Frühsommer nichts ungewöhnliches ist und als Teil der normalen Geschäftstätigkeit zu betrachten ware.
Nur hilfsweise stellt der EuGH die Frage nach der Unvermeidbarkeit und stellt auch hier fest, dass selbst wenn es nicht "normalen Geschäftstätigkeit" und damit en außergewöhnlicher Umstand waere, auch keine Unvermeidbarkeit gegeben ist, denn der Streik endete nach einer Einigung zwischen dem Konzern und dem Betriebsrat einige Tage später.
Ich habe Art. 4 (III) mit der deutschen Brille auch immer anders gelesen, nämlich das irgendetwas dann unvermeidbar ist, wenn es sich auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Das entspricht dem Denken bei deutschen Fahrlässigkeitsgedanken, die dann ausgeschlossen ist, wenn man alle im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat.
Das steht da aber nicht. Da steht dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die Umstände müssen als erste Voraussetzung "außergewöhnlich" sein. Nur dann stellt sich die Frage, ob sie sich hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Sind die Umstände nicht "außergewöhnlich", dann stellt sich die Vermeidbarkeitsfrage nicht.
Unserem deutschen Verständnis ist das zuwider. Aber Gemeinschaftsrecht ist ja wohl autonom auszulegen. Ich bin gespannt, was dabei heraus kommt, wenn so ein branchenübliches Unwetter mal zum EuGH kommt. Interessant waere z.B. ein Flughafen, der regelmäßig von schlechtem Wetter oder von ATC Problemen heimgesucht wird und wo das sicher nicht "außergewöhnlich" ist. Da wird der EuGH Farbe bekennen müssen. Bis dahin warden wir spekulieren müssen.