Deep stall gibts ja nur bei T-Leitwerken und daher nie bei einer B737 - egal ob max oder ng oder classic
Das ist die Millionenfrage....
Ganz allgemein gibt es Deep Stall, wenn die Momentenkurve zwei fallende Nulldurchgänge hat (am ersten will man stabil fliegen, am zweiten will man nicht fliegen, er ist aber eben auch stabil, daher kommt man da nicht mehr raus).
Der erste Nulldurchgang ist gewollt und die Kurve da normalerweise eine Gerade, die man mit Höhenruder- und Höhenflossenausschlag parallel verschieben kann, also den Anstellwinkel bestimmen kann bei dem das Flugzeug stabil fliegt.
Irgendwann reisst die Strömung an Hauptflügel und Höhenleitwerk ab (wie genau ist extrem Flugzeugspezifisch) und die Momentenkurve bekommt einen Bogen und unter Umständen einen steigenden (instabilen) Nulldurchgang. Bei einem "guten" Flugzeug bleibt die Momentenkurve bleibt für den Rest des Anstellwinkelbereichs kleiner Null, die Nase will immer runter, das Flugzeg kippt nach vorne ab, beschleunigt wieder und stabilisiert sich wieder.
Gerät nun as Höhenleitwerk in den Nachlauf des Hauptflügels, so reduziert sich sein Auftrieb (bei derartig hohen Antellwinkeln macht es immer Auftrieb, im Gegensatz zum normalen Flugbereich), und die Momentenkurve knickt wieder nach unten ab. Geht das so weit, dass sie wieder einen (fallenden) Nulldurchgang macht, dann gibt es dort einen zweiten Gleichgewichtszustand, in dem das Flugzeug eigenstabil fliegt, u.U. so stabil, dass man mit keiner Steuereingabe da wieder raus kommt.
Je nach Größe des Höhenleitwerks und des Flügels, können aber auch Stalleffekte am gepfeilten Hauptflügel selbst genug Momentenänderung erzeugen, um auch bei einem konventionellen Leitwerk diesen zweiten stabilen Nulldurchgang zu haben. Bzw. umgekehrt kann man auch durch geeignete Maßnahmen am Hauptflügel ein T-Leitwerks Flugzeug konstruieren, dessen Momentenkurve nicht wieder negativ wird. Bei der VC-10 genügte dazu ein einziger Grenzschichtzaun am Hauptflügel, um sie trotz T-Leitwerk "Depp Stall immun" zu machen.
Dazu hat man im Prinzip zwei Möglichkeiten, entweder
man verhindert, dass die Kurve nach dem ersten Knick je wieder über die Nullinie kommt, oder man verhindert, dass sie danach wieder abfällt (die schwierigere Aufgabe). Die Gefahr beim T-Leitwerk ist vor allem, dass die Kurve nach dem ersten Knick "problemlos" wieder über die Nullinie kommt, da das kopflastige Moment der Höhenflosse im Nachlauf des Hauptflügels, also in einem gewissen Anstellwinkelbereich wegfällt. Wenn das T-Leitwerk bei sehr hohen Anstellwinkeln wieder aus dem Nachlauf raus kommt, knickt es die Kurve praktisch unvermeidbar stark nach unten ab.
Spätestens seit AF447 habe ich den Verdacht, dass unser aktuelles Standarddesign mit zwei sehr großen Triebwerken sehr nah am Rumpf ebenfalls Effekte erzeugen kann, die zu einem Deep Stall führen. Ganz offensichtlich hat ja ein A330 bei gut 40° Anstellwinkel einen stabilen Flugzustand (den diverse andere Muster definitiv
nicht haben), ich gehe davon aus, dass auch 777, 787, A350, CSeries etc. ähnliches Verhalten zeigen könnten. Die genauen Effekte müsste man sich mal im Windkanal angucken, aber das Verhalten des Flügelbereichs zwischen Triebwerk und Rumpf, und davon ausgehend starke Wirbelsysteme die das Höhenleitwerk beeinflussen, könnten durchaus auch Flugzeuge mit konventionellem Leitwerk Deep Stall fähig machen. In dem Augenblick in dem der Innenflügel zwischen großem Triebwerk und großem Rumpf komplett ablöst, fällt ein Auftrieb vor dem Schwerpunkt weg, das Nickmoment wird mit zunehmendem Anstellwinkel negativer, die Momentenkurve hat die Chance für einen zweiten fallenden Nulldurchgang. Wenn das Flugzeug nur noch mit dem Flügel ausserhalb des Triebwerks fliegt, bildet sich auch im Bereich des Triebwerks eine Art Randwirbel, der erhöht in seinem Nachlauf den Auftrieb des Hähenleitwerks, was das Nickmoment noch negativer macht.
Seit mindestens 40 Jahren ist die Designphilosophie nicht mehr, das Flugzeug an sich stallsicher zu machen, sondern gute Stallwarnsysteme zu entwickeln und damit dem Piloten die Möglichkeit zu geben, überzogene Flugzustände effektiv zu vermeiden. Das hat auch weitestgehend gut funktioniert.
Sehr gut möglich, dass die 737 Max ein derartiges Verhalten zeigt, und Boeing genau um das zu vermeiden das MCAS erfunden hat. Was ja zunächst mal eine sehr gute Idee wäre, solange das System das, und nur das macht, was es soll. Durch Verstellen der Höhenflosse verhindern, dass die Momentenkurve im Stall wieder über die Nullinie kommt, sicherstellen, dass die Nase immer runter will.
Wenn wir hier auf AF447 Bezug nehmen, sollten alle die mitdiskutiert haben die ganzen 420 Seiten des Berichts (mit Anhängen) gelesen und voll verstanden haben, und nicht nur die kurze Zusammenfassung aus der Presse oder gar aus Wikipedia kennen. Es gibt natürlich ganz klare Unterschiede, aber durchaus auch technische Parallelen, insbesondere dass die Flossentrimmung ohne explizit vom Piloten bedient, aktiv war.