Why would you do that? Mit dem California Zephyr von Chicago nach San Francisco.

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Mr. Hard

Spaßbremse
23.02.2010
10.805
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Grandios geschrieben, macht Lust auf die letzte Etappe.
 
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madger

Erfahrenes Mitglied
26.04.2014
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1.379
Bonn
Vielen Dank für diesen toll geschriebenen Reisebericht. Als jemand, der im
Südwesten der USA gelebt hat, geht mir bei den Bildern direkt das Herz auf.

Ich werde meinen nächsten Besuch dort mit einer Bahnfahrt Richtung Westen (Southwest Chief ab Albuquerque oder California Zephyr ab Denver). Ich habe immer mal wieder hiermit geliebäugelt, aber mir nicht die Zeit genommen. Da die Zukunft ja ungewiss für dieses Angebot ist, wäre ich es jetzt angehen.

Danke für deine Inspiration!
 
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Batman

Erfahrenes Mitglied
18.11.2017
6.294
3.589
Hamburg
Danke auch von mir. Ich finde solche Zugverbindungen immer faszinierend und habe schon öfter überlegt so etwas auch mal zu machen. Ist mal vorgemerkt für den nächsten USA Besuch :).
 
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Krug56

Erfahrenes Mitglied
21.04.2012
1.041
762
Bielefeld
Super geschrieben, schöne Bilder - ich hoffe, dass ich im August auf der Nordstrecke ähnliches (mal abgesehen von den Bildern aus Utah) sehen und erleben darf.
Weiterhin Grüße aus Bielefeld
 
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Exdon

Erfahrenes Mitglied
08.05.2009
1.380
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Herrlicher Tripreport!
Wir sind 1992 mit einem Amtrak-Pass (6 Wochen gültig, $199 pro Person in Coach, wenn ich mich recht erinnere) ab Chicago mit dem Southwest Limited von Chicago über Denver nach Las Vegas (die Strecke wird heute leider nicht mehr bedient) und weiter nach LA. Zurück ging es etwa fünf Wochen später von San Francisco über Portland und Seattle, dann über die Nordroute wieder nach Chicago. Es war auch in Coach sehr entspannt.

Wegen eines Defekts im Speisewagen gab es eine Art Vollpension an den diversen fresh air-Stops - für alle und ohne Berechnung.
 
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libertad

Erfahrenes Mitglied
03.08.2016
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Ich habe keine Ahnung, wie spät es ist und schon gar nicht, wo ich bin. Der Zephyr bringt mich in Situationen, in die mich die wildesten Unipartys nicht gebracht haben.

Zum Glück gibt es J. Während ich Attendant S. beim ersten Teil der Reise ein oder zwei Mal beobachten konnte wie er in seiner Roomette No. 1 ein "Schläfchen hielt" - sitzend, die Vorhänge geschlossen, die Tür geöffnet, nur die Sicherheitsschuhe ragten hervor - scheint J. niemals zu schlafen. Mehr noch: sie ist wie immer außergewöhnlich gut gelaunt, als ich anhand der dampfenden Kaffeestation zumindest festelle, dass es wohl schon nach 6 Uhr morgens sein muss.

We spent almost two hours in Salt Lake. What a mess!

Ich nippe zufrieden am viel zu heißen Kaffee, und J. weist mich darauf hin dass wir bald verspätet Winnemucca, NV, erreichen würden. Einen Fresh Air Stop. Das würde mich doch sicher interessieren? Und wie es das tut!



Fast hätte ich jetzt begonnen mit "Zum Glück", aber das wäre falsch gewesen, denn es ist kein Glück sondern die übliche Umsorgung der Passagiere, dass J. zuerst über Lautsprecher und mich zur Sicherheit dann noch persönlich darauf hingewiesen hat, dass der Stop in Winnemucca ein bisschen speziell ist: der Zug rollt an den zu kurzen Bahnsteig, die Passagiere aus den Sleepern und Personal steigen aus. Ohne den obligatorischen Ruf "All aboard!" rollt der Zug nun wieder an, genau soweit bis "mein" 2. Sleeper gerade noch so am Bahnsteig steht. Nun öffnen sich auch die Türen der vorderen Coaches und auch dort beginnt der Passagierwechsel. Gut, dass man das vorher erklärt hat - sonst hätte mich ordentlich geschreckt, wenn der Zug auf einmal losfährt und ich ohne Pass und Kreditkarte an dieser Haltestelle gestanden wäre.

Zurück an Bord noch ein schnelles Handyfoto aus der Roomette:



... und es wird Zeit für mich, die Dusche des Zephyr zu testen. Zu meiner großen Freude gibt es reichlich heißes Wasser, dass es sauber sein würde hatte ich schon erwartet. Berichte über verdreckte Toiletten beziehen sich fast immer auf die Coaches, im Sleeper passen die die Passagiere auf "ihre" vier Toiletten pro Wagen offenbar gut auf.

Nachdem ich das zwei Mal das Frühstück ausgelassen hatte, will ich das am letzten Tag auch noch erleben. Da das ältere Ehepaar an meinem Tisch allerlei Sonderwünsche äußert, traue auch ich mich "just some scrambled eggs" zu bestellen. Dass es beim Frühstück "ganz oder gar nicht" heißt, sollte mir doch noch vom Vortag in Erinnerung sein.



Dass Amtrak seit ein paar Jahren Plastikteller verwendet, ist natürlich kaum wo gut angekommen - außer bei mir: ich halte das Geräusch von Besteck auf Keramik überhaupt nicht aus, und nicht nur einmal rutsche ich mit dem Messer bei einer plötzlichen Bewegung des Zuges aus. Also gut für meine Nerven!

Der Zug rollt durch die Wüste(n?) Nevadas auf Reno zu.





Vor Reno meldet sich der Conductor zu einer ungewöhnlich langen und besonders launigen Ansage: wir sollen nur ja nicht der Verlockung verfallen, während unseres Aufenthalts das große Glück zu suchen. Zu viele Passagiere seien schon an einer der Slotmaschinen hängen geblieben und hätten die Abfahrt des Zuges verpasst. Ich bin da nicht gefährdet, genieße aber trotzdem den Aufenthalt am etwas schmucklosen Bahnsteig.



Mit nur noch 1,5 Stunden Verspätung verlassen wir Reno und beginen den Aufstieg Richtung Donner Pass. An Bord ist jetzt auch jemand, der im Observation Car im Rahmen des "On Board Guide Program" die Fahrt des Zuges kommentiert und einige historische Hintergrundinfos erzählt. Auch wenn ich mir nicht alles merke, finde ich das ein großartiges Service, das ich mir eigentlich für die ganze Strecke (oder zumindest ab Denver) gewünscht hätte. Falls jemand Lust hat, einen Audioguide aufzunehmen - ich würde gutes Geld dafür zahlen!





Und dann erreichen wir den letzten Höhepunkt der Fahrt, der Zug fährt südlich entlang des Lake Donner.



Bei mir macht sich der aufkommende Wehmut immer stärker bemerkbar. Schon heute abend werde ich nicht mehr im Dining Car speisen und meinen Sitz nicht zum Bett umbauen, morgen werden mich nicht Sonnenstrahlen wecken sondern Verkehrslärm oder gar der Handywecker. Wir durchfahren noch ein Skigebiet, einer der Lifte verläuft sogar über die Zugstrecke.





Ich begebe mich zum Mittagessen und bestelle einen Cesars Salad. Der wird mir auch promt serviert - erst bei der Hälfte der Portion fällt mir auf, dass er weder Croutons noch Tomaten enthält. Der Zug hat mittlerweile Colfax erreicht und blockiert den Bahnübergang.



Nur noch vier Stunden! Es wirkt auf mich selbst absurd, aber nun wird es stressig. Muss ich im Zug noch etwas erledigen? Ich kaufe mir zum ersten Mal einen Kaffee im Observation Car, der zweite geht auf's Haus, weil ich um 10$ einen "Passenger Comfort Kit" als Souvenir erwerbe. Nun besitze ich eine dünne Decke mit dem Aufdruck "Property of Amtrak", eine Schlafmaske, Ohrenstöpsel und einen aufblasbaren Polster. In Sachen Merchandising ist Amtrak wirklich mies - keine Postkarten, keine Kühlschrankmagneten, keine T-Shirts. Aber vielleicht bin ich ja auch der einzige Verrückte, der den ganzen Souvenirshop aufkaufen würde.

Mit zunehmendem Tempo verlässt der Zephyr jetzt die Berge, Autoverkehr und Siedlungsdichte nehmen zu. Ein Eisenbahnfriedhof zieht vorüber, und schon erreicht der Zug Sacramento, den letzten Fresh Air Stop der Reise.





Ich kann das jetzt nicht genau belegen, aber ich habe irgendwo gelesen, dass der neue Nachtzug von Wien nach Brüssel auf der Strecke ein Durchschnittstempo (inkl. Stops) von gerade einmal 70 km/h erreicht. Recht viel langsamer ist auch der Zephyr über die ganze Strecke nicht. Während man bei den Aufstiegen ins Gebirge das Gefühl hat nebenbei Blumen pflücken (bzw. Schneebälle rollen) zu können, geht es nun wieder flott dahin. Fast etwas zu flott für meinen Geschmack.





Im Dining Car ist schon längst zusammengeräumt, und auch J. hat ihren Sleeper auf das Ende der Reise vorbereitet. Ich verbringe noch etwas Zeit im Observation Car, wo das letzte Bild der Reise entsteht.



Wie eine S-Bahn fährt der Zephyr, nur mehr leicht verspätet, in Emeryville ein. Das Gepäck wird in den Bus getragen, und ab geht's in den Stau Richtung San Francisco.

Verdict

Ein Reisebericht muss ja immer auch einen Abschluss enthalten, eine Zusammenfassung, eine kritische Beobachtung. Da will ich nicht enttäuschen.

Hat der California Zephyr meine Erwartungen erfüllt? Ein klares Ja, wobei meine Erwartungen auch nicht ganz richtig waren. Man kann sich noch so ausführlich vorbereiten und über alle technischen Details der Reise informieren, das Erleben ist dann doch etwas anderes. Das gilt hier ganz besonders: ich hatte keine Vorstellung vom "Feeling" eines Langstreckenzuges, hatte mir eher noch eine besonders lange Fahrt im Nachtzug ausgemalt. Das war aber freilich nur ein Teilaspekt des Ganzen. Vielleicht kann man es als "Kreuzfahrt auf Schienen" betrachten, aber ich bin mir da nicht sicher, weil ich noch nie eine Kreuzfahrt gemacht habe. Was mich - trotz der eigentlich kurzen Dauer der Reise - überrascht hat, war, dass ich mich an Bord "heimisch" fühlte. Heimisch wie in einem schönen Hotel, in dem man den Urlaub verbringt.

Dazu trägt bei, dass der Zephyr einfach herrlich ineffizient ist. Ein eigener Wagen nur für Gepäck, ein echter Speisewagen und natürlich das Observation Car. Im Vergleich zu modernen (Nacht-)Zügen ein äußerst großzügiges Platzangebot sowohl im Sleeper als auch im Coach. Da wird ziemlich viel Personal eingesetzt und Material bewegt, und das merkt man als Passagier auch. Wenn man sich überlegt, was einen zweieinhalb Tage USA inkl. Essen sonst so kosten, ist der Zephyr mit seinen 550 $ Mindestpreis ja geradezu ein Sonderangebot - knapp 4.000 Kilometer Strecke und Sightseeing inklusive.

Besonders in Erinnerung bleiben wird mir aber das Personal, allen voran natürlich J. Von der ersten Durchsage in Chicago an hat man bei allen Angestellten den Stolz in der Stimme gespürt, wenn sie den "California Zephyr" ausgesprochen haben. Möge er ihnen und uns noch lange erhalten bleiben, in all seiner Pracht und Absurdität!
 

schlepper

Erfahrenes Mitglied
31.08.2016
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FRA
Danke für den Bericht. Wie wurde das mit dem Tip gehandhabt, nach jedem Essen, einmal am Tag? Vielleicht können auch die anderen Zugfahrer sagen, wie sie damit umgegangen sind.
 
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libertad

Erfahrenes Mitglied
03.08.2016
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Danke für den Bericht. Wie wurde das mit dem Tip gehandhabt, nach jedem Essen, einmal am Tag? Vielleicht können auch die anderen Zugfahrer sagen, wie sie damit umgegangen sind.

Ich hab immer gleich nach dem Essen getippt (=am Tisch liegen gelassen), damit war auch nach dem ersten Essen gleich klar dass ich nicht knausrig bin. Hab aber auch von Leuten gelesen die sich erkundigen ob die Tips auf die Belegschaft aufgeteilt werden und die dann nur einmal täglich oder gar einmal pro Fahrt tippen. Der Vorteil - abgesehen davon, dass man keine kleinen Scheinchen braucht - ist für mich aber nicht klar.

Die Sleeping Car Attendants habe ich jeweils bei der Anfahrt auf meinen letzten Halt getippt. Im Nachhinein betrachtet war das vielleicht gar nicht so klug und ich hätte früher tippen sollen, da beide einigermaßen überrascht gewirkt haben von einem Europäer einen Tip zu bekommen (meine Interpretation). Da der Service aber bei beiden makellos war wird's wohl egal gewesen sein. Bei der nächsten Fahrt würde ich es trotzdem anders machen, man weiß ja nie an wen man gerät.
 
A

Anonym38428

Guest
Ich habe immer nach jeder Mahlzeit Trinkgeld gegeben.

Wobei die Beträge die libertad genannt hatte nicht ganz dem entsprachen, was der "typische" Amerikaner während meiner Reise liegen gelassen hat. Da wurden die 1 Dollarnoten mehrheitlich vorsichtig abgezählt, ohne das allzu viel Papier auf den Tisch kam.
 

libertad

Erfahrenes Mitglied
03.08.2016
1.024
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Wobei die Beträge die libertad genannt hatte nicht ganz dem entsprachen, was der "typische" Amerikaner während meiner Reise liegen gelassen hat. Da wurden die 1 Dollarnoten mehrheitlich vorsichtig abgezählt, ohne das allzu viel Papier auf den Tisch kam.

Den Eindruck hatte ich auch. Hab mich halt überintegriert.
 

DrThax

Administrator & Moderator
Teammitglied
10.02.2010
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EDLE 07
Wobei die Beträge die libertad genannt hatte nicht ganz dem entsprachen, was der "typische" Amerikaner während meiner Reise liegen gelassen hat. Da wurden die 1 Dollarnoten mehrheitlich vorsichtig abgezählt, ohne das allzu viel Papier auf den Tisch kam.
Ich habe mich offen gestanden weniger darum gekümmert was die Umhersitzenden so gemacht haben und habe selbst ca. 15-20% des in der Speisekarte genannten Betrags gegeben. Mal ein bisken mehr, mal ein bisken weniger. :yes:
 
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schlepper

Erfahrenes Mitglied
31.08.2016
3.514
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FRA
Ich habe mich offen gestanden weniger darum gekümmert was die Umhersitzenden so gemacht haben und habe selbst ca. 15-20% des in der Speisekarte genannten Betrags gegeben. Mal ein bisken mehr, mal ein bisken weniger. :yes:

Wieviel bekam der Stewart? Ich versuche, ein Gefühl dafür zu bekommen.
 

HAJ07

Erfahrenes Mitglied
14.11.2015
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Ein Fan der Eisenbahn war ich bis dato nicht.
Aber nun der zweite tolle Reisebericht dieser Art. Weckt Interesse, zumindest die USA betreffend, auch mal aus diesem Blickwinkel anzuschauen.
Vielen Dank für den kurzweiligen Bericht, hat Spaß bereitet an deiner Reise mit dem Zug teilzunehmen.
 
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nads

Reguläres Mitglied
14.01.2014
44
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Vielen Dank für diesen Bericht; er hat bei mir wieder viele Erinnerungen zurückgebracht, da wir in 2003 im Rahmen eines USA-Urlaubs von Pittsburgh nach Chicago und dann weiter im "California Zephyr" bis nach Emeryville (SF) gefahren sind. Wir hatten damals nur in Salt Lake City (anstelle Denver) einen "Ruhetag" eingelegt. Meine Kinder waren damals 9 und 13 und können sich noch heute an diesen Trip (natürlich keine Einzelheiten mehr) erinnern. Es gibt m.M. nach keine schönere und entspanntere Art, die grandiosen Landschaften in den USA zu geniessen und die Entfernungen zu verstehen. Es war wirklich "Value for Money". Man sollte aber genügend Zeit einplanen, da unser Zug damals letztendlich mit audsummierten 12 Stunden Verspätung in CA ankam.
 
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FRAHAMLON

Erfahrenes Mitglied
31.10.2013
2.041
799
PIT, ORD
Man sollte aber genügend Zeit einplanen, da unser Zug damals letztendlich mit audsummierten 12 Stunden Verspätung in CA ankam.

Rein interessehalber, wird die Verspätung durch Amtrak denn kommuniziert? Am Endbahnhof ist es ja egal, aber wenn der Zug z.B. 8h Verspätung in Denver hätte, ruft Amtrak da vorher an und teilt dem Reisenden das mit? Oder geht man zum geplanten Zeitpunkt zum Bahnhof und sitzt dann die 8h rum? Klar kann man noch mal raus und durch die Stadt, aber mich würde das schon ärgern, wenn man z.B. noch einige Stunden im Hotel hätte bleiben können?

Oder gibt es sowas wie on-line Verspätungsanzeige? Ist es dann auch ok, erst etliche Stunden nach der planmäßigen Abfahrt einzuchecken?
 

Riegerzwo

Aktives Mitglied
18.11.2017
197
22
Rein interessehalber, wird die Verspätung durch Amtrak denn kommuniziert? (...) Oder gibt es sowas wie on-line Verspätungsanzeige?

Es gibt ein Live-Tracking, das meines Wissens auch sehr zuverlässig funktioniert: https://www.amtrak.com/track-your-train.html

Auch eine telefonische Auskunft wird von Amtrak angeboten. Man muss immer bedenken, dass der Fahrplan sehr viel Luft lässt, sodass selbst größere Verspätungen zuweilen aufgeholt werden.