Wen keine Schuld trifft, hat der SPD-Politiker ebenfalls früh erkannt: ihn selbst. "Ich sehe nicht, welchen konkreten Vorwurf man dem Aufsichtsrat machen müsste", sagt Wowereit. Dabei ist er es, der den Flughafen durchgesetzt und als Aufsichtsratschef seit 2001 kontrolliert hat. Deshalb kann er die politische Verantwortung für Deutschlands derzeit größte Pannenbaustelle nicht zur Seite schieben. Seine Berliner Bilanz ist eng mit dem Milliardenprojekt verknüpft.
Deshalb ernannte der Sozialdemokrat das Projekt umgehend zur Chefsache. Er übernahm sich den Vorsitz im Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft und versprach: "Ich bin sicher, dass der Flughafen im Jahr 2007 verwirklicht werden kann."
Zu jener Zeit sollte ein Konsortium mit dem Baukonzern Hochtief den Airport finanzieren, bauen und betreiben. Der Staat sollte nur Auftraggeber sein, das Projekt zu 100 Prozent in privaten Händen liegen.
Wowereit aber glaubte, er könne es genauso gut wie die Privatwirtschaft. 2003 feuerte er das Konsortium und kündigte an, den Bau in staatlicher Regie zu übernehmen. "Ich lasse mich nicht über den Tisch ziehen", sagte der Bürgermeister. Die Wirtschaft wollte auf Kosten der öffentlichen Hand profitieren? Er würde zeigen, dass es auch anders geht.
Das Umstellen von privat auf Staat kostete Zeit, Geld und Energie: Baupläne fehlten ebenso wie Ingenieure und Finanzexperten.
Im Übermaß vorhanden war nur das Selbstbewusstsein des Bauherrn Wowereit. Er war es, der das Projekt vorantrieb, nicht so sehr Platzeck, dessen Bundesland ebenfalls mit 37 Prozent an der Flughafengesellschaft beteiligt war; und auch nicht der Bund, der 26 Prozent hielt und den Bau eher passiv begleitete.
2005 zog Wowereit eine erste Bilanz: "In den letzten Jahren ist es eine Erfolgsstory geworden", sagte er. Die Flughafengesellschaft sei nun "wirtschaftlich auf eine stärkere Basis gebracht und personell besser aufgestellt". Der Bürgermeister verschwieg auch nicht, wem dies zu verdanken war: "Nun soll man sich persönlich nicht überschätzen, aber ich sage einmal, auch mit Stolz: Ohne meine Tätigkeit als Aufsichtsratsvorsitzender wären wir nicht an dem Punkt, an den wir heute gekommen sind."
Schnell stellte es fest: Das Projekt hatte sich verändert, seit Wowereit das Sagen hatte. Nun sollten die Wände mit edlem Nussbaumfurnier verkleidet werden. Das Dach war in einer futuristisch freischwebenden Konstruktion zu errichten. Für den Boden reichte nicht Granit wie in den Flughäfen von Hamburg oder Düsseldorf. Es musste teurer Jura-Kalkstein sein.
Wowereit wollte es wieder selbst und billiger machen. Mehr als 630 Millionen Euro dürfe das Terminal nicht kosten, verfügte er damals. Dafür könne problemlos ein funktionstüchtiges Terminal erbaut werden: "Es gibt keine Notwendigkeit, das Finanzkonzept zu ändern." Statt einen Generalunternehmer zu beauftragen, übernahmen Wowereits Leute in der Flughafengesellschaft das Projekt. Dies sollte Geld sparen, die lokale Bauwirtschaft fördern und dabei auch noch den Zeitplan sicherstellen.
Wertvolle Zeit verstrich. Intensiv beschäftigte sich das Gremium auch mit der Frage, ob und wo eine zweistöckige Fluggastbrücke für den Airbus A380 zu errichten sei. Der Aufsichtsrat beschloss unmittelbar vor Baubeginn, die aufwendige Gangway zu verlegen - von der Haupthalle, wo alle Airlines andocken können, zum Abflugbereich von Air Berlin. Zeit- und kostenintensive Umplanungen waren die Folge. Ein kühler Blick auf die Zahlen, eine strenge Kontrolle der Geschäftsführung waren dagegen nicht immer zu beobachten. Schon 2009, als die Finanzkrise das Budget in Schieflage brachte, drängte der Bund darauf, einen zusätzlichen Geschäftsführer für Finanzen zu berufen. Wowereit lehnte ab.
Stattdessen vermittelten Wowereit und Platzeck nach außen den Eindruck, als gäbe es keine Probleme. Stolz widmeten sich die beiden Ministerpräsidenten als Nächstes dem Thema Kunst am Bau. Am 17. September 2010 stellten sie unter dem Motto "Gegensatz Land - Luft" drei Kunstwerke für das Terminal vor. Darunter war auch eine gigantische, blinkende Glasperlenkette, die die Fluggastbrücke für A380-Jets umschlingen soll.
Etwa zur gleichen Zeit setzte sich auch der SPD-Bundestagsabgeordneter (zu seinem Wahlkreis gehört auch das Flughafengelände in Schönefeld), Peter Danckert, mit der besonderen Wirklichkeit am Flughafen auseinander. Als Begleiter hatte Danckert einen renommierten Bauingenieur dabei, der bereits mehrere große Infrastrukturprojekte betreut und nun Einblick in die Flughafenplanung genommen hatte. Sein Fazit fiel verheerend aus...Also gab er Mitte Oktober 2010 ein Zeitungsinterview: "Ich gehe davon aus, dass es zu weiteren bedeutsamen Zeitverzögerungen kommt und zu nicht unerheblichen zusätzlichen finanziellen Belastungen", sagte er der "B. Z.". Ein Flughafensprecher wies seine Aussagen als "dummes Geschwätz" zurück. Wowereit nannte Danckerts Position "unverantwortlich".
Ende Juni hat Danckert mit diesem Dilemma Wowereit konfrontiert. Der Bürgermeister war im Haushaltsausschuss des Bundestags erschienen, um das Flughafen-Debakel zu erklären. "Was würdest du mit einem Aufsichtsratschef machen, der eine solche Performance liefert?", fragte der Abgeordnete den Regierungschef. Eine Antwort hat er nicht bekommen.
Peter Danckert: "Das Versagen des Aufsichtsrats ist offensichtlich", sagt er, "die Gesellschafter hätten ihn längst entlassen müssen."