Ich habe das Gefühl wir sind hier von der Ursprungsfrage meilenweit entfernt, dabei war sie extrem relevant.
Im modernen Arbeitsleben ist alles exakt geregelt, welche Sitze, welche Beleuchtung, welche Tischhöhe, welche Temperatur, welche Bürogröße (minimal 8m² pro Person!) etc. Auch in Bezug auf Arbeitszeiten und Pausen ist formal alles extrem reglementiert. Dass es nur wenig kontrolliert und Verstöße in der Regel nicht verfolgt werden steht auf einem anderen Blatt...
Niemand dürfte ein Großraumbüro im Stil einer Passagierkabine einrichten, und seine Mitarbeiter mit dem Laptop auf dem Schoß 10 Stunden angeschnallt auf 0.8 m² arbeiten lassen, das würde Dutzenden von Vorschriften widersprechen.
Selbst ein Großraumbüro im Stil einer QSuite mit der Möglichkeit seine Pausen an einer Bar wie im Emirates A380 zu verbringen wäre völlig unzulässig.
Das Problem ist aber ganz einfach: Reisezeit ist keine Arbeitszeit sondern Privatvergnügen. Arbeitszeit ist laut Bundesarbeitszeitgesetzt die Zeit, in der man "seinem Arbeitgeber uneingeschränkt zur Verfügung steht". Die Definition ist also aus Sicht des Arbeitgebers definiert. Da mein Arbeitgeber nicht uneingeschränkt über mich verfügen kann, während ich fliege (oder am Flughafen bin), ist das auch keine Arbeitszeit, und es gelten
keinerlei Vorschriften des Arbeitsrechts. Er muss mir nicht mal die Stunden irgendwie ausgleichen. Wenn sowas in einigen Branchen passiert, dann weil dort ein harter Wettbewerb um die besten Arbeitnehmer herrscht.
Dass mir als Arbeitnehmer diese Zeit an Bord (oder gar in der Warteschlange oder am Gate) natürlich auch nicht "uneingeschränkt zur Verfügung steht" ist in dieser Hinsicht irrelevant. Die EU-Arbeitszeitdirektive wäre eine echte Hilfe gewesen (sie hätte nämlich klar festgelegt, das Reisezeiten auch
keine Freizeit sind), wurde von Deutschland aber nicht voll umgesetzt. (Im Gegensatz zu einer Verordnung, wie z.B. Der Fluggastrechteverordnung sind die Direktiven ja nicht sofort gültig, sondern müssen in nationales Recht umgesetzt werden). Deutschland fand es klar genug zu regeln, was Arbeitszeit ist, und dass der Rest Freizeit ist. Dass es eine dritte Kategorie gibt, braucht man nicht zu berücksichtigen... Ein 20 Stunden Flug mit zweimal hektischem Umsteigen an überfüllten Flughäfen und Economy-Feederflügen an beiden Enden ist laut deutschem Recht 20 Stunden Ruhezeit. Damit hat man die einem zustehenden 12 Stunden ununterbrochene Ruhezeit in jedem 24 Stunden Zeitraum gehabt. Um die 80% meiner dienstlichen Flüge/Reisen verstoßen gegen die EU-Arbeitszeitdirektive, sind aber mit deutschem Recht konform. Schade.
Demgegenüber gibt es die "Fürsorgepflicht des Arbeitgebers", und da wird es komplex, weil unkonkret. Im Prinzip darf mein Arbeitgeber nichts von mir verlangen, was ungesund oder mit Risiken behaftet ist. Aus dieser Vorschrift leiten sich dann auch so übliche Regelungen wie das "ab 6 Stunden Flugzeit Business" ab, sind aber keineswegs branchenübergreifend klar geregelt. Übliche Beispiele wie ein Arbeitgeber dem nachkommen kann sind:
- den Beschäftigten ermöglichen, sich je nach den Gefahren für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit regelmäßig arbeitsmedizinisch untersuchen zu lassen (§ 11 ArbSchG)
- Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung (§ 5 Abs. 1 ArbSchG)
- die Beschäftigten über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit ausreichend und angemessen unterweisen (§ 12 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG)
Damit wird der Schwarze Peter dann zum Arbeitnehmer geschoben. Der Arbeitgeber hat damit genug getan, um "Gesundheit und Leben des Arbeitnehmers zu schützen". Der wohlinformierte und untersuchte Arbeitnehmer kann sich ja weigern, (auch in Absprache mit dem Betriebsarzt) ungesunde Flüge anzutreten. Leider bekommt das dem Arbeitsverhältnis und den Karrierechancen nicht gut...
Und spätestens da müssen wir uns alle an die eigene Nase fassen, wenn von uns verlangt wird, etrem belastende und ungesunde Flüge anzutreten (bei denen Bewegungsmangel, Schlafmangel, Jetlag... zusammenkommen) sagen wir halt für gewöhnlich "Ja Chef". Man will ja schließlich den Job behalten. Wenn das Reisebudget für die Aufgaben mal wieder zu klein geraten ist, dann verzichten wir halt großzügig auf unser Recht Business zu fliegen, oder machen den 24 Stunden (gesamt, hin und zurück) Umweg über den Golf oder fliegen mit den miesesten Airlines die am "Markt" nur existieren können, weil sie extrem attraktive Verträge mit den Firmen schliessen. Man will am Ende des Jahres ja seine KPI erfüllt haben...
Von den Gewerkschaften braucht man sich keine Hilfe erhoffen, da schlägt der Neidfaktor sofort gnadenlos zu, für die kleine Gruppe Priviligierter die Champagner schlürfend in den luxuriösesten Businessklassen dieser Welt zu den schönsten Zielen jetten, ist keine Unterstützng von einer "Organisation der kleinen Leute" zu erwarten. Das Bild, das die Airlines von ihrem Bordprodukt in der Öffentlichkeit malen, tut da sein übriges die Arbeitnehmer zu spalten, denn auch von den nichtreisenden Kollegen (incl. dem Betriebsarzt und dem Betriebsrat) braucht man in der Regel keinerlei Mitleid oder gar Unterstützung erwarten. Die glauben wir
duschen auf unseren Dienstreisen mit Jeniffer Aniston.
Von der Wissenschaft brauchen wir auch keine Unterstützung erwarten, die erforschen zwar wie viel weniger Milch Kühe nach der Umstellung auf Sommer-/Winterzeit geben, aber nicht wie viel kürzer Vielflieger leben. Wer würde auch solche Studien finanzieren? Für Studien die "beweisen" dass die Vielfliegerei über alle Zeitzonen der Erde keinerlei Gesundheitsrisiko bedeuten, wenn man denn nur die teure Businessclass nimmt, dürften sich immer eine finanzierende Airline oder ein Branchenverband finden...