Ich schäme mich ein wenig für meine Herkunft: In den deutschsprachigen Medien wird nach dem Erdbeben dominant über die Probleme in den japanischen Atomkraftwerken berichtet. Eine österreichische Zeitung hat hierzu eine 16-seitige Sonderbeilage herausgebracht und sogar die angesehene Tagesschau hatte gestern und auch noch heute früh auf ihrer Internetseite drei Artikel zum Thema Atom, aber keinen Artikel über die katastrophale Lage der Menschen in Japan. Nur eine Randnotiz war es der ARD-Redaktion wert, dass in einem abgelegenen Landstrich fast 10.000 Menschen vermisst werden. Erwähnt wurde aber, dass in Stuttgart Atomkraftgegener auf die Strasse gegangen sind. Nicht erwähnt wurde dagegen, dass die japanische Regierung schon gestern mit weit über 11.000 Toten rechnete - wegen dem Erdbeben wohlgemerkt und nicht wegen den Problemen in den Atomkraftwerken.
Britische, amerikanische und vor allem japanische Medien berichten anders, denn die Lage in Japan ist ziemlich kritisch - die menschliche und wirtschaftliche Lage meine ich: die Energieversorgung ist zum Teil komplett zusammengebrochen, sogar in Tokio ist der Strom mittlerweile rationalisiert. Die Ampeln bleiben dunkel, im Radio wird aufgefordert, deshalb eben vorsichtig zu fahren. Für eine Fahrt zum Narita-Flughafen sollte man mehr als 5 Stunden einkalkulieren, es können aber auch 10 Stunden werden. Züge fahren nicht. Benzin geht an den Tankstellen aus. Auch die Telekommunikation ist zum Teil zusammengebrochen, weil Glasfaserkabel zerstört sind. In Tokio gibt es kaum mehr Brot zu kaufen, viele Lebensmittelgeschäfte sind schon fast leer. Mehr als 400.000 Menschen haben bisher ihr Zuhause verloren, wie viele es wirklich sind, weiss man nicht. Vor allem machen sich aber die Menschen Sorgen um ihre Verwandten, von denen man seit dem Erdeben nichts mehr gehört hat. Dennoch bleiben fast alle Japaner ruhig.
Ich bewundere die Art und Weise, wie in Japan die Menschen und die Medien mit der Katastrophe umgehen. Man versucht zum Glück einen ruhigen Kopf zu bewahren. Man versucht, Panik und Chaos zu vermeiden. Panik und Chaos ist nun das letzte, was Japan augenblicklich gebrauchen kann. Spenden sind eher angebracht. Aber über ein Spendenkonto hat die Tagesschau bisher noch nicht informiert.
Schlussbemerkung: Bevor ich nun diesen Text online stelle, habe ich eben gerade die Internetseite der Tagesschau aufgerufen und bin froh, dass mittlerweile die ARD-Redaktion ihre Titelstory umfimiert hat: "Die Angst vor der atomaren Katastrophe bleibt" lautet jetzt die Überschrift. Gestern hatte diese Redaktion exklusiv gemeldet, dass es eine Kernschmelze gegeben hätte und damit eine Katastrophe begonnen hätte. Viele andere Medien hatten daraufhin die Tagesschau als Quelle genannt, dass es nun zu einer Katastrophe kommen würde. Soweit ich weiss, kann kein Mensch Antwort geben, ob es bereits zu einer Kernschmelze gekommen ist. Das alles sind nur Vermutungen, mehr nicht.
Keine Vermutung aber ist, dass Japan gerade eine wirtschaftliche und menschliche Katastrophe erlebt. Ein ganz schlimme Katastrophe. Und ich hoffe ganz stark, dass zu dieser Katastrophe jetzt nicht noch eine weitere Katastrophe hinzukommt. Ich bin gerade sehr in Gedanken an die Menschen, die ich im Japan kenne. Hoffentlich kommt es zu keiner Kernschmelze - und wenn doch, dann hoffentlich nur so in dem Ausmass wie in Harrisburg in den USA in den 70er Jahren, wo man trotz Kernschmelze die Lage noch in den Griff bekommen hatte.