Ohmeiohmeiohmei, ich sehe schon einen Aufsatz von mir kommen. Also fangen wir mal an:
Das stimmt nicht, der Beweis wurde mir die letzten Jahre während meiner Arbeit erbracht. Ich bin noch nie ab TXL geflogen und ich denke, dass die Zustände bei uns mit Sicherheit nicht so chaotisch wie in TXL sind, aber auch in MUC gibt es permanente strukturelle Probleme, die einfach ignoriert und nicht behoben werden. 5 Sterne ist dieser Flughafen maximal nur noch am Terminal 2, aber auch dort wird man kaum seinem eigenen Anspruch, den man immer wie eine Monstranz vor sich her trägt, gerecht. Und obwohl so gerne auf Swissport-Losch geschossen wird, kann man es nicht an einem Dienstleister festmachen, auch bei AeroGround habe ich schon absolute Katastrophen erlebt. Auch in MUC passiert es teilweise, dass erst 30 Minuten nach Ankunft überhaupt mal ne Lademannschaft auftaucht und mit der Ausladung begonnen wird, bis dahin hab ich meinen Flieger schon selber eingechockt und GPU gesteckt (obwohl ich es eigentlich nicht dürfte), damit wenigstens der Finger ranfahren kann, die Paxe aussteigen können und der Kapitän nicht am toben ist, warum jetzt die APU weiterlaufen muss.
Ich hab es sogar schon geschafft, dass mein fertig geboardeter Bus mit den Outbound-Paxen an der Position stand, bevor überhaupt eine Treppe zum Aussteigen da war. Ja, auch das ist München.
Man kann als Personal nicht mehr tun, als arbeiten. Die meisten Ramp Agents sind mit dem Verfahren der "Doppelabfertigung" (zwei Flieger auf einmal) leider schon recht gut vertraut, aber das ist eigentlich schon über die Grenze des Verantwortbaren hinaus. Das lässt sich zwar noch mit der Sicherheit vereinbaren, aber wenn meine zwei Flieger knapp nen Kilometer auseinander stehen und am Flieger A jetzt ein Problem auftritt, aber ich gerade bei Flieger B bin, dann ist das ungünstig. Im besten Fall kostet es nur die Crew Zeit und Nerven (von denen ich mir dann übrigens wieder nen Anschiss abholen kann, warum ich denn nicht verfügbar war und das nicht antizipiert habe), im schlechtesten Fall verpasst ein Flieger seinen Slot und macht ne Stunde Delay, weil ich halt gerade den anderen Flieger, der auch nen Slot hatte, pushen musste. Wenn man dann zwischen den zwei Pushbacks hin- und herhetzen muss, dann kann man sich vorstellen, mit welcher Sorgfalt manche Kollegen den Final Walkaround (teilweise eher Run Around) vornehmen. Wir haben es schon so weit getrieben, dass an Fingerpositionen erfahrenere Gate Agents nen Hilfs-Rampie gespielt haben, weil halt zu viele Leute krank waren oder (und das ist die Krönung) die Stations-Repräsentanten einer Airline selber den Flieger abgefertigt haben.
Klar könnte ich jetzt auch noch nen dritten Flieger parallel abfertigen, aber erstens sinkt dadurch das Niveau der Abfertigung immer weiter; Rampie sein an sich ist nicht schwer, aber als Rampie einen On-Time Departure organisieren hat viel mit Antizipation und Erfahrung zu tun, je früher ich ein Problem erkenne, desto früher kann ich an der Beseitigung arbeiten, zweitens bekomme ich ja auch nicht das dreifache Gehalt für die dreifach erbrachte Leistung, aber ich geh Abends mit nem dicken Schädel nach Hause, weil ich 8 Stunden lang zwischen Leerlauf und Voll-Adrenalin-Bluthochdruck hin- und hergeswitcht bin, und habe danach keinen Bock mehr auf nichts außer vor mich hin zu vegetieren.
Hape kann ich in allen seinen Ausführungen uneingeschränkt zustimmen, gerade der Teil mit dem GOMs hat mich herzlich amüsiert, denn bei uns im OPS wüsste mit Sicherheit ein Drittel der Belegschaft nicht mal, was ein GOM ist, und ich wage zu behaupten, dass sich - bis auf die Abteilungsleiter - noch nie auch nur ein Mitarbeiter ein Teil eines GOMs angeschaut hat.
Es ist wirklich ein Problem, dass fast durch die Bank alle Airlines ihre Prozeduren nach dem Prinzip "Heute hüh, morgen hott" anpassen, weil jetzt ein neuer Sesselfurzer mal in Folge irgendeines Incidents an irgendeinem Airport sich profilieren will, wie Safety Aware er doch ist und wie viel Risiko dadurch eingedämmt wird. Oder irgendein Auditor hat irgendein ganz schlaues Finding, infolge dessen jetzt im Airline-Headquarter Polen offen ist und man natürlich den kompletten Betrieb umräumen muss.
Ein paar Beispiele dafür: Die meisten Airlines der Welt haben eine normale Prozedur beim Einrollen, Flieger fährt rein, Triebwerke aus, sobald das Beacon (rote Blinklicht) aus ist, gehen die Loader zum Flieger, bremsen ihn ein, danach wird mit den Hütchen abgesichert, Strom gesteckt, Ausladung angefangen. Eine nicht näher genannte europäische Nationalairline möchte natürlich die Extrawurst, da darf vorne eingechockt werden, sobald der Flieger steht, hinten erst, wenn das Beacon aus ist, und dann muss der Rampie mit der Cockpitcrew am Headset kommunizieren, dass die Chocks sitzen, infolge dessen wird die Bremse gelöst, und erst wenn sich der Flieger auf die Chocks gesetzt hat, gibt der Kapitän die "Clearance to start all ground operations", infolge dessen man als Rampie dem Fingerfahrer und den Loadern signalisiert, dass sie sich jetzt dem Flieger nähern, den Finger ranfahren und die Gepäckraumtüren aufmachen dürfen. Währenddessen muss der Rampie den Arrival Walkaround machen, soll aber laut Theorie gleichzeitig bei der Türöffnung oben an der L1 stehen und der Crew das ausgedruckte Briefing-Paket überreichen und mit dem Purser eventuelle Specials kommunizieren. Eigentlich dürfte auch dem Airline-Headquarter bekannt sein, dass sich Rampies nicht zweiteilen können, aber offenbar wird dort nur von der Wand bis zur Tapete gedacht.
Eine andere Airline möchte unbedingt, dass der Kapitän zwischen Ausladung und Zuladung vom Rampie zum Laderaum geholt wird, damit er den Security Check unternehmen kann. Bei anderen Airlines unterschreiben wir, dass wir ihn gemacht haben, wieder andere Airlines wollen keine Unterschrift und gehen einfach davon aus, dass halt allein auf Grund von gesundem Menschenverstand geschaut wird, dass der Laderaum leer ist.
Wenn man eine Schleppstange anschraubt, ist es immer das gleiche Verfahren, Pin stecken, Hydraulik ist deaktiviert, Stange dran. Die Procedure ist fail safe. Nur eine Airline möchte, dass man vorher die Cockpitcrew fragt, um sich eine Erlaubnis dafür zu holen.
Bei allen Airlines ist das Verfahren beim Tür schließen ähnlich, Tschüss sagen, Cabin Crew macht Tür zu, Treppe weg. Ein Low-Cost-Carrier möchte, dass man jedes Mal vor dem Schließen der Tür sich vom zuständigen Flight Attendant einen kleinen unterschriebenen grünen Zettel holt, den PTRS (Permit To Remove Steps). Klar soll das Helfen, damit keine Treppe so weggezogen wird und kein FA ausm Flieger fällt, aber wer so tot im Gehirn ist, dass er das macht, dem hilft der Zettel auch nicht mehr.
Und das ist ein strukturelles Problem: Airlines wollen immer mehr Verantwortung auslagern und auch immer mehr Paperwork dafür, damit steigt der Workload, man will gemäß dem Schweizer-Käse-Modell alle Löcher (Fehlerquellen) schließen und legt deswegen der Effizienz Steine in den Weg, aber gleichzeitig soll immer weniger Personal einen Flieger abfertigen.
Die Ursache für dieses Race to the Bottom liegt meiner Ansicht nach auch in den Ausschreibungen, bei denen Airlines ihren Dienstleistern regelmäßig zeigen, dass jahrelange zuverlässige qualitativ hochwertige Arbeit nichts wert ist, sobald ein anderer Heiopei ankommt, der es auf dem Papier billiger machen kann. Um überhaupt mithalten zu können, sind die anderen Dienstleister gezwungen, mitzugehen und ihre Personaldecke zu verdünnen und die Vergütung zu minimieren.
Vorgesetzte und erfahrenere Kollegen haben die These, dass Airlines besonders gerne am Ground Handling sparen, weil es eben recht einfach ist, dort an ein paar Stellschrauben zu drehen, und viele Kunden ein schlechtes Erlebnis eben nicht direkt mit der Airline verbindet, denn "die kann ja nichts dafür, das ist schließlich ein externer Dienstleister".
Natürlich kommt dann noch das Problem der Saisonalität dazu: Um überhaupt einigermaßen wirtschaftlich zu bleiben, muss ein Dienstleister im Sommer die Personalplanung komplett auf Kante nähen, und trotzdem stehen sich die Leute im Winter die Beine in den Bauch. Das geht soweit, dass manche Dienstleister solche tollen Erfindungen haben wie einen "Effektivstundenvertrag kapazitätsorientierte Teilzeit", mit dem im Sommer teilweise 200 Stunden im Monat arbeiten "darf", im Winter dann aber nur 40 Stunden pro Monat. Durch die Effektivstunden kriegt man dann auch nur die jeweils geleistete Arbeitszeit (am Anfang meist mit Mindestlohn) vergütet, sprich, im Sommer hat man ein recht akzeptables Gehalt, im Winter ist es ein Witz. Dazu kommen dann noch so Späße wie Split Duty, sprich ein Mitarbeiter arbeitet von 20 bis 24 Uhr und von 03:30 bis 7 Uhr, in den drei Stunden dazwischen kann man aber kaum ordentlich schlafen, nach Hause kommt man sowieso nicht, bezahlt wird es aber auch nicht.
Nicht alles was hinkt, ist ein Vergleich.
Ja, vielleicht findet seitens Mitarbeitern in der Luftfahrt manchmal ein bisschen Selbstbeweihräucherung über diesen Aspekt statt.
Aber bitte beachte folgendes: Sowohl der Autoschrauber als auch der Telekomtechniker dürften mehr verdienen als die meisten Rampies. Dazu kommt, dass in keinem der genannten Jobs so viele Entscheidungen und Abwägungen in schneller Zeit getroffen werden müssen, und einfache kleinste Zahlendreher einen potentiell tödlichen Ausgang haben können. Es passiert nicht mehr oft, aber wenn der Rampie ein manuelles Loadsheet rechnet und mit einer Zahl durcheinander kommt, kann es passieren, dass dein Flieger beim Start ein paar sehr unschöne Manöver macht, weil der Schwerpunkt leider komplett woanders ist, als die Cockpitcrew es antizipiert und eventuell sogar außerhalb der flugfähigen Limits. Oder wenn der Headloader die Verladung falsch interpretiert hat und dem Rampie der Fehler nicht auffällt, oder wenn die falsche Cargo mit komplett anderen Gewichten zugeladen wurde.
Wir stehen in der ständigen Abwägung zwischen Sicherheit und wirtschaftlichen Aspekten, und natürlich gilt immer "Safety First", aber trotzdem will jede Verspätung begründet werden, und wir müssen dann oft im Rahmen unserer eigenen Erfahrung in kürzestem Zeitraum abwägen, was wir als sicher verantworten können, zum Beispiel beim Verzurren von Gefahrgut. Denn geht es schief, bist du der Depp. Machst du Verspätung, weil du zu pingelig warst, bist du auch der Depp.
Du musst während einer Abfertigung permanent 100% bei der Sache sein, das kannst du nicht im Vorbeigehen mit 70% mentaler Leistung machen. Und da sehe ich schon einen Unterschied zu den anderen von dir genannten Berufen, auch wenn natürlich Ramp Agent rein handwerklich kein Hexenwerk ist.
(Trotzdem sieht man oft genug den Unterschied zwischen branchenerfahrenen Ramp Agenten, die Probleme schon erfühlen können, bevor sie sich entwickeln, und dementsprechend im Sinne eines On-Time Departures dagegen handeln können, und recht unbeholfenen Rampies, die zwar auch das Ein-mal-Eins der Abfertigung und die sicherheitsrelevanten Regularien können, aber eben nur passiv agieren und ihren Flug eher verwalten, statt zu managen.)